Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Mandlirungen in der Niedorlausitz

des Merkur, die ein der Rampe des Schlosses aufgestellt sind. Venus ist dargestellt
mit einem Gürtel um den nackten Leib, wie sie dem sich sträubenden Amor die
Flügel verschneidet; das Gesicht der Göttin strahlt von einem schelmischen Lächeln,
die Mienen Amors drücken die Angst vor der drohenden Strafe aus, aber beides
geschieht so maßvoll, daß anch ein Lessing zufriedengestellt wäre, und die Haltung
der Gestalten ist verhältnismäßig so ruhig lind schlicht, daß von theatralischer Pose
keine Rede sein kann. Dnsselbe gilt von Merkur, dem Gotte der kaufmännischen
Betriebsamkeit, der mit der rechten Hand auf das durch Hciuekens Verdienst auf¬
blühende Dorf hinweist.

Rechts vom Schlosse gelangen wir durch verschrieene Liudenhcckeu zu einem
großen Wasserbassin mit einem wnsserspeienden Wolf und einander gegenüber¬
stehenden auf Delphinen reitenden Putten. Weiterhin trifft man einen mit Wein¬
trauben bekränzten Dionysos, der eine Trinkmuschel in der Hand hält, und als
Gegenstück dazu eine Hygien, die in der Rechten eine Schale, in der Linken einen
Lorbeerkranz trägt; zu diesem ringelt sich um einen Baumstamm eine Schlange, das
Symbol der Heilkraft des Wassers, empor. Nicht weit davon steht die Figur eines
jungen Mädchens, das nach oben blickend und vorwärtsschreitend mit etwas ge¬
öffneten Munde ein Frühlingslied zu singen scheint. Die Stirn ist mit einer Binde
umwunden, mit der Rechte" hält sie eine Blninenranke hoch empor, als wollte sie
der Gottheit des Frühlings ein Opfer darbringen. Doch ihr gegenüber steht Amor,
dessen Kocher am Boden liegt, anch fehlt die rechte Hand und der linke Arm.
Beide Figuren sind Werke von großer Schlichtheit und Anmut und überdies sicher
von Knöfflers eigner Hand, denn sie tragen in Kurrentbuchstabeu die Inschrift:
Gottfried Knvffler Königl. Hof-Bildhauer 1755. Abgeschlossen wird diese Anlage
durch eiuen Neptuusbrunnen. Das Wasser rinnt zu Füßen des Gottes, der mit
dem Dreizack ans den Boden stoßt, in vier untereinander stehenden Schalen herab;
zu beiden Seiten steht je eine etwas massige Kindergruppe. Man war seit du
Quesuoh (1594 bis 1646) auf diese von "Milchfleisch" strotzenden Kindergestalten
nicht wenig stolz; man meinte in diesem Punkte die Alten zu übertreffen, die "ihren
Kindern zuviel ausgewachsene Form, zuviel angedeutete Knochen" gegeben hätten.
Endlich steht vor dem Neptuusbruuneu links ein Apollo auf die Leier gestützt,
nachdenklich auf das Schloß schauend, die linke Körperhälfte nachlässig mit dem
Gewände umhüllt. Es kam mir vor, als ob sein Antlitz eine gewisse Ähnlichkeit
mit Heineken selbst habe, und es ist durchaus nicht ausgeschlossen, daß der eitle
Schloßherr, der sich mit Leier und Lorbeerkranz in der Kirche darstellen ließ, dem
Bildhauer anch hier den Auftrag gegeben hatte, den Gott des Gesangs nach seinem
Bilde zu gestalten. Die Dichtkunst war wohl die unter deu Musen, die ihn um
wenigsten zierte.

