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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Die zwölf Nächte

zur Rückkehr ihres Bruders, der übrigens ebensowenig wie die Musikanten an
diesem Abend für irgend welche Mitteilung, mochte sie noch so interessant sein,
empfänglich schien, war ihr sehr lang gewordein Gleich am nächsten Morgen suchte
sie Kegels auf und gab ihnen eine Schilderung dessen, was sie gesehen hatte, in der
die ihr besonders gefallende Wendung, Minna habe Röberkarl einmal über das
andre umarmt, als wenn er ihr Sohn wäre, mehrfach und für den Geschmack des
Kegelschen Elternpaares allzuhäufig wiederkehrte. Nach solchen zur allgemeinen
Kenntnis gelangten Umarmungen -- denn was Fräulein Mergner wußte, wußte
ganz Weste" -- war kein Zaudern und Überlegen möglich. Der Vater Kegel mußte
sich spornstreichs auf die Socken machen, um, wie er sich ausdrückte, der Röberschen
Familie sein Einverständnis mit der erfolgten Verlobung zu erklären. In Wahrheit
ähnelte seine Verrichtung sehr dem schmerzlichen Schritte eines Kommandanten, der
die ihm anvertraute Festung auf Gnade und Ungnade zu übergeben gezwungen ist,
weil die Außenwerke sämtlich daniederliegen, und der Feind schon mit einem Fuße
innerhalb der Enceinte steht. Kein asiatischer Monarch hätte sich auf seinem Throne
selbstgefälliger und grundgütiger gebärden können als der schöne Karl ans seinem
Großvaterstuhl: er nahm die zur Opferung ans seinein Altare bestimmte Jungfrau
in Gnaden entgegen und trug kein Bedenken, den künftigen Schwiegervater unter
dem kaudinischen Joch von allerhand die Aussteuer und die jährliche Beihilfe be¬
treffende" Bedingungen abziehen zu lassen. Ja die Gunst der Gelegenheit und das
in ihm empvrgeschwollne Selbstgefühl waren so groß, daß die Ziege zur Kuh wurde,
und daß der Vertiko, ein für Westen geradezu unerhörter Luxus, aus dem nußbcmm-
fcirblg Gebeizten in das nußbnum Furnierte emporstieg. Vater Kegel drückte bei
seiner Heimkehr seiner Tochter seine Unzufriedenheit ziemlich drastisch in den Worten
aus: da sie dem jungen Manne das ganze Betttuch schon gegeben habe, so wäre es
vergebliche Mühe gewesen, wenn er ihm den einen oder den andern der vier -Zipfel
streitig zu machen gesucht hätte. So blieb denn der schone Karl, dessen Wunde gut
heilte, bis an sein seliges Ende im Besitze des Betttuchs und aller vier Zipfel, und
Minna. die so besonders klug zu sein geglaubt hatte, aber mehr von ihrer Leiden-
Ichaft als von weiser Erwägung geleitet worden war. hatte den Kummer, Helcnchen
da frei und selbständig zu sehen, wo sie fronte und klein beizugeben gezwungen war,
denn Max war ein bequemer, rücksichtsvoller Ehemann, während der schöne Karl,
dem man auch nach der Hochzeit allerhand kleine Allotria schuld gab. den Tyrannei,
spielte nud seiner Frau manche schwere Stunde kostete.

Während aber von allen den jungen Wehlener Mädchen keines während dieser
heiligen zwölf Nachte ihren Verlobten im Spiegel sah, obwohl sie alle den Versuch,
"neu solchen Blick in die Zukunft zu werfen, unter Beobachtung der vorgeschriebnen
Formalitäten machten, war Fräulein Mergner die einzige, die'-- in überraschender
^else und in letzter Stunde, in der Nacht vom 5. zum 6. Januar -- das Bild
ihres künftigen Gatten mit erschreckender Deutlichkeit hinter sich im Spiegel erblickte.

