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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

in ihnen, hauptsächlich über den Untervffiziersgeist und den abscheulichen Militarismus,
der aus Ihrem Deutschland eine einzige ungeheure Kaserne macht" --?

Jedem Deutschen muß grauen Kor dieser Anerkennung, die das Ausland einem
angeblich deutschen Blatte spendet. Weit weniger hoch klingt, was Deutsche von
dem "Simplicissimus" zu rühmen wissen. Reinhold Vegas sieht in ihm "ein sehr
witziges und geistvolles Blatt," Max Klinger "unser bestes deutsches Witzblatt,"
Gerhard Hauptmmm "die schärfste und rücksichtsloseste satirische Kraft Deutschlands,
deren Existenz durchaus kein Zeichen der Krankheit unseres öffentlichen Lebens ist,"
Maximilian Harden "ein Witzblatt, dem in Europa kaum ein zweites an die Seite
zu stellen ist," Franz Stuck "das bestillustrierte Blatt der Welt." Hors Thoma
dankt dem "Simplicissimus" dafür, "daß er dem gesunden Sinn für Komik, Witz
und Humor Nahrung giebt," und Franz von Lenbach findet zwar die Tendenz des
Blattes "dann und'wann recht roh und abstoßend," dagegen seinen Gedanken¬
reichtum bewundernswert und die Illustrationen oft einzig, bisweilen geradezu gro߬
artig, "so daß sie mit Rethel, Oberländer voran in der ganzen Welt dastehen."
"

Dieses Lob, das Deutsche den, "deutscheu Blatte spenden, klingt nicht ganz
frei. Es mag doch durch den Gedanken gemäßigt worden sein, daß der "Simpli-
cissimus" an Uuflätigkeiten reich ist, die durch keinen satirischen Zweck entschuldigt
werden, und daß alle die Chambreschareegeschichten keinen verkvmmnen Menschen,
den ihre Satire trifft, bekehren, aber viele Unreife und Unberührte verderben.
Aber sie loben doch. Nur Lenbach hat den Mut, die Tendenz des "Simplicissimus"
"daun und wann recht roh und abstoßend" zu finden. Hat denn keiner von ihnen
Milch- und Papierläden in München mit diesem Gifte überreich ausgestattet ge¬
sehen? Ist kein Menschenfreund unter ihnen, dem der Gedanke gekommen ist, daß
alle Freude an künstlerisch vollendeten Jllustrntioueu und geistreicher Satire nicht
ins Gewicht fällt gegenüber dem Verderben, das em Blatt von so zersetzender
Wirkung verbreiten muß, wenn es in Schaufenstern aushängt, zu denen braune
Kuchen die Kinder vom Spiele locken, und auf Ladentischen liegt, von denen
Schüler Griffel und Tafel, Feder und Heft nehmen? Denn unmittelbar neben
Milch und Kuchen und dem Schnlbedarf unsrer Kinder liegen die aufdringlich ge¬
färbten, ungehinderten Bakterienprnparate aus, die mau Witzblätter nennt.

Björnfljcrne Björnson mag sich freuen, "die kleinen, tapfern Soldaten, die so
munter für eine freiere und glücklichere Menschheit kämpfen," mehren sich. Seinem
"Simplicissimus" ist ein begeisterter Bundesgenosse im Kampfe gegen Servilität
und Heuchelei erstanden. Der neue Kämpfer trägt den vielversprechenden Namen
"Die Auster," ist erst vierzehn Nummern alt und trotz seiner Jngend schon zwei¬
mal konfisziert worden. An Gefährlichkeit kommt das plötzlich aggressiv gewordne
Schleimtier -- ein Motiv für Thomas Theodor Heine -- dem "Simplicissimus"
mindestens gleich, an künstlerischem Werte seines Giftes steht es ihm nach.