Auf der linken Seite des Schlosses liegt das gut erhnltne Natnrtheater: drei
hohe Linden bilden den Hintergrund, verschrieene Hecken die Kulissen. Vor der
Bühne steht links als Sinnbild der dramatischen Kunst ihr Urheber, ein mit Trauben
und dem Pantherfell geschmückter Dionysos, rechts als Symbol der Schäferspiele
die anmutige arkadische Nymphe Syrinx, die unter einem zurückgeschlngncn Mantel
den Chiton trägt und auf einer Hirtenflöte bläst. Bei diesem Anblick denkt man
sich die grünen Räume wieder von menschlichen Gestalten belebt, unwillkürlich glaubt
man auch die sanften Klänge altertümlicher Musik wieder zu vernehmen, die hier
vor mehr als einem Jahrhundert das leise Flüstern der Blätter übertönte. Jede
Musik ist in gewissem Sinne der Ausdruck eines Zeitalters. Den großen Gedanken
der Renaissance vom Rechte der freien Persönlichkeit oder ins Religiöse übersetzt:
"Von der Freiheit eines Christenmenschen" kann man aus Luthers gewaltigen
Choralmelodien und ans den Gebets- und Streitliederu des Freiheitskmnpfcs der
Niederländer heraushören. Das tiefinnige Gottsuchen der Pietisten klingt wieder
in der Matthäuspassiou Johann Sebastian Bachs. Der Absolutismus findet seinen
musikalischen Ausdruck in den Werken Glucks und Haydns; der erstere fühlte sich


Mandlirungen in der Niedorlausitz

des Merkur, die ein der Rampe des Schlosses aufgestellt sind. Venus ist dargestellt
mit einem Gürtel um den nackten Leib, wie sie dem sich sträubenden Amor die
Flügel verschneidet; das Gesicht der Göttin strahlt von einem schelmischen Lächeln,
die Mienen Amors drücken die Angst vor der drohenden Strafe aus, aber beides
geschieht so maßvoll, daß anch ein Lessing zufriedengestellt wäre, und die Haltung
der Gestalten ist verhältnismäßig so ruhig lind schlicht, daß von theatralischer Pose
keine Rede sein kann. Dnsselbe gilt von Merkur, dem Gotte der kaufmännischen
Betriebsamkeit, der mit der rechten Hand auf das durch Hciuekens Verdienst auf¬
blühende Dorf hinweist.

Rechts vom Schlosse gelangen wir durch verschrieene Liudenhcckeu zu einem
großen Wasserbassin mit einem wnsserspeienden Wolf und einander gegenüber¬
stehenden auf Delphinen reitenden Putten. Weiterhin trifft man einen mit Wein¬
trauben bekränzten Dionysos, der eine Trinkmuschel in der Hand hält, und als
Gegenstück dazu eine Hygien, die in der Rechten eine Schale, in der Linken einen
Lorbeerkranz trägt; zu diesem ringelt sich um einen Baumstamm eine Schlange, das
Symbol der Heilkraft des Wassers, empor. Nicht weit davon steht die Figur eines
jungen Mädchens, das nach oben blickend und vorwärtsschreitend mit etwas ge¬
öffneten Munde ein Frühlingslied zu singen scheint. Die Stirn ist mit einer Binde
umwunden, mit der Rechte» hält sie eine Blninenranke hoch empor, als wollte sie
der Gottheit des Frühlings ein Opfer darbringen. Doch ihr gegenüber steht Amor,
dessen Kocher am Boden liegt, anch fehlt die rechte Hand und der linke Arm.
Beide Figuren sind Werke von großer Schlichtheit und Anmut und überdies sicher
von Knöfflers eigner Hand, denn sie tragen in Kurrentbuchstabeu die Inschrift:
Gottfried Knvffler Königl. Hof-Bildhauer 1755. Abgeschlossen wird diese Anlage
durch eiuen Neptuusbrunnen. Das Wasser rinnt zu Füßen des Gottes, der mit
dem Dreizack ans den Boden stoßt, in vier untereinander stehenden Schalen herab;
zu beiden Seiten steht je eine etwas massige Kindergruppe. Man war seit du
Quesuoh (1594 bis 1646) auf diese von „Milchfleisch" strotzenden Kindergestalten
nicht wenig stolz; man meinte in diesem Punkte die Alten zu übertreffen, die „ihren
Kindern zuviel ausgewachsene Form, zuviel angedeutete Knochen" gegeben hätten.
Endlich steht vor dem Neptuusbruuneu links ein Apollo auf die Leier gestützt,
nachdenklich auf das Schloß schauend, die linke Körperhälfte nachlässig mit dem
Gewände umhüllt. Es kam mir vor, als ob sein Antlitz eine gewisse Ähnlichkeit
mit Heineken selbst habe, und es ist durchaus nicht ausgeschlossen, daß der eitle
Schloßherr, der sich mit Leier und Lorbeerkranz in der Kirche darstellen ließ, dem
Bildhauer anch hier den Auftrag gegeben hatte, den Gott des Gesangs nach seinem
Bilde zu gestalten. Die Dichtkunst war wohl die unter deu Musen, die ihn um
wenigsten zierte.

