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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Das rote Gespenst bei Licht

giltig abgegebnen Stimmen ohne weiteres den Nichtsozialdemokratcn zugezählt
werden? Selbstverständlich kommen bei den angegebnen Zahlen nur die der
Hauptwahlen, nicht die der Stichwahlen in Betracht. Bei der vorzüglichen
Organisation und Straffheit, mit der die Sozialdemokraten das Wahlgeschäft
betreiben, darf man ohne weiteres annehmen, das; ungiltige Stimmabgaben
bei ihnen nicht oder nur in verschwindend geringer Anzahl vorkommen.
Anders könnte die Sache bei den Wahlenthaltungen stehn. Wir haben im
Jahre 1898 3654380 Wahlenthaltungen bei 11441094 Wahlberechtigten;
im Jahre 1903, wo infolge der Zunahme der Berechtigten auch die Zahl der
Enthaltungen hätte größer sein müssen, beträgt sie im Gegenteil nur
2997454'bei 12531248 Berechtigten, also 656926 Wahlenthaltungen
weniger als 1898. Wohin sind diese 656926 Stimmen zu rechnen?

Die Sozialdemokratie hatte für 1903 die Parole ausgegeben, daß bei der
Hauptwahl die Sozialdemokraten in jedem Wahlkreise für einen eignen Kan¬
didaten votieren und sich erst bei der Stichwahl auf Wahlbündnisse einlassen
sollten. Im großen und ganzen ist das aber im Jahre 1893 auch schon der
Fall gewesen. Keine sozialdemokratischen Stimmen sind nur in folgenden

Wahlkreisen abgegeben worden:

1898 1903
Schwetz.........69
Fraustadt . .......-- 616
Sabrina........-- 38
Wreschen......... ^ --
Krotoschin........ 48
Adelnau......... 32
Wirsitz . . ... - - - - -- 36
Gnesen........ - -- 81,
Daun-Priun-Bitburg .... -
,Kud" Stichwahl d"un
Borken-Recklinghausen .... -- s?>^ ^ si>r Z-nur")
Widekind-Vernkastel.....-- 67
Geilenkirchen.......^ 58
Saarburg (Lothringen) .... -- --
Zabern......... 2944 --

Es waren mithin 1898 noch zwölf, diesesmal nur noch fünf Wahlkreise
ohne sozialdemokratische Beendigung. Der Stimmenzuwachs für die Sozial¬
demokratie beträgt aber durch diesen Zuwachs an Wahlkreisen nur etwa 7000.
Sieht man sich die Wahlkreise genauer an, so sind es mit Ausnahme des
einen Zentrumswahlkreiscs Denn-Prüm nur zwei polnische und zwei elsaß-
lothringische, in denen die Sozialdemokraten fehlen oder richtiger wohl in
Folge eines Wahlbündnisses schon bei der Hauptwahl anders gestimmt haben.
Wenigstens hatte Zabern noch 1898 2944 Sozialdemokraten, die in den fünf
Jahren wohl weder ausgestorben, noch ausgewandert, noch bekehrt sein dürften.
Borken-Recklinghausen hatte 1898 keine sozialdemokratische Stimme, diesmal
8897, die in der Stichwahl dann für das Zentrum abgegeben worden sind,
1898 aber schon in der Hauptwahl diesem zugefallen waren. Nach dieser
Rötung hin hat also die Wahlparole der Sozialdemokratie keine wesentliche
Änderung bewirkt. Wenn die Parteileitung, die doch jedenfalls wußte, daß
nur zwölf Wahlkreise - und welche - in Betracht kommen konnten, dennoch
UM P^vie so entschieden betont hat. so müssen andre Gründe dafür vor-


Das rote Gespenst bei Licht

giltig abgegebnen Stimmen ohne weiteres den Nichtsozialdemokratcn zugezählt
werden? Selbstverständlich kommen bei den angegebnen Zahlen nur die der
Hauptwahlen, nicht die der Stichwahlen in Betracht. Bei der vorzüglichen
Organisation und Straffheit, mit der die Sozialdemokraten das Wahlgeschäft
betreiben, darf man ohne weiteres annehmen, das; ungiltige Stimmabgaben
bei ihnen nicht oder nur in verschwindend geringer Anzahl vorkommen.
Anders könnte die Sache bei den Wahlenthaltungen stehn. Wir haben im
Jahre 1898 3654380 Wahlenthaltungen bei 11441094 Wahlberechtigten;
im Jahre 1903, wo infolge der Zunahme der Berechtigten auch die Zahl der
Enthaltungen hätte größer sein müssen, beträgt sie im Gegenteil nur
2997454'bei 12531248 Berechtigten, also 656926 Wahlenthaltungen
weniger als 1898. Wohin sind diese 656926 Stimmen zu rechnen?

