Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zwei Seele"

könne sie ihm in der Hand zerbrechen, nach Hause. Dort schmückte es sich damit,
und nachdem es sich in einem Spiegel beschaut und betrachtet hatte, stellte es sich
auch vor mich hin und fragte an sich heruntersehend: Reinhold, möchtest du
ich sein?

Ja, mein liebes Kind, antwortete ich, sie an mich ziehend, und brachte
die Worte so gewaltsam und heftig hervor, daß das Kind ängstlich wurde, sich
fast in Tränen zu seiner Mutter flüchtete und erst langsam wieder zu mir Ver¬
trauen faßte.

Meine Arbeit kam nun wieder in Gang und wurde nicht nur in unserm Dorf,
sondern weit hinab bis in manches fremde Dorf hinein begehrt. Zu einzelnen Höfen,
auf denen man an dem alten Gebrauch festhielt, mußte ich auch hinaufsteigen und
meine Arbeit an Ort und Stelle verrichten. Wenn ich dann rin Abend von dunkeln
Höhen herabkam und die Lichter über das Schneefeld schimmern sah, dann ging
es mir warm und hell durchs Herz. Wie lieblich war doch jetzt mein Leben ge¬
worden! Eine warme Heimat, voll Liebe und voll goldnen Kinderlachens hatte
ich gefunden und gewann dazu in fleißiger Arbeit, deren Nutzen der Armut zu¬
gute kam, Trost und Erquickung. Und es war Segen in meiner Arbeit, man
merkte im Hause die Freude an dem ununterbrochen und in reichlicher Fülle
fließenden Einkommen, und da auch der Schwager seinen Verwandten mit seiner
Wohlhabenheit zu Hilfe kam, so trug sich die Meisterin, die immer unternehmender
wurde, schon mit dem Gedanken, in ihrem Häuschen ein paar Stuben auszubauen
und zur Aufnahme fremder Gäste herzurichten. Sobald die Frühlingssonuenstrahlen
leuchteten, wurde auch damit begonnen, und als das erste Sommerlüftchcn wehte,
lag das Schneiderhaus neu geschmückt im Sonnenschein, und Weiße Vorhänge hingen
hinter blanken Scheiben.

Jedoch noch war es Winter. Die wunderhcllc Adventszeit kam heran. Ich
hatte den Kindern erzählt, wie bei mir daheim das Weihnachtsfest begangen würde,
und ihnen einen Baum mit funkelnden Lichtern versprochen. Darüber war große
Freude im Hause und eine Erwartung, an der auch die Nachbarschaft teilnahm-
Der Weidhvfer versprach, ein Tannenbäumchen herzugeben, und als sein Enkelkind,
die kleine Stahl, mit ihren stillen Augen sehnsüchtig zu ihm aufblickte, entschloß er
sich, trotz der Trauer, die über seinem Hanse schwebte, auch selbst ein solches
Bäumchen herzurichten. Wir sammelten nun Fichten- und Lärchenzapfen, und die
Kinder brachten davon so viel zusammen, daß man einen halben Wald hätte be¬
hängen können. Auch die Lichter und Gold- und Silberfasanen, wie alles übrige,
was zum Weihnnchtsschmuck gehört, wurde beschafft, und wir saßen manchen Winter¬
abend um den Tisch und matten die braunen Waldfrüchte fein golden und silbern
an. Wenn dann die Kinder zur Ruhe gebracht waren und nach all der freudigen
Aufregung endlich ihre strahlenden Augen schlössen, dann saß ich noch eine Stunde
über meinen Büchern, in denen Maria zu mir aus der Ferne herübergrüßte. Auch
ein Neues Testament war darunter, der Professor selbst hatte es dnzugelegt, und
so ging nun mit all den erfundnen Gestalten auch die reinste und erhabenste Gestalt
durch meine Gedanken. Vergessene Worte wurden wieder lebendig, erloschnes Licht
brannte wieder ans, und ich sann oft darüber nach, wie es doch komme, daß ich
wohl immer Augen für das Licht gehabt hatte, worin die Höhen der Erde leuch¬
teten, während ich an dem Lichte, das über die Höhen der Menschheit wandelte,
blind vorübergegangen war. Es rinnen die stillen Wasser, Tropfen auf Tropfen
fällt nieder, und jeder erfüllt seinen Zweck. Aber sie rinnen so leise und in solcher
Verborgenheit, daß der, auf dessen Seele sie fallen, es kaum merkt, wie sich rings
um ihn her das Erdreich löst.¬