hatte -- es war schon spät -- nur geivvhnheitsmäßig einen Blick in den
Spiegel geworfen, um zu sehen, ob das rotgcblumte Tuch, mit dem sie für die
.'nacht ihr jungfräuliches Haupt wie eine Mehlspeisenforin umgab, sie nach Wunsch kleide,
als sie mit einem lauten Schrei ohnmächtig zu Boden sank und von dem Bootsjuugeu.
ver merkwürdigerweise zufällig in der Nähe war, aufgelesen und auf ihr Bett gelegt
werde" mußte. Als sie wieder zu sich gekommen war. vertraute sie ihrem Bruder die
Ichreckliche Tntsache a", daß sie hinter sich im Spiegel den leibhaftigen Gottseibeiuns
und zwei Ziegenbockshörnern so deutlich gesehen habe wie sie jetzt ihren Bruder vor
>es sehe. Er habe einen Kinnbart gehabt und habe ausgesehen -- das sagte sie
in do-zlichcr Absicht --, wie August in siebzig Jahren aussehen werde, nämlich so
furchtbar häßlich, daß sie in Ohumacht gefallen sei.

Ob ihr Zwölfuächtegcsicht eingetroffen ist, und ob "er" sie wirklich heimgeführt
Me, "eng dahingestellt bleiben: der alte Mergner war. als sie weg war, wirklich glück-
Wer, mild August konnte ein paar wunderschöne Bockshörner, die nach Fräulein
^cergiiers Tode als Hutaufhäuger angebracht worden waren, nie ansehen, ohne
^cock an jenen 5. Januar und nu die Erscheinung des höllischen Bräutigams zu




Die zwölf Nächte

zur Rückkehr ihres Bruders, der übrigens ebensowenig wie die Musikanten an
diesem Abend für irgend welche Mitteilung, mochte sie noch so interessant sein,
empfänglich schien, war ihr sehr lang gewordein Gleich am nächsten Morgen suchte
sie Kegels auf und gab ihnen eine Schilderung dessen, was sie gesehen hatte, in der
die ihr besonders gefallende Wendung, Minna habe Röberkarl einmal über das
andre umarmt, als wenn er ihr Sohn wäre, mehrfach und für den Geschmack des
Kegelschen Elternpaares allzuhäufig wiederkehrte. Nach solchen zur allgemeinen
Kenntnis gelangten Umarmungen — denn was Fräulein Mergner wußte, wußte
ganz Weste» — war kein Zaudern und Überlegen möglich. Der Vater Kegel mußte
sich spornstreichs auf die Socken machen, um, wie er sich ausdrückte, der Röberschen
Familie sein Einverständnis mit der erfolgten Verlobung zu erklären. In Wahrheit
ähnelte seine Verrichtung sehr dem schmerzlichen Schritte eines Kommandanten, der
die ihm anvertraute Festung auf Gnade und Ungnade zu übergeben gezwungen ist,
weil die Außenwerke sämtlich daniederliegen, und der Feind schon mit einem Fuße
innerhalb der Enceinte steht. Kein asiatischer Monarch hätte sich auf seinem Throne
selbstgefälliger und grundgütiger gebärden können als der schöne Karl ans seinem
Großvaterstuhl: er nahm die zur Opferung ans seinein Altare bestimmte Jungfrau
in Gnaden entgegen und trug kein Bedenken, den künftigen Schwiegervater unter
dem kaudinischen Joch von allerhand die Aussteuer und die jährliche Beihilfe be¬
treffende» Bedingungen abziehen zu lassen. Ja die Gunst der Gelegenheit und das
in ihm empvrgeschwollne Selbstgefühl waren so groß, daß die Ziege zur Kuh wurde,
und daß der Vertiko, ein für Westen geradezu unerhörter Luxus, aus dem nußbcmm-
fcirblg Gebeizten in das nußbnum Furnierte emporstieg. Vater Kegel drückte bei
seiner Heimkehr seiner Tochter seine Unzufriedenheit ziemlich drastisch in den Worten
aus: da sie dem jungen Manne das ganze Betttuch schon gegeben habe, so wäre es
vergebliche Mühe gewesen, wenn er ihm den einen oder den andern der vier -Zipfel
streitig zu machen gesucht hätte. So blieb denn der schone Karl, dessen Wunde gut
heilte, bis an sein seliges Ende im Besitze des Betttuchs und aller vier Zipfel, und
Minna. die so besonders klug zu sein geglaubt hatte, aber mehr von ihrer Leiden-
Ichaft als von weiser Erwägung geleitet worden war. hatte den Kummer, Helcnchen
da frei und selbständig zu sehen, wo sie fronte und klein beizugeben gezwungen war,
denn Max war ein bequemer, rücksichtsvoller Ehemann, während der schöne Karl,
dem man auch nach der Hochzeit allerhand kleine Allotria schuld gab. den Tyrannei,
spielte nud seiner Frau manche schwere Stunde kostete.

