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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Zwei Seelen

Eine günstige Gelegenheit, unbemerkt fortzukommen, dachte ich.

Nach einigen Tagen kam von meiner Mutter ein Brief. Sie schrieb, fie
müsse noch eine Woche wegbleiben, da es mancherlei zu überlegen und einzurichten
gäbe. Und es sei ein wahres Glück, daß sie sich zu dieser Reise entschlossen hätte.
Nun erfuhren wir auch, daß Martha ganz allein stand. Bauer, ihr zweiter Vater,
hatte sich schon längst von der Familie getrennt und war einige Jahre mit einem
schlimmen Weibe zusammengewesen, das ihm anfangs geschmeichelt, als sie thu aber
sicher für sich gewonnen hatte, ihm die Krallen gezeigt und ihn in Trab gebracht
hatte. Nachdem er mehrere Jahre die Strafe für die seinem ersten Weibe augetanen
Unbilden ertragen hatte, war er endlich mit seiner Klarinette und einigen Büchern,
in denen er das letzte Andenken an seine einstmalige Größe rettete, entwichen und
spurlos verschollen.

Wieder nach einigen Tagen kam von der Mutter die Nachricht, sie kehre nun¬
mehr zurück und bringe auch das verwaiste Mädchen mit sich, denn es sei unmöglich,
daß es in dem ausgestorbnen Hanse bleibe, man werde um zusammen beratschlagen
müssen, auf welche Weise man ihm am besten dienen könne. Vorerst sei jedoch
nichts nötiger, als es auf andre Gedanken zu bringen und aus seiner Trauer
herauszureißen. So wurde ich also angewiesen, vor der Pflegeschwester das Feld
zu räumen und mich inzwischen in meinem Kämmerchen neben der Stube der Eltern
einzuquartieren. Der Brief atmete eine seltsame Mischung von Trauer und Ver¬
gnügen aus, wie sich ja, wenn ein Baum gefallen ist, seine Nachbarn rings herum
fröhlich regen, und sobald sie den ersten Schrecken abgeschüttelt haben, tröstlich von
dem gewonnenen Raume Besitz ergreifen.

Es war nicht schwer zu erraten, daß meine Mutter wieder über einen Plan
sann, worin ich eine Rolle zu spielen bestimmt war. Ich verspürte jedoch keine
Lust zu weitern Seiltänzerstückchen und war meiner ehemaligen Schwester in
meinem Herzen auch viel zu sehr zugetan, als daß ich sie zum Ziel berechnender
Pläne hätte machen mögen. Ich mußte also schnell handeln, und so fiel denn auch
noch dieses eine Rosenblatt auf die Wagschale und setzte sie in Bewegung. Meine
Ersparnisse waren bald flüssig gemacht, und den noch ausstehenden Lohn sollte
mir der Meister rin einem Zeugnis nachsenden. Was ich von meinem Eigentum
sonst noch mitzunehmen für nötig hielt, verpackte ich in eine Kiste, die ich, da meine
Mutter mir nicht im Wege, mein Vater aber außer Hause beschäftigt war, in aller
Ruhe und ohne Aufsehen wegschaffen lassen konnte. Nur ein kleines Bündel behielt
ich zurück, wohinein ich die wertvollsten Dinge und das, was ich sogleich bedürfte,
bringen wollte. Wie ich nun bald diesen bald jenen Gegenstand herauskramte und
ihn unschlüssig, ob ich ihn mitnehmen oder zurücklassen solle, in den Händen hielt,
ergriff ich auch unversehens den Fingerhut und das Nadelbüchschen, die ich von
Martha empfangen hatte, und die verbognen und abgegriffnen Stücke erregten in
mir eine starke, mir unbegreifliche Bewegung, als rühre die Unschuld, die sie mir
einst dargeboten hatte, selber meine Hand an. Ein Helles, frisches Frühlingsbild
trat vor meine Seele, und zwei ruhige, treuherzige Augen sahen mich aus der
Ferne an.

Ich muß ihr doch eine Zeile hinterlassen, sagte ich zu mir und holte mein
Schreibgerät hervor. Es stand neben einer Reihe schöner Bücher, die ich mir nach
und nach angeschafft, und an denen ich ehedem meine Freude gehabt hatte, und dicht
dabei lag ein Haufen blauer Hefte, in die hinein ich meine Schreibübungen gemacht
hatte, als ich noch mit fröhlichem Herzen für meine Zukunft baute. Das alles sollte
zurückbleiben und manches andre, an dem meine Seele hing. Wieder wirbelten
die Gedanken durch und über einander, wie Nebelschleier, bis über ihnen das
strahlende Bild des schönen fremden Mädchens erschien und die Nebel niederdrückte.
Auf einem Ententeiche fährt man ruhig hin, vorüber an den Weiden, deren Zweige
sich auf das trübe Wasser legen, an dem Büschel Schilf, das drüben am Ufer
wächst, und dann zurück gegen den Pflock hin, der seit einem Menschenalter im


Zwei Seelen

Eine günstige Gelegenheit, unbemerkt fortzukommen, dachte ich.

