Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Leipziger Dramaturgie

denn das Verdienst der Auffassung und der Wiedergabe liegt lediglich in der Psycho¬
logischen Vertiefung des Gebotnen und in den besondern drastischen Zügen, womit
die Persönlichkeit des Künstlers es ihm erlaubt, das von ihm entworfne Bild im
Verlaufe der Handlung auszustatten.

H Die Leipziger Herzogin von Friedland hatte mir bei einer frühern Vorstellung
der Piccolomini, bei der ich sehr weit von der Bühne saß und auch kein Opern¬
glas zur Hand hatte, den Eindruck eiues angepichteu Kindes gemacht, ich habe aber
seitdem meinen Irrtum eingesehen und bin mir über dessen Veranlassung klar ge¬
worden. Die Darstellerin -- es ist dieselbe, deren malerisch über Höhen und Tiefen
ausgebreitete Schleppe wir im zweiten Akte der Maria Stuart zu bewundern Ge¬
legenheit gehabt hatten -- gefällt sich, oder ihr Schneider gefällt sich in einer so
verschwenderischen Verwendung der Kostümstoffe, daß nur Riesinnen, wie sie uns
in besondern Schaubuden gezeigt werden, solchen in allzu üppiger Fülle prangenden
Gewandungen gewachsen sein dürften. Wenn unter den Schnecken der Hausverkauf
Sitte wäre, was ja freilich nicht der Fall ist, so würde eine vermögliche kleine
Schnecke, die einer größern ihr Haus abgekauft hätte, damit in ähnlicher Weise
einherziehn, wie es die Darstellerin der Königin Elisabeth und der Herzogin von
Friedland mit ihren mittelalterlichen Staatsgcwändern tut. Von königlichen Knaben,
die zur Krönung oder Salbung mit den von ihren Ahnen stammenden Jnsignien
und Gewändern bekleidet werden sollten, lesen wir, daß man gezwungen gewesen
sei, die Krone und das Festkleid stark zu wattieren, damit der unglückliche Junge
nicht in der ihn bedeckenden Pracht verloren ging. So erzählt ja auch Goethe von
Josephs des Zweiten Krönung zum römischen König, daß er sich in den ungeheuern
Gewandstückcii mit den Kleinodien Karls des Großen wie in einer Verkleidung
einhergeschleppt habe, ja die Krone, die man sehr habe füttern müssen, habe ihm
wie ein übergreifendes Dach vom Kopf abgestanden.

An eine solche für einen Hüner gefertigte Pracht auf dem Leibe eines spärlich
entwickelten Enkelkindes erinnern einen die gewaltigen Mieder, die dornenartigen
Puffärmel, die mehr in das Gebiet der Fortifikation als des Kostüms einschlagenden
Plusterkragen der Königin-Herzogin. Einem tatkräftigen und anschlägiger Tape¬
zier, der unter den Zuschauern säße, müßte der verschwendete Stoff wahre Tantalus¬
qualen verursachen, denn was für eine Lust müßte es sein, wenn man den über¬
schüssigen roten Plüsch und hellblauen Damast zu Überzügen für einige Sofas und
Lehnstühle verwenden könnte.

Die Herzogin von Friedland ist namentlich dein heutigen Publikum gegenüber
keine dankbare Rolle. Sie ist der verkörperte status quo, und da sie für das ans
dem Turmseile Tanzen ihres Gatten nicht eingenommen ist und schwache Nerven
hat, so muß sie geschont werden. Sobald sie die Wahrheit erfährt, daß der
Herzog die Armee zu den Schweden hat überführen wollen, und daß dies mi߬
lungen ist, fällt sie in Ohnmacht. Noch unbequemer wird sie ihrem Mann und
den Terzkys durch ihre anspruchslose Schlichtheit, ihr strenges Rechtsgefühl und
ihre loyale, kaisertreue Gesinnung. Sie ist von den Vieren die einzige, die
keinen doppelten Boden hat und keine krummen Wege geht. Warum sollte sie
auch! Übergreifender Ehrgeiz ist ihr fremd, nud wenn sich Albrecht uns seine
Güter zurückziehen und da in ehrenvoller Ruhe sein so bewegtes Leben beschließen
wollte, wäre sie glücklich. Unbedeutend ist sie deshalb keineswegs! das beweisen
unter anderm ihre treffenden Bemerkungen über den Empfang, der ihr und der
Prinzessin am kaiserlichen Hof in Wien zuteil geworden ist; sie ist eine ver¬
ständige, bescheidne, wahrhaft vornehme Frau, die uicht höher hinaus will, als es
die Verhältnisse mit sich bringen, und deren stilles, sich auf die Sorge um den
Gatten und die Tochter beschränkendes Walten in dem sie umgebenden Getümmel
von Ehrgeiz und Leidenschaft besonders wohltut. Namentlich von ihrer Schwester,
die eine gewissenlose Intrigantin ist, sticht sie vorteilhaft ab, und es empfiehlt sich,
für die Regie, alles zu tun, was geschehen kann, ihre leicht etwas verblassende und
zurücktretende Rolle soviel als möglich in den Vordergrund zu stellen.


Leipziger Dramaturgie

denn das Verdienst der Auffassung und der Wiedergabe liegt lediglich in der Psycho¬
logischen Vertiefung des Gebotnen und in den besondern drastischen Zügen, womit
die Persönlichkeit des Künstlers es ihm erlaubt, das von ihm entworfne Bild im
Verlaufe der Handlung auszustatten.

H Die Leipziger Herzogin von Friedland hatte mir bei einer frühern Vorstellung
der Piccolomini, bei der ich sehr weit von der Bühne saß und auch kein Opern¬
glas zur Hand hatte, den Eindruck eiues angepichteu Kindes gemacht, ich habe aber
seitdem meinen Irrtum eingesehen und bin mir über dessen Veranlassung klar ge¬
worden. Die Darstellerin — es ist dieselbe, deren malerisch über Höhen und Tiefen
ausgebreitete Schleppe wir im zweiten Akte der Maria Stuart zu bewundern Ge¬
legenheit gehabt hatten — gefällt sich, oder ihr Schneider gefällt sich in einer so
verschwenderischen Verwendung der Kostümstoffe, daß nur Riesinnen, wie sie uns
in besondern Schaubuden gezeigt werden, solchen in allzu üppiger Fülle prangenden
Gewandungen gewachsen sein dürften. Wenn unter den Schnecken der Hausverkauf
Sitte wäre, was ja freilich nicht der Fall ist, so würde eine vermögliche kleine
Schnecke, die einer größern ihr Haus abgekauft hätte, damit in ähnlicher Weise
einherziehn, wie es die Darstellerin der Königin Elisabeth und der Herzogin von
Friedland mit ihren mittelalterlichen Staatsgcwändern tut. Von königlichen Knaben,
die zur Krönung oder Salbung mit den von ihren Ahnen stammenden Jnsignien
und Gewändern bekleidet werden sollten, lesen wir, daß man gezwungen gewesen
sei, die Krone und das Festkleid stark zu wattieren, damit der unglückliche Junge
nicht in der ihn bedeckenden Pracht verloren ging. So erzählt ja auch Goethe von
Josephs des Zweiten Krönung zum römischen König, daß er sich in den ungeheuern
Gewandstückcii mit den Kleinodien Karls des Großen wie in einer Verkleidung
einhergeschleppt habe, ja die Krone, die man sehr habe füttern müssen, habe ihm
wie ein übergreifendes Dach vom Kopf abgestanden.

An eine solche für einen Hüner gefertigte Pracht auf dem Leibe eines spärlich
entwickelten Enkelkindes erinnern einen die gewaltigen Mieder, die dornenartigen
Puffärmel, die mehr in das Gebiet der Fortifikation als des Kostüms einschlagenden
Plusterkragen der Königin-Herzogin. Einem tatkräftigen und anschlägiger Tape¬
zier, der unter den Zuschauern säße, müßte der verschwendete Stoff wahre Tantalus¬
qualen verursachen, denn was für eine Lust müßte es sein, wenn man den über¬
schüssigen roten Plüsch und hellblauen Damast zu Überzügen für einige Sofas und
Lehnstühle verwenden könnte.