Während aber von allen den jungen Wehlener Mädchen keines während dieser
heiligen zwölf Nachte ihren Verlobten im Spiegel sah, obwohl sie alle den Versuch,
«neu solchen Blick in die Zukunft zu werfen, unter Beobachtung der vorgeschriebnen
Formalitäten machten, war Fräulein Mergner die einzige, die'— in überraschender
^else und in letzter Stunde, in der Nacht vom 5. zum 6. Januar — das Bild
ihres künftigen Gatten mit erschreckender Deutlichkeit hinter sich im Spiegel erblickte.

hatte — es war schon spät — nur geivvhnheitsmäßig einen Blick in den
Spiegel geworfen, um zu sehen, ob das rotgcblumte Tuch, mit dem sie für die
.'nacht ihr jungfräuliches Haupt wie eine Mehlspeisenforin umgab, sie nach Wunsch kleide,
als sie mit einem lauten Schrei ohnmächtig zu Boden sank und von dem Bootsjuugeu.
ver merkwürdigerweise zufällig in der Nähe war, aufgelesen und auf ihr Bett gelegt
werde» mußte. Als sie wieder zu sich gekommen war. vertraute sie ihrem Bruder die
Ichreckliche Tntsache a», daß sie hinter sich im Spiegel den leibhaftigen Gottseibeiuns
und zwei Ziegenbockshörnern so deutlich gesehen habe wie sie jetzt ihren Bruder vor
>es sehe. Er habe einen Kinnbart gehabt und habe ausgesehen — das sagte sie
in do-zlichcr Absicht —, wie August in siebzig Jahren aussehen werde, nämlich so
furchtbar häßlich, daß sie in Ohumacht gefallen sei.

Ob ihr Zwölfuächtegcsicht eingetroffen ist, und ob „er" sie wirklich heimgeführt
Me, »eng dahingestellt bleiben: der alte Mergner war. als sie weg war, wirklich glück-
Wer, mild August konnte ein paar wunderschöne Bockshörner, die nach Fräulein
^cergiiers Tode als Hutaufhäuger angebracht worden waren, nie ansehen, ohne
^cock an jenen 5. Januar und nu die Erscheinung des höllischen Bräutigams zu