Nach einigen Tagen kam von meiner Mutter ein Brief. Sie schrieb, fie
müsse noch eine Woche wegbleiben, da es mancherlei zu überlegen und einzurichten
gäbe. Und es sei ein wahres Glück, daß sie sich zu dieser Reise entschlossen hätte.
Nun erfuhren wir auch, daß Martha ganz allein stand. Bauer, ihr zweiter Vater,
hatte sich schon längst von der Familie getrennt und war einige Jahre mit einem
schlimmen Weibe zusammengewesen, das ihm anfangs geschmeichelt, als sie thu aber
sicher für sich gewonnen hatte, ihm die Krallen gezeigt und ihn in Trab gebracht
hatte. Nachdem er mehrere Jahre die Strafe für die seinem ersten Weibe augetanen
Unbilden ertragen hatte, war er endlich mit seiner Klarinette und einigen Büchern,
in denen er das letzte Andenken an seine einstmalige Größe rettete, entwichen und
spurlos verschollen.

Wieder nach einigen Tagen kam von der Mutter die Nachricht, sie kehre nun¬
mehr zurück und bringe auch das verwaiste Mädchen mit sich, denn es sei unmöglich,
daß es in dem ausgestorbnen Hanse bleibe, man werde um zusammen beratschlagen
müssen, auf welche Weise man ihm am besten dienen könne. Vorerst sei jedoch
nichts nötiger, als es auf andre Gedanken zu bringen und aus seiner Trauer
herauszureißen. So wurde ich also angewiesen, vor der Pflegeschwester das Feld
zu räumen und mich inzwischen in meinem Kämmerchen neben der Stube der Eltern
einzuquartieren. Der Brief atmete eine seltsame Mischung von Trauer und Ver¬
gnügen aus, wie sich ja, wenn ein Baum gefallen ist, seine Nachbarn rings herum
fröhlich regen, und sobald sie den ersten Schrecken abgeschüttelt haben, tröstlich von
dem gewonnenen Raume Besitz ergreifen.

Es war nicht schwer zu erraten, daß meine Mutter wieder über einen Plan
sann, worin ich eine Rolle zu spielen bestimmt war. Ich verspürte jedoch keine
Lust zu weitern Seiltänzerstückchen und war meiner ehemaligen Schwester in
meinem Herzen auch viel zu sehr zugetan, als daß ich sie zum Ziel berechnender
Pläne hätte machen mögen. Ich mußte also schnell handeln, und so fiel denn auch
noch dieses eine Rosenblatt auf die Wagschale und setzte sie in Bewegung. Meine
Ersparnisse waren bald flüssig gemacht, und den noch ausstehenden Lohn sollte
mir der Meister rin einem Zeugnis nachsenden. Was ich von meinem Eigentum
sonst noch mitzunehmen für nötig hielt, verpackte ich in eine Kiste, die ich, da meine
Mutter mir nicht im Wege, mein Vater aber außer Hause beschäftigt war, in aller
Ruhe und ohne Aufsehen wegschaffen lassen konnte. Nur ein kleines Bündel behielt
ich zurück, wohinein ich die wertvollsten Dinge und das, was ich sogleich bedürfte,
bringen wollte. Wie ich nun bald diesen bald jenen Gegenstand herauskramte und
ihn unschlüssig, ob ich ihn mitnehmen oder zurücklassen solle, in den Händen hielt,
ergriff ich auch unversehens den Fingerhut und das Nadelbüchschen, die ich von
Martha empfangen hatte, und die verbognen und abgegriffnen Stücke erregten in
mir eine starke, mir unbegreifliche Bewegung, als rühre die Unschuld, die sie mir
einst dargeboten hatte, selber meine Hand an. Ein Helles, frisches Frühlingsbild
trat vor meine Seele, und zwei ruhige, treuherzige Augen sahen mich aus der
Ferne an.

Ich muß ihr doch eine Zeile hinterlassen, sagte ich zu mir und holte mein
Schreibgerät hervor. Es stand neben einer Reihe schöner Bücher, die ich mir nach
und nach angeschafft, und an denen ich ehedem meine Freude gehabt hatte, und dicht
dabei lag ein Haufen blauer Hefte, in die hinein ich meine Schreibübungen gemacht
hatte, als ich noch mit fröhlichem Herzen für meine Zukunft baute. Das alles sollte
zurückbleiben und manches andre, an dem meine Seele hing. Wieder wirbelten
die Gedanken durch und über einander, wie Nebelschleier, bis über ihnen das
strahlende Bild des schönen fremden Mädchens erschien und die Nebel niederdrückte.
Auf einem Ententeiche fährt man ruhig hin, vorüber an den Weiden, deren Zweige
sich auf das trübe Wasser legen, an dem Büschel Schilf, das drüben am Ufer
wächst, und dann zurück gegen den Pflock hin, der seit einem Menschenalter im