Die Herzogin von Friedland ist namentlich dein heutigen Publikum gegenüber
keine dankbare Rolle. Sie ist der verkörperte status quo, und da sie für das ans
dem Turmseile Tanzen ihres Gatten nicht eingenommen ist und schwache Nerven
hat, so muß sie geschont werden. Sobald sie die Wahrheit erfährt, daß der
Herzog die Armee zu den Schweden hat überführen wollen, und daß dies mi߬
lungen ist, fällt sie in Ohnmacht. Noch unbequemer wird sie ihrem Mann und
den Terzkys durch ihre anspruchslose Schlichtheit, ihr strenges Rechtsgefühl und
ihre loyale, kaisertreue Gesinnung. Sie ist von den Vieren die einzige, die
keinen doppelten Boden hat und keine krummen Wege geht. Warum sollte sie
auch! Übergreifender Ehrgeiz ist ihr fremd, nud wenn sich Albrecht uns seine
Güter zurückziehen und da in ehrenvoller Ruhe sein so bewegtes Leben beschließen
wollte, wäre sie glücklich. Unbedeutend ist sie deshalb keineswegs! das beweisen
unter anderm ihre treffenden Bemerkungen über den Empfang, der ihr und der
Prinzessin am kaiserlichen Hof in Wien zuteil geworden ist; sie ist eine ver¬
ständige, bescheidne, wahrhaft vornehme Frau, die uicht höher hinaus will, als es
die Verhältnisse mit sich bringen, und deren stilles, sich auf die Sorge um den
Gatten und die Tochter beschränkendes Walten in dem sie umgebenden Getümmel
von Ehrgeiz und Leidenschaft besonders wohltut. Namentlich von ihrer Schwester,
die eine gewissenlose Intrigantin ist, sticht sie vorteilhaft ab, und es empfiehlt sich,
für die Regie, alles zu tun, was geschehen kann, ihre leicht etwas verblassende und
zurücktretende Rolle soviel als möglich in den Vordergrund zu stellen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0054" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/242122"/>
          <fw type="header" place="top"> Leipziger Dramaturgie</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_144" prev="#ID_143"> denn das Verdienst der Auffassung und der Wiedergabe liegt lediglich in der Psycho¬<lb/>
logischen Vertiefung des Gebotnen und in den besondern drastischen Zügen, womit<lb/>
die Persönlichkeit des Künstlers es ihm erlaubt, das von ihm entworfne Bild im<lb/>
Verlaufe der Handlung auszustatten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_145"> H Die Leipziger Herzogin von Friedland hatte mir bei einer frühern Vorstellung<lb/>
der Piccolomini, bei der ich sehr weit von der Bühne saß und auch kein Opern¬<lb/>
glas zur Hand hatte, den Eindruck eiues angepichteu Kindes gemacht, ich habe aber<lb/>
seitdem meinen Irrtum eingesehen und bin mir über dessen Veranlassung klar ge¬<lb/>
worden. Die Darstellerin &#x2014; es ist dieselbe, deren malerisch über Höhen und Tiefen<lb/>
ausgebreitete Schleppe wir im zweiten Akte der Maria Stuart zu bewundern Ge¬<lb/>
legenheit gehabt hatten &#x2014; gefällt sich, oder ihr Schneider gefällt sich in einer so<lb/>
verschwenderischen Verwendung der Kostümstoffe, daß nur Riesinnen, wie sie uns<lb/>
in besondern Schaubuden gezeigt werden, solchen in allzu üppiger Fülle prangenden<lb/>
Gewandungen gewachsen sein dürften. Wenn unter den Schnecken der Hausverkauf<lb/>
Sitte wäre, was ja freilich nicht der Fall ist, so würde eine vermögliche kleine<lb/>
Schnecke, die einer größern ihr Haus abgekauft hätte, damit in ähnlicher Weise<lb/>
einherziehn, wie es die Darstellerin der Königin Elisabeth und der Herzogin von<lb/>
Friedland mit ihren mittelalterlichen Staatsgcwändern tut. Von königlichen Knaben,<lb/>
die zur Krönung oder Salbung mit den von ihren Ahnen stammenden Jnsignien<lb/>
und Gewändern bekleidet werden sollten, lesen wir, daß man gezwungen gewesen<lb/>
sei, die Krone und das Festkleid stark zu wattieren, damit der unglückliche Junge<lb/>
