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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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I" