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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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In Leipzig scheint man nicht dieser Ansicht zu sein: einige Winke, die Schiller
selbst gegeben hat, vermögen die hiesige Regie zur notdürftigsten Wahrung der der
Herzogin schuldigen Rücksichten ebensowenig zu bestimmen wie das, was wir aus
Schillers Dreißigjährigen Krieg und weit ausführlicher noch durch die Memoiren-
literatnr jener Zeit über Wallensteins königliche, ja mehr als königliche Hofhaltung
und deren Etikette erfahren. So würde es den Rücksichten entsprechen, die man
der Herzogin schuldig ist, wenn die Generale, die in deren Anwesenheit zu Wallen¬
stein ins Zimmer treten, sich nicht wie Kommißknöpfe, sondern wie das benehmen
wollten, was sie in der Tat vorstellen, den ersten Familien des Landes angehörende,
höfischer Sitte keineswegs unkundige, mit der Wallensteinschen Familie in geselligem
Verkehre stehende Kavaliere. Wenn ein Soldat eine dienstliche Meldung zu machen
hat, bleibt er allerdings bedeckt, aber den Hut aufzubehalten, wenn der Genera-
lissimus unbedeckten Hauptes vor ihnen steht, geschweige denn wenn noch obendrein
dessen Gattin im Zimmer ist, würde schon keinem Subalternoffizier, um aller¬
wenigsten aber einem General eingefallen sein. In Leipzig behalten sie keck auch
in solchen Fällen den Hut ans, und einer der Herren geht in der Gemütlichkeit
sogar so weit, daß er es sich, während die Herzogin im Zimmer ist und mit den
Ihrigen spricht, auf einem Sessel behaglich macht. So ganz nebensächlich sind
solche Dinge nicht, weil sie Einen unwillkürlich auf den Gedanken bringen, die
Herren von Wallensteins Umgebung seien nicht gewohnt gewesen, der Herzogin die
Ehrerbietung zu erweisen, die sie einer Dame und obendrein der Gattin ihres ans
seinen Rang als Reichsfürst so eifersüchtigen Führers schuldig waren. Müller¬
burschen, die zum Müller in die Stube kommen, um etwas Geschäftliches mit ihm
zu bereden, nehmen die Mütze ab, wenn die Müllerin in der Stube ist, während
sie in Fallen, wo sie den Müller allein treffen, kühl den Deckel aufbehalten. Daß
die Leipziger Regie es mit dergleichen auch sonst nicht genau nimmt, sieht man im
Don Karlos. Denn der Marquis Posa begegnet dem Thronerben im Kartäuser¬
kloster bedeckten Hauptes, während dieser barhäuptig vor ihm steht, was schon
eine ganz nette Leistung des sonderbaren Schwärmers, aber noch bei weitem nicht
sein schlimmstes Stückchen ist: dem Zuschauer wird vielmehr noch eine ganz andre
Überraschung zuteil. Wie der Marquis nämlich im neunten Auftritte des dritten
Akts von dem Herzog von Alba im Kabinett des Königs -- im Kabinett des
Königs von Spanien -- im Kabinett Philipps des Zweiten -- allein gelassen
wird, um da dessen Ankunft zu erwarten, legt er -- es wird es niemand glauben
wollen -- seine Kopfbedeckung auf einen Stuhl, als ob er beim Zahnarzt wartete,
bis er an die Reihe kommt, und -- das wird erst recht niemand glauben wollen --
läßt sie da auch bis zum Schluß des Altes ruhig liegen, um während der Unter¬
redung mit dem König beide Hände frei zu haben. Ich hatte es auf der Zunge,
ihm zuzurufen: Posa, Ihr Hut! aber ich enthielt mich dessen aus Ehrerbietung
vor dem eintretenden Monarchen, und der muß die unerhörte Formlosigkeit des
Maltesers nicht bemerkt haben, da er sonst nicht am Schlüsse der Audienz gesagt

haben, würde:
^

^ ^
Der Ritter
Wird künftig ungemeldet vorgelassen.

Der gute Schiller! Manchmal mutet er einem doch ein bißchen viel zu!

Wer sich mit der Erwähnung solcher Nebensachen zu schaffen macht, wird als
Kleinigkeitskrämer verschrien, und daran ist wenigstens soviel wahr, daß das Urteil
dessen, der das Große über dem Kleinen vernachlässigt, wirklich das eines Kleinig¬
keitskrämers ist. Aber kann die Regte eines Theaters, ohne der Treue des ge¬
schichtlichen Bildes zu sehnten, in Nebensachen gleichgiltig und nachlässig sein?
Schwerlich. Bei dem Bilde, das uns auf der Bühne vorgeführt wird, kommt es
auf jeden einzelnen Zug, auf das Nebensächlichste wie auf das Bedeutendste an.
Im geschichtlichen Drama sollen uns die Lebensgewohnheiten der Zeit veranschaulicht
werdeu, und für diesen Zweck ist keine Nebensache ohne Bedeutung. Daß es auf
manchen Bühnen in solchen Dingen drüber und drunter geht, daran ist nur die


