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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Das rote Gespenst bei Licht

Sprache auf die Anordnung des Staatssekretärs Grafen von Posadowsty zurück,
der damit dem Reiche von neuem einen großen Dienst geleistet hat.

Wir können allen, die sich für Neichstagswnhlen interessieren, und
namentlich denen, die sich mit der Organisierung der Wahlkreise und der Vor¬
bereitung für kommende Neuwahlen zu befassen haben, das sorgfältige Stu¬
dium des Heftes*) uicht angelegentlich genug empfehlen; dies umso mehr, als
es vielleicht geraten sein mag, Vorbereitungen für Neuwahlen zeitig einzu¬
leiten, um sich von den Ereignissen nicht überraschen zu lassen. Auch hierbei
heißt es: bereit sein ist alles.

Man hat für den gewaltigen Aufschwung der sozialdemokratischen Stimmen
von 2107076 Stimmen im Jahre 1898 auf 3010771 im Jahre 1903 oder
von 27,2 Prozent der abgegebnen giltigen Stimmen auf 31,7 Prozent, von
56 Mandaten ans 81, die verschiedensten Gründe angegeben. Ausdruck der
allgemeinen Unzufriedenheit aller Klassen der Bevölkerung, infolge dessen er¬
höhte Zahl von Mitläufern -- erschien beim ersten Schreck als die nächste
und plausibelste Ursache. Als dann die Wahlzahlen bekannt wurden, sah man,
daß die Wahlfaulheit auf der eiuen, der törichte Bürgerkrieg der nicht sozial¬
demokratischen Parteien auf der andern Seite an dem Ergebnis einen großen
Anteil hatten, einen größern als der natürliche Zuwachs, den die Sozialdemo¬
kratie durch das Anwachsen der Bevölkerungszahl erführe. Die Bevölkerung
des Reichs ist von 52279901 Köpfen im Jahre 1898 gewachsen auf
56 367 178 im Jahre 1903, eine Zunahme von 4087277. Die Anzahl der
Wahlberechtigten, die arbeitende schaffende Kraft des 56-Millionenreichs
im Lebensalter von 25 Jahren an, der eigentliche Kern der Nation, ist auf
dem Wege der Bevölkerungsvermehrung von 11441094 auf 12531248 ge¬
stiegen, um 1090154 Köpfe. Zieht man nun in Betracht, daß die Sozial-
demokraten einen Stimmenzuwachs von 903 695 zu verzeichnen haben, so ge¬
winnt man zunächst allerdings den Eindruck, als ob vier Fünftel des gesamten
natürlichen Wählcrzuwachses aus Sozialdemokraten bestünden,während
für alle andern Parteien nur ein Fünftel mit 186459 Köpfen übrig bliebe.

Dieses Ergebnis wird scheinbar auch durch Gegenüberstellung der Haupt-

en bestätigt.

18981903
Giltig abgegebne Stimmen , . .7 7526939495587
davon sozialdemokratische....21070763010771
bleiben Nichtsozialdemokraten . .5 6456176484816
hierzu Wahlenthaltungen ....36543802997454
und ungiltige Stimmen ....3402138207
zusammen93340139520477

Zieht man von den 9520477 Nichtsozialdemokraten des Jahres 1903 die
9 334013 Nichtsozialdemokraten des Jahres 1898 ab, so bleiben als Zuwachs
der ersten 186459, genau dieselbe Zahl wie uach der Berechnung des natür-
lichen Bevölkerungszuwachses.

Es entsteht uun die Frage: Dürfen alle Wahlcnthaltungeu und alle um-



") Das Heft gibt zwei Übersichten: 1. Die Reichstagswahlen von 1898 und 1903 in den
einzelnen Wahlkreisen: 2. Die ersten ordentlichen Reichstagswahlen von 1898 und 1903 nach
Staaten und Landesteilen.
Das rote Gespenst bei Licht

Sprache auf die Anordnung des Staatssekretärs Grafen von Posadowsty zurück,
der damit dem Reiche von neuem einen großen Dienst geleistet hat.

Wir können allen, die sich für Neichstagswnhlen interessieren, und
namentlich denen, die sich mit der Organisierung der Wahlkreise und der Vor¬
bereitung für kommende Neuwahlen zu befassen haben, das sorgfältige Stu¬
dium des Heftes*) uicht angelegentlich genug empfehlen; dies umso mehr, als
es vielleicht geraten sein mag, Vorbereitungen für Neuwahlen zeitig einzu¬
leiten, um sich von den Ereignissen nicht überraschen zu lassen. Auch hierbei
heißt es: bereit sein ist alles.

Man hat für den gewaltigen Aufschwung der sozialdemokratischen Stimmen
von 2107076 Stimmen im Jahre 1898 auf 3010771 im Jahre 1903 oder
von 27,2 Prozent der abgegebnen giltigen Stimmen auf 31,7 Prozent, von
56 Mandaten ans 81, die verschiedensten Gründe angegeben. Ausdruck der
allgemeinen Unzufriedenheit aller Klassen der Bevölkerung, infolge dessen er¬
höhte Zahl von Mitläufern — erschien beim ersten Schreck als die nächste
und plausibelste Ursache. Als dann die Wahlzahlen bekannt wurden, sah man,
daß die Wahlfaulheit auf der eiuen, der törichte Bürgerkrieg der nicht sozial¬
demokratischen Parteien auf der andern Seite an dem Ergebnis einen großen
Anteil hatten, einen größern als der natürliche Zuwachs, den die Sozialdemo¬
kratie durch das Anwachsen der Bevölkerungszahl erführe. Die Bevölkerung
des Reichs ist von 52279901 Köpfen im Jahre 1898 gewachsen auf
56 367 178 im Jahre 1903, eine Zunahme von 4087277. Die Anzahl der
Wahlberechtigten, die arbeitende schaffende Kraft des 56-Millionenreichs
im Lebensalter von 25 Jahren an, der eigentliche Kern der Nation, ist auf
dem Wege der Bevölkerungsvermehrung von 11441094 auf 12531248 ge¬
stiegen, um 1090154 Köpfe. Zieht man nun in Betracht, daß die Sozial-
demokraten einen Stimmenzuwachs von 903 695 zu verzeichnen haben, so ge¬
winnt man zunächst allerdings den Eindruck, als ob vier Fünftel des gesamten
natürlichen Wählcrzuwachses aus Sozialdemokraten bestünden,während
für alle andern Parteien nur ein Fünftel mit 186459 Köpfen übrig bliebe.