Auf der linken Seite des Schlosses liegt das gut erhnltne Natnrtheater: drei
hohe Linden bilden den Hintergrund, verschrieene Hecken die Kulissen. Vor der
Bühne steht links als Sinnbild der dramatischen Kunst ihr Urheber, ein mit Trauben
und dem Pantherfell geschmückter Dionysos, rechts als Symbol der Schäferspiele
die anmutige arkadische Nymphe Syrinx, die unter einem zurückgeschlngncn Mantel
den Chiton trägt und auf einer Hirtenflöte bläst. Bei diesem Anblick denkt man
sich die grünen Räume wieder von menschlichen Gestalten belebt, unwillkürlich glaubt
man auch die sanften Klänge altertümlicher Musik wieder zu vernehmen, die hier
vor mehr als einem Jahrhundert das leise Flüstern der Blätter übertönte. Jede
Musik ist in gewissem Sinne der Ausdruck eines Zeitalters. Den großen Gedanken
der Renaissance vom Rechte der freien Persönlichkeit oder ins Religiöse übersetzt:
„Von der Freiheit eines Christenmenschen" kann man aus Luthers gewaltigen
Choralmelodien und ans den Gebets- und Streitliederu des Freiheitskmnpfcs der
Niederländer heraushören. Das tiefinnige Gottsuchen der Pietisten klingt wieder
in der Matthäuspassiou Johann Sebastian Bachs. Der Absolutismus findet seinen
musikalischen Ausdruck in den Werken Glucks und Haydns; der erstere fühlte sich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0592" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/242662"/>
          <fw type="header" place="top"> Mandlirungen in der Niedorlausitz</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2164" prev="#ID_2163"> des Merkur, die ein der Rampe des Schlosses aufgestellt sind. Venus ist dargestellt<lb/>
mit einem Gürtel um den nackten Leib, wie sie dem sich sträubenden Amor die<lb/>
Flügel verschneidet; das Gesicht der Göttin strahlt von einem schelmischen Lächeln,<lb/>
die Mienen Amors drücken die Angst vor der drohenden Strafe aus, aber beides<lb/>
geschieht so maßvoll, daß anch ein Lessing zufriedengestellt wäre, und die Haltung<lb/>
der Gestalten ist verhältnismäßig so ruhig lind schlicht, daß von theatralischer Pose<lb/>
keine Rede sein kann. Dnsselbe gilt von Merkur, dem Gotte der kaufmännischen<lb/>
Betriebsamkeit, der mit der rechten Hand auf das durch Hciuekens Verdienst auf¬<lb/>
blühende Dorf hinweist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2165"> Rechts vom Schlosse gelangen wir durch verschrieene Liudenhcckeu zu einem<lb/>
großen Wasserbassin mit einem wnsserspeienden Wolf und einander gegenüber¬<lb/>
stehenden auf Delphinen reitenden Putten. Weiterhin trifft man einen mit Wein¬<lb/>
trauben bekränzten Dionysos, der eine Trinkmuschel in der Hand hält, und als<lb/>
Gegenstück dazu eine Hygien, die in der Rechten eine Schale, in der Linken einen<lb/>
Lorbeerkranz trägt; zu diesem ringelt sich um einen Baumstamm eine Schlange, das<lb/>
Symbol der Heilkraft des Wassers, empor. Nicht weit davon steht die Figur eines<lb/>
jungen Mädchens, das nach oben blickend und vorwärtsschreitend mit etwas ge¬<lb/>
öffneten Munde ein Frühlingslied zu singen scheint. Die Stirn ist mit einer Binde<lb/>
umwunden, mit der Rechte» hält sie eine Blninenranke hoch empor, als wollte sie<lb/>
der Gottheit des Frühlings ein Opfer darbringen. Doch ihr gegenüber steht Amor,<lb/>
dessen Kocher am Boden liegt, anch fehlt die rechte Hand und der linke Arm.<lb/>
Beide Figuren sind Werke von großer Schlichtheit und Anmut und überdies sicher<lb/>
von Knöfflers eigner Hand, denn sie tragen in Kurrentbuchstabeu die Inschrift:<lb/>
