Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zwei Seelen

trotzdem daß ich bald hinter das Geheimnis seines Handwerks kam, eine scheue Achtung,
weil er in einer wenn anch noch so entfernten Beziehung zur Entstehung meiner
letzten Tröster stand. Außerdem hatte er sich infolge seiner zahlreichen Einsperrungen
eine beträchtliche Kenntnis des Gesetzwesens angeeignet und konnte deshalb manchem,
der eines vorläufigen Rates bedürfte, von Nutzen sein. An diesen Mann machte
ich mich heran und befragte ihn mit aller Vorsicht über die Länder, in die sich
jemand, der eine gerichtliche Verfolgung zu befürchten hätte, flüchten müsse. Er
nannte mir bor allem Äghptcn, worauf ich von einer lebhaften Teilnahme für das
alte Pharaonenland ergriffen wurde und mich aus allen Schriften, deren ich hab¬
haft wurde, über die Verhältnisse des Landes und die Aussichten eines dahin aus¬
wandernden Handwerkers zu unterrichten suchte. Diese Bücher versetzten um
meinen Ratgeber in frohes Behagen, er hatte wieder Stoff für viele Tage und
leitete die ägyptische Flut nach seiner Weise in zahlreiche Kanäle ab, von denen
jeder ihm zu einer bescheidnen, aber seinem anspruchslosen Sinn vollkommen ge¬
nügenden Ernte verhalf.

Nachdem ich nun einen festen Punkt hatte, wohin ich meinen Weg richten
mußte, war nnr noch die Frage zu beantworten, wie ich mein Ziel auf die schnellste
und billigste Weise erreichen könnte. Das wenige Geld, das ich hinter mich ge¬
bracht hatte, reichte zu einer so weiten Reise nicht aus. Ich würde mich als
Kohlenträger verdungen haben, hätte ich die Kräfte dazu gehabt. Da dies nicht
anging, verfiel ich auf deu Plan, die Stelle eines Stewards zu erstreben. Um
mir nun die hierzu erforderliche" Fertigkeiten anzueignen, saß ich viele Abende in
einem ruhigen Gasthaus und gab mir Mühe, einem alten Kellner die Feinheiten
der Bedienuugskunst abzusehen. Auch besorgte ich mir ein Büchlein, betitelt: Der
perfekte Kellner mit einem Nachtrag über die Kunst des Serviettenfaltens, und
ließ mir von dem Kellner, der zu dieser Lehrtätigkeit Zeit die Fülle hatte, das,
was mir etwa unverständlich geblieben war, aufs genauste und eingehendste erklären.
Diese neue Aufgabe, die an den Mann so plötzlich herangetreten war, erfüllte ihn
nun mit sichtbarem Vergnügen, und er unterzog sich ihr mit zunehmendem Eifer,
und einmal aus seinem Phlegma aufgerüttelt, sing er endlich auch an, sich ans
den Ehrgeiz seiner jungen Tage zu besinnen. Er bewarb sich also um die Ober¬
kellnerstelle an einem Gasthaus der Provinz und hatte auch das Glück, sie zu er¬
ringen. Ich durste ihm seine Garderobe noch instant setzen, worauf er mir ein
mit seinem neuen Titel unterzeichnetes Zeugnis über meine Anstelligkeit übergab
und dann überglücklich in sein neues Reich absegelte.

Diese lächerliche und umständliche Vorbereitung auf meine Fahrt ins Blaue
läßt die Anlage meines Charakters deutlich erkennen, der immerfort auf solide
Grundlagen gerichtet war. Es wäre mir nie möglich gewesen, einen Sprung ins
Ungewisse zu tun, immer mußte ich meinen Weg erst sorgfältig vorbereiten. Und
wäre ich darauf verfallen, ein Haus zu bauen, so würde ich nicht begonnen haben,
ehe nicht der letzte Stein fertig gemeißelt und der letzte Balken fertig zugehauen
bereit gelegen hätte. Diese Schwerfälligkeit mochte wohl von meinem Handwerk
auf mich übergegangen sein. Da mußte auch erst lange mit der Kreide gearbeitet
werden, ehe die Schere zur Hand genommen werden dürfte. So verlor ich von
meiner kostbaren Zeit einen Tag nach dem andern. Indessen kam doch endlich die
Stunde heran, wo ich meine Vorbereitungen als abgeschlossen betrachten durfte.