Weiter gehe ich nicht in der Schilderung dessen, was die Milch- und Papier¬
laden Münchens der Jngend an Gift bieten. Den Kuchen und den Schulranzen
umrahmen außer den besprochnen Zeitschriften noch "Die Grazien." ..Der Satyr,"
"Das Album," "Das kleine Witzblatt" und andre, lauter Schmutz, der gänzlich
des Schimmers von Schönheit und Geist entbehrt, der Blattern wie der "Jugend"
und dem "Simplicissimus" eine gewisse Daseinsberechtigung verliehe, wenn ihr
Verkauf von Schranken umzogen wäre, wie der andern Giftes. Aber auch dieser
Schmutz rinnt durch Hunderte von Kanälen ins Volk. Werden diese Rinnen nicht
verstopft, so wird in kurzer Zeit des Römers Erzählung von der spätreifen, kraft¬
vollen Germnnenjugend fast ganz zum Märchen geworden sein.

Die Lebensmittelpolizei wird in München mit großer Strenge gehandhabt.
Die wegen Milchfälschnng oder andrer Verstöße gegen die Nahrungsmittelordmmg
bestraften Geschäftsleute werden durch die Veröffentlichung des Urteils in den Tages¬
zeitungen gebrandmarkt. Rührend ist die Sorge, mit der die Obrigkeit in dieser
Hinsicht über dem leiblichen Wohle des Publikums wacht. Zum Beispiel darf,
wenn ich recht berichtet bin. in Milchläden kein Obstkuchen verkauft werden, ver-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

in ihnen, hauptsächlich über den Untervffiziersgeist und den abscheulichen Militarismus,
der aus Ihrem Deutschland eine einzige ungeheure Kaserne macht" —?

Jedem Deutschen muß grauen Kor dieser Anerkennung, die das Ausland einem
angeblich deutschen Blatte spendet. Weit weniger hoch klingt, was Deutsche von
dem „Simplicissimus" zu rühmen wissen. Reinhold Vegas sieht in ihm „ein sehr
witziges und geistvolles Blatt," Max Klinger „unser bestes deutsches Witzblatt,"
Gerhard Hauptmmm „die schärfste und rücksichtsloseste satirische Kraft Deutschlands,
deren Existenz durchaus kein Zeichen der Krankheit unseres öffentlichen Lebens ist,"
Maximilian Harden „ein Witzblatt, dem in Europa kaum ein zweites an die Seite
zu stellen ist," Franz Stuck „das bestillustrierte Blatt der Welt." Hors Thoma
dankt dem „Simplicissimus" dafür, „daß er dem gesunden Sinn für Komik, Witz
und Humor Nahrung giebt," und Franz von Lenbach findet zwar die Tendenz des
Blattes „dann und'wann recht roh und abstoßend," dagegen seinen Gedanken¬
reichtum bewundernswert und die Illustrationen oft einzig, bisweilen geradezu gro߬
artig, „so daß sie mit Rethel, Oberländer voran in der ganzen Welt dastehen."
"

Dieses Lob, das Deutsche den, „deutscheu Blatte spenden, klingt nicht ganz
frei. Es mag doch durch den Gedanken gemäßigt worden sein, daß der „Simpli-
cissimus" an Uuflätigkeiten reich ist, die durch keinen satirischen Zweck entschuldigt
werden, und daß alle die Chambreschareegeschichten keinen verkvmmnen Menschen,
den ihre Satire trifft, bekehren, aber viele Unreife und Unberührte verderben.
Aber sie loben doch. Nur Lenbach hat den Mut, die Tendenz des „Simplicissimus"
„daun und wann recht roh und abstoßend" zu finden. Hat denn keiner von ihnen
Milch- und Papierläden in München mit diesem Gifte überreich ausgestattet ge¬
sehen? Ist kein Menschenfreund unter ihnen, dem der Gedanke gekommen ist, daß
alle Freude an künstlerisch vollendeten Jllustrntioueu und geistreicher Satire nicht
ins Gewicht fällt gegenüber dem Verderben, das em Blatt von so zersetzender
Wirkung verbreiten muß, wenn es in Schaufenstern aushängt, zu denen braune
Kuchen die Kinder vom Spiele locken, und auf Ladentischen liegt, von denen
Schüler Griffel und Tafel, Feder und Heft nehmen? Denn unmittelbar neben
Milch und Kuchen und dem Schnlbedarf unsrer Kinder liegen die aufdringlich ge¬
färbten, ungehinderten Bakterienprnparate aus, die mau Witzblätter nennt.