Dieses Ergebnis wird scheinbar auch durch Gegenüberstellung der Haupt-

en bestätigt.

18981903
Giltig abgegebne Stimmen , . .7 7526939495587
davon sozialdemokratische....21070763010771
bleiben Nichtsozialdemokraten . .5 6456176484816
hierzu Wahlenthaltungen ....36543802997454
und ungiltige Stimmen ....3402138207
zusammen93340139520477

Zieht man von den 9520477 Nichtsozialdemokraten des Jahres 1903 die
9 334013 Nichtsozialdemokraten des Jahres 1898 ab, so bleiben als Zuwachs
der ersten 186459, genau dieselbe Zahl wie uach der Berechnung des natür-
lichen Bevölkerungszuwachses.

Es entsteht uun die Frage: Dürfen alle Wahlcnthaltungeu und alle um-



") Das Heft gibt zwei Übersichten: 1. Die Reichstagswahlen von 1898 und 1903 in den
einzelnen Wahlkreisen: 2. Die ersten ordentlichen Reichstagswahlen von 1898 und 1903 nach
Staaten und Landesteilen.
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[0554] Das rote Gespenst bei Licht Sprache auf die Anordnung des Staatssekretärs Grafen von Posadowsty zurück, der damit dem Reiche von neuem einen großen Dienst geleistet hat. Wir können allen, die sich für Neichstagswnhlen interessieren, und namentlich denen, die sich mit der Organisierung der Wahlkreise und der Vor¬ bereitung für kommende Neuwahlen zu befassen haben, das sorgfältige Stu¬ dium des Heftes*) uicht angelegentlich genug empfehlen; dies umso mehr, als es vielleicht geraten sein mag, Vorbereitungen für Neuwahlen zeitig einzu¬ leiten, um sich von den Ereignissen nicht überraschen zu lassen. Auch hierbei heißt es: bereit sein ist alles. Man hat für den gewaltigen Aufschwung der sozialdemokratischen Stimmen von 2107076 Stimmen im Jahre 1898 auf 3010771 im Jahre 1903 oder von 27,2 Prozent der abgegebnen giltigen Stimmen auf 31,7 Prozent, von 56 Mandaten ans 81, die verschiedensten Gründe angegeben. Ausdruck der allgemeinen Unzufriedenheit aller Klassen der Bevölkerung, infolge dessen er¬ höhte Zahl von Mitläufern — erschien beim ersten Schreck als die nächste und plausibelste Ursache. Als dann die Wahlzahlen bekannt wurden, sah man, daß die Wahlfaulheit auf der eiuen, der törichte Bürgerkrieg der nicht sozial¬ demokratischen Parteien auf der andern Seite an dem Ergebnis einen großen Anteil hatten, einen größern als der natürliche Zuwachs, den die Sozialdemo¬ kratie durch das Anwachsen der Bevölkerungszahl erführe. Die Bevölkerung des Reichs ist von 52279901 Köpfen im Jahre 1898 gewachsen auf 56 367 178 im Jahre 1903, eine Zunahme von 4087277. Die Anzahl der Wahlberechtigten, die arbeitende schaffende Kraft des 56-Millionenreichs im Lebensalter von 25 Jahren an, der eigentliche Kern der Nation, ist auf dem Wege der Bevölkerungsvermehrung von 11441094 auf 12531248 ge¬ stiegen, um 1090154 Köpfe. Zieht man nun in Betracht, daß die Sozial- demokraten einen Stimmenzuwachs von 903 695 zu verzeichnen haben, so ge¬ winnt man zunächst allerdings den Eindruck, als ob vier Fünftel des gesamten natürlichen Wählcrzuwachses aus Sozialdemokraten bestünden,während für alle andern Parteien nur ein Fünftel mit 186459 Köpfen übrig bliebe. Dieses Ergebnis wird scheinbar auch durch Gegenüberstellung der Haupt- en bestätigt. 18981903 Giltig abgegebne Stimmen , . .7 7526939495587 davon sozialdemokratische....21070763010771 bleiben Nichtsozialdemokraten . .5 6456176484816 hierzu Wahlenthaltungen ....36543802997454 und ungiltige Stimmen ....3402138207 zusammen93340139520477 Zieht man von den 9520477 Nichtsozialdemokraten des Jahres 1903 die 9 334013 Nichtsozialdemokraten des Jahres 1898 ab, so bleiben als Zuwachs der ersten 186459, genau dieselbe Zahl wie uach der Berechnung des natür- lichen Bevölkerungszuwachses. Es entsteht uun die Frage: Dürfen alle Wahlcnthaltungeu und alle um- ") Das Heft gibt zwei Übersichten: 1. Die Reichstagswahlen von 1898 und 1903 in den einzelnen Wahlkreisen: 2. Die ersten ordentlichen Reichstagswahlen von 1898 und 1903 nach Staaten und Landesteilen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/554>, abgerufen am 03.07.2024.