Die Sozialdemokratie hatte für 1903 die Parole ausgegeben, daß bei der
Hauptwahl die Sozialdemokraten in jedem Wahlkreise für einen eignen Kan¬
didaten votieren und sich erst bei der Stichwahl auf Wahlbündnisse einlassen
sollten. Im großen und ganzen ist das aber im Jahre 1893 auch schon der
Fall gewesen. Keine sozialdemokratischen Stimmen sind nur in folgenden

Wahlkreisen abgegeben worden:

1898 1903
Schwetz.........69
Fraustadt . .......— 616
Sabrina........— 38
Wreschen......... ^ —
Krotoschin........ 48
Adelnau......... 32
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Daun-Priun-Bitburg .... -
,Kud« Stichwahl d»un
Borken-Recklinghausen .... — s?>^ ^ si>r Z-nur»)
Widekind-Vernkastel.....— 67
Geilenkirchen.......^ 58
Saarburg (Lothringen) .... — —
Zabern......... 2944 —

Es waren mithin 1898 noch zwölf, diesesmal nur noch fünf Wahlkreise
ohne sozialdemokratische Beendigung. Der Stimmenzuwachs für die Sozial¬
demokratie beträgt aber durch diesen Zuwachs an Wahlkreisen nur etwa 7000.
Sieht man sich die Wahlkreise genauer an, so sind es mit Ausnahme des
einen Zentrumswahlkreiscs Denn-Prüm nur zwei polnische und zwei elsaß-
lothringische, in denen die Sozialdemokraten fehlen oder richtiger wohl in
Folge eines Wahlbündnisses schon bei der Hauptwahl anders gestimmt haben.
Wenigstens hatte Zabern noch 1898 2944 Sozialdemokraten, die in den fünf
Jahren wohl weder ausgestorben, noch ausgewandert, noch bekehrt sein dürften.
Borken-Recklinghausen hatte 1898 keine sozialdemokratische Stimme, diesmal
8897, die in der Stichwahl dann für das Zentrum abgegeben worden sind,
1898 aber schon in der Hauptwahl diesem zugefallen waren. Nach dieser
Rötung hin hat also die Wahlparole der Sozialdemokratie keine wesentliche
Änderung bewirkt. Wenn die Parteileitung, die doch jedenfalls wußte, daß
nur zwölf Wahlkreise - und welche - in Betracht kommen konnten, dennoch
UM P^vie so entschieden betont hat. so müssen andre Gründe dafür vor-


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[0555] Das rote Gespenst bei Licht giltig abgegebnen Stimmen ohne weiteres den Nichtsozialdemokratcn zugezählt werden? Selbstverständlich kommen bei den angegebnen Zahlen nur die der Hauptwahlen, nicht die der Stichwahlen in Betracht. Bei der vorzüglichen Organisation und Straffheit, mit der die Sozialdemokraten das Wahlgeschäft betreiben, darf man ohne weiteres annehmen, das; ungiltige Stimmabgaben bei ihnen nicht oder nur in verschwindend geringer Anzahl vorkommen. Anders könnte die Sache bei den Wahlenthaltungen stehn. Wir haben im Jahre 1898 3654380 Wahlenthaltungen bei 11441094 Wahlberechtigten; im Jahre 1903, wo infolge der Zunahme der Berechtigten auch die Zahl der Enthaltungen hätte größer sein müssen, beträgt sie im Gegenteil nur 2997454'bei 12531248 Berechtigten, also 656926 Wahlenthaltungen weniger als 1898. Wohin sind diese 656926 Stimmen zu rechnen? Die Sozialdemokratie hatte für 1903 die Parole ausgegeben, daß bei der Hauptwahl die Sozialdemokraten in jedem Wahlkreise für einen eignen Kan¬ didaten votieren und sich erst bei der Stichwahl auf Wahlbündnisse einlassen sollten. Im großen und ganzen ist das aber im Jahre 1893 auch schon der Fall gewesen. Keine sozialdemokratischen Stimmen sind nur in folgenden Wahlkreisen abgegeben worden: 1898 1903 Schwetz.........69 Fraustadt . .......— 616 Sabrina........— 38 Wreschen......... ^ — Krotoschin........ 48 Adelnau......... 32 Wirsitz . . ... - - - - — 36 Gnesen........ - — 81, Daun-Priun-Bitburg .... - ,Kud« Stichwahl d»un Borken-Recklinghausen .... — s?>^ ^ si>r Z-nur») Widekind-Vernkastel.....— 67 Geilenkirchen.......^ 58 Saarburg (Lothringen) .... — — Zabern......... 2944 — Es waren mithin 1898 noch zwölf, diesesmal nur noch fünf Wahlkreise ohne sozialdemokratische Beendigung. Der Stimmenzuwachs für die Sozial¬ demokratie beträgt aber durch diesen Zuwachs an Wahlkreisen nur etwa 7000. Sieht man sich die Wahlkreise genauer an, so sind es mit Ausnahme des einen Zentrumswahlkreiscs Denn-Prüm nur zwei polnische und zwei elsaß- lothringische, in denen die Sozialdemokraten fehlen oder richtiger wohl in Folge eines Wahlbündnisses schon bei der Hauptwahl anders gestimmt haben. Wenigstens hatte Zabern noch 1898 2944 Sozialdemokraten, die in den fünf Jahren wohl weder ausgestorben, noch ausgewandert, noch bekehrt sein dürften. Borken-Recklinghausen hatte 1898 keine sozialdemokratische Stimme, diesmal 8897, die in der Stichwahl dann für das Zentrum abgegeben worden sind, 1898 aber schon in der Hauptwahl diesem zugefallen waren. Nach dieser Rötung hin hat also die Wahlparole der Sozialdemokratie keine wesentliche Änderung bewirkt. Wenn die Parteileitung, die doch jedenfalls wußte, daß nur zwölf Wahlkreise - und welche - in Betracht kommen konnten, dennoch UM P^vie so entschieden betont hat. so müssen andre Gründe dafür vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/555>, abgerufen am 22.07.2024.