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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Zwei Seelen

Wasser modert. Und so immer im Kreis herum. Wer vorwärts will, muß aufs
Meer hinaus, wo die Wellen auf und nieder steigen, und dahinter unbekannte Fernen
schimmern. Kommen Stürme, geht mau unter und sinkt mit vielen andern hinunter
in sein feuchtes Grab, so ist eben das bunte Spiel aus, und der Vorhang schließt
sich zusammen. Man ist doch einmal auf blauen Wogen gefahren, hat geschwärmt,
des Lebens Süßigkeit gekostet und die Flügel weit ausgebreitet. Und wer sagt
denn, daß es mißlingen müsse? Träumen denn alle vergeblich, denen die Sehn¬
sucht ein schönes goldnes Land enthüllt? Man darf nur nicht bloß träumen, man
muß auch handeln können. Träume sind schimmernde Wolken im himmlischen
Äther, sie schweben hoch über uns, und es ist doch mancher in ihren Kreis hinauf¬
gestiegen und hat den Fuß über ihnen fest auf die Erde gehest.

Ich schrieb meinen Eltern eine" Brief, worin ich ihnen Aufschluß gab, warum
ich heimlich aus ihrem Hause gegangen wäre, und versprach, daß ich von mir
hören lassen würde, sobald ich Gutes zu berichten hätte. Es war schwer, so zu
schreiben. Zwischen das, was ich sagen konnte, drängten sich immerfort Gedanken
und Wünsche, die ich verschweigen mußte. Der Verwandten gegenüber aber ver¬
sagten mir vollends die Worte, ich geriet in hochtrabende Phrasen hinein, die vor
meinem Ohre wie blecherne Glocken klangen, wie, daß die Verschiedne in eine
bessere Welt eingegangen und einem Dasein entronnen sei, das so reich an Übeln
und so arm nu wirklichem Glück wäre, daß sich jeder in das Unvermeidliche eines
Todesfalls zu finden habe, und was dergleichen so hingesprochen wird, um den
Mangel an einfachem und herzlichem Mitgefühl zu verdenke". Da ich nun sah,
dnß in meiner Seele keine rechten Trostbluiuen zu pflücken waren, so gab ich meine
Schreiberei ans und stellte in mein zum Empfang des Gastes hergerichtetes Zimmer
einige wirkliche Blumen, die für mich reden mochten. Damit wäre das stille Jugend¬
bild wohl für immer in den Schatten meines Lebens versunken, wäre sie mir
uicht von einem unsichtbaren Faden gezogen noch selber leibhaftig in den Weg
getreten.

Als ich wieder aufstand, "in mein Bündel zu schließen, lagen die beiden Er¬
innerungszeichen noch auf dem Tisch mitten in einem stillen Mondschein, der zum
Feuster herein leuchtete und über die Dielen lies. Nach einem kurze" Bedenken
wickelte ich sie in ein Stück Papier und legte sie zu dem übrigen. Darauf ver¬
schnürte ich das Bündel.

Es war schon tief in der Nacht, als ich mit meinen Vorbereitungen zu Eude
war, eine weiche, warme Sommernacht. Vor mir lagen die Wiesen in einem
leichten Dunst, und darüber dunkelte der Wald. In der Stille der Nacht aber
rauschte laut der Brunnen. Lange hatte ich ihn nicht mehr vernommen, jetzt erhob
er plötzlich seine Stimme und ließ sie anschwellen, mehr und mehr, als wollte er
sich mit aller Gewalt bemerkbar machen. Vom Kirchturm schlug es zwei Uhr.
Ich ergriff mein Bündel, als der Ton verhallt war, und ging leise die Treppe
hinunter. Vor dem Zimmer, worin mein Vater schlief, hielt ich an. Gern wäre
ich hineingeschlichen und hätte mich über seine Hand gebeugt, aber ich durfte ihn
uicht wecken. Wer so in die Welt geht, muß auf leisen Sohlen schleichen. Wie
ein Dieb muß er hinaus, der seiner Eltern Frieden mit sich trägt.

Drinnen schnarrte die Uhr. holte lange aus und schlug endlich an. Zwei Uhr!
Sie geht immer hinter der Zeit her, die alte Uhr, die so viele Stunden geschlagen
hat, sie kommt nicht mehr mit, ebensowenig wie der Mann mit dein hölzernen
Fuß, der unter ihr ruht.

