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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Aus der Jugendzeit

Außerdem hatten wir Primaner und sekundärer noch einen besondern Schüler¬
gesangverein. Auch hier sangen wir, ähnlich wie im "Arion," Lieder für vier¬
stimmigen Männergesang. Dirigent war ein Primaner, der musikkundige Sohn
eines Kantors auf dem Lande, und die Übungen wurden im Hause des Kaufmanns
Ramdohr gehalten, dessen älteste Söhne Mitglieder waren. Bier getrunken wurde
dabei nicht, wohl aber geraucht. Der Gesang war etwas rauher und roher, als
der im "Arion," jedoch sind niemals irgendwelche Unordnungen in diesem Gesang¬
vereine vorgekommen.

Endlich aber waren die sangeskundigeu Primaner und sekundärer sämtlich
Mitglieder des sogenannten Singvereins. Er hieß eigentlich "Allgemeiner Gesang¬
verein" und war ein Oratorienverein, der Vorzügliches leistete. Ihm gehörten die
Familien der besten Quedlinburger Gesellschaft als zahlende Mitglieder an, und
wer irgend den Anspruch erhob, musikalisch zu sein, Männlein wie Weiblein, nahm
an den Übungen und Aufführungen des Singvereins teil. Dort sahen wir denn
auch aus der Ferne unsre einstigen Tauzstnndendamen wieder, und die Dichter
unter den Gymnasiasten begeisterten sich hier zu den Oden der Bewunderung, die
sie an die eine oder die andre der singenden Damen richteten. Von Zeit zu Zeit
erschien anonym auch ein solches Gedicht im "Quedlinburger Wochenblatt" oder in
dessen Konkurrenzblatt, dem "Volksboden," der seit dem Jahre 1848 die freiere
Richtung der Quedlinburger Journalistik vertrat. Leiter des Singvereins war der
Organist Hermann Bönicke, ein hochbegabter, liebenswürdiger Mensch, der mit den
ihm zu Gebote stehenden musikalischen Kräften Großartiges leistete. Als Begründer
des Siugvereins galt Bönickes Vorgänger, der Organist Liebau, der auch als
Komponist in weitern Kreisen eines verdienten Ansehens genoß. Dieser Singverein
war für das feinere Kulturleben der Stadt von großer Bedeutung. Er befaßte
sich statutenmäßig nur mit ganz ernster Musik. Diese aber wurde mit einer Hin¬
gebung, einem Verständnis und einem Erfolge gepflegt, wie es in einer kleinern
Provinzialstadt mit kaum 14000 Einwohnern nicht leicht wieder vorkommen dürfte.
Wir führten alle berühmten Oratorien auf: Beethovens Allss" solovcwis, Mozarts
Requiem, die Bachschen Passionen, Händels Messias, Samson und Judas Makka-
bä'us, Haydns Schöpfung und Jahreszeiten, Mendelssohns Paulus, Elias und
Athalja, kurz alles, was auf diesem Gebiete irgend von Bedeutung war. Das war
für die Richtung unsers musikalische" Geschmacks natürlich von Wert. Ich empfinde
die Frucht davon noch heute mit tiefer Dankbarkeit. Aber auch die Übungen in
Gemeinschaft mit den Damen hatten für uns junge Leute etwas Erzichendes.

Daneben liesen wir Primaner, soweit die Schule uns irgend Zeit ließ, viel
in den Harz. Das war unser Sport. Wie oft warf ich Nachmittags, wenn ich
nach vier Uhr aus der Klasse nach Hanse kam, meine Bücher hin und lief dann
los nach dem Hexentauzplatz oder der Roßtrappe, einen Weg, zu dem ich bellte
mindestens drei Stunden gebrauchen würde. Ich brachte es damals ohne Über¬
anstrengung fertig, Punkt sechs Uhr auf dem Tanzplatz zu sein. Dort wurde ein
Glas Milch getrunken, im Winter auch Wohl ein Glas Grog, und dann unverzüglich
der Rückweg angetreten. Wenn ich dann kurz nach acht Uhr wieder zu Hanse
war und zum Abendtisch kam, so gereichte es mir zu nicht geringer Genugtuung,
auf die Frage: "Wo bist du den" heute Nachmittag gewesen?" gleichmütig zu ant¬
worten: "Ich war ein wenig auf dem Hexentanzplntz." Das war wirklich eine
Leistung.

