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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Zwei Seelen

brochen zu sei", es war zuweilen ein dumpfes Grollen zu hören. Als ich einmal
dicht an das Haus heran kam, beteten sie darin, ich kannte die Stimmen deutlich
unterscheiden, die laute und feierliche Stimme der Kräuterfrau, den Ton der Meisterin,
worin man Tränen zu hören meinte, und die hellen Kinderstimmen. Das alles
klang durcheinander, schwoll an, versank dann wieder wie in eine Tiefe und erhob
sich wieder wie ein Glockenläuten, das der Wind aus einer Ferne über den Wald
treibt. Endlich waren sie fertig, und nun trat auch ich wieder in das Sterbe¬
zimmer. Der Meister, über dessen Antlitz jetzt ein friedlicher Ausdruck lag, redete
gerade mit seinem Weibe und hielt ihre Hand in der seinigen. Wie er mich herein¬
kommen sah, winkte er mich mit den Augen heran, und seine Lippen murmelten
etwas, was ich nicht verstehn konnte. Da ich aber nicht im Zweifel war, was er
mir sagen wollte, so antwortete ich ihm, er möge sich keine Särgen machen, ich
würde die Seinigen nicht verlassen, sondern ihnen meine Dienste, solange sie danach
verlangten, widmen. Er nickte und gab mir die Hand.

Endlich war der Kampf zu Ende, der Kranke streckte sich friedlich aus, seufzte
noch einmal, und dann zog seine Seele in die andre Welt hinüber. Wir standen
erschüttert und zugleich wie von einer schweren Last befreit vor dem Geheimnis des
Todes und sahen bewegt ans das still gewordne Antlitz, worüber sich, als der
Schatten am Kopfende des Bettes seinen Platz verließ, ein sanfter Schimmer des
fernen Abendroth ergoß. Die Kinder wurden nun hinausgeschickt, der Knabe und
die beiden ältesten Mädchen faßten sich an der Hand und verließen zusammen das
Zimmer; ich nahm mir das kleinste, das Mariannele, ein freundliches und rosiges
Blondköpfchen, das von allen am zutraulichsten gegen mich war, und trug es auf
dem Arm in die Wiesen hinaus. Bald darauf brach die Dämmerung herein; das
Gewitter war in der Ferne vorübergegangen, und die Luft ging kühl und erfrischend
zwischen den Bergen. Zwischen den Wolken wurde ein schöner Stern sichtbar, der
mit der wachsenden Dunkelheit an Glanz und Feuer zunahm. Den zeigte ich dem
Kinde, und ich sagte ihm, sein Vater sei nun in eine Welt gegangen, wo diese
Sterne zuhause wären und ihre Heimat hätten, ja er sei selbst ein Stern in
dieser Welt geworden und blicke jetzt ganz glücklich und erfreut auf uns nieder.
Und was mir sonst einfiel, erzählte ich dem Kinde, das, obwohl es von Tod und
Sterben noch keine deutliche Vorstellung haben konnte, doch mit den andern herz¬
brechend geweint hatte und nun auch, obgleich es, was ich ihm zum Troste sagte,
ebensowenig verstand, dennoch davon getröstet und aufgeheitert wurde.

So wandelten wir eine Weile im Abenddunkel hin und her, freuten uns über
einige rosige Wölkchen, sahen dann dem Monde zu, wie er hinter den Bergen
emporkletterte, zuerst nur mit Augen durch die Tcmnenwipfel sah, dann aber mit der
ganzen Gestalt hervorkam und hinter den Sternen herlief, und schritten endlich wieder
dem Hanse zu, das jetzt hell erleuchtet war. Da das Lenert noch nicht gegangen
war, so blieben wir noch draußen und setzten uus einstweilen auf eine Bank, die
unter dem Zimmer, worin der Tote lag, an der Wand angebracht war. Das Kind
war von der Erregung und vom Weinen müde geworden, lehnte sein Köpfchen an
meinen Arm und schlief sanft ein. Um mich her war die tiefe Ruhe des Abends.
Da das Fenster offen stand, um die Seele des Entschlafnen herauszulassen, damit
sie ihren Weg durch die Sterne in die Ewigkeit finden könne, so konnte ich hören,
wie die Frauen drinnen hantierten und geschäftig hin und hergingen, und ich ver
stand auch, was sie zusammen sprachen. Sie redeten von ganz gewöhnlichen und
gleichgiltigen Dingen, was mich zuerst wunderte, es mochte der Meisterin aber wohl
nach der gewaltsamen Spannung, in der sie während der letzten Tage und Stunden
gewesen war, eine Wohltat sein, sich wieder einmal auf eine ruhige Art zu unter¬
halten und ihre Gedanken ans Verhältnisse zu richten, bei denen ihr Gefühl un¬
beteiligt war. Ich hörte schon nicht mehr zu, als das Gespräch plötzlich eine
Wendung nahm, die mich veranlaßte, wieder aufzuhorchen und mit wachsender Un¬
ruhe und Sorge zu lauschen.


