ein alters her gehörte in jedem Ort das Gasthaus einem Iden, der die Schänke im Dorfe gepachtet hatte, und von dem der Gutsherr in den meisten Fällen seine Haupteinkünfte bezog. Das Verbot für die Juden, mit den Bauern zu handeln, Wirtshäuser zu halten und Branntwein zu schönem, wurde zwar fast unter jeder Negierung wiederholt, zeitweilig wurde sogar Todesstrafe darauf gesetzt, aber der gemeinsame Vorteil des Adels und der Juden erwies sich als stärker, und die Juden haben nie aufgehört, diesen für sie so einträglichen und für den Landmann so verderblichen Erwerbszweig zu betreiben. Das Schankrecht war seit undenklichen Zeiten ein Privilegium der Schlacht", nur der Dorfherr durfte im Bereiche der Gemeinde, in der sein Edelhof liegt, Schnaps, Bier und überhaupt geistige Getränke erzeugen und verkaufen. Mit dem Vertriebe befaßte sich jedoch der Schlachtschitz persönlich nicht, sondern er verpachtete sein Recht an Juden, wofür er sie recht gut zahlen ließ. Auf diese Weise ist eine Unzahl jüdischer Dorfschänken im Lande entstanden, die die Brutstätte aller Laster, der Ursprungsort unsäglichen Elends geworden sind. Die Schlacht" kümmerte sich wenig darum, was ihre Pächter, die Schankjuden, mit den recht¬ losen Bauern trieben; sie wollte nur den Pachtschilling pünktlich haben, und das Schankrecht gehörte zu den schönsten sogenannten "trocknen Einkünften" des Großgrnndbesitzes. Sie ließ dem Schnapsjnden vollständig freie Hand, und dieser spielte die Rolle eines Beamten der Gutsherrschaft, die ihm eine Art Oberaufsicht über ihre Leibeigne" gewährte ohne Rücksicht auf die Be¬ drückungen, die ein solcher Beamter ausüben konnte, der alle Gelegenheit hatte, ZU wuchern, das Bauernvolk zu entsittlichen. Und woher sollten dem Juden Rücksichten kommen für dieses in Knechtschaft nahezu vertierte Volk, das auch von dem ihm stammverwandten allmächtigen Gutsherrn als rechtlose Sklaven beschimpft und gepeitscht wurde, an denen er wohl gelegentlich in trunknem Übermut die Güte eines neuen Jagdgewehrs erprobte, ohne daß ein Hahn danach krähte? Der Jude fühlte sich, ganz abgesehen von seinem ererbten orientalischen Stammesgefühl. als besser und höherstehend diesen Leuten gegen¬ über, die in ihrer entsetzlichen Roheit zu ihm kamen, um ihr tiefes Elend in dem höchsten Zustande sinnloser Trunkenheit zu vergessen, die der Jude verab¬ scheute; hatte er genug verdient, so wurden die Trunkenbolde zur Tür hinaus¬ geworfen. Diese'Leute hatten für ihn bloß einen Wert, so lange sie etwas besaßen und dazu beitrugen, daß er rasch soviel zusammenraffen konnte, um an einem andern Orte ein minder gefährliches Gewerbe zu betreiben, denn nchts
Galizische Wirtschaft (Schluß)
ein alters her gehörte in jedem Ort das Gasthaus einem Iden, der die Schänke im Dorfe gepachtet hatte, und von dem der Gutsherr in den meisten Fällen seine Haupteinkünfte bezog. Das Verbot für die Juden, mit den Bauern zu handeln, Wirtshäuser zu halten und Branntwein zu schönem, wurde zwar fast unter jeder Negierung wiederholt, zeitweilig wurde sogar Todesstrafe darauf gesetzt, aber der gemeinsame Vorteil des Adels und der Juden erwies sich als stärker, und die Juden haben nie aufgehört, diesen für sie so einträglichen und für den Landmann so verderblichen Erwerbszweig zu betreiben. Das Schankrecht war seit undenklichen Zeiten ein Privilegium der Schlacht«, nur der Dorfherr durfte im Bereiche der Gemeinde, in der sein Edelhof liegt, Schnaps, Bier und überhaupt geistige Getränke erzeugen und verkaufen. Mit dem Vertriebe befaßte sich jedoch der Schlachtschitz persönlich nicht, sondern er verpachtete sein Recht an Juden, wofür er sie recht gut zahlen ließ. Auf diese Weise ist eine Unzahl jüdischer Dorfschänken im Lande entstanden, die die Brutstätte aller Laster, der Ursprungsort unsäglichen Elends geworden sind. Die Schlacht« kümmerte sich wenig darum, was ihre Pächter, die Schankjuden, mit den recht¬ losen Bauern trieben; sie wollte nur den Pachtschilling pünktlich haben, und das Schankrecht gehörte zu den schönsten sogenannten „trocknen Einkünften" des Großgrnndbesitzes. Sie ließ dem Schnapsjnden vollständig freie Hand, und