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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Die zwölf Nächte

Die Unterhaltung war schon ganz in die flachen und doch entzückenden Gemein¬
plätze abgeirrt, auf denen sich zweie, die sich eben erst zusammengefunden haben,
ohne Arg ergehn, ja ich wage nicht einmal zu behaupten, daß sie nicht von Zeit zu
Zeit in wonnigster Weise ganz ins Stocken geriet, als sich die laute Stimme von
Johannes Krüger und die etwas schwächere, seltsam heisere und belegte des alten
Hodewitsch von ganz oben in der Straße, näher und näher kommend, hören ließen
und Maxens schleunigen Rückzug veranlaßten. Heimchen hatte, nachdem ihr Ver¬
ehrer durch das Hinterpförtchen, das auf einen Zimmerplatz führte, auf und davon
gegangen war, viel zu tun, um Vater und Mutter durch gütliches Zureden aus
dem Bereiche der abenteuerlichsten Sinnestäuschungen in das Gebiet der Wirklichkeit
zurückzuführen. Der alte Hodewitsch glaubte -- das war eine Wirkung des in zu
reichem Maße genossenen Grogs --, er steuere. Er- hatte ja in der Tat auch auf
dem Nachhausewege nach Kräften gesteuert, um nicht von dem Grogorkan über¬
wältigt und umgerissen zu werden: aber nun, wo er wohlbehalten, obwohl etwas
erschöpft, zuhause angekommen war, hatte er sich des Spinnrads seiner Frau be¬
mächtigt und drehte es mit ernstem, beinahe sorgenvollem Gesicht nach rechts und
nach links, je nachdem er das Dampfboot, das er steuerte, hier vor einer Klippe,
da vor einer Sandbank, dort vor einem Zusammenstoß mit einer schwerbeladnen
Steinzille zu bewahren bemüht war. An sich war ja der Sport, dem er huldigte,
harmlos, wenn man nur nicht hätte befürchten müssen, daß er mit seinen bleiern
schweren Armen das gebrechliche Rad, mit dessen Hilfe er steuerte, unversehens, wie
man in Westen sagte, verurschen möchte. Und dann hätte man ihn gern, so lange
Krüger noch zur Hand war, mit dessen Hilfe zu Bett gebracht, wahrend er sonst
wahrscheinlich, sehr zum Nachteil seiner Gesundheit, die Nacht am Tische sitzend zu¬
gebracht haben würde. Erst als ihm Krüger wiederholt versichert hatte, daß "der
Feldmarschall Graf Moltke," den er steuerte, nicht weiter fahre, und daß er, Hodewitsch,
eine Treppe hoch im Bureau der Dampfschiffahrtgesellschaft mit Ungeduld erwartet
werde, war er dazu zu bringen, sich hinauf in seine Kammer führen zu lassen, und
es ist wahrscheinlich, daß er sich von Krüger nur um deswillen willig entkleiden und
ins Bett legen ließ, weil ihm dieser mit dein ernstesten Gesicht von der Welt ver¬
sichert hatte, die Direktion könne ihn für den übrigen Teil der Nacht entbehren und
habe ihm deshalb ausdrücklich Urlaub erteilt. Denn wenn ich dächte, murmelte er
einmal über das andre beim Einschlafen, daß dem Moltke in meiner Abwesenheit
etwas zustoßen könnte, würde ich nie wieder meines Lebens froh werden.

Frau Hodewitsch hatte zwar einen gesunden Schlummer, aber ihr Erwachen, wenn
sie jäh ans ihm herausgerissen wurde, war von sehr beunruhigenden Symptomen be¬
gleitet. Sie glaubte dann jedesmal bestohlen, wenn nicht gar beraubt und ver¬
gewaltigt worden zu sein, und konnte nur beruhigt werden, wenn man mit ihr
sämtliche Winkel des Hanfes, in denen sich der Täter hätte verborgen haben können,
durchsuchte. Ihre Aufregung legte sich dann allmählich, und wenn sie einigermaßen
wieder beruhigt war, mußte sie eiligst zu Bett gehn, da sich dann der Schlaf ihrer
wieder mit einemmal bemächtigte.