Ich offne die Tür und lasse sie vorsichtig ins Schloß zurückgehn. Über nur
unter dem Dachgesims rührt sich etwas, das Schwalbenpaar, dessen Nest dort oben
anklebt, wird wach und zwitschert. Jenseits der Straße aber rauscht der Brunnen
nach lauter als zuvor und schimmert zu mir herüber in der mondhellen Nacht.
Nebenan im Nachbarhaus schlägt ein Hündchen an, im Traum, oder hat es meinen
Schritt gehört? Jetzt regt es sich auch im Hause und geht mühsam durchs Zimmer


Zwei Seelen

Wasser modert. Und so immer im Kreis herum. Wer vorwärts will, muß aufs
Meer hinaus, wo die Wellen auf und nieder steigen, und dahinter unbekannte Fernen
schimmern. Kommen Stürme, geht mau unter und sinkt mit vielen andern hinunter
in sein feuchtes Grab, so ist eben das bunte Spiel aus, und der Vorhang schließt
sich zusammen. Man ist doch einmal auf blauen Wogen gefahren, hat geschwärmt,
des Lebens Süßigkeit gekostet und die Flügel weit ausgebreitet. Und wer sagt
denn, daß es mißlingen müsse? Träumen denn alle vergeblich, denen die Sehn¬
sucht ein schönes goldnes Land enthüllt? Man darf nur nicht bloß träumen, man
muß auch handeln können. Träume sind schimmernde Wolken im himmlischen
Äther, sie schweben hoch über uns, und es ist doch mancher in ihren Kreis hinauf¬
gestiegen und hat den Fuß über ihnen fest auf die Erde gehest.

Ich schrieb meinen Eltern eine» Brief, worin ich ihnen Aufschluß gab, warum
ich heimlich aus ihrem Hause gegangen wäre, und versprach, daß ich von mir
hören lassen würde, sobald ich Gutes zu berichten hätte. Es war schwer, so zu
schreiben. Zwischen das, was ich sagen konnte, drängten sich immerfort Gedanken
und Wünsche, die ich verschweigen mußte. Der Verwandten gegenüber aber ver¬
sagten mir vollends die Worte, ich geriet in hochtrabende Phrasen hinein, die vor
meinem Ohre wie blecherne Glocken klangen, wie, daß die Verschiedne in eine
bessere Welt eingegangen und einem Dasein entronnen sei, das so reich an Übeln
und so arm nu wirklichem Glück wäre, daß sich jeder in das Unvermeidliche eines
Todesfalls zu finden habe, und was dergleichen so hingesprochen wird, um den
Mangel an einfachem und herzlichem Mitgefühl zu verdenke». Da ich nun sah,
dnß in meiner Seele keine rechten Trostbluiuen zu pflücken waren, so gab ich meine
Schreiberei ans und stellte in mein zum Empfang des Gastes hergerichtetes Zimmer
einige wirkliche Blumen, die für mich reden mochten. Damit wäre das stille Jugend¬
bild wohl für immer in den Schatten meines Lebens versunken, wäre sie mir
uicht von einem unsichtbaren Faden gezogen noch selber leibhaftig in den Weg
getreten.

Als ich wieder aufstand, «in mein Bündel zu schließen, lagen die beiden Er¬
innerungszeichen noch auf dem Tisch mitten in einem stillen Mondschein, der zum
Feuster herein leuchtete und über die Dielen lies. Nach einem kurze» Bedenken
wickelte ich sie in ein Stück Papier und legte sie zu dem übrigen. Darauf ver¬
schnürte ich das Bündel.

Es war schon tief in der Nacht, als ich mit meinen Vorbereitungen zu Eude
war, eine weiche, warme Sommernacht. Vor mir lagen die Wiesen in einem
leichten Dunst, und darüber dunkelte der Wald. In der Stille der Nacht aber
rauschte laut der Brunnen. Lange hatte ich ihn nicht mehr vernommen, jetzt erhob
er plötzlich seine Stimme und ließ sie anschwellen, mehr und mehr, als wollte er
sich mit aller Gewalt bemerkbar machen. Vom Kirchturm schlug es zwei Uhr.
Ich ergriff mein Bündel, als der Ton verhallt war, und ging leise die Treppe
hinunter. Vor dem Zimmer, worin mein Vater schlief, hielt ich an. Gern wäre
ich hineingeschlichen und hätte mich über seine Hand gebeugt, aber ich durfte ihn
uicht wecken. Wer so in die Welt geht, muß auf leisen Sohlen schleichen. Wie
ein Dieb muß er hinaus, der seiner Eltern Frieden mit sich trägt.

Drinnen schnarrte die Uhr. holte lange aus und schlug endlich an. Zwei Uhr!
Sie geht immer hinter der Zeit her, die alte Uhr, die so viele Stunden geschlagen
hat, sie kommt nicht mehr mit, ebensowenig wie der Mann mit dein hölzernen
Fuß, der unter ihr ruht.

