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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Wanderungen in der Niederlausitz

in der zweiten Periode seines Schaffens als Reformator, als ein Winkelmann ans
dem Gebiete der Musik, sofern er edle Einfachheit und Natürlichkeit als sein Ziel
hinstellte. In der Tat hat Gluck die deutsche Musik von Schwulst und Ziererei
zur Einfachheit zurückgeführt, aber die Natur, die uns Gluck in seiner "Alceste"
oder in seiner Oper "Orpheus lind Eurydice" offenbart, ist nicht die wirkliche Natur,
sondern die durch die Überfeiuerung des Rokoko verzärtelte Natur -- seine Melodien
atmen ein goldnes Vertrauen zu den Göttern und den an ihrer Stelle regierenden
Herrschern, alle seine Motive lenken in die Stimmung ruhiger, leitungsbedürftiger
Untertanenhaftigkeit zurück.

Erst der titanische Beethoven nimmt den großen Gedanken der Renaissance
von der Befreiung des Individuums wieder auf und klopft mit starker Faust an
die Pforte einer neuen Zeit. In seiner Musik garen die Ideen Rousseaus und
die Kämpfe der Freiheitskriege. Ihm gegenüber bedeutet die Musik Mendelssohns
bei allem Reichtum an lyrischen Elementen doch einen Rückschritt, wie er auch im
Selbstbewußtsein der Menschen, in dem Kraftmaß ihrer patriotischen Begeisterung
im Zeitalter Metternichs und der Reaktion eintrat -- ich wenigstens höre aus
seinen Liedern meist den Heinischen Weltschmerz -- und aus dem ergreifenden Eros¬
chor und aus dem Schlußchor seiner Antigone mit seiner flachen und doch so ver¬
nichtenden Weisheit tönt mir nur das unerbittlich waltende Schicksal und der
rhythmische Tritt der Snrgträger entgegen. Erst Wagner ist der echte Erbe der
Renaissance, erst in seiner Musik ringt sich das Individuum von dem energielosen
Leitungsbedürfnis des Absolutismus wie von der hoffnungs- und fassungsloser
Resignation Mendelssohns los zu heldenhafter Tat und heroischen Untergang, die
echte Musik für die Zeitgenossen Bismarcks, des "Nibelungenenkels."

Nicht solche Musik paßte in das von Schäfern und Schäferinnen oder von
den heitern Gestalten des griechischen Olymps belebte Naturtheater Heinekens, wohl
aber die Musik Glucks und Haydns. Besonders die Symphonien Haydns sind
die rechte Musik für diese ländlichen Feste im Grünen, die vom Gutsherrn zum
Preise des anwesenden oder anwesend gedachten Herrschers veranstaltet werden.
Die Musik beginnt mit einer feierlichen Huldigung an ihn, dann entfesselt sich sanfte
Lust. Wir sehen bei diesen Klängen das neckische Rockkragen und das kokette Fächer¬
spiel feingepuderter Damen und das verlangende Lächeln und graziöse sich Ver¬
beugen der im Schnallenschuh und Seidenstrumpf eiuhcrschwebeuden Kavaliere oder
das sich Suchen und Fliehen verliebter Schäfer und Schäferinnen um murmelnden
Bach. Serenissimus beglückende Nähe wird geahnt, aber tritt nicht hervor, höchstens
einmal in einem dominierenden Flötensolo; der egoistische Absolutismus Ludwigs
des Vierzehnten ist längst durch den humanen Friedrichs des Großen abgelöst
worden: der Fürst will nicht vorzugsweise genießen, sondern die andern genießen
sehen. Gern huldigt ihm alles: die Bauern mit dem Dudelsack, der Hirt mit
Flöte und Schalmei, die Tänzer und Tänzerinnen mit rasch bewegter Fiedel; auch
die Tierwelt mischt sich in das festliche Treiben: Grasmücke, Anisel und Nachtigall
mit süßem Gesang, der Kuckuck mit echoweckendem Lockruf, das Rind mit behaglichem
Brummen. Alles beherrscht eine himmlische Heiterkeit; sogar Sturm, Donner und
Blitz find nur vorhanden, den ewigen Sonnenschein und die linden Lüfte nicht
langweilig werden zu lassen -- bald macht die erregte Stimmung der Natur wieder
der wohligsten Harmonie Platz.

Eine Besichtigung des innern Schlosses lag diesesmal nicht im Reiseprogramm.
Aber ich habe sie im Oktober, einer Einladung des Grafen Witzleben folgend, nach¬
geholt und mich dabei überzeugt, daß es trotz einiger Umbauten und Erweiterungen
im wesentlichen die Eigentümlichkeit der Heinekenschen Zeit bewahrt hat; jedenfalls
ist alles, was einer Erhaltung wert war, sorgfältig geschont worden. In dem
geräumigen Flur und im Treppenhause erfreut uns eine sehr hübsche grau-branne
Dekorationsmalerei, die niedliche Putten in allerhand lustigen Stellungen zeigt;
als ihr Urheber nennt sich in einer Inschrift der Tür im obern Stockwerk unter


