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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Quedlinburg zu. Einige waren wieder aufgestiegen, andre gingen, mitleidig den
Wagen schiebend, hinter diesem her. Endlich kamen wir an den Johcmnishof vor
Quedlinburg und waren froh, den Cousin mit seiner alten Kracke nblohneu und
ziehn lassen zu können. Das waren ja Extratouren, und ganz korrekt waren sie,
vom Gesichtspunkte der Schule angesehen, sicherlich nicht; aber im Grunde war
doch unser ganzes Treiben harmlos und dem übermütigen Primaneralter ganz
entsprechend.

Meine Ferien verlebte ich fast immer bei meinen Geschwistern in der Ober¬
försterei Tilkerode. Das Dörfchen liegt fast am Rande des Ostharzes zwei Stunden
östlich von Hnrzgerode, ein kleines Idyll nahe am Walde. Schon der Marsch von
Quedlinburg dorthin, mitten durch deu schönen Harz, war eine Lust. Die Ent¬
fernung von Quedlinburg aus betrug reichlich sechs Stunden. Es gab einen
doppelten Weg. Entweder ging man über Gernrode, am Stubenberge vorbei, über
das Haferfeld, das Sternhaus, über die alte Erichsburg oder auch über die Hein¬
richsburg, den Mägdesprung, Harzgerode, Schielo, Steindrucken und Abberode, oder
man wandte sich gleich von Quedlinburg mehr östlich nach Ballenstedt, kam dort
in den Wald, ging über den Kohlenschacht hinab in das schöne Selketal, dann
hinauf nach dem Schloß Falkenstein, von da über das Gartenhaus und Pcmsfelde
an Molmerswende, dem Geburtsorte des Dichters Gottfried August Bürger, vorbei
und kam dann fast von Norden her auf das Forsthaus zu. Beide Wege waren
landschaftlich gleich schön. Beide führten zuerst zwei Stunden lang durch flache
Felder, aber angesichts der grünen Harzberge, dann durch herrlichen Wald über
Berg und Tal, sodaß der sechsstündige Marsch mir und dem Kameraden, den ich
meistens mitnahm, niemals eintönig, langweilig oder zuviel wurde. Wenn ich mit
deu Eltern hinauffuhr, wurde in der Regel der besser chaussierte Weg über
Gernrode, Mägdesprung und Harzgerode gewählt. Beide Wege bin ich aber auch
unzähligemale zu Fuß gewandert. Von meinen Freunden begleiteten mich oft
entweder Julius Engel oder Ludwig Kramer. Unterwegs sahen wir Hirsche und
Rehe, einmal in der Nähe des Mägdesprungs dicht am Wege, nicht zehn Schritte
von uns entfernt, eine leibhaftige starke Wildkatze auf einer jungen Eiche. Mein
Schwager ließ mich zuweilen wohl einmal Tabellen und andre amtliche Schrift¬
stücke abschreiben; auch wurden die Ferienarbeiten eben gewissenhaft angefertigt.
In der Hauptsache aber waren die in Tilkerode zugebrachten Wochen doch nur
Tage der glücklichsten, freiesten Erholung. Tilkerode lag vom großen Verkehr ein
wenig abseits. Meinen Geschwistern war deshalb jede Unterbrechung ihrer Ein¬
samkeit -- sogar durch ein Paar Jungen -- willkommen. Obst gab es dort oben
in Hülle und Fülle. Im Baumgarten hatte mein Schwager für uns ein Reck und
einen Barren zimmern lassen, und zum Klettern war uns kaum ein Baum zu hoch.
Die größte Herrlichkeit für uus aber war der Wald. Wir dürfte" mit zu deu
Holzschlägen oder Forstkultureu wandern, den Dohnenstieg absuchen, in der "Kote,"
einer aus Birkenstämmen für die Holzhauer im Walde hergestellten Hütte, am
Jener sitzen und Kartoffeln braten. Zu Pfingsten war unter der Dorflinde vor
dem Forsthause großes Tanzvergnügen. Da schwangen wir als sekundärer und
Primaner mit deu Bauernmädchen und den Waldnrbeiterinnen das Tanzbein. Im
Revier Tilkerode lag eine berühmte alte Richtstätte, auf der alljährlich das "Rüge¬
gericht" gehegt wurde, ein uralter, deutscher Brauch, dem der treffliche cmhalt-
bernbnrgische Minister von Schätzell durch Landesgesetz neue rechtliche Geltung
verschafft hatte. In diesem Rügegericht wurde unter einer alten Eiche vor ver¬
sammelter Gemeinde unter bestimmten Rechtsformen über Holz- und Waldfrevel
verhandelt und abgeurteilt. Natürlich war auch das für uns Jungen vom höchsten
Interesse.

Eine Stunde Wegs von Tilkerode lag das Städtchen Wippra. Dort war
vor der Stadt ein prächtiges Sturz- und Wellenbad. Dahin wanderten wir im
Sommer gegen Abend, badeten und verzehrten ans dein Rückwege im Walde das
mitgenommene Vesperbrot.