Björnfljcrne Björnson mag sich freuen, „die kleinen, tapfern Soldaten, die so
munter für eine freiere und glücklichere Menschheit kämpfen," mehren sich. Seinem
„Simplicissimus" ist ein begeisterter Bundesgenosse im Kampfe gegen Servilität
und Heuchelei erstanden. Der neue Kämpfer trägt den vielversprechenden Namen
„Die Auster," ist erst vierzehn Nummern alt und trotz seiner Jngend schon zwei¬
mal konfisziert worden. An Gefährlichkeit kommt das plötzlich aggressiv gewordne
Schleimtier — ein Motiv für Thomas Theodor Heine — dem „Simplicissimus"
mindestens gleich, an künstlerischem Werte seines Giftes steht es ihm nach.

Weiter gehe ich nicht in der Schilderung dessen, was die Milch- und Papier¬
laden Münchens der Jngend an Gift bieten. Den Kuchen und den Schulranzen
umrahmen außer den besprochnen Zeitschriften noch „Die Grazien." ..Der Satyr,"
„Das Album," „Das kleine Witzblatt" und andre, lauter Schmutz, der gänzlich
des Schimmers von Schönheit und Geist entbehrt, der Blattern wie der „Jugend"
und dem „Simplicissimus" eine gewisse Daseinsberechtigung verliehe, wenn ihr
Verkauf von Schranken umzogen wäre, wie der andern Giftes. Aber auch dieser
Schmutz rinnt durch Hunderte von Kanälen ins Volk. Werden diese Rinnen nicht
verstopft, so wird in kurzer Zeit des Römers Erzählung von der spätreifen, kraft¬
vollen Germnnenjugend fast ganz zum Märchen geworden sein.

Die Lebensmittelpolizei wird in München mit großer Strenge gehandhabt.
Die wegen Milchfälschnng oder andrer Verstöße gegen die Nahrungsmittelordmmg
bestraften Geschäftsleute werden durch die Veröffentlichung des Urteils in den Tages¬
zeitungen gebrandmarkt. Rührend ist die Sorge, mit der die Obrigkeit in dieser
Hinsicht über dem leiblichen Wohle des Publikums wacht. Zum Beispiel darf,
wenn ich recht berichtet bin. in Milchläden kein Obstkuchen verkauft werden, ver-