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[0398] Zwei Seelen Eine günstige Gelegenheit, unbemerkt fortzukommen, dachte ich. Nach einigen Tagen kam von meiner Mutter ein Brief. Sie schrieb, fie müsse noch eine Woche wegbleiben, da es mancherlei zu überlegen und einzurichten gäbe. Und es sei ein wahres Glück, daß sie sich zu dieser Reise entschlossen hätte. Nun erfuhren wir auch, daß Martha ganz allein stand. Bauer, ihr zweiter Vater, hatte sich schon längst von der Familie getrennt und war einige Jahre mit einem schlimmen Weibe zusammengewesen, das ihm anfangs geschmeichelt, als sie thu aber sicher für sich gewonnen hatte, ihm die Krallen gezeigt und ihn in Trab gebracht hatte. Nachdem er mehrere Jahre die Strafe für die seinem ersten Weibe augetanen Unbilden ertragen hatte, war er endlich mit seiner Klarinette und einigen Büchern, in denen er das letzte Andenken an seine einstmalige Größe rettete, entwichen und spurlos verschollen. Wieder nach einigen Tagen kam von der Mutter die Nachricht, sie kehre nun¬ mehr zurück und bringe auch das verwaiste Mädchen mit sich, denn es sei unmöglich, daß es in dem ausgestorbnen Hanse bleibe, man werde um zusammen beratschlagen müssen, auf welche Weise man ihm am besten dienen könne. Vorerst sei jedoch nichts nötiger, als es auf andre Gedanken zu bringen und aus seiner Trauer herauszureißen. So wurde ich also angewiesen, vor der Pflegeschwester das Feld zu räumen und mich inzwischen in meinem Kämmerchen neben der Stube der Eltern einzuquartieren. Der Brief atmete eine seltsame Mischung von Trauer und Ver¬ gnügen aus, wie sich ja, wenn ein Baum gefallen ist, seine Nachbarn rings herum fröhlich regen, und sobald sie den ersten Schrecken abgeschüttelt haben, tröstlich von dem gewonnenen Raume Besitz ergreifen. Es war nicht schwer zu erraten, daß meine Mutter wieder über einen Plan sann, worin ich eine Rolle zu spielen bestimmt war. Ich verspürte jedoch keine Lust zu weitern Seiltänzerstückchen und war meiner ehemaligen Schwester in meinem Herzen auch viel zu sehr zugetan, als daß ich sie zum Ziel berechnender Pläne hätte machen mögen. Ich mußte also schnell handeln, und so fiel denn auch noch dieses eine Rosenblatt auf die Wagschale und setzte sie in Bewegung. Meine Ersparnisse waren bald flüssig gemacht, und den noch ausstehenden Lohn sollte mir der Meister rin einem Zeugnis nachsenden. Was ich von meinem Eigentum sonst noch mitzunehmen für nötig hielt, verpackte ich in eine Kiste, die ich, da meine Mutter mir nicht im Wege, mein Vater aber außer Hause beschäftigt war, in aller Ruhe und ohne Aufsehen wegschaffen lassen konnte. Nur ein kleines Bündel behielt ich zurück, wohinein ich die wertvollsten Dinge und das, was ich sogleich bedürfte, bringen wollte. Wie ich nun bald diesen bald jenen Gegenstand herauskramte und ihn unschlüssig, ob ich ihn mitnehmen oder zurücklassen solle, in den Händen hielt, ergriff ich auch unversehens den Fingerhut und das Nadelbüchschen, die ich von Martha empfangen hatte, und die verbognen und abgegriffnen Stücke erregten in mir eine starke, mir unbegreifliche Bewegung, als rühre die Unschuld, die sie mir einst dargeboten hatte, selber meine Hand an. Ein Helles, frisches Frühlingsbild trat vor meine Seele, und zwei ruhige, treuherzige Augen sahen mich aus der Ferne an. Ich muß ihr doch eine Zeile hinterlassen, sagte ich zu mir und holte mein Schreibgerät hervor. Es stand neben einer Reihe schöner Bücher, die ich mir nach und nach angeschafft, und an denen ich ehedem meine Freude gehabt hatte, und dicht dabei lag ein Haufen blauer Hefte, in die hinein ich meine Schreibübungen gemacht hatte, als ich noch mit fröhlichem Herzen für meine Zukunft baute. Das alles sollte zurückbleiben und manches andre, an dem meine Seele hing. Wieder wirbelten die Gedanken durch und über einander, wie Nebelschleier, bis über ihnen das strahlende Bild des schönen fremden Mädchens erschien und die Nebel niederdrückte. Auf einem Ententeiche fährt man ruhig hin, vorüber an den Weiden, deren Zweige sich auf das trübe Wasser legen, an dem Büschel Schilf, das drüben am Ufer wächst, und dann zurück gegen den Pflock hin, der seit einem Menschenalter im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/398>, abgerufen am 03.07.2024.