Da wie ich im Begriff war, die Kette zu lösen, von der mein Schifflein gehalten
wurde, trat mir zuletzt noch eine liebe und reine Gestalt entgegen, die meine Hand
ergriff, und obwohl ihr ganzes Sinnen darauf gerichtet war, mir Gutes zu er¬
weisen, mein Schicksal vollenden half. Ich habe gerade über diese Fügung meines
Lebens lange gehadert und mich nicht zufrieden geben wollen, aber die Vorsehung
hat mich wohl so geführt, um an den Stachel, der sich mir tief in die Seele paßte,
den Faden anzuknüpfen, woran ich gehalten wurde, als mein Leben im Boden-


Zwei Seelen

trotzdem daß ich bald hinter das Geheimnis seines Handwerks kam, eine scheue Achtung,
weil er in einer wenn anch noch so entfernten Beziehung zur Entstehung meiner
letzten Tröster stand. Außerdem hatte er sich infolge seiner zahlreichen Einsperrungen
eine beträchtliche Kenntnis des Gesetzwesens angeeignet und konnte deshalb manchem,
der eines vorläufigen Rates bedürfte, von Nutzen sein. An diesen Mann machte
ich mich heran und befragte ihn mit aller Vorsicht über die Länder, in die sich
jemand, der eine gerichtliche Verfolgung zu befürchten hätte, flüchten müsse. Er
nannte mir bor allem Äghptcn, worauf ich von einer lebhaften Teilnahme für das
alte Pharaonenland ergriffen wurde und mich aus allen Schriften, deren ich hab¬
haft wurde, über die Verhältnisse des Landes und die Aussichten eines dahin aus¬
wandernden Handwerkers zu unterrichten suchte. Diese Bücher versetzten um
meinen Ratgeber in frohes Behagen, er hatte wieder Stoff für viele Tage und
leitete die ägyptische Flut nach seiner Weise in zahlreiche Kanäle ab, von denen
jeder ihm zu einer bescheidnen, aber seinem anspruchslosen Sinn vollkommen ge¬
nügenden Ernte verhalf.

Nachdem ich nun einen festen Punkt hatte, wohin ich meinen Weg richten
mußte, war nnr noch die Frage zu beantworten, wie ich mein Ziel auf die schnellste
und billigste Weise erreichen könnte. Das wenige Geld, das ich hinter mich ge¬
bracht hatte, reichte zu einer so weiten Reise nicht aus. Ich würde mich als
Kohlenträger verdungen haben, hätte ich die Kräfte dazu gehabt. Da dies nicht
anging, verfiel ich auf deu Plan, die Stelle eines Stewards zu erstreben. Um
mir nun die hierzu erforderliche» Fertigkeiten anzueignen, saß ich viele Abende in
einem ruhigen Gasthaus und gab mir Mühe, einem alten Kellner die Feinheiten
der Bedienuugskunst abzusehen. Auch besorgte ich mir ein Büchlein, betitelt: Der
perfekte Kellner mit einem Nachtrag über die Kunst des Serviettenfaltens, und
ließ mir von dem Kellner, der zu dieser Lehrtätigkeit Zeit die Fülle hatte, das,
was mir etwa unverständlich geblieben war, aufs genauste und eingehendste erklären.
Diese neue Aufgabe, die an den Mann so plötzlich herangetreten war, erfüllte ihn
nun mit sichtbarem Vergnügen, und er unterzog sich ihr mit zunehmendem Eifer,
und einmal aus seinem Phlegma aufgerüttelt, sing er endlich auch an, sich ans
den Ehrgeiz seiner jungen Tage zu besinnen. Er bewarb sich also um die Ober¬
kellnerstelle an einem Gasthaus der Provinz und hatte auch das Glück, sie zu er¬
ringen. Ich durste ihm seine Garderobe noch instant setzen, worauf er mir ein
mit seinem neuen Titel unterzeichnetes Zeugnis über meine Anstelligkeit übergab
und dann überglücklich in sein neues Reich absegelte.