Grenzboten IV 1903 74
Wanderungen in der Niederlausitz

in der zweiten Periode seines Schaffens als Reformator, als ein Winkelmann ans
dem Gebiete der Musik, sofern er edle Einfachheit und Natürlichkeit als sein Ziel
hinstellte. In der Tat hat Gluck die deutsche Musik von Schwulst und Ziererei
zur Einfachheit zurückgeführt, aber die Natur, die uns Gluck in seiner „Alceste"
oder in seiner Oper „Orpheus lind Eurydice" offenbart, ist nicht die wirkliche Natur,
sondern die durch die Überfeiuerung des Rokoko verzärtelte Natur — seine Melodien
atmen ein goldnes Vertrauen zu den Göttern und den an ihrer Stelle regierenden
Herrschern, alle seine Motive lenken in die Stimmung ruhiger, leitungsbedürftiger
Untertanenhaftigkeit zurück.

Erst der titanische Beethoven nimmt den großen Gedanken der Renaissance
von der Befreiung des Individuums wieder auf und klopft mit starker Faust an
die Pforte einer neuen Zeit. In seiner Musik garen die Ideen Rousseaus und
die Kämpfe der Freiheitskriege. Ihm gegenüber bedeutet die Musik Mendelssohns
bei allem Reichtum an lyrischen Elementen doch einen Rückschritt, wie er auch im
Selbstbewußtsein der Menschen, in dem Kraftmaß ihrer patriotischen Begeisterung
im Zeitalter Metternichs und der Reaktion eintrat — ich wenigstens höre aus
seinen Liedern meist den Heinischen Weltschmerz — und aus dem ergreifenden Eros¬
chor und aus dem Schlußchor seiner Antigone mit seiner flachen und doch so ver¬
nichtenden Weisheit tönt mir nur das unerbittlich waltende Schicksal und der
rhythmische Tritt der Snrgträger entgegen. Erst Wagner ist der echte Erbe der
Renaissance, erst in seiner Musik ringt sich das Individuum von dem energielosen
Leitungsbedürfnis des Absolutismus wie von der hoffnungs- und fassungsloser
Resignation Mendelssohns los zu heldenhafter Tat und heroischen Untergang, die
echte Musik für die Zeitgenossen Bismarcks, des „Nibelungenenkels."

Nicht solche Musik paßte in das von Schäfern und Schäferinnen oder von
den heitern Gestalten des griechischen Olymps belebte Naturtheater Heinekens, wohl
aber die Musik Glucks und Haydns. Besonders die Symphonien Haydns sind
die rechte Musik für diese ländlichen Feste im Grünen, die vom Gutsherrn zum
Preise des anwesenden oder anwesend gedachten Herrschers veranstaltet werden.
Die Musik beginnt mit einer feierlichen Huldigung an ihn, dann entfesselt sich sanfte
Lust. Wir sehen bei diesen Klängen das neckische Rockkragen und das kokette Fächer¬
spiel feingepuderter Damen und das verlangende Lächeln und graziöse sich Ver¬
beugen der im Schnallenschuh und Seidenstrumpf eiuhcrschwebeuden Kavaliere oder
das sich Suchen und Fliehen verliebter Schäfer und Schäferinnen um murmelnden
Bach. Serenissimus beglückende Nähe wird geahnt, aber tritt nicht hervor, höchstens
einmal in einem dominierenden Flötensolo; der egoistische Absolutismus Ludwigs
des Vierzehnten ist längst durch den humanen Friedrichs des Großen abgelöst
worden: der Fürst will nicht vorzugsweise genießen, sondern die andern genießen
sehen. Gern huldigt ihm alles: die Bauern mit dem Dudelsack, der Hirt mit
Flöte und Schalmei, die Tänzer und Tänzerinnen mit rasch bewegter Fiedel; auch
die Tierwelt mischt sich in das festliche Treiben: Grasmücke, Anisel und Nachtigall
mit süßem Gesang, der Kuckuck mit echoweckendem Lockruf, das Rind mit behaglichem
Brummen. Alles beherrscht eine himmlische Heiterkeit; sogar Sturm, Donner und
Blitz find nur vorhanden, den ewigen Sonnenschein und die linden Lüfte nicht
langweilig werden zu lassen — bald macht die erregte Stimmung der Natur wieder
der wohligsten Harmonie Platz.