So kam das Christfest heran. Auf dem Weidhof wurden die Weihnachts
lichter nun doch nicht angezündet, da die arme Veronika tags zuvor die Augen
zugetan hatte. Wir aber brannten die Kerzen an und ließen sie in die heilige
Nacht hinausscheineu, wodurch das Schneiderhäuschen in solch Helles schimmern


Zwei Seele»

könne sie ihm in der Hand zerbrechen, nach Hause. Dort schmückte es sich damit,
und nachdem es sich in einem Spiegel beschaut und betrachtet hatte, stellte es sich
auch vor mich hin und fragte an sich heruntersehend: Reinhold, möchtest du
ich sein?

Ja, mein liebes Kind, antwortete ich, sie an mich ziehend, und brachte
die Worte so gewaltsam und heftig hervor, daß das Kind ängstlich wurde, sich
fast in Tränen zu seiner Mutter flüchtete und erst langsam wieder zu mir Ver¬
trauen faßte.

Meine Arbeit kam nun wieder in Gang und wurde nicht nur in unserm Dorf,
sondern weit hinab bis in manches fremde Dorf hinein begehrt. Zu einzelnen Höfen,
auf denen man an dem alten Gebrauch festhielt, mußte ich auch hinaufsteigen und
meine Arbeit an Ort und Stelle verrichten. Wenn ich dann rin Abend von dunkeln
Höhen herabkam und die Lichter über das Schneefeld schimmern sah, dann ging
es mir warm und hell durchs Herz. Wie lieblich war doch jetzt mein Leben ge¬
worden! Eine warme Heimat, voll Liebe und voll goldnen Kinderlachens hatte
ich gefunden und gewann dazu in fleißiger Arbeit, deren Nutzen der Armut zu¬
gute kam, Trost und Erquickung. Und es war Segen in meiner Arbeit, man
merkte im Hause die Freude an dem ununterbrochen und in reichlicher Fülle
fließenden Einkommen, und da auch der Schwager seinen Verwandten mit seiner
Wohlhabenheit zu Hilfe kam, so trug sich die Meisterin, die immer unternehmender
wurde, schon mit dem Gedanken, in ihrem Häuschen ein paar Stuben auszubauen
und zur Aufnahme fremder Gäste herzurichten. Sobald die Frühlingssonuenstrahlen
leuchteten, wurde auch damit begonnen, und als das erste Sommerlüftchcn wehte,
lag das Schneiderhaus neu geschmückt im Sonnenschein, und Weiße Vorhänge hingen
hinter blanken Scheiben.