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[0885] Die zwölf Nächte zur Rückkehr ihres Bruders, der übrigens ebensowenig wie die Musikanten an diesem Abend für irgend welche Mitteilung, mochte sie noch so interessant sein, empfänglich schien, war ihr sehr lang gewordein Gleich am nächsten Morgen suchte sie Kegels auf und gab ihnen eine Schilderung dessen, was sie gesehen hatte, in der die ihr besonders gefallende Wendung, Minna habe Röberkarl einmal über das andre umarmt, als wenn er ihr Sohn wäre, mehrfach und für den Geschmack des Kegelschen Elternpaares allzuhäufig wiederkehrte. Nach solchen zur allgemeinen Kenntnis gelangten Umarmungen — denn was Fräulein Mergner wußte, wußte ganz Weste» — war kein Zaudern und Überlegen möglich. Der Vater Kegel mußte sich spornstreichs auf die Socken machen, um, wie er sich ausdrückte, der Röberschen Familie sein Einverständnis mit der erfolgten Verlobung zu erklären. In Wahrheit ähnelte seine Verrichtung sehr dem schmerzlichen Schritte eines Kommandanten, der die ihm anvertraute Festung auf Gnade und Ungnade zu übergeben gezwungen ist, weil die Außenwerke sämtlich daniederliegen, und der Feind schon mit einem Fuße innerhalb der Enceinte steht. Kein asiatischer Monarch hätte sich auf seinem Throne selbstgefälliger und grundgütiger gebärden können als der schöne Karl ans seinem Großvaterstuhl: er nahm die zur Opferung ans seinein Altare bestimmte Jungfrau in Gnaden entgegen und trug kein Bedenken, den künftigen Schwiegervater unter dem kaudinischen Joch von allerhand die Aussteuer und die jährliche Beihilfe be¬ treffende» Bedingungen abziehen zu lassen. Ja die Gunst der Gelegenheit und das in ihm empvrgeschwollne Selbstgefühl waren so groß, daß die Ziege zur Kuh wurde, und daß der Vertiko, ein für Westen geradezu unerhörter Luxus, aus dem nußbcmm- fcirblg Gebeizten in das nußbnum Furnierte emporstieg. Vater Kegel drückte bei seiner Heimkehr seiner Tochter seine Unzufriedenheit ziemlich drastisch in den Worten aus: da sie dem jungen Manne das ganze Betttuch schon gegeben habe, so wäre es vergebliche Mühe gewesen, wenn er ihm den einen oder den andern der vier -Zipfel streitig zu machen gesucht hätte. So blieb denn der schone Karl, dessen Wunde gut heilte, bis an sein seliges Ende im Besitze des Betttuchs und aller vier Zipfel, und Minna. die so besonders klug zu sein geglaubt hatte, aber mehr von ihrer Leiden- Ichaft als von weiser Erwägung geleitet worden war. hatte den Kummer, Helcnchen da frei und selbständig zu sehen, wo sie fronte und klein beizugeben gezwungen war, denn Max war ein bequemer, rücksichtsvoller Ehemann, während der schöne Karl, dem man auch nach der Hochzeit allerhand kleine Allotria schuld gab. den Tyrannei, spielte nud seiner Frau manche schwere Stunde kostete. Während aber von allen den jungen Wehlener Mädchen keines während dieser heiligen zwölf Nachte ihren Verlobten im Spiegel sah, obwohl sie alle den Versuch, «neu solchen Blick in die Zukunft zu werfen, unter Beobachtung der vorgeschriebnen Formalitäten machten, war Fräulein Mergner die einzige, die'— in überraschender ^else und in letzter Stunde, in der Nacht vom 5. zum 6. Januar — das Bild ihres künftigen Gatten mit erschreckender Deutlichkeit hinter sich im Spiegel erblickte. hatte — es war schon spät — nur geivvhnheitsmäßig einen Blick in den Spiegel geworfen, um zu sehen, ob das rotgcblumte Tuch, mit dem sie für die .'nacht ihr jungfräuliches Haupt wie eine Mehlspeisenforin umgab, sie nach Wunsch kleide, als sie mit einem lauten Schrei ohnmächtig zu Boden sank und von dem Bootsjuugeu. ver merkwürdigerweise zufällig in der Nähe war, aufgelesen und auf ihr Bett gelegt werde» mußte. Als sie wieder zu sich gekommen war. vertraute sie ihrem Bruder die Ichreckliche Tntsache a», daß sie hinter sich im Spiegel den leibhaftigen Gottseibeiuns und zwei Ziegenbockshörnern so deutlich gesehen habe wie sie jetzt ihren Bruder vor >es sehe. Er habe einen Kinnbart gehabt und habe ausgesehen — das sagte sie in do-zlichcr Absicht —, wie August in siebzig Jahren aussehen werde, nämlich so furchtbar häßlich, daß sie in Ohumacht gefallen sei. Ob ihr Zwölfuächtegcsicht eingetroffen ist, und ob „er" sie wirklich heimgeführt Me, »eng dahingestellt bleiben: der alte Mergner war. als sie weg war, wirklich glück- Wer, mild August konnte ein paar wunderschöne Bockshörner, die nach Fräulein ^cergiiers Tode als Hutaufhäuger angebracht worden waren, nie ansehen, ohne ^cock an jenen 5. Januar und nu die Erscheinung des höllischen Bräutigams zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/885>, abgerufen am 22.07.2024.