Gottfried Knvffler Königl. Hof-Bildhauer 1755. Abgeschlossen wird diese Anlage<lb/>
durch eiuen Neptuusbrunnen. Das Wasser rinnt zu Füßen des Gottes, der mit<lb/>
dem Dreizack ans den Boden stoßt, in vier untereinander stehenden Schalen herab;<lb/>
zu beiden Seiten steht je eine etwas massige Kindergruppe. Man war seit du<lb/>
Quesuoh (1594 bis 1646) auf diese von &#x201E;Milchfleisch" strotzenden Kindergestalten<lb/>
nicht wenig stolz; man meinte in diesem Punkte die Alten zu übertreffen, die &#x201E;ihren<lb/>
Kindern zuviel ausgewachsene Form, zuviel angedeutete Knochen" gegeben hätten.<lb/>
Endlich steht vor dem Neptuusbruuneu links ein Apollo auf die Leier gestützt,<lb/>
nachdenklich auf das Schloß schauend, die linke Körperhälfte nachlässig mit dem<lb/>
Gewände umhüllt. Es kam mir vor, als ob sein Antlitz eine gewisse Ähnlichkeit<lb/>
mit Heineken selbst habe, und es ist durchaus nicht ausgeschlossen, daß der eitle<lb/>
Schloßherr, der sich mit Leier und Lorbeerkranz in der Kirche darstellen ließ, dem<lb/>
Bildhauer anch hier den Auftrag gegeben hatte, den Gott des Gesangs nach seinem<lb/>
Bilde zu gestalten. Die Dichtkunst war wohl die unter deu Musen, die ihn um<lb/>
wenigsten zierte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2166" next="#ID_2167"> Auf der linken Seite des Schlosses liegt das gut erhnltne Natnrtheater: drei<lb/>
hohe Linden bilden den Hintergrund, verschrieene Hecken die Kulissen. Vor der<lb/>
Bühne steht links als Sinnbild der dramatischen Kunst ihr Urheber, ein mit Trauben<lb/>
und dem Pantherfell geschmückter Dionysos, rechts als Symbol der Schäferspiele<lb/>
die anmutige arkadische Nymphe Syrinx, die unter einem zurückgeschlngncn Mantel<lb/>
den Chiton trägt und auf einer Hirtenflöte bläst. Bei diesem Anblick denkt man<lb/>
sich die grünen Räume wieder von menschlichen Gestalten belebt, unwillkürlich glaubt<lb/>
man auch die sanften Klänge altertümlicher Musik wieder zu vernehmen, die hier<lb/>
vor mehr als einem Jahrhundert das leise Flüstern der Blätter übertönte. Jede<lb/>
Musik ist in gewissem Sinne der Ausdruck eines Zeitalters. Den großen Gedanken<lb/>
der Renaissance vom Rechte der freien Persönlichkeit oder ins Religiöse übersetzt:<lb/>
&#x201E;Von der Freiheit eines Christenmenschen" kann man aus Luthers gewaltigen<lb/>
Choralmelodien und ans den Gebets- und Streitliederu des Freiheitskmnpfcs der<lb/>
Niederländer heraushören. Das tiefinnige Gottsuchen der Pietisten klingt wieder<lb/>
in der Matthäuspassiou Johann Sebastian Bachs. Der Absolutismus findet seinen<lb/>
musikalischen Ausdruck in den Werken Glucks und Haydns; der erstere fühlte sich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0592] Mandlirungen in der Niedorlausitz des Merkur, die ein der Rampe des Schlosses aufgestellt sind. Venus ist dargestellt mit einem Gürtel um den nackten Leib, wie sie dem sich sträubenden Amor die Flügel verschneidet; das Gesicht der Göttin strahlt von einem schelmischen Lächeln, die Mienen Amors drücken die Angst vor der drohenden Strafe aus, aber beides geschieht so maßvoll, daß anch ein Lessing zufriedengestellt wäre, und die Haltung der Gestalten ist verhältnismäßig so ruhig lind schlicht, daß von theatralischer Pose keine Rede sein kann. Dnsselbe gilt von Merkur, dem Gotte der kaufmännischen Betriebsamkeit, der mit der rechten Hand auf das durch Hciuekens Verdienst auf¬ blühende Dorf hinweist. Rechts vom Schlosse gelangen wir durch verschrieene Liudenhcckeu zu einem großen Wasserbassin mit einem wnsserspeienden Wolf und