Diese lächerliche und umständliche Vorbereitung auf meine Fahrt ins Blaue
läßt die Anlage meines Charakters deutlich erkennen, der immerfort auf solide
Grundlagen gerichtet war. Es wäre mir nie möglich gewesen, einen Sprung ins
Ungewisse zu tun, immer mußte ich meinen Weg erst sorgfältig vorbereiten. Und
wäre ich darauf verfallen, ein Haus zu bauen, so würde ich nicht begonnen haben,
ehe nicht der letzte Stein fertig gemeißelt und der letzte Balken fertig zugehauen
bereit gelegen hätte. Diese Schwerfälligkeit mochte wohl von meinem Handwerk
auf mich übergegangen sein. Da mußte auch erst lange mit der Kreide gearbeitet
werden, ehe die Schere zur Hand genommen werden dürfte. So verlor ich von
meiner kostbaren Zeit einen Tag nach dem andern. Indessen kam doch endlich die
Stunde heran, wo ich meine Vorbereitungen als abgeschlossen betrachten durfte.
Da wie ich im Begriff war, die Kette zu lösen, von der mein Schifflein gehalten
wurde, trat mir zuletzt noch eine liebe und reine Gestalt entgegen, die meine Hand
ergriff, und obwohl ihr ganzes Sinnen darauf gerichtet war, mir Gutes zu er¬
weisen, mein Schicksal vollenden half. Ich habe gerade über diese Fügung meines
Lebens lange gehadert und mich nicht zufrieden geben wollen, aber die Vorsehung
hat mich wohl so geführt, um an den Stachel, der sich mir tief in die Seele paßte,
den Faden anzuknüpfen, woran ich gehalten wurde, als mein Leben im Boden-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0466" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/242536"/>
            <fw type="header" place="top"> Zwei Seelen</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1662" prev="#ID_1661"> trotzdem daß ich bald hinter das Geheimnis seines Handwerks kam, eine scheue Achtung,<lb/>
weil er in einer wenn anch noch so entfernten Beziehung zur Entstehung meiner<lb/>
letzten Tröster stand. Außerdem hatte er sich infolge seiner zahlreichen Einsperrungen<lb/>
eine beträchtliche Kenntnis des Gesetzwesens angeeignet und konnte deshalb manchem,<lb/>
der eines vorläufigen Rates bedürfte, von Nutzen sein. An diesen Mann machte<lb/>
ich mich heran und befragte ihn mit aller Vorsicht über die Länder, in die sich<lb/>
jemand, der eine gerichtliche Verfolgung zu befürchten hätte, flüchten müsse. Er<lb/>
nannte mir bor allem Äghptcn, worauf ich von einer lebhaften Teilnahme für das<lb/>
alte Pharaonenland ergriffen wurde und mich aus allen Schriften, deren ich hab¬<lb/>
haft wurde, über die Verhältnisse des Landes und die Aussichten eines dahin aus¬<lb/>
wandernden Handwerkers zu unterrichten suchte. Diese Bücher versetzten um<lb/>
meinen Ratgeber in frohes Behagen, er hatte wieder Stoff für viele Tage und<lb/>
leitete die ägyptische Flut nach seiner Weise in zahlreiche Kanäle ab, von denen<lb/>
jeder ihm zu einer bescheidnen, aber seinem anspruchslosen Sinn vollkommen ge¬<lb/>
nügenden Ernte verhalf.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1663"> Nachdem ich nun einen festen Punkt hatte, wohin ich meinen Weg richten<lb/>
mußte, war nnr noch die Frage zu beantworten, wie ich mein Ziel auf die schnellste<lb/>
und billigste Weise erreichen könnte. Das wenige Geld, das ich hinter mich ge¬<lb/>
bracht hatte, reichte zu einer so weiten Reise nicht aus. Ich würde mich als<lb/>
Kohlenträger verdungen haben, hätte ich die Kräfte dazu gehabt. Da dies nicht<lb/>
anging, verfiel ich auf deu Plan, die Stelle eines Stewards zu erstreben. Um<lb/>
mir nun die hierzu erforderliche» Fertigkeiten anzueignen, saß ich viele Abende in<lb/>