Jedoch noch war es Winter. Die wunderhcllc Adventszeit kam heran. Ich
hatte den Kindern erzählt, wie bei mir daheim das Weihnachtsfest begangen würde,
und ihnen einen Baum mit funkelnden Lichtern versprochen. Darüber war große
Freude im Hause und eine Erwartung, an der auch die Nachbarschaft teilnahm-
Der Weidhvfer versprach, ein Tannenbäumchen herzugeben, und als sein Enkelkind,
die kleine Stahl, mit ihren stillen Augen sehnsüchtig zu ihm aufblickte, entschloß er
sich, trotz der Trauer, die über seinem Hanse schwebte, auch selbst ein solches
Bäumchen herzurichten. Wir sammelten nun Fichten- und Lärchenzapfen, und die
Kinder brachten davon so viel zusammen, daß man einen halben Wald hätte be¬
hängen können. Auch die Lichter und Gold- und Silberfasanen, wie alles übrige,
was zum Weihnnchtsschmuck gehört, wurde beschafft, und wir saßen manchen Winter¬
abend um den Tisch und matten die braunen Waldfrüchte fein golden und silbern
an. Wenn dann die Kinder zur Ruhe gebracht waren und nach all der freudigen
Aufregung endlich ihre strahlenden Augen schlössen, dann saß ich noch eine Stunde
über meinen Büchern, in denen Maria zu mir aus der Ferne herübergrüßte. Auch
ein Neues Testament war darunter, der Professor selbst hatte es dnzugelegt, und
so ging nun mit all den erfundnen Gestalten auch die reinste und erhabenste Gestalt
durch meine Gedanken. Vergessene Worte wurden wieder lebendig, erloschnes Licht
brannte wieder ans, und ich sann oft darüber nach, wie es doch komme, daß ich
wohl immer Augen für das Licht gehabt hatte, worin die Höhen der Erde leuch¬
teten, während ich an dem Lichte, das über die Höhen der Menschheit wandelte,
blind vorübergegangen war. Es rinnen die stillen Wasser, Tropfen auf Tropfen
fällt nieder, und jeder erfüllt seinen Zweck. Aber sie rinnen so leise und in solcher
Verborgenheit, daß der, auf dessen Seele sie fallen, es kaum merkt, wie sich rings
um ihn her das Erdreich löst.¬

So kam das Christfest heran. Auf dem Weidhof wurden die Weihnachts
lichter nun doch nicht angezündet, da die arme Veronika tags zuvor die Augen
zugetan hatte. Wir aber brannten die Kerzen an und ließen sie in die heilige
Nacht hinausscheineu, wodurch das Schneiderhäuschen in solch Helles schimmern