nicht in der ihn bedeckenden Pracht verloren ging. So erzählt ja auch Goethe von<lb/>
Josephs des Zweiten Krönung zum römischen König, daß er sich in den ungeheuern<lb/>
Gewandstückcii mit den Kleinodien Karls des Großen wie in einer Verkleidung<lb/>
einhergeschleppt habe, ja die Krone, die man sehr habe füttern müssen, habe ihm<lb/>
wie ein übergreifendes Dach vom Kopf abgestanden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_146"> An eine solche für einen Hüner gefertigte Pracht auf dem Leibe eines spärlich<lb/>
entwickelten Enkelkindes erinnern einen die gewaltigen Mieder, die dornenartigen<lb/>
Puffärmel, die mehr in das Gebiet der Fortifikation als des Kostüms einschlagenden<lb/>
Plusterkragen der Königin-Herzogin. Einem tatkräftigen und anschlägiger Tape¬<lb/>
zier, der unter den Zuschauern säße, müßte der verschwendete Stoff wahre Tantalus¬<lb/>
qualen verursachen, denn was für eine Lust müßte es sein, wenn man den über¬<lb/>
schüssigen roten Plüsch und hellblauen Damast zu Überzügen für einige Sofas und<lb/>
Lehnstühle verwenden könnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_147"> Die Herzogin von Friedland ist namentlich dein heutigen Publikum gegenüber<lb/>
keine dankbare Rolle. Sie ist der verkörperte status quo, und da sie für das ans<lb/>
dem Turmseile Tanzen ihres Gatten nicht eingenommen ist und schwache Nerven<lb/>
hat, so muß sie geschont werden. Sobald sie die Wahrheit erfährt, daß der<lb/>
Herzog die Armee zu den Schweden hat überführen wollen, und daß dies mi߬<lb/>
lungen ist, fällt sie in Ohnmacht. Noch unbequemer wird sie ihrem Mann und<lb/>
den Terzkys durch ihre anspruchslose Schlichtheit, ihr strenges Rechtsgefühl und<lb/>
ihre loyale, kaisertreue Gesinnung. Sie ist von den Vieren die einzige, die<lb/>
keinen doppelten Boden hat und keine krummen Wege geht. Warum sollte sie<lb/>
auch! Übergreifender Ehrgeiz ist ihr fremd, nud wenn sich Albrecht uns seine<lb/>
Güter zurückziehen und da in ehrenvoller Ruhe sein so bewegtes Leben beschließen<lb/>
wollte, wäre sie glücklich. Unbedeutend ist sie deshalb keineswegs! das beweisen<lb/>
unter anderm ihre treffenden Bemerkungen über den Empfang, der ihr und der<lb/>
Prinzessin am kaiserlichen Hof in Wien zuteil geworden ist; sie ist eine ver¬<lb/>
ständige, bescheidne, wahrhaft vornehme Frau, die uicht höher hinaus will, als es<lb/>
die Verhältnisse mit sich bringen, und deren stilles, sich auf die Sorge um den<lb/>
Gatten und die Tochter beschränkendes Walten in dem sie umgebenden Getümmel<lb/>
von Ehrgeiz und Leidenschaft besonders wohltut. Namentlich von ihrer Schwester,<lb/>
die eine gewissenlose Intrigantin ist, sticht sie vorteilhaft ab, und es empfiehlt sich,<lb/>
für die Regie, alles zu tun, was geschehen kann, ihre leicht etwas verblassende und<lb/>
zurücktretende Rolle soviel als möglich in den Vordergrund zu stellen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0054] Leipziger Dramaturgie denn das Verdienst der Auffassung und der Wiedergabe liegt lediglich in der Psycho¬ logischen Vertiefung des Gebotnen und in den besondern drastischen Zügen, womit die Persönlichkeit des Künstlers es ihm erlaubt, das von ihm entworfne Bild im Verlaufe der Handlung auszustatten. H Die Leipziger Herzogin von Friedland hatte mir bei einer frühern Vorstellung der Piccolomini, bei der ich sehr weit von der Bühne saß und auch kein Opern¬ glas zur Hand hatte, den Eindruck eiues angepichteu Kindes gemacht, ich habe aber seitdem meinen Irrtum eingesehen und bin mir über dessen Veranlassung klar ge¬ worden. Die Darstellerin — es ist dieselbe, deren malerisch über Höhen und Tiefen ausgebreitete