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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Unser Freund der Sultan

zu sein. Im Dezember erklärte dann Minister Stourdza in der Kanuner,
Rumänien gehöre nicht zu den Balkanstaaten und nehme nicht an deren
Gärungen teil; es gehöre zur europäischen Familie und unterstütze die Mächte
in dem Bestreben, den Frieden zu erhalten. Ein Besuch des rumänische"
Königspaars im September in Pest beim Kaiser Franz Joseph hatte inzwischen
durch die Herzlichkeit des Empfangs und namentlich durch einen für den König
Karl sehr ehrenvollen und warmen Toast des Kaisers den verstimmenden Eindruck
beseitigt.

Im November 1897 betonte die Ansprache des österreichischen Monarchen
an die Delegationen, daß zu den Bürgschaften des Friedens, die der Dreibund
biete, "die freundschaftliche Ausgestaltung des Verhältnisses zu Rußland" hin¬
zugetreten sei, das als "ein Verhältnis gegenseitigen Vertrauens" charakterisiert
wurde. Wenig Tage später äußerte sich Graf Goluchowski über die Grund¬
lagen des neuen Verhältnisses. Eine offne loyale Aussprache habe zu der
Überzeugung geführt, daß keine unausgleichbaren Differenzen zwischen beiden
Reichen vorhanden seien, solange beide für die Aufrechterhaltung des Ltstv.8 c^no
einträten, jeden Eroberungsgedanken auf der Balkanhalbinsel weit zurückwiesen und
ebenso fest entschlossen seien, die Unabhängigkeit und das Selbstbestimmungs-
recht der einzelnen Vnlkanstaaten mit Ausschluß jeder prüponderierendeic
Einflußnahme auf deren innere Geschicke zu respektieren. Von den orienta¬
lischen Wirren in erster Linie berührt, Hütten beide Mächte allen Grund, zu¬
sammenzuhalten und in beständiger Fühlung zu verbleiben, um jede Ausartung
entstehender Bewegungen zu verhindern "und dem bisherigen Treiben der
spekulativen Geister am Balkan, die beide Mächte gegeneinander auszuspielen
suchten, ein Ende zu machen."

Es sind dies die Grundlagen der im April 1897 in Petersburg ge¬
schlossenen Konvention, die immerhin noch Abmachungen für besondre Fülle
enthalten mag. Auf dieser Grundlage ist um die Jahreswende 1902/03 zwischen
dem Grafen Lamsdorff und dem Grafen Goluchowski in Wien ein neuer,
weitergehender Neformentwurf vereinbart worden. Im Laufe des Januars
wurde der Entwurf dann von den Botschaftern beider Mächte in Konstantinopel
im Detail ausgearbeitet. Nachdem er das Einverständnis beider Kabinette
gefunden hatte, wurde er am 4. Februar dieses Jahres den Großmächten, die
den Berliner Vertrag unterzeichnet haben, mit dem Ersuchen um Unterstützung
mitgeteilt, die allseitig zugesagt wurde. Die Überreichung an die Pforte
erfolgte am 21. Februar in Form einer gemeinsamen Note Rußlands und
Österreichs. Fünf Tage später erging eine "Mitteilung in Angelegenheiten
Makedoniens" im Petersburger "Regierungsboten," die diesen Schritt all¬
gemein bekannt gab und erläuterte. Es wurde darin nochmals ausgesprochen,
daß Rußland "weder einen einzigen Blutstropfen seiner Söhne, noch den aller-
kleinsten Besitzteil des russischen Volks" opfern werde, falls die slawischen
Staaten den ihnen gegebnen Ratschlägen zuwider den Entschluß fassen sollten,
dnrch revolutionäre und Gewaltmittel eine Veränderung des gegenwärtigen
Regimes auf der Balkanhalbinsel herbeizuführen.