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0868" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/242940"/>
          <fw type="header" place="top"> Zwei Seele»</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_3219" prev="#ID_3218"> könne sie ihm in der Hand zerbrechen, nach Hause. Dort schmückte es sich damit,<lb/>
und nachdem es sich in einem Spiegel beschaut und betrachtet hatte, stellte es sich<lb/>
auch vor mich hin und fragte an sich heruntersehend: Reinhold, möchtest du<lb/>
ich sein?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3220"> Ja, mein liebes Kind, antwortete ich, sie an mich ziehend, und brachte<lb/>
die Worte so gewaltsam und heftig hervor, daß das Kind ängstlich wurde, sich<lb/>
fast in Tränen zu seiner Mutter flüchtete und erst langsam wieder zu mir Ver¬<lb/>
trauen faßte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3221"> Meine Arbeit kam nun wieder in Gang und wurde nicht nur in unserm Dorf,<lb/>
sondern weit hinab bis in manches fremde Dorf hinein begehrt. Zu einzelnen Höfen,<lb/>
auf denen man an dem alten Gebrauch festhielt, mußte ich auch hinaufsteigen und<lb/>
meine Arbeit an Ort und Stelle verrichten. Wenn ich dann rin Abend von dunkeln<lb/>
Höhen herabkam und die Lichter über das Schneefeld schimmern sah, dann ging<lb/>
es mir warm und hell durchs Herz. Wie lieblich war doch jetzt mein Leben ge¬<lb/>
worden! Eine warme Heimat, voll Liebe und voll goldnen Kinderlachens hatte<lb/>
ich gefunden und gewann dazu in fleißiger Arbeit, deren Nutzen der Armut zu¬<lb/>
gute kam, Trost und Erquickung. Und es war Segen in meiner Arbeit, man<lb/>
merkte im Hause die Freude an dem ununterbrochen und in reichlicher Fülle<lb/>
fließenden Einkommen, und da auch der Schwager seinen Verwandten mit seiner<lb/>
Wohlhabenheit zu Hilfe kam, so trug sich die Meisterin, die immer unternehmender<lb/>
wurde, schon mit dem Gedanken, in ihrem Häuschen ein paar Stuben auszubauen<lb/>
und zur Aufnahme fremder Gäste herzurichten. Sobald die Frühlingssonuenstrahlen<lb/>
leuchteten, wurde auch damit begonnen, und als das erste Sommerlüftchcn wehte,<lb/>
lag das Schneiderhaus neu geschmückt im Sonnenschein, und Weiße Vorhänge hingen<lb/>
hinter blanken Scheiben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3222"> Jedoch noch war es Winter. Die wunderhcllc Adventszeit kam heran. Ich<lb/>
hatte den Kindern erzählt, wie bei mir daheim das Weihnachtsfest begangen würde,<lb/>
und ihnen einen Baum mit funkelnden Lichtern versprochen. Darüber war große<lb/>
Freude im Hause und eine Erwartung, an der auch die Nachbarschaft teilnahm-<lb/>
Der Weidhvfer versprach, ein Tannenbäumchen herzugeben, und als sein Enkelkind,<lb/>
die kleine Stahl, mit ihren stillen Augen sehnsüchtig zu ihm aufblickte, entschloß er<lb/>
sich, trotz der Trauer, die über seinem Hanse schwebte, auch selbst ein solches<lb/>
Bäumchen herzurichten. Wir sammelten nun Fichten- und Lärchenzapfen, und die<lb/>
Kinder brachten davon so viel zusammen, daß man einen halben Wald hätte be¬<lb/>
hängen können. Auch die Lichter und Gold- und Silberfasanen, wie alles übrige,<lb/>
was zum Weihnnchtsschmuck gehört, wurde beschafft, und wir saßen manchen Winter¬<lb/>
abend um den Tisch und matten die braunen Waldfrüchte fein golden und silbern<lb/>
an. Wenn dann die Kinder zur Ruhe gebracht waren und nach all der freudigen<lb/>
Aufregung endlich ihre strahlenden Augen schlössen, dann saß ich noch eine Stunde<lb/>
über meinen Büchern, in denen Maria zu mir aus der Ferne herübergrüßte. Auch<lb/>
ein Neues Testament war darunter, der Professor selbst hatte es dnzugelegt, und<lb/>
so ging nun mit all den erfundnen Gestalten auch die reinste und erhabenste Gestalt<lb/>
durch meine Gedanken. Vergessene Worte wurden wieder lebendig, erloschnes Licht<lb/>
brannte wieder ans, und ich sann oft darüber nach, wie es doch komme, daß ich<lb/>
wohl immer Augen für das Licht gehabt hatte, worin die Höhen der Erde leuch¬<lb/>
teten, während ich an dem Lichte, das über die Höhen der Menschheit wandelte,<lb/>
blind vorübergegangen war. Es rinnen die stillen Wasser, Tropfen auf Tropfen<lb/>
fällt nieder, und jeder erfüllt seinen Zweck. Aber sie rinnen so leise und in solcher<lb/>
Verborgenheit, daß der, auf dessen Seele sie fallen, es kaum merkt, wie sich rings<lb/>
um ihn her das Erdreich löst.¬</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3223" next="#ID_3224"> So kam das Christfest heran. Auf dem Weidhof wurden die Weihnachts<lb/>