Zwei Seelen

brochen zu sei», es war zuweilen ein dumpfes Grollen zu hören. Als ich einmal
dicht an das Haus heran kam, beteten sie darin, ich kannte die Stimmen deutlich
unterscheiden, die laute und feierliche Stimme der Kräuterfrau, den Ton der Meisterin,
worin man Tränen zu hören meinte, und die hellen Kinderstimmen. Das alles
klang durcheinander, schwoll an, versank dann wieder wie in eine Tiefe und erhob
sich wieder wie ein Glockenläuten, das der Wind aus einer Ferne über den Wald
treibt. Endlich waren sie fertig, und nun trat auch ich wieder in das Sterbe¬
zimmer. Der Meister, über dessen Antlitz jetzt ein friedlicher Ausdruck lag, redete
gerade mit seinem Weibe und hielt ihre Hand in der seinigen. Wie er mich herein¬
kommen sah, winkte er mich mit den Augen heran, und seine Lippen murmelten
etwas, was ich nicht verstehn konnte. Da ich aber nicht im Zweifel war, was er
mir sagen wollte, so antwortete ich ihm, er möge sich keine Särgen machen, ich
würde die Seinigen nicht verlassen, sondern ihnen meine Dienste, solange sie danach
verlangten, widmen. Er nickte und gab mir die Hand.

Endlich war der Kampf zu Ende, der Kranke streckte sich friedlich aus, seufzte
noch einmal, und dann zog seine Seele in die andre Welt hinüber. Wir standen
erschüttert und zugleich wie von einer schweren Last befreit vor dem Geheimnis des
Todes und sahen bewegt ans das still gewordne Antlitz, worüber sich, als der
Schatten am Kopfende des Bettes seinen Platz verließ, ein sanfter Schimmer des
fernen Abendroth ergoß. Die Kinder wurden nun hinausgeschickt, der Knabe und
die beiden ältesten Mädchen faßten sich an der Hand und verließen zusammen das
Zimmer; ich nahm mir das kleinste, das Mariannele, ein freundliches und rosiges
Blondköpfchen, das von allen am zutraulichsten gegen mich war, und trug es auf
dem Arm in die Wiesen hinaus. Bald darauf brach die Dämmerung herein; das
Gewitter war in der Ferne vorübergegangen, und die Luft ging kühl und erfrischend
zwischen den Bergen. Zwischen den Wolken wurde ein schöner Stern sichtbar, der
mit der wachsenden Dunkelheit an Glanz und Feuer zunahm. Den zeigte ich dem
Kinde, und ich sagte ihm, sein Vater sei nun in eine Welt gegangen, wo diese
Sterne zuhause wären und ihre Heimat hätten, ja er sei selbst ein Stern in
dieser Welt geworden und blicke jetzt ganz glücklich und erfreut auf uns nieder.
Und was mir sonst einfiel, erzählte ich dem Kinde, das, obwohl es von Tod und
Sterben noch keine deutliche Vorstellung haben konnte, doch mit den andern herz¬
brechend geweint hatte und nun auch, obgleich es, was ich ihm zum Troste sagte,
ebensowenig verstand, dennoch davon getröstet und aufgeheitert wurde.

So wandelten wir eine Weile im Abenddunkel hin und her, freuten uns über
einige rosige Wölkchen, sahen dann dem Monde zu, wie er hinter den Bergen
emporkletterte, zuerst nur mit Augen durch die Tcmnenwipfel sah, dann aber mit der
ganzen Gestalt hervorkam und hinter den Sternen herlief, und schritten endlich wieder
dem Hanse zu, das jetzt hell erleuchtet war. Da das Lenert noch nicht gegangen
war, so blieben wir noch draußen und setzten uus einstweilen auf eine Bank, die
unter dem Zimmer, worin der Tote lag, an der Wand angebracht war. Das Kind
war von der Erregung und vom Weinen müde geworden, lehnte sein Köpfchen an
meinen Arm und schlief sanft ein. Um mich her war die tiefe Ruhe des Abends.
Da das Fenster offen stand, um die Seele des Entschlafnen herauszulassen, damit
sie ihren Weg durch die Sterne in die Ewigkeit finden könne, so konnte ich hören,
wie die Frauen drinnen hantierten und geschäftig hin und hergingen, und ich ver
stand auch, was sie zusammen sprachen. Sie redeten von ganz gewöhnlichen und
gleichgiltigen Dingen, was mich zuerst wunderte, es mochte der Meisterin aber wohl
nach der gewaltsamen Spannung, in der sie während der letzten Tage und Stunden
gewesen war, eine Wohltat sein, sich wieder einmal auf eine ruhige Art zu unter¬
halten und ihre Gedanken ans Verhältnisse zu richten, bei denen ihr Gefühl un¬
beteiligt war. Ich hörte schon nicht mehr zu, als das Gespräch plötzlich eine
Wendung nahm, die mich veranlaßte, wieder aufzuhorchen und mit wachsender Un¬
ruhe und Sorge zu lauschen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/804>, abgerufen am 22.07.2024.