Trotz der auch diesesmal wiederum erklärten prinzipiellen Bereitwilligkeit


Unser Freund der Sultan

zu sein. Im Dezember erklärte dann Minister Stourdza in der Kanuner,
Rumänien gehöre nicht zu den Balkanstaaten und nehme nicht an deren
Gärungen teil; es gehöre zur europäischen Familie und unterstütze die Mächte
in dem Bestreben, den Frieden zu erhalten. Ein Besuch des rumänische«
Königspaars im September in Pest beim Kaiser Franz Joseph hatte inzwischen
durch die Herzlichkeit des Empfangs und namentlich durch einen für den König
Karl sehr ehrenvollen und warmen Toast des Kaisers den verstimmenden Eindruck
beseitigt.

Im November 1897 betonte die Ansprache des österreichischen Monarchen
an die Delegationen, daß zu den Bürgschaften des Friedens, die der Dreibund
biete, „die freundschaftliche Ausgestaltung des Verhältnisses zu Rußland" hin¬
zugetreten sei, das als „ein Verhältnis gegenseitigen Vertrauens" charakterisiert
wurde. Wenig Tage später äußerte sich Graf Goluchowski über die Grund¬
lagen des neuen Verhältnisses. Eine offne loyale Aussprache habe zu der
Überzeugung geführt, daß keine unausgleichbaren Differenzen zwischen beiden
Reichen vorhanden seien, solange beide für die Aufrechterhaltung des Ltstv.8 c^no
einträten, jeden Eroberungsgedanken auf der Balkanhalbinsel weit zurückwiesen und
ebenso fest entschlossen seien, die Unabhängigkeit und das Selbstbestimmungs-
recht der einzelnen Vnlkanstaaten mit Ausschluß jeder prüponderierendeic
Einflußnahme auf deren innere Geschicke zu respektieren. Von den orienta¬
lischen Wirren in erster Linie berührt, Hütten beide Mächte allen Grund, zu¬
sammenzuhalten und in beständiger Fühlung zu verbleiben, um jede Ausartung
entstehender Bewegungen zu verhindern „und dem bisherigen Treiben der
spekulativen Geister am Balkan, die beide Mächte gegeneinander auszuspielen
suchten, ein Ende zu machen."

Es sind dies die Grundlagen der im April 1897 in Petersburg ge¬
schlossenen Konvention, die immerhin noch Abmachungen für besondre Fülle
enthalten mag. Auf dieser Grundlage ist um die Jahreswende 1902/03 zwischen
dem Grafen Lamsdorff und dem Grafen Goluchowski in Wien ein neuer,
weitergehender Neformentwurf vereinbart worden. Im Laufe des Januars
wurde der Entwurf dann von den Botschaftern beider Mächte in Konstantinopel
im Detail ausgearbeitet. Nachdem er das Einverständnis beider Kabinette
gefunden hatte, wurde er am 4. Februar dieses Jahres den Großmächten, die
den Berliner Vertrag unterzeichnet haben, mit dem Ersuchen um Unterstützung
mitgeteilt, die allseitig zugesagt wurde. Die Überreichung an die Pforte
erfolgte am 21. Februar in Form einer gemeinsamen Note Rußlands und
Österreichs. Fünf Tage später erging eine „Mitteilung in Angelegenheiten
Makedoniens" im Petersburger „Regierungsboten," die diesen Schritt all¬
gemein bekannt gab und erläuterte. Es wurde darin nochmals ausgesprochen,
daß Rußland „weder einen einzigen Blutstropfen seiner Söhne, noch den aller-
kleinsten Besitzteil des russischen Volks" opfern werde, falls die slawischen
Staaten den ihnen gegebnen Ratschlägen zuwider den Entschluß fassen sollten,
dnrch revolutionäre und Gewaltmittel eine Veränderung des gegenwärtigen
Regimes auf der Balkanhalbinsel herbeizuführen.