lichter nun doch nicht angezündet, da die arme Veronika tags zuvor die Augen<lb/>
zugetan hatte. Wir aber brannten die Kerzen an und ließen sie in die heilige<lb/>
Nacht hinausscheineu, wodurch das Schneiderhäuschen in solch Helles schimmern</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0868] Zwei Seele» könne sie ihm in der Hand zerbrechen, nach Hause. Dort schmückte es sich damit, und nachdem es sich in einem Spiegel beschaut und betrachtet hatte, stellte es sich auch vor mich hin und fragte an sich heruntersehend: Reinhold, möchtest du ich sein? Ja, mein liebes Kind, antwortete ich, sie an mich ziehend, und brachte die Worte so gewaltsam und heftig hervor, daß das Kind ängstlich wurde, sich fast in Tränen zu seiner Mutter flüchtete und erst langsam wieder zu mir Ver¬ trauen faßte. Meine Arbeit kam nun wieder in Gang und wurde nicht nur in unserm Dorf, sondern weit hinab bis in manches fremde Dorf hinein begehrt. Zu einzelnen Höfen, auf denen man an dem alten Gebrauch festhielt, mußte ich auch hinaufsteigen und meine Arbeit an Ort und Stelle verrichten. Wenn ich dann rin Abend von dunkeln Höhen herabkam und die Lichter über das Schneefeld schimmern sah, dann ging es mir warm und hell durchs Herz. Wie lieblich war doch jetzt mein Leben ge¬ worden! Eine warme Heimat, voll Liebe und voll goldnen Kinderlachens hatte ich gefunden und gewann dazu in fleißiger Arbeit, deren Nutzen der Armut zu¬ gute kam, Trost und Erquickung. Und es war Segen in meiner Arbeit, man merkte im Hause die Freude an dem ununterbrochen und in reichlicher Fülle fließenden Einkommen, und da auch der Schwager seinen Verwandten mit seiner Wohlhabenheit zu Hilfe kam, so trug sich die Meisterin, die immer unternehmender wurde, schon mit dem Gedanken, in ihrem Häuschen ein paar Stuben auszubauen und zur Aufnahme fremder Gäste herzurichten. Sobald die Frühlingssonuenstrahlen leuchteten, wurde auch damit begonnen, und als das erste Sommerlüftchcn wehte, lag das Schneiderhaus neu geschmückt im Sonnenschein, und Weiße Vorhänge hingen hinter blanken Scheiben. Jedoch noch war es Winter. Die wunderhcllc Adventszeit kam heran. Ich hatte den Kindern erzählt, wie bei mir daheim das Weihnachtsfest begangen würde, und ihnen einen Baum mit funkelnden Lichtern versprochen. Darüber war große Freude im Hause und eine Erwartung, an der auch die Nachbarschaft teilnahm- Der Weidhvfer versprach, ein Tannenbäumchen herzugeben, und als sein Enkelkind, die kleine Stahl, mit ihren stillen Augen sehnsüchtig zu ihm aufblickte, entschloß er sich, trotz der Trauer, die über seinem Hanse schwebte, auch selbst ein solches Bäumchen herzurichten. Wir sammelten nun Fichten- und Lärchenzapfen, und die Kinder brachten davon so viel zusammen, daß man einen halben Wald hätte be¬ hängen können. Auch die Lichter und Gold- und Silberfasanen, wie alles übrige, was zum Weihnnchtsschmuck gehört, wurde beschafft, und wir saßen manchen Winter¬ abend um den Tisch und matten die braunen Waldfrüchte fein golden und silbern an. Wenn dann die Kinder zur Ruhe gebracht waren und nach all der freudigen Aufregung endlich ihre strahlenden Augen schlössen, dann saß ich noch eine Stunde über meinen Büchern, in denen Maria zu mir aus der Ferne herübergrüßte. Auch ein Neues Testament war darunter, der Professor selbst hatte es dnzugelegt, und so ging nun mit all den erfundnen Gestalten auch die reinste und erhabenste Gestalt durch meine Gedanken. Vergessene Worte wurden wieder lebendig, erloschnes Licht brannte wieder ans, und ich sann oft darüber nach, wie es doch komme, daß ich wohl immer Augen für das Licht gehabt hatte, worin die Höhen der Erde leuch¬ teten, während ich an dem Lichte, das über die Höhen der Menschheit wandelte, blind vorübergegangen war. Es rinnen die stillen Wasser, Tropfen auf Tropfen fällt nieder, und jeder erfüllt seinen Zweck. Aber sie rinnen so leise und in solcher Verborgenheit, daß der, auf dessen Seele sie fallen, es kaum merkt, wie sich rings um ihn her das Erdreich löst.¬ So kam das Christfest heran. Auf dem Weidhof wurden die Weihnachts lichter nun doch nicht angezündet, da die arme Veronika tags zuvor die Augen zugetan hatte. Wir aber brannten die Kerzen an und ließen sie in die heilige Nacht hinausscheineu, wodurch das Schneiderhäuschen in solch Helles schimmern

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/868
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/868>, abgerufen am 22.07.2024.