In Leipzig scheint man nicht dieser Ansicht zu sein: einige Winke, die Schiller
selbst gegeben hat, vermögen die hiesige Regie zur notdürftigsten Wahrung der der
Herzogin schuldigen Rücksichten ebensowenig zu bestimmen wie das, was wir aus
Schillers Dreißigjährigen Krieg und weit ausführlicher noch durch die Memoiren-
literatnr jener Zeit über Wallensteins königliche, ja mehr als königliche Hofhaltung
und deren Etikette erfahren. So würde es den Rücksichten entsprechen, die man
der Herzogin schuldig ist, wenn die Generale, die in deren Anwesenheit zu Wallen¬
stein ins Zimmer treten, sich nicht wie Kommißknöpfe, sondern wie das benehmen
wollten, was sie in der Tat vorstellen, den ersten Familien des Landes angehörende,
höfischer Sitte keineswegs unkundige, mit der Wallensteinschen Familie in geselligem
Verkehre stehende Kavaliere. Wenn ein Soldat eine dienstliche Meldung zu machen
hat, bleibt er allerdings bedeckt, aber den Hut aufzubehalten, wenn der Genera-
lissimus unbedeckten Hauptes vor ihnen steht, geschweige denn wenn noch obendrein
dessen Gattin im Zimmer ist, würde schon keinem Subalternoffizier, um aller¬
wenigsten aber einem General eingefallen sein. In Leipzig behalten sie keck auch
in solchen Fällen den Hut ans, und einer der Herren geht in der Gemütlichkeit
sogar so weit, daß er es sich, während die Herzogin im Zimmer ist und mit den
Ihrigen spricht, auf einem Sessel behaglich macht. So ganz nebensächlich sind
solche Dinge nicht, weil sie Einen unwillkürlich auf den Gedanken bringen, die
Herren von Wallensteins Umgebung seien nicht gewohnt gewesen, der Herzogin die
Ehrerbietung zu erweisen, die sie einer Dame und obendrein der Gattin ihres ans
seinen Rang als Reichsfürst so eifersüchtigen Führers schuldig waren. Müller¬
burschen, die zum Müller in die Stube kommen, um etwas Geschäftliches mit ihm
zu bereden, nehmen die Mütze ab, wenn die Müllerin in der Stube ist, während
sie in Fallen, wo sie den Müller allein treffen, kühl den Deckel aufbehalten. Daß
die Leipziger Regie es mit dergleichen auch sonst nicht genau nimmt, sieht man im
Don Karlos. Denn der Marquis Posa begegnet dem Thronerben im Kartäuser¬
kloster bedeckten Hauptes, während dieser barhäuptig vor ihm steht, was schon
eine ganz nette Leistung des sonderbaren Schwärmers, aber noch bei weitem nicht
sein schlimmstes Stückchen ist: dem Zuschauer wird vielmehr noch eine ganz andre
Überraschung zuteil. Wie der Marquis nämlich im neunten Auftritte des dritten
Akts von dem Herzog von Alba im Kabinett des Königs — im Kabinett des
Königs von Spanien — im Kabinett Philipps des Zweiten — allein gelassen
wird, um da dessen Ankunft zu erwarten, legt er — es wird es niemand glauben
wollen — seine Kopfbedeckung auf einen Stuhl, als ob er beim Zahnarzt wartete,
bis er an die Reihe kommt, und — das wird erst recht niemand glauben wollen —
läßt sie da auch bis zum Schluß des Altes ruhig liegen, um während der Unter¬
redung mit dem König beide Hände frei zu haben. Ich hatte es auf der Zunge,
ihm zuzurufen: Posa, Ihr Hut! aber ich enthielt mich dessen aus Ehrerbietung
vor dem eintretenden Monarchen, und der muß die unerhörte Formlosigkeit des
Maltesers nicht bemerkt haben, da er sonst nicht am Schlüsse der Audienz gesagt

haben, würde:
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^ ^
Der Ritter
Wird künftig ungemeldet vorgelassen.

Der gute Schiller! Manchmal mutet er einem doch ein bißchen viel zu!

Wer sich mit der Erwähnung solcher Nebensachen zu schaffen macht, wird als
Kleinigkeitskrämer verschrien, und daran ist wenigstens soviel wahr, daß das Urteil
dessen, der das Große über dem Kleinen vernachlässigt, wirklich das eines Kleinig¬
keitskrämers ist. Aber kann die Regte eines Theaters, ohne der Treue des ge¬
schichtlichen Bildes zu sehnten, in Nebensachen gleichgiltig und nachlässig sein?
Schwerlich. Bei dem Bilde, das uns auf der Bühne vorgeführt wird, kommt es
auf jeden einzelnen Zug, auf das Nebensächlichste wie auf das Bedeutendste an.
Im geschichtlichen Drama sollen uns die Lebensgewohnheiten der Zeit veranschaulicht
werdeu, und für diesen Zweck ist keine Nebensache ohne Bedeutung. Daß es auf
manchen Bühnen in solchen Dingen drüber und drunter geht, daran ist nur die