Trotz der auch diesesmal wiederum erklärten prinzipiellen Bereitwilligkeit


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[0692] Unser Freund der Sultan zu sein. Im Dezember erklärte dann Minister Stourdza in der Kanuner, Rumänien gehöre nicht zu den Balkanstaaten und nehme nicht an deren Gärungen teil; es gehöre zur europäischen Familie und unterstütze die Mächte in dem Bestreben, den Frieden zu erhalten. Ein Besuch des rumänische« Königspaars im September in Pest beim Kaiser Franz Joseph hatte inzwischen durch die Herzlichkeit des Empfangs und namentlich durch einen für den König Karl sehr ehrenvollen und warmen Toast des Kaisers den verstimmenden Eindruck beseitigt. Im November 1897 betonte die Ansprache des österreichischen Monarchen an die Delegationen, daß zu den Bürgschaften des Friedens, die der Dreibund biete, „die freundschaftliche Ausgestaltung des Verhältnisses zu Rußland" hin¬ zugetreten sei, das als „ein Verhältnis gegenseitigen Vertrauens" charakterisiert wurde. Wenig Tage später äußerte sich Graf Goluchowski über die Grund¬ lagen des neuen Verhältnisses. Eine offne loyale Aussprache habe zu der Überzeugung geführt, daß keine unausgleichbaren Differenzen zwischen beiden Reichen vorhanden seien, solange beide für die Aufrechterhaltung des Ltstv.8 c^no einträten, jeden Eroberungsgedanken auf der Balkanhalbinsel weit zurückwiesen und ebenso fest entschlossen seien, die Unabhängigkeit und das Selbstbestimmungs- recht der einzelnen Vnlkanstaaten mit Ausschluß jeder prüponderierendeic Einflußnahme auf deren innere Geschicke zu respektieren. Von den orienta¬ lischen Wirren in erster Linie berührt, Hütten beide Mächte allen Grund, zu¬ sammenzuhalten und in beständiger Fühlung zu verbleiben, um jede Ausartung entstehender Bewegungen zu verhindern „und dem bisherigen Treiben der spekulativen Geister am Balkan, die beide Mächte gegeneinander auszuspielen suchten, ein Ende zu machen." Es sind dies die Grundlagen der im April 1897 in Petersburg ge¬ schlossenen Konvention, die immerhin noch Abmachungen für besondre Fülle enthalten mag. Auf dieser Grundlage ist um die Jahreswende 1902/03 zwischen dem Grafen Lamsdorff und dem Grafen Goluchowski in Wien ein neuer, weitergehender Neformentwurf vereinbart worden. Im Laufe des Januars wurde der Entwurf dann von den Botschaftern beider Mächte in Konstantinopel im Detail ausgearbeitet. Nachdem er das Einverständnis beider Kabinette gefunden hatte, wurde er am 4. Februar dieses Jahres den Großmächten, die den Berliner Vertrag unterzeichnet haben, mit dem Ersuchen um Unterstützung mitgeteilt, die allseitig zugesagt wurde. Die Überreichung an die Pforte erfolgte am 21. Februar in Form einer gemeinsamen Note Rußlands und Österreichs. Fünf Tage später erging eine „Mitteilung in Angelegenheiten Makedoniens" im Petersburger „Regierungsboten," die diesen Schritt all¬ gemein bekannt gab und erläuterte. Es wurde darin nochmals ausgesprochen, daß Rußland „weder einen einzigen Blutstropfen seiner Söhne, noch den aller- kleinsten Besitzteil des russischen Volks" opfern werde, falls die slawischen Staaten den ihnen gegebnen Ratschlägen zuwider den Entschluß fassen sollten, dnrch revolutionäre und Gewaltmittel eine Veränderung des gegenwärtigen Regimes auf der Balkanhalbinsel herbeizuführen. Trotz der auch diesesmal wiederum erklärten prinzipiellen Bereitwilligkeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/692>, abgerufen am 22.07.2024.