Quedlinburg zu. Einige waren wieder aufgestiegen, andre gingen, mitleidig den
Wagen schiebend, hinter diesem her. Endlich kamen wir an den Johcmnishof vor
Quedlinburg und waren froh, den Cousin mit seiner alten Kracke nblohneu und
ziehn lassen zu können. Das waren ja Extratouren, und ganz korrekt waren sie,
vom Gesichtspunkte der Schule angesehen, sicherlich nicht; aber im Grunde war
doch unser ganzes Treiben harmlos und dem übermütigen Primaneralter ganz
entsprechend.

Meine Ferien verlebte ich fast immer bei meinen Geschwistern in der Ober¬
försterei Tilkerode. Das Dörfchen liegt fast am Rande des Ostharzes zwei Stunden
östlich von Hnrzgerode, ein kleines Idyll nahe am Walde. Schon der Marsch von
Quedlinburg dorthin, mitten durch deu schönen Harz, war eine Lust. Die Ent¬
fernung von Quedlinburg aus betrug reichlich sechs Stunden. Es gab einen
doppelten Weg. Entweder ging man über Gernrode, am Stubenberge vorbei, über
das Haferfeld, das Sternhaus, über die alte Erichsburg oder auch über die Hein¬
richsburg, den Mägdesprung, Harzgerode, Schielo, Steindrucken und Abberode, oder
man wandte sich gleich von Quedlinburg mehr östlich nach Ballenstedt, kam dort
in den Wald, ging über den Kohlenschacht hinab in das schöne Selketal, dann
hinauf nach dem Schloß Falkenstein, von da über das Gartenhaus und Pcmsfelde
an Molmerswende, dem Geburtsorte des Dichters Gottfried August Bürger, vorbei
und kam dann fast von Norden her auf das Forsthaus zu. Beide Wege waren
landschaftlich gleich schön. Beide führten zuerst zwei Stunden lang durch flache
Felder, aber angesichts der grünen Harzberge, dann durch herrlichen Wald über
Berg und Tal, sodaß der sechsstündige Marsch mir und dem Kameraden, den ich
meistens mitnahm, niemals eintönig, langweilig oder zuviel wurde. Wenn ich mit
deu Eltern hinauffuhr, wurde in der Regel der besser chaussierte Weg über
Gernrode, Mägdesprung und Harzgerode gewählt. Beide Wege bin ich aber auch
unzähligemale zu Fuß gewandert. Von meinen Freunden begleiteten mich oft
entweder Julius Engel oder Ludwig Kramer. Unterwegs sahen wir Hirsche und
Rehe, einmal in der Nähe des Mägdesprungs dicht am Wege, nicht zehn Schritte
von uns entfernt, eine leibhaftige starke Wildkatze auf einer jungen Eiche. Mein
Schwager ließ mich zuweilen wohl einmal Tabellen und andre amtliche Schrift¬
stücke abschreiben; auch wurden die Ferienarbeiten eben gewissenhaft angefertigt.
In der Hauptsache aber waren die in Tilkerode zugebrachten Wochen doch nur
Tage der glücklichsten, freiesten Erholung. Tilkerode lag vom großen Verkehr ein
wenig abseits. Meinen Geschwistern war deshalb jede Unterbrechung ihrer Ein¬
samkeit — sogar durch ein Paar Jungen — willkommen. Obst gab es dort oben
in Hülle und Fülle. Im Baumgarten hatte mein Schwager für uns ein Reck und
einen Barren zimmern lassen, und zum Klettern war uns kaum ein Baum zu hoch.
Die größte Herrlichkeit für uus aber war der Wald. Wir dürfte» mit zu deu
Holzschlägen oder Forstkultureu wandern, den Dohnenstieg absuchen, in der „Kote,"
einer aus Birkenstämmen für die Holzhauer im Walde hergestellten Hütte, am
Jener sitzen und Kartoffeln braten. Zu Pfingsten war unter der Dorflinde vor
dem Forsthause großes Tanzvergnügen. Da schwangen wir als sekundärer und
Primaner mit deu Bauernmädchen und den Waldnrbeiterinnen das Tanzbein. Im
Revier Tilkerode lag eine berühmte alte Richtstätte, auf der alljährlich das „Rüge¬
gericht" gehegt wurde, ein uralter, deutscher Brauch, dem der treffliche cmhalt-
bernbnrgische Minister von Schätzell durch Landesgesetz neue rechtliche Geltung
verschafft hatte. In diesem Rügegericht wurde unter einer alten Eiche vor ver¬
sammelter Gemeinde unter bestimmten Rechtsformen über Holz- und Waldfrevel
verhandelt und abgeurteilt. Natürlich war auch das für uns Jungen vom höchsten
Interesse.

Eine Stunde Wegs von Tilkerode lag das Städtchen Wippra. Dort war
vor der Stadt ein prächtiges Sturz- und Wellenbad. Dahin wanderten wir im
Sommer gegen Abend, badeten und verzehrten ans dein Rückwege im Walde das
mitgenommene Vesperbrot.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/800>, abgerufen am 24.08.2024.