Ich offne die Tür und lasse sie vorsichtig ins Schloß zurückgehn. Über nur
unter dem Dachgesims rührt sich etwas, das Schwalbenpaar, dessen Nest dort oben
anklebt, wird wach und zwitschert. Jenseits der Straße aber rauscht der Brunnen
nach lauter als zuvor und schimmert zu mir herüber in der mondhellen Nacht.
Nebenan im Nachbarhaus schlägt ein Hündchen an, im Traum, oder hat es meinen
Schritt gehört? Jetzt regt es sich auch im Hause und geht mühsam durchs Zimmer


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[0399] Zwei Seelen Wasser modert. Und so immer im Kreis herum. Wer vorwärts will, muß aufs Meer hinaus, wo die Wellen auf und nieder steigen, und dahinter unbekannte Fernen schimmern. Kommen Stürme, geht mau unter und sinkt mit vielen andern hinunter in sein feuchtes Grab, so ist eben das bunte Spiel aus, und der Vorhang schließt sich zusammen. Man ist doch einmal auf blauen Wogen gefahren, hat geschwärmt, des Lebens Süßigkeit gekostet und die Flügel weit ausgebreitet. Und wer sagt denn, daß es mißlingen müsse? Träumen denn alle vergeblich, denen die Sehn¬ sucht ein schönes goldnes Land enthüllt? Man darf nur nicht bloß träumen, man muß auch handeln können. Träume sind schimmernde Wolken im himmlischen Äther, sie schweben hoch über uns, und es ist doch mancher in ihren Kreis hinauf¬ gestiegen und hat den Fuß über ihnen fest auf die Erde gehest. Ich schrieb meinen Eltern eine» Brief, worin ich ihnen Aufschluß gab, warum ich heimlich aus ihrem Hause gegangen wäre, und versprach, daß ich von mir hören lassen würde, sobald ich Gutes zu berichten hätte. Es war schwer, so zu schreiben. Zwischen das, was ich sagen konnte, drängten sich immerfort Gedanken und Wünsche, die ich verschweigen mußte. Der Verwandten gegenüber aber ver¬ sagten mir vollends die Worte, ich geriet in hochtrabende Phrasen hinein, die vor meinem Ohre wie blecherne Glocken klangen, wie, daß die Verschiedne in eine bessere Welt eingegangen und einem Dasein entronnen sei, das so reich an Übeln und so arm nu wirklichem Glück wäre, daß sich jeder in das Unvermeidliche eines Todesfalls zu finden habe, und was dergleichen so hingesprochen wird, um den Mangel an einfachem und herzlichem Mitgefühl zu verdenke». Da ich nun sah, dnß in meiner Seele keine rechten Trostbluiuen zu pflücken waren, so gab ich meine Schreiberei ans und stellte in mein zum Empfang des Gastes hergerichtetes Zimmer einige wirkliche Blumen, die für mich reden mochten. Damit wäre das stille Jugend¬ bild wohl für immer in den Schatten meines Lebens versunken, wäre sie mir uicht von einem unsichtbaren Faden gezogen noch selber leibhaftig in den Weg getreten. Als ich wieder aufstand, «in mein Bündel zu schließen, lagen die beiden Er¬ innerungszeichen noch auf dem Tisch mitten in einem stillen Mondschein, der zum Feuster herein leuchtete und über die Dielen lies. Nach einem kurze» Bedenken wickelte ich sie in ein Stück Papier und legte sie zu dem übrigen. Darauf ver¬ schnürte ich das Bündel. Es war schon tief in der Nacht, als ich mit meinen Vorbereitungen zu Eude war, eine weiche, warme Sommernacht. Vor mir lagen die Wiesen in einem leichten Dunst, und darüber dunkelte der Wald. In der Stille der Nacht aber rauschte laut der Brunnen. Lange hatte ich ihn nicht mehr vernommen, jetzt erhob er plötzlich seine Stimme und ließ sie anschwellen, mehr und mehr, als wollte er sich mit aller Gewalt bemerkbar machen. Vom Kirchturm schlug es zwei Uhr. Ich ergriff mein Bündel, als der Ton verhallt war, und ging leise die Treppe hinunter. Vor dem Zimmer, worin mein Vater schlief, hielt ich an. Gern wäre ich hineingeschlichen und hätte mich über seine Hand gebeugt, aber ich durfte ihn uicht wecken. Wer so in die Welt geht, muß auf leisen Sohlen schleichen. Wie ein Dieb muß er hinaus, der seiner Eltern Frieden mit sich trägt. Drinnen schnarrte die Uhr. holte lange aus und schlug endlich an. Zwei Uhr! Sie geht immer hinter der Zeit her, die alte Uhr, die so viele Stunden geschlagen hat, sie kommt nicht mehr mit, ebensowenig wie der Mann mit dein hölzernen Fuß, der unter ihr ruht. Ich offne die Tür und lasse sie vorsichtig ins Schloß zurückgehn. Über nur unter dem Dachgesims rührt sich etwas, das Schwalbenpaar, dessen Nest dort oben anklebt, wird wach und zwitschert. Jenseits der Straße aber rauscht der Brunnen nach lauter als zuvor und schimmert zu mir herüber in der mondhellen Nacht. Nebenan im Nachbarhaus schlägt ein Hündchen an, im Traum, oder hat es meinen Schritt gehört? Jetzt regt es sich auch im Hause und geht mühsam durchs Zimmer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/399>, abgerufen am 01.07.2024.