dieser spielte die Rolle eines Beamten der Gutsherrschaft, die ihm eine Art Oberaufsicht über ihre Leibeigne» gewährte ohne Rücksicht auf die Be¬ drückungen, die ein solcher Beamter ausüben konnte, der alle Gelegenheit hatte, ZU wuchern, das Bauernvolk zu entsittlichen. Und woher sollten dem Juden Rücksichten kommen für dieses in Knechtschaft nahezu vertierte Volk, das auch von dem ihm stammverwandten allmächtigen Gutsherrn als rechtlose Sklaven beschimpft und gepeitscht wurde, an denen er wohl gelegentlich in trunknem Übermut die Güte eines neuen Jagdgewehrs erprobte, ohne daß ein Hahn danach krähte? Der Jude fühlte sich, ganz abgesehen von seinem ererbten orientalischen Stammesgefühl. als besser und höherstehend diesen Leuten gegen¬ über, die in ihrer entsetzlichen Roheit zu ihm kamen, um ihr tiefes Elend in dem höchsten Zustande sinnloser Trunkenheit zu vergessen, die der Jude verab¬ scheute; hatte er genug verdient, so wurden die Trunkenbolde zur Tür hinaus¬ geworfen. Diese'Leute hatten für ihn bloß einen Wert, so lange sie etwas besaßen und dazu beitrugen, daß er rasch soviel zusammenraffen konnte, um an einem andern Orte ein minder gefährliches Gewerbe zu betreiben, denn nchts
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Galizische Wirtschaft
(Schluß)
ein alters her gehörte in jedem Ort das Gasthaus einem Iden,
der die Schänke im Dorfe gepachtet hatte, und von dem der
Gutsherr in den meisten Fällen seine Haupteinkünfte bezog. Das
Verbot für die Juden, mit den Bauern zu handeln, Wirtshäuser
zu halten und Branntwein zu schönem, wurde zwar fast unter
jeder Negierung wiederholt, zeitweilig wurde sogar Todesstrafe darauf gesetzt,
aber der gemeinsame Vorteil des Adels und der Juden erwies sich als stärker,
und die Juden haben nie aufgehört, diesen für sie so einträglichen und für den
Landmann so verderblichen Erwerbszweig zu betreiben. Das Schankrecht war
seit undenklichen Zeiten ein Privilegium der Schlacht«, nur der Dorfherr
durfte im Bereiche der Gemeinde, in der sein Edelhof liegt, Schnaps, Bier
und überhaupt geistige Getränke erzeugen und verkaufen. Mit dem Vertriebe
befaßte sich jedoch der Schlachtschitz persönlich nicht, sondern er verpachtete
sein Recht an Juden, wofür er sie recht gut zahlen ließ. Auf diese Weise
ist eine Unzahl jüdischer Dorfschänken im Lande entstanden, die die Brutstätte
aller Laster, der Ursprungsort unsäglichen Elends geworden sind. Die Schlacht«
kümmerte sich wenig darum, was ihre Pächter, die Schankjuden, mit den recht¬
losen Bauern trieben; sie wollte nur den Pachtschilling pünktlich haben, und
das Schankrecht gehörte zu den schönsten sogenannten „trocknen Einkünften"
des Großgrnndbesitzes. Sie ließ dem Schnapsjnden vollständig freie Hand,
und dieser spielte die Rolle eines Beamten der Gutsherrschaft, die ihm eine
Art Oberaufsicht über ihre Leibeigne» gewährte ohne Rücksicht auf die Be¬
drückungen, die ein solcher Beamter ausüben konnte, der alle Gelegenheit hatte,
ZU wuchern, das Bauernvolk zu entsittlichen. Und woher sollten dem Juden
Rücksichten kommen für dieses in Knechtschaft nahezu vertierte Volk, das auch
von dem ihm stammverwandten allmächtigen Gutsherrn als rechtlose Sklaven
beschimpft und gepeitscht wurde, an denen er wohl gelegentlich in trunknem
Übermut die Güte eines neuen Jagdgewehrs erprobte, ohne daß ein Hahn
danach krähte? Der Jude fühlte sich, ganz abgesehen von seinem ererbten
orientalischen Stammesgefühl. als besser und höherstehend diesen Leuten gegen¬
über, die in ihrer entsetzlichen Roheit zu ihm kamen, um ihr tiefes Elend in
dem höchsten Zustande sinnloser Trunkenheit zu vergessen, die der Jude verab¬
scheute; hatte er genug verdient, so wurden die Trunkenbolde zur Tür hinaus¬
geworfen. Diese'Leute hatten für ihn bloß einen Wert, so lange sie etwas
besaßen und dazu beitrugen, daß er rasch soviel zusammenraffen konnte, um
an einem andern Orte ein minder gefährliches Gewerbe zu betreiben, denn nchts
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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/501>, abgerufen am 22.07.2024.
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