Als die alten Leute, sowie die leichtfertigen Truggeister, die mit ihnen ihr
Spiel trieben, endlich zur Ruhe gebracht waren, suchte auch Heimchen ihr Kämmer¬
lein auf, und obwohl der Versuch, den sie machte, den geheimnisvollen Zauber der
zwölf Nächte zu benutzen, um im Spiegel hinter ihrem Kopf das Antlitz ihres künf¬
tigen Verlobten zu sehen, auch diesesmal wieder mißglückte, schlief sie doch ver¬
trauensvoll und wohlgemut ein, denn Max, ob nun sein Antlitz im Spiegel erschien
oder nicht, war doch, das fühlte sie, der Rechte, der Einzige, dessen Antlitz sich in
ihrem Spiegel hätte zeigen können, wenn die Nacht vom zweiten zum dritte" Feier¬
tag ihre Sache verstanden hätte und Liebenden einen Ausblick in die Zukunft zu
gewähren bereit gewesen wäre. Mnx, davon war Heimchen überzeugt, war durch
die gütige Vorsehung eigens für sie so geschaffen worden, wie er war, und wie sehr
auch bezüglich des 'Wäscheschranks ihr Geschmack mit dem seinen übereinstimmte,
wußte sie noch nicht einmal, denn auch sie gab den rotkarierten Überzügen vor den
blankarierten den Vorzug. Der Liebesgott war also -- diese eine Gerechtigkeit
muß man dem oft angefeindeten widerfahren lassen -- diesesmal nicht blind ge¬
wesen, indem er nicht bloß zwei brave verläßliche Herzen, sondern anch zwei Paar
Augen zusammengebracht hatte, die, was ihre Lieblingsfarbe betraf, desselben Ge¬
schmacks waren.


Die zwölf Nächte

Die Unterhaltung war schon ganz in die flachen und doch entzückenden Gemein¬
plätze abgeirrt, auf denen sich zweie, die sich eben erst zusammengefunden haben,
ohne Arg ergehn, ja ich wage nicht einmal zu behaupten, daß sie nicht von Zeit zu
Zeit in wonnigster Weise ganz ins Stocken geriet, als sich die laute Stimme von
Johannes Krüger und die etwas schwächere, seltsam heisere und belegte des alten
Hodewitsch von ganz oben in der Straße, näher und näher kommend, hören ließen
und Maxens schleunigen Rückzug veranlaßten. Heimchen hatte, nachdem ihr Ver¬
ehrer durch das Hinterpförtchen, das auf einen Zimmerplatz führte, auf und davon
gegangen war, viel zu tun, um Vater und Mutter durch gütliches Zureden aus
dem Bereiche der abenteuerlichsten Sinnestäuschungen in das Gebiet der Wirklichkeit
zurückzuführen. Der alte Hodewitsch glaubte — das war eine Wirkung des in zu
reichem Maße genossenen Grogs —, er steuere. Er- hatte ja in der Tat auch auf
dem Nachhausewege nach Kräften gesteuert, um nicht von dem Grogorkan über¬
wältigt und umgerissen zu werden: aber nun, wo er wohlbehalten, obwohl etwas
erschöpft, zuhause angekommen war, hatte er sich des Spinnrads seiner Frau be¬
mächtigt und drehte es mit ernstem, beinahe sorgenvollem Gesicht nach rechts und
nach links, je nachdem er das Dampfboot, das er steuerte, hier vor einer Klippe,
da vor einer Sandbank, dort vor einem Zusammenstoß mit einer schwerbeladnen
Steinzille zu bewahren bemüht war. An sich war ja der Sport, dem er huldigte,
harmlos, wenn man nur nicht hätte befürchten müssen, daß er mit seinen bleiern
schweren Armen das gebrechliche Rad, mit dessen Hilfe er steuerte, unversehens, wie
man in Westen sagte, verurschen möchte. Und dann hätte man ihn gern, so lange
Krüger noch zur Hand war, mit dessen Hilfe zu Bett gebracht, wahrend er sonst
wahrscheinlich, sehr zum Nachteil seiner Gesundheit, die Nacht am Tische sitzend zu¬
gebracht haben würde. Erst als ihm Krüger wiederholt versichert hatte, daß „der
Feldmarschall Graf Moltke," den er steuerte, nicht weiter fahre, und daß er, Hodewitsch,
eine Treppe hoch im Bureau der Dampfschiffahrtgesellschaft mit Ungeduld erwartet
werde, war er dazu zu bringen, sich hinauf in seine Kammer führen zu lassen, und
es ist wahrscheinlich, daß er sich von Krüger nur um deswillen willig entkleiden und
ins Bett legen ließ, weil ihm dieser mit dein ernstesten Gesicht von der Welt ver¬
sichert hatte, die Direktion könne ihn für den übrigen Teil der Nacht entbehren und
habe ihm deshalb ausdrücklich Urlaub erteilt. Denn wenn ich dächte, murmelte er
einmal über das andre beim Einschlafen, daß dem Moltke in meiner Abwesenheit
etwas zustoßen könnte, würde ich nie wieder meines Lebens froh werden.