Unsre musikalischen Interessen trieben uns auch zuweilen in das Hoftheater
nach Ballenstedt. Ich wurde ohnehin ziemlich oft von meiner Mutter dorthin mit¬
genommen und habe dort treffliche Aufführungen vieler guter Opern gehört. Wenn
aber der musikalische Teil unsrer Prima nach Ballenstedt in die Oper ging, so
wäre ich um keinen Preis davon zurückgeblieben oder mit meiner Mutter gefahren.
Zuweilen gab dort der Dresdner Tenorist Tichatscheck Gastrollen. Wir Primaner
brachten es bei ziemlich hohem Schnee fertig, Nachmittags nach der Schule nach


Aus der Jugendzeit

Außerdem hatten wir Primaner und sekundärer noch einen besondern Schüler¬
gesangverein. Auch hier sangen wir, ähnlich wie im „Arion," Lieder für vier¬
stimmigen Männergesang. Dirigent war ein Primaner, der musikkundige Sohn
eines Kantors auf dem Lande, und die Übungen wurden im Hause des Kaufmanns
Ramdohr gehalten, dessen älteste Söhne Mitglieder waren. Bier getrunken wurde
dabei nicht, wohl aber geraucht. Der Gesang war etwas rauher und roher, als
der im „Arion," jedoch sind niemals irgendwelche Unordnungen in diesem Gesang¬
vereine vorgekommen.

Endlich aber waren die sangeskundigeu Primaner und sekundärer sämtlich
Mitglieder des sogenannten Singvereins. Er hieß eigentlich „Allgemeiner Gesang¬
verein" und war ein Oratorienverein, der Vorzügliches leistete. Ihm gehörten die
Familien der besten Quedlinburger Gesellschaft als zahlende Mitglieder an, und
wer irgend den Anspruch erhob, musikalisch zu sein, Männlein wie Weiblein, nahm
an den Übungen und Aufführungen des Singvereins teil. Dort sahen wir denn
auch aus der Ferne unsre einstigen Tauzstnndendamen wieder, und die Dichter
unter den Gymnasiasten begeisterten sich hier zu den Oden der Bewunderung, die
sie an die eine oder die andre der singenden Damen richteten. Von Zeit zu Zeit
erschien anonym auch ein solches Gedicht im „Quedlinburger Wochenblatt" oder in
dessen Konkurrenzblatt, dem „Volksboden," der seit dem Jahre 1848 die freiere
Richtung der Quedlinburger Journalistik vertrat. Leiter des Singvereins war der
Organist Hermann Bönicke, ein hochbegabter, liebenswürdiger Mensch, der mit den
ihm zu Gebote stehenden musikalischen Kräften Großartiges leistete. Als Begründer
des Siugvereins galt Bönickes Vorgänger, der Organist Liebau, der auch als
Komponist in weitern Kreisen eines verdienten Ansehens genoß. Dieser Singverein
war für das feinere Kulturleben der Stadt von großer Bedeutung. Er befaßte
sich statutenmäßig nur mit ganz ernster Musik. Diese aber wurde mit einer Hin¬
gebung, einem Verständnis und einem Erfolge gepflegt, wie es in einer kleinern
Provinzialstadt mit kaum 14000 Einwohnern nicht leicht wieder vorkommen dürfte.
Wir führten alle berühmten Oratorien auf: Beethovens Allss» solovcwis, Mozarts
Requiem, die Bachschen Passionen, Händels Messias, Samson und Judas Makka-
bä'us, Haydns Schöpfung und Jahreszeiten, Mendelssohns Paulus, Elias und
Athalja, kurz alles, was auf diesem Gebiete irgend von Bedeutung war. Das war
für die Richtung unsers musikalische« Geschmacks natürlich von Wert. Ich empfinde
die Frucht davon noch heute mit tiefer Dankbarkeit. Aber auch die Übungen in
Gemeinschaft mit den Damen hatten für uns junge Leute etwas Erzichendes.

Daneben liesen wir Primaner, soweit die Schule uns irgend Zeit ließ, viel
in den Harz. Das war unser Sport. Wie oft warf ich Nachmittags, wenn ich
nach vier Uhr aus der Klasse nach Hanse kam, meine Bücher hin und lief dann
los nach dem Hexentauzplatz oder der Roßtrappe, einen Weg, zu dem ich bellte
mindestens drei Stunden gebrauchen würde. Ich brachte es damals ohne Über¬
anstrengung fertig, Punkt sechs Uhr auf dem Tanzplatz zu sein. Dort wurde ein
Glas Milch getrunken, im Winter auch Wohl ein Glas Grog, und dann unverzüglich
der Rückweg angetreten. Wenn ich dann kurz nach acht Uhr wieder zu Hanse
war und zum Abendtisch kam, so gereichte es mir zu nicht geringer Genugtuung,
auf die Frage: „Wo bist du den« heute Nachmittag gewesen?" gleichmütig zu ant¬
worten: „Ich war ein wenig auf dem Hexentanzplntz." Das war wirklich eine
Leistung.