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[0071] Maßgebliches und Unmaßgebliches in ihnen, hauptsächlich über den Untervffiziersgeist und den abscheulichen Militarismus, der aus Ihrem Deutschland eine einzige ungeheure Kaserne macht" —? Jedem Deutschen muß grauen Kor dieser Anerkennung, die das Ausland einem angeblich deutschen Blatte spendet. Weit weniger hoch klingt, was Deutsche von dem „Simplicissimus" zu rühmen wissen. Reinhold Vegas sieht in ihm „ein sehr witziges und geistvolles Blatt," Max Klinger „unser bestes deutsches Witzblatt," Gerhard Hauptmmm „die schärfste und rücksichtsloseste satirische Kraft Deutschlands, deren Existenz durchaus kein Zeichen der Krankheit unseres öffentlichen Lebens ist," Maximilian Harden „ein Witzblatt, dem in Europa kaum ein zweites an die Seite zu stellen ist," Franz Stuck „das bestillustrierte Blatt der Welt." Hors Thoma dankt dem „Simplicissimus" dafür, „daß er dem gesunden Sinn für Komik, Witz und Humor Nahrung giebt," und Franz von Lenbach findet zwar die Tendenz des Blattes „dann und'wann recht roh und abstoßend," dagegen seinen Gedanken¬ reichtum bewundernswert und die Illustrationen oft einzig, bisweilen geradezu gro߬ artig, „so daß sie mit Rethel, Oberländer voran in der ganzen Welt dastehen." " Dieses Lob, das Deutsche den, „deutscheu Blatte spenden, klingt nicht ganz frei. Es mag doch durch den Gedanken gemäßigt worden sein, daß der „Simpli- cissimus" an Uuflätigkeiten reich ist, die durch keinen satirischen Zweck entschuldigt werden, und daß alle die Chambreschareegeschichten keinen verkvmmnen Menschen, den ihre Satire trifft, bekehren, aber viele Unreife und Unberührte verderben. Aber sie loben doch. Nur Lenbach hat den Mut, die Tendenz des „Simplicissimus" „daun und wann recht roh und abstoßend" zu finden. Hat denn keiner von ihnen Milch- und Papierläden in München mit diesem Gifte überreich ausgestattet ge¬ sehen? Ist kein Menschenfreund unter ihnen, dem der Gedanke gekommen ist, daß alle Freude an künstlerisch vollendeten Jllustrntioueu und geistreicher Satire nicht ins Gewicht fällt gegenüber dem Verderben, das em Blatt von so zersetzender Wirkung verbreiten muß, wenn es in Schaufenstern aushängt, zu denen braune Kuchen die Kinder vom Spiele locken, und auf Ladentischen liegt, von denen Schüler Griffel und Tafel, Feder und Heft nehmen? Denn unmittelbar neben Milch und Kuchen und dem Schnlbedarf unsrer Kinder liegen die aufdringlich ge¬ färbten, ungehinderten Bakterienprnparate aus, die mau Witzblätter nennt. Björnfljcrne Björnson mag sich freuen, „die kleinen, tapfern Soldaten, die so munter für eine freiere und glücklichere Menschheit kämpfen," mehren sich. Seinem „Simplicissimus" ist ein begeisterter Bundesgenosse im Kampfe gegen Servilität und Heuchelei erstanden. Der neue Kämpfer trägt den vielversprechenden Namen „Die Auster," ist erst vierzehn Nummern alt und trotz seiner Jngend schon zwei¬ mal konfisziert worden. An Gefährlichkeit kommt das plötzlich aggressiv gewordne Schleimtier — ein Motiv für Thomas Theodor Heine — dem „Simplicissimus" mindestens gleich, an künstlerischem Werte seines Giftes steht es ihm nach. Weiter gehe ich nicht in der Schilderung dessen, was die Milch- und Papier¬ laden Münchens der Jngend an Gift bieten. Den Kuchen und den Schulranzen umrahmen außer den besprochnen Zeitschriften noch „Die Grazien." ..Der Satyr," „Das Album," „Das kleine Witzblatt" und andre, lauter Schmutz, der gänzlich des Schimmers von Schönheit und Geist entbehrt, der Blattern wie der „Jugend" und dem „Simplicissimus" eine gewisse Daseinsberechtigung verliehe, wenn ihr Verkauf von Schranken umzogen wäre, wie der andern Giftes. Aber auch dieser Schmutz rinnt durch Hunderte von Kanälen ins Volk. Werden diese Rinnen nicht verstopft, so wird in kurzer Zeit des Römers Erzählung von der spätreifen, kraft¬ vollen Germnnenjugend fast ganz zum Märchen geworden sein. Die Lebensmittelpolizei wird in München mit großer Strenge gehandhabt. Die wegen Milchfälschnng oder andrer Verstöße gegen die Nahrungsmittelordmmg bestraften Geschäftsleute werden durch die Veröffentlichung des Urteils in den Tages¬ zeitungen gebrandmarkt. Rührend ist die Sorge, mit der die Obrigkeit in dieser Hinsicht über dem leiblichen Wohle des Publikums wacht. Zum Beispiel darf, wenn ich recht berichtet bin. in Milchläden kein Obstkuchen verkauft werden, ver-

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/71>, abgerufen am 03.07.2024.