Frau Hodewitsch hatte zwar einen gesunden Schlummer, aber ihr Erwachen, wenn
sie jäh ans ihm herausgerissen wurde, war von sehr beunruhigenden Symptomen be¬
gleitet. Sie glaubte dann jedesmal bestohlen, wenn nicht gar beraubt und ver¬
gewaltigt worden zu sein, und konnte nur beruhigt werden, wenn man mit ihr
sämtliche Winkel des Hanfes, in denen sich der Täter hätte verborgen haben können,
durchsuchte. Ihre Aufregung legte sich dann allmählich, und wenn sie einigermaßen
wieder beruhigt war, mußte sie eiligst zu Bett gehn, da sich dann der Schlaf ihrer
wieder mit einemmal bemächtigte.

Als die alten Leute, sowie die leichtfertigen Truggeister, die mit ihnen ihr
Spiel trieben, endlich zur Ruhe gebracht waren, suchte auch Heimchen ihr Kämmer¬
lein auf, und obwohl der Versuch, den sie machte, den geheimnisvollen Zauber der
zwölf Nächte zu benutzen, um im Spiegel hinter ihrem Kopf das Antlitz ihres künf¬
tigen Verlobten zu sehen, auch diesesmal wieder mißglückte, schlief sie doch ver¬
trauensvoll und wohlgemut ein, denn Max, ob nun sein Antlitz im Spiegel erschien
oder nicht, war doch, das fühlte sie, der Rechte, der Einzige, dessen Antlitz sich in
ihrem Spiegel hätte zeigen können, wenn die Nacht vom zweiten zum dritte« Feier¬
tag ihre Sache verstanden hätte und Liebenden einen Ausblick in die Zukunft zu
gewähren bereit gewesen wäre. Mnx, davon war Heimchen überzeugt, war durch
die gütige Vorsehung eigens für sie so geschaffen worden, wie er war, und wie sehr
auch bezüglich des 'Wäscheschranks ihr Geschmack mit dem seinen übereinstimmte,
wußte sie noch nicht einmal, denn auch sie gab den rotkarierten Überzügen vor den
blankarierten den Vorzug. Der Liebesgott war also — diese eine Gerechtigkeit
muß man dem oft angefeindeten widerfahren lassen — diesesmal nicht blind ge¬
wesen, indem er nicht bloß zwei brave verläßliche Herzen, sondern anch zwei Paar
Augen zusammengebracht hatte, die, was ihre Lieblingsfarbe betraf, desselben Ge¬
schmacks waren.