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[0055] In Leipzig scheint man nicht dieser Ansicht zu sein: einige Winke, die Schiller selbst gegeben hat, vermögen die hiesige Regie zur notdürftigsten Wahrung der der Herzogin schuldigen Rücksichten ebensowenig zu bestimmen wie das, was wir aus Schillers Dreißigjährigen Krieg und weit ausführlicher noch durch die Memoiren- literatnr jener Zeit über Wallensteins königliche, ja mehr als königliche Hofhaltung und deren Etikette erfahren. So würde es den Rücksichten entsprechen, die man der Herzogin schuldig ist, wenn die Generale, die in deren Anwesenheit zu Wallen¬ stein ins Zimmer treten, sich nicht wie Kommißknöpfe, sondern wie das benehmen wollten, was sie in der Tat vorstellen, den ersten Familien des Landes angehörende, höfischer Sitte keineswegs unkundige, mit der Wallensteinschen Familie in geselligem Verkehre stehende Kavaliere. Wenn ein Soldat eine dienstliche Meldung zu machen hat, bleibt er allerdings bedeckt, aber den Hut aufzubehalten, wenn der Genera- lissimus unbedeckten Hauptes vor ihnen steht, geschweige denn wenn noch obendrein dessen Gattin im Zimmer ist, würde schon keinem Subalternoffizier, um aller¬ wenigsten aber einem General eingefallen sein. In Leipzig behalten sie keck auch in solchen Fällen den Hut ans, und einer der Herren geht in der Gemütlichkeit sogar so weit, daß er es sich, während die Herzogin im Zimmer ist und mit den Ihrigen spricht, auf einem Sessel behaglich macht. So ganz nebensächlich sind solche Dinge nicht, weil sie Einen unwillkürlich auf den Gedanken bringen, die Herren von Wallensteins Umgebung seien nicht gewohnt gewesen, der Herzogin die Ehrerbietung zu erweisen, die sie einer Dame und obendrein der Gattin ihres ans seinen Rang als Reichsfürst so eifersüchtigen Führers schuldig waren. Müller¬ burschen, die zum Müller in die Stube kommen, um etwas Geschäftliches mit ihm zu bereden, nehmen die Mütze ab, wenn die Müllerin in der Stube ist, während sie in Fallen, wo sie den Müller allein treffen, kühl den Deckel aufbehalten. Daß die Leipziger Regie es mit dergleichen auch sonst nicht genau nimmt, sieht man im Don Karlos. Denn der Marquis Posa begegnet dem Thronerben im Kartäuser¬ kloster bedeckten Hauptes, während dieser barhäuptig vor ihm steht, was schon eine ganz nette Leistung des sonderbaren Schwärmers, aber noch bei weitem nicht sein schlimmstes Stückchen ist: dem Zuschauer wird vielmehr noch eine ganz andre Überraschung zuteil. Wie der Marquis nämlich im neunten Auftritte des dritten Akts von dem Herzog von Alba im Kabinett des Königs — im Kabinett des Königs von Spanien — im Kabinett Philipps des Zweiten — allein gelassen wird, um da dessen Ankunft zu erwarten, legt er — es wird es niemand glauben wollen — seine Kopfbedeckung auf einen Stuhl, als ob er beim Zahnarzt wartete, bis er an die Reihe kommt, und — das wird erst recht niemand glauben wollen — läßt sie da auch bis zum Schluß des Altes ruhig liegen, um während der Unter¬ redung mit dem König beide Hände frei zu haben. Ich hatte es auf der Zunge, ihm zuzurufen: Posa, Ihr Hut! aber ich enthielt mich dessen aus Ehrerbietung vor dem eintretenden Monarchen, und der muß die unerhörte Formlosigkeit des Maltesers nicht bemerkt haben, da er sonst nicht am Schlüsse der Audienz gesagt haben, würde: ^ ^ ^ Der Ritter Wird künftig ungemeldet vorgelassen. Der gute Schiller! Manchmal mutet er einem doch ein bißchen viel zu! Wer sich mit der Erwähnung solcher Nebensachen zu schaffen macht, wird als Kleinigkeitskrämer verschrien, und daran ist wenigstens soviel wahr, daß das Urteil dessen, der das Große über dem Kleinen vernachlässigt, wirklich das eines Kleinig¬ keitskrämers ist. Aber kann die Regte eines Theaters, ohne der Treue des ge¬ schichtlichen Bildes zu sehnten, in Nebensachen gleichgiltig und nachlässig sein? Schwerlich. Bei dem Bilde, das uns auf der Bühne vorgeführt wird, kommt es auf jeden einzelnen Zug, auf das Nebensächlichste wie auf das Bedeutendste an. Im geschichtlichen Drama sollen uns die Lebensgewohnheiten der Zeit veranschaulicht werdeu, und für diesen Zweck ist keine Nebensache ohne Bedeutung. Daß es auf manchen Bühnen in solchen Dingen drüber und drunter geht, daran ist nur die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/55>, abgerufen am 22.07.2024.