einander gegenüber¬ stehenden auf Delphinen reitenden Putten. Weiterhin trifft man einen mit Wein¬ trauben bekränzten Dionysos, der eine Trinkmuschel in der Hand hält, und als Gegenstück dazu eine Hygien, die in der Rechten eine Schale, in der Linken einen Lorbeerkranz trägt; zu diesem ringelt sich um einen Baumstamm eine Schlange, das Symbol der Heilkraft des Wassers, empor. Nicht weit davon steht die Figur eines jungen Mädchens, das nach oben blickend und vorwärtsschreitend mit etwas ge¬ öffneten Munde ein Frühlingslied zu singen scheint. Die Stirn ist mit einer Binde umwunden, mit der Rechte» hält sie eine Blninenranke hoch empor, als wollte sie der Gottheit des Frühlings ein Opfer darbringen. Doch ihr gegenüber steht Amor, dessen Kocher am Boden liegt, anch fehlt die rechte Hand und der linke Arm. Beide Figuren sind Werke von großer Schlichtheit und Anmut und überdies sicher von Knöfflers eigner Hand, denn sie tragen in Kurrentbuchstabeu die Inschrift: Gottfried Knvffler Königl. Hof-Bildhauer 1755. Abgeschlossen wird diese Anlage durch eiuen Neptuusbrunnen. Das Wasser rinnt zu Füßen des Gottes, der mit dem Dreizack ans den Boden stoßt, in vier untereinander stehenden Schalen herab; zu beiden Seiten steht je eine etwas massige Kindergruppe. Man war seit du Quesuoh (1594 bis 1646) auf diese von „Milchfleisch" strotzenden Kindergestalten nicht wenig stolz; man meinte in diesem Punkte die Alten zu übertreffen, die „ihren Kindern zuviel ausgewachsene Form, zuviel angedeutete Knochen" gegeben hätten. Endlich steht vor dem Neptuusbruuneu links ein Apollo auf die Leier gestützt, nachdenklich auf das Schloß schauend, die linke Körperhälfte nachlässig mit dem Gewände umhüllt. Es kam mir vor, als ob sein Antlitz eine gewisse Ähnlichkeit mit Heineken selbst habe, und es ist durchaus nicht ausgeschlossen, daß der eitle Schloßherr, der sich mit Leier und Lorbeerkranz in der Kirche darstellen ließ, dem Bildhauer anch hier den Auftrag gegeben hatte, den Gott des Gesangs nach seinem Bilde zu gestalten. Die Dichtkunst war wohl die unter deu Musen, die ihn um wenigsten zierte. Auf der linken Seite des Schlosses liegt das gut erhnltne Natnrtheater: drei hohe Linden bilden den Hintergrund, verschrieene Hecken die Kulissen. Vor der Bühne steht links als Sinnbild der dramatischen Kunst ihr Urheber, ein mit Trauben und dem Pantherfell geschmückter Dionysos, rechts als Symbol der Schäferspiele die anmutige arkadische Nymphe Syrinx, die unter einem zurückgeschlngncn Mantel den Chiton trägt und auf einer Hirtenflöte bläst. Bei diesem Anblick denkt man sich die grünen Räume wieder von menschlichen Gestalten belebt, unwillkürlich glaubt man auch die sanften Klänge altertümlicher Musik wieder zu vernehmen, die hier vor mehr als einem Jahrhundert das leise Flüstern der Blätter übertönte. Jede Musik ist in gewissem Sinne der Ausdruck eines Zeitalters. Den großen Gedanken der Renaissance vom Rechte der freien Persönlichkeit oder ins Religiöse übersetzt: „Von der Freiheit eines Christenmenschen" kann man aus Luthers gewaltigen Choralmelodien und ans den Gebets- und Streitliederu des Freiheitskmnpfcs der Niederländer heraushören. Das tiefinnige Gottsuchen der Pietisten klingt wieder in der Matthäuspassiou Johann Sebastian Bachs. Der Absolutismus findet seinen musikalischen Ausdruck in den Werken Glucks und Haydns; der erstere fühlte sich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/592
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/592>, abgerufen am 24.08.2024.