Eine Besichtigung des innern Schlosses lag diesesmal nicht im Reiseprogramm.
Aber ich habe sie im Oktober, einer Einladung des Grafen Witzleben folgend, nach¬
geholt und mich dabei überzeugt, daß es trotz einiger Umbauten und Erweiterungen
im wesentlichen die Eigentümlichkeit der Heinekenschen Zeit bewahrt hat; jedenfalls
ist alles, was einer Erhaltung wert war, sorgfältig geschont worden. In dem
geräumigen Flur und im Treppenhause erfreut uns eine sehr hübsche grau-branne
Dekorationsmalerei, die niedliche Putten in allerhand lustigen Stellungen zeigt;
als ihr Urheber nennt sich in einer Inschrift der Tür im obern Stockwerk unter


Grenzboten IV 1903 74
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[0593] Wanderungen in der Niederlausitz in der zweiten Periode seines Schaffens als Reformator, als ein Winkelmann ans dem Gebiete der Musik, sofern er edle Einfachheit und Natürlichkeit als sein Ziel hinstellte. In der Tat hat Gluck die deutsche Musik von Schwulst und Ziererei zur Einfachheit zurückgeführt, aber die Natur, die uns Gluck in seiner „Alceste" oder in seiner Oper „Orpheus lind Eurydice" offenbart, ist nicht die wirkliche Natur, sondern die durch die Überfeiuerung des Rokoko verzärtelte Natur — seine Melodien atmen ein goldnes Vertrauen zu den Göttern und den an ihrer Stelle regierenden Herrschern, alle seine Motive lenken in die Stimmung ruhiger, leitungsbedürftiger Untertanenhaftigkeit zurück. Erst der titanische Beethoven nimmt den großen Gedanken der Renaissance von der Befreiung des Individuums wieder auf und klopft mit starker Faust an die Pforte einer neuen Zeit. In seiner Musik garen die Ideen Rousseaus und die Kämpfe der Freiheitskriege. Ihm gegenüber bedeutet die Musik Mendelssohns bei allem Reichtum an lyrischen Elementen doch einen Rückschritt, wie er auch im Selbstbewußtsein der Menschen, in dem Kraftmaß ihrer patriotischen Begeisterung im Zeitalter Metternichs und der Reaktion eintrat — ich wenigstens höre aus seinen Liedern meist den Heinischen Weltschmerz — und aus dem ergreifenden Eros¬ chor und aus dem Schlußchor seiner Antigone mit seiner flachen und doch so ver¬ nichtenden Weisheit tönt mir nur das unerbittlich waltende Schicksal und der rhythmische Tritt der Snrgträger entgegen. Erst Wagner ist der echte Erbe der Renaissance, erst in seiner Musik ringt sich das Individuum von dem energielosen Leitungsbedürfnis des Absolutismus wie von der hoffnungs- und fassungsloser Resignation Mendelssohns los zu heldenhafter Tat und heroischen Untergang, die echte Musik für die Zeitgenossen Bismarcks, des „Nibelungenenkels." Nicht solche Musik paßte in das von Schäfern und Schäferinnen oder von den heitern Gestalten des griechischen Olymps belebte Naturtheater Heinekens, wohl aber die Musik Glucks und Haydns. Besonders die Symphonien Haydns sind die rechte Musik für diese ländlichen Feste im Grünen, die vom Gutsherrn zum Preise des anwesenden oder anwesend gedachten Herrschers veranstaltet werden. Die Musik beginnt mit einer feierlichen Huldigung an ihn, dann entfesselt sich sanfte Lust. Wir sehen bei diesen Klängen das neckische Rockkragen und das kokette Fächer¬ spiel feingepuderter Damen und das verlangende Lächeln und graziöse sich Ver¬ beugen der im Schnallenschuh und Seidenstrumpf eiuhcrschwebeuden Kavaliere oder das sich Suchen und Fliehen verliebter Schäfer und Schäferinnen um murmelnden Bach. Serenissimus beglückende Nähe wird geahnt, aber tritt nicht hervor, höchstens einmal in einem dominierenden Flötensolo; der egoistische Absolutismus Ludwigs des Vierzehnten ist längst durch den humanen Friedrichs des Großen abgelöst worden: der Fürst will nicht vorzugsweise genießen, sondern die andern genießen sehen. Gern huldigt ihm alles: die Bauern mit dem Dudelsack, der Hirt mit Flöte und Schalmei, die Tänzer und Tänzerinnen mit rasch bewegter Fiedel; auch die Tierwelt mischt sich in das festliche Treiben: Grasmücke, Anisel und Nachtigall mit süßem Gesang, der Kuckuck mit echoweckendem Lockruf, das Rind mit behaglichem Brummen. Alles beherrscht eine himmlische Heiterkeit; sogar Sturm, Donner und Blitz find nur vorhanden, den ewigen Sonnenschein und die linden Lüfte nicht langweilig werden zu lassen — bald macht die erregte Stimmung der Natur wieder der wohligsten Harmonie Platz. Eine Besichtigung des innern Schlosses lag diesesmal nicht im Reiseprogramm. Aber ich habe sie im Oktober, einer Einladung des Grafen Witzleben folgend, nach¬ geholt und mich dabei überzeugt, daß es trotz einiger Umbauten und Erweiterungen im wesentlichen die Eigentümlichkeit der Heinekenschen Zeit bewahrt hat; jedenfalls ist alles, was einer Erhaltung wert war, sorgfältig geschont worden. In dem geräumigen Flur und im Treppenhause erfreut uns eine sehr hübsche grau-branne Dekorationsmalerei, die niedliche Putten in allerhand lustigen Stellungen zeigt; als ihr Urheber nennt sich in einer Inschrift der Tür im obern Stockwerk unter Grenzboten IV 1903 74

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/593>, abgerufen am 03.07.2024.