Unsre musikalischen Interessen trieben uns auch zuweilen in das Hoftheater
nach Ballenstedt. Ich wurde ohnehin ziemlich oft von meiner Mutter dorthin mit¬
genommen und habe dort treffliche Aufführungen vieler guter Opern gehört. Wenn
aber der musikalische Teil unsrer Prima nach Ballenstedt in die Oper ging, so
wäre ich um keinen Preis davon zurückgeblieben oder mit meiner Mutter gefahren.
Zuweilen gab dort der Dresdner Tenorist Tichatscheck Gastrollen. Wir Primaner
brachten es bei ziemlich hohem Schnee fertig, Nachmittags nach der Schule nach


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[0798] Aus der Jugendzeit Außerdem hatten wir Primaner und sekundärer noch einen besondern Schüler¬ gesangverein. Auch hier sangen wir, ähnlich wie im „Arion," Lieder für vier¬ stimmigen Männergesang. Dirigent war ein Primaner, der musikkundige Sohn eines Kantors auf dem Lande, und die Übungen wurden im Hause des Kaufmanns Ramdohr gehalten, dessen älteste Söhne Mitglieder waren. Bier getrunken wurde dabei nicht, wohl aber geraucht. Der Gesang war etwas rauher und roher, als der im „Arion," jedoch sind niemals irgendwelche Unordnungen in diesem Gesang¬ vereine vorgekommen. Endlich aber waren die sangeskundigeu Primaner und sekundärer sämtlich Mitglieder des sogenannten Singvereins. Er hieß eigentlich „Allgemeiner Gesang¬ verein" und war ein Oratorienverein, der Vorzügliches leistete. Ihm gehörten die Familien der besten Quedlinburger Gesellschaft als zahlende Mitglieder an, und wer irgend den Anspruch erhob, musikalisch zu sein, Männlein wie Weiblein, nahm an den Übungen und Aufführungen des Singvereins teil. Dort sahen wir denn auch aus der Ferne unsre einstigen Tauzstnndendamen wieder, und die Dichter unter den Gymnasiasten begeisterten sich hier zu den Oden der Bewunderung, die sie an die eine oder die andre der singenden Damen richteten. Von Zeit zu Zeit erschien anonym auch ein solches Gedicht im „Quedlinburger Wochenblatt" oder in dessen Konkurrenzblatt, dem „Volksboden," der seit dem Jahre 1848 die freiere Richtung der Quedlinburger Journalistik vertrat. Leiter des Singvereins war der Organist Hermann Bönicke, ein hochbegabter, liebenswürdiger Mensch, der mit den ihm zu Gebote stehenden musikalischen Kräften Großartiges leistete. Als Begründer des Siugvereins galt Bönickes Vorgänger, der Organist Liebau, der auch als Komponist in weitern Kreisen eines verdienten Ansehens genoß. Dieser Singverein war für das feinere Kulturleben der Stadt von großer Bedeutung. Er befaßte sich statutenmäßig nur mit ganz ernster Musik. Diese aber wurde mit einer Hin¬ gebung, einem Verständnis und einem Erfolge gepflegt, wie es in einer kleinern Provinzialstadt mit kaum 14000 Einwohnern nicht leicht wieder vorkommen dürfte. Wir führten alle berühmten Oratorien auf: Beethovens Allss» solovcwis, Mozarts Requiem, die Bachschen Passionen, Händels Messias, Samson und Judas Makka- bä'us, Haydns Schöpfung und Jahreszeiten, Mendelssohns Paulus, Elias und Athalja, kurz alles, was auf diesem Gebiete irgend von Bedeutung war. Das war für die Richtung unsers musikalische« Geschmacks natürlich von Wert. Ich empfinde die Frucht davon noch heute mit tiefer Dankbarkeit. Aber auch die Übungen in Gemeinschaft mit den Damen hatten für uns junge Leute etwas Erzichendes. Daneben liesen wir Primaner, soweit die Schule uns irgend Zeit ließ, viel in den Harz. Das war unser Sport. Wie oft warf ich Nachmittags, wenn ich nach vier Uhr aus der Klasse nach Hanse kam, meine Bücher hin und lief dann los nach dem Hexentauzplatz oder der Roßtrappe, einen Weg, zu dem ich bellte mindestens drei Stunden gebrauchen würde. Ich brachte es damals ohne Über¬ anstrengung fertig, Punkt sechs Uhr auf dem Tanzplatz zu sein. Dort wurde ein Glas Milch getrunken, im Winter auch Wohl ein Glas Grog, und dann unverzüglich der Rückweg angetreten. Wenn ich dann kurz nach acht Uhr wieder zu Hanse war und zum Abendtisch kam, so gereichte es mir zu nicht geringer Genugtuung, auf die Frage: „Wo bist du den« heute Nachmittag gewesen?" gleichmütig zu ant¬ worten: „Ich war ein wenig auf dem Hexentanzplntz." Das war wirklich eine Leistung. Unsre musikalischen Interessen trieben uns auch zuweilen in das Hoftheater nach Ballenstedt. Ich wurde ohnehin ziemlich oft von meiner Mutter dorthin mit¬ genommen und habe dort treffliche Aufführungen vieler guter Opern gehört. Wenn aber der musikalische Teil unsrer Prima nach Ballenstedt in die Oper ging, so wäre ich um keinen Preis davon zurückgeblieben oder mit meiner Mutter gefahren. Zuweilen gab dort der Dresdner Tenorist Tichatscheck Gastrollen. Wir Primaner brachten es bei ziemlich hohem Schnee fertig, Nachmittags nach der Schule nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/798>, abgerufen am 24.08.2024.