einem ruhigen Gasthaus und gab mir Mühe, einem alten Kellner die Feinheiten<lb/>
der Bedienuugskunst abzusehen. Auch besorgte ich mir ein Büchlein, betitelt: Der<lb/>
perfekte Kellner mit einem Nachtrag über die Kunst des Serviettenfaltens, und<lb/>
ließ mir von dem Kellner, der zu dieser Lehrtätigkeit Zeit die Fülle hatte, das,<lb/>
was mir etwa unverständlich geblieben war, aufs genauste und eingehendste erklären.<lb/>
Diese neue Aufgabe, die an den Mann so plötzlich herangetreten war, erfüllte ihn<lb/>
nun mit sichtbarem Vergnügen, und er unterzog sich ihr mit zunehmendem Eifer,<lb/>
und einmal aus seinem Phlegma aufgerüttelt, sing er endlich auch an, sich ans<lb/>
den Ehrgeiz seiner jungen Tage zu besinnen. Er bewarb sich also um die Ober¬<lb/>
kellnerstelle an einem Gasthaus der Provinz und hatte auch das Glück, sie zu er¬<lb/>
ringen. Ich durste ihm seine Garderobe noch instant setzen, worauf er mir ein<lb/>
mit seinem neuen Titel unterzeichnetes Zeugnis über meine Anstelligkeit übergab<lb/>
und dann überglücklich in sein neues Reich absegelte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1664" next="#ID_1665"> Diese lächerliche und umständliche Vorbereitung auf meine Fahrt ins Blaue<lb/>
läßt die Anlage meines Charakters deutlich erkennen, der immerfort auf solide<lb/>
Grundlagen gerichtet war. Es wäre mir nie möglich gewesen, einen Sprung ins<lb/>
Ungewisse zu tun, immer mußte ich meinen Weg erst sorgfältig vorbereiten. Und<lb/>
wäre ich darauf verfallen, ein Haus zu bauen, so würde ich nicht begonnen haben,<lb/>
ehe nicht der letzte Stein fertig gemeißelt und der letzte Balken fertig zugehauen<lb/>
bereit gelegen hätte. Diese Schwerfälligkeit mochte wohl von meinem Handwerk<lb/>
auf mich übergegangen sein. Da mußte auch erst lange mit der Kreide gearbeitet<lb/>
werden, ehe die Schere zur Hand genommen werden dürfte. So verlor ich von<lb/>
meiner kostbaren Zeit einen Tag nach dem andern. Indessen kam doch endlich die<lb/>
Stunde heran, wo ich meine Vorbereitungen als abgeschlossen betrachten durfte.<lb/>
Da wie ich im Begriff war, die Kette zu lösen, von der mein Schifflein gehalten<lb/>
wurde, trat mir zuletzt noch eine liebe und reine Gestalt entgegen, die meine Hand<lb/>
ergriff, und obwohl ihr ganzes Sinnen darauf gerichtet war, mir Gutes zu er¬<lb/>
weisen, mein Schicksal vollenden half. Ich habe gerade über diese Fügung meines<lb/>
Lebens lange gehadert und mich nicht zufrieden geben wollen, aber die Vorsehung<lb/>
hat mich wohl so geführt, um an den Stachel, der sich mir tief in die Seele paßte,<lb/>
den Faden anzuknüpfen, woran ich gehalten wurde, als mein Leben im Boden-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0466] Zwei Seelen trotzdem daß ich bald hinter das Geheimnis seines Handwerks kam, eine scheue Achtung, weil er in einer wenn anch noch so entfernten Beziehung zur Entstehung meiner letzten Tröster stand. Außerdem hatte er sich infolge seiner zahlreichen Einsperrungen eine beträchtliche Kenntnis des Gesetzwesens angeeignet und konnte deshalb manchem, der eines vorläufigen Rates bedürfte, von Nutzen sein. An diesen Mann machte ich mich heran und befragte ihn mit aller Vorsicht über die Länder, in die sich jemand, der eine gerichtliche Verfolgung zu befürchten hätte, flüchten müsse. Er nannte mir bor allem Äghptcn, worauf ich von einer lebhaften Teilnahme für das alte Pharaonenland ergriffen wurde und mich aus allen Schriften, deren ich hab¬ haft wurde, über die