Schleppe wir im zweiten Akte der Maria Stuart zu bewundern Ge¬ legenheit gehabt hatten — gefällt sich, oder ihr Schneider gefällt sich in einer so verschwenderischen Verwendung der Kostümstoffe, daß nur Riesinnen, wie sie uns in besondern Schaubuden gezeigt werden, solchen in allzu üppiger Fülle prangenden Gewandungen gewachsen sein dürften. Wenn unter den Schnecken der Hausverkauf Sitte wäre, was ja freilich nicht der Fall ist, so würde eine vermögliche kleine Schnecke, die einer größern ihr Haus abgekauft hätte, damit in ähnlicher Weise einherziehn, wie es die Darstellerin der Königin Elisabeth und der Herzogin von Friedland mit ihren mittelalterlichen Staatsgcwändern tut. Von königlichen Knaben, die zur Krönung oder Salbung mit den von ihren Ahnen stammenden Jnsignien und Gewändern bekleidet werden sollten, lesen wir, daß man gezwungen gewesen sei, die Krone und das Festkleid stark zu wattieren, damit der unglückliche Junge nicht in der ihn bedeckenden Pracht verloren ging. So erzählt ja auch Goethe von Josephs des Zweiten Krönung zum römischen König, daß er sich in den ungeheuern Gewandstückcii mit den Kleinodien Karls des Großen wie in einer Verkleidung einhergeschleppt habe, ja die Krone, die man sehr habe füttern müssen, habe ihm wie ein übergreifendes Dach vom Kopf abgestanden. An eine solche für einen Hüner gefertigte Pracht auf dem Leibe eines spärlich entwickelten Enkelkindes erinnern einen die gewaltigen Mieder, die dornenartigen Puffärmel, die mehr in das Gebiet der Fortifikation als des Kostüms einschlagenden Plusterkragen der Königin-Herzogin. Einem tatkräftigen und anschlägiger Tape¬ zier, der unter den Zuschauern säße, müßte der verschwendete Stoff wahre Tantalus¬ qualen verursachen, denn was für eine Lust müßte es sein, wenn man den über¬ schüssigen roten Plüsch und hellblauen Damast zu Überzügen für einige Sofas und Lehnstühle verwenden könnte. Die Herzogin von Friedland ist namentlich dein heutigen Publikum gegenüber keine dankbare Rolle. Sie ist der verkörperte status quo, und da sie für das ans dem Turmseile Tanzen ihres Gatten nicht eingenommen ist und schwache Nerven hat, so muß sie geschont werden. Sobald sie die Wahrheit erfährt, daß der Herzog die Armee zu den Schweden hat überführen wollen, und daß dies mi߬ lungen ist, fällt sie in Ohnmacht. Noch unbequemer wird sie ihrem Mann und den Terzkys durch ihre anspruchslose Schlichtheit, ihr strenges Rechtsgefühl und ihre loyale, kaisertreue Gesinnung. Sie ist von den Vieren die einzige, die keinen doppelten Boden hat und keine krummen Wege geht. Warum sollte sie auch! Übergreifender Ehrgeiz ist ihr fremd, nud wenn sich Albrecht uns seine Güter zurückziehen und da in ehrenvoller Ruhe sein so bewegtes Leben beschließen wollte, wäre sie glücklich. Unbedeutend ist sie deshalb keineswegs! das beweisen unter anderm ihre treffenden Bemerkungen über den Empfang, der ihr und der Prinzessin am kaiserlichen Hof in Wien zuteil geworden ist; sie ist eine ver¬ ständige, bescheidne, wahrhaft vornehme Frau, die uicht höher hinaus will, als es die Verhältnisse mit sich bringen, und deren stilles, sich auf die Sorge um den Gatten und die Tochter beschränkendes Walten in dem sie umgebenden Getümmel von Ehrgeiz und Leidenschaft besonders wohltut. Namentlich von ihrer Schwester, die eine gewissenlose Intrigantin ist, sticht sie vorteilhaft ab, und es empfiehlt sich, für die Regie, alles zu tun, was geschehen kann, ihre leicht etwas verblassende und zurücktretende Rolle soviel als möglich in den Vordergrund zu stellen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/54
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/54>, abgerufen am 22.07.2024.