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[0880] Die zwölf Nächte Die Unterhaltung war schon ganz in die flachen und doch entzückenden Gemein¬ plätze abgeirrt, auf denen sich zweie, die sich eben erst zusammengefunden haben, ohne Arg ergehn, ja ich wage nicht einmal zu behaupten, daß sie nicht von Zeit zu Zeit in wonnigster Weise ganz ins Stocken geriet, als sich die laute Stimme von Johannes Krüger und die etwas schwächere, seltsam heisere und belegte des alten Hodewitsch von ganz oben in der Straße, näher und näher kommend, hören ließen und Maxens schleunigen Rückzug veranlaßten. Heimchen hatte, nachdem ihr Ver¬ ehrer durch das Hinterpförtchen, das auf einen Zimmerplatz führte, auf und davon gegangen war, viel zu tun, um Vater und Mutter durch gütliches Zureden aus dem Bereiche der abenteuerlichsten Sinnestäuschungen in das Gebiet der Wirklichkeit zurückzuführen. Der alte Hodewitsch glaubte — das war eine Wirkung des in zu reichem Maße genossenen Grogs —, er steuere. Er- hatte ja in der Tat auch auf dem Nachhausewege nach Kräften gesteuert, um nicht von dem Grogorkan über¬ wältigt und umgerissen zu werden: aber nun, wo er wohlbehalten, obwohl etwas erschöpft, zuhause angekommen war, hatte er sich des Spinnrads seiner Frau be¬ mächtigt und drehte es mit ernstem, beinahe sorgenvollem Gesicht nach rechts und nach links, je nachdem er das Dampfboot, das er steuerte, hier vor einer Klippe, da vor einer Sandbank, dort vor einem Zusammenstoß mit einer schwerbeladnen Steinzille zu bewahren bemüht war. An sich war ja der Sport, dem er huldigte, harmlos, wenn man nur nicht hätte befürchten müssen, daß er mit seinen bleiern schweren Armen das gebrechliche Rad, mit dessen Hilfe er steuerte, unversehens, wie man in Westen sagte, verurschen möchte. Und dann hätte man ihn gern, so lange Krüger noch zur Hand war, mit dessen Hilfe zu Bett gebracht, wahrend er sonst wahrscheinlich, sehr zum Nachteil seiner Gesundheit, die Nacht am Tische sitzend zu¬ gebracht haben würde. Erst als ihm Krüger wiederholt versichert hatte, daß „der Feldmarschall Graf Moltke," den er steuerte, nicht weiter fahre, und daß er, Hodewitsch, eine Treppe hoch im Bureau der Dampfschiffahrtgesellschaft mit Ungeduld erwartet werde, war er dazu zu bringen, sich hinauf in seine Kammer führen zu lassen, und es ist wahrscheinlich, daß er sich von Krüger nur um deswillen willig entkleiden und ins Bett legen ließ, weil ihm dieser mit dein ernstesten Gesicht von der Welt ver¬ sichert hatte, die Direktion könne ihn für den übrigen Teil der Nacht entbehren und habe ihm deshalb ausdrücklich Urlaub erteilt. Denn wenn ich dächte, murmelte er einmal über das andre beim Einschlafen, daß dem Moltke in meiner Abwesenheit etwas zustoßen könnte, würde ich nie wieder meines Lebens froh werden. Frau Hodewitsch hatte zwar einen gesunden Schlummer, aber ihr Erwachen, wenn sie jäh ans ihm herausgerissen wurde, war von sehr beunruhigenden Symptomen be¬ gleitet. Sie glaubte dann jedesmal bestohlen, wenn nicht gar beraubt und ver¬ gewaltigt worden zu sein, und konnte nur beruhigt werden, wenn man mit ihr sämtliche Winkel des Hanfes, in denen sich der Täter hätte verborgen haben können, durchsuchte. Ihre Aufregung legte sich dann allmählich, und wenn sie einigermaßen wieder beruhigt war, mußte sie eiligst zu Bett gehn, da sich dann der Schlaf ihrer wieder mit einemmal bemächtigte. Als die alten Leute, sowie die leichtfertigen Truggeister, die mit ihnen ihr Spiel trieben, endlich zur Ruhe gebracht waren, suchte auch Heimchen ihr Kämmer¬ lein auf, und obwohl der Versuch, den sie machte, den geheimnisvollen Zauber der zwölf Nächte zu benutzen, um im Spiegel hinter ihrem Kopf das Antlitz ihres künf¬ tigen Verlobten zu sehen, auch diesesmal wieder mißglückte, schlief sie doch ver¬ trauensvoll und wohlgemut ein, denn Max, ob nun sein Antlitz im Spiegel erschien oder nicht, war doch, das fühlte sie, der Rechte, der Einzige, dessen Antlitz sich in ihrem Spiegel hätte zeigen können, wenn die Nacht vom zweiten zum dritte« Feier¬ tag ihre Sache verstanden hätte und Liebenden einen Ausblick in die Zukunft zu gewähren bereit gewesen wäre. Mnx, davon war Heimchen überzeugt, war durch die gütige Vorsehung eigens für sie so geschaffen worden, wie er war, und wie sehr auch bezüglich des 'Wäscheschranks ihr Geschmack mit dem seinen übereinstimmte, wußte sie noch nicht einmal, denn auch sie gab den rotkarierten Überzügen vor den blankarierten den Vorzug. Der Liebesgott war also — diese eine Gerechtigkeit muß man dem oft angefeindeten widerfahren lassen — diesesmal nicht blind ge¬ wesen, indem er nicht bloß zwei brave verläßliche Herzen, sondern anch zwei Paar Augen zusammengebracht hatte, die, was ihre Lieblingsfarbe betraf, desselben Ge¬ schmacks waren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/880>, abgerufen am 22.07.2024.