Verhältnisse des Landes und die Aussichten eines dahin aus¬ wandernden Handwerkers zu unterrichten suchte. Diese Bücher versetzten um meinen Ratgeber in frohes Behagen, er hatte wieder Stoff für viele Tage und leitete die ägyptische Flut nach seiner Weise in zahlreiche Kanäle ab, von denen jeder ihm zu einer bescheidnen, aber seinem anspruchslosen Sinn vollkommen ge¬ nügenden Ernte verhalf. Nachdem ich nun einen festen Punkt hatte, wohin ich meinen Weg richten mußte, war nnr noch die Frage zu beantworten, wie ich mein Ziel auf die schnellste und billigste Weise erreichen könnte. Das wenige Geld, das ich hinter mich ge¬ bracht hatte, reichte zu einer so weiten Reise nicht aus. Ich würde mich als Kohlenträger verdungen haben, hätte ich die Kräfte dazu gehabt. Da dies nicht anging, verfiel ich auf deu Plan, die Stelle eines Stewards zu erstreben. Um mir nun die hierzu erforderliche» Fertigkeiten anzueignen, saß ich viele Abende in einem ruhigen Gasthaus und gab mir Mühe, einem alten Kellner die Feinheiten der Bedienuugskunst abzusehen. Auch besorgte ich mir ein Büchlein, betitelt: Der perfekte Kellner mit einem Nachtrag über die Kunst des Serviettenfaltens, und ließ mir von dem Kellner, der zu dieser Lehrtätigkeit Zeit die Fülle hatte, das, was mir etwa unverständlich geblieben war, aufs genauste und eingehendste erklären. Diese neue Aufgabe, die an den Mann so plötzlich herangetreten war, erfüllte ihn nun mit sichtbarem Vergnügen, und er unterzog sich ihr mit zunehmendem Eifer, und einmal aus seinem Phlegma aufgerüttelt, sing er endlich auch an, sich ans den Ehrgeiz seiner jungen Tage zu besinnen. Er bewarb sich also um die Ober¬ kellnerstelle an einem Gasthaus der Provinz und hatte auch das Glück, sie zu er¬ ringen. Ich durste ihm seine Garderobe noch instant setzen, worauf er mir ein mit seinem neuen Titel unterzeichnetes Zeugnis über meine Anstelligkeit übergab und dann überglücklich in sein neues Reich absegelte. Diese lächerliche und umständliche Vorbereitung auf meine Fahrt ins Blaue läßt die Anlage meines Charakters deutlich erkennen, der immerfort auf solide Grundlagen gerichtet war. Es wäre mir nie möglich gewesen, einen Sprung ins Ungewisse zu tun, immer mußte ich meinen Weg erst sorgfältig vorbereiten. Und wäre ich darauf verfallen, ein Haus zu bauen, so würde ich nicht begonnen haben, ehe nicht der letzte Stein fertig gemeißelt und der letzte Balken fertig zugehauen bereit gelegen hätte. Diese Schwerfälligkeit mochte wohl von meinem Handwerk auf mich übergegangen sein. Da mußte auch erst lange mit der Kreide gearbeitet werden, ehe die Schere zur Hand genommen werden dürfte. So verlor ich von meiner kostbaren Zeit einen Tag nach dem andern. Indessen kam doch endlich die Stunde heran, wo ich meine Vorbereitungen als abgeschlossen betrachten durfte. Da wie ich im Begriff war, die Kette zu lösen, von der mein Schifflein gehalten wurde, trat mir zuletzt noch eine liebe und reine Gestalt entgegen, die meine Hand ergriff, und obwohl ihr ganzes Sinnen darauf gerichtet war, mir Gutes zu er¬ weisen, mein Schicksal vollenden half. Ich habe gerade über diese Fügung meines Lebens lange gehadert und mich nicht zufrieden geben wollen, aber die Vorsehung hat mich wohl so geführt, um an den Stachel, der sich mir tief in die Seele paßte, den Faden anzuknüpfen, woran ich gehalten wurde, als mein Leben im Boden-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/466
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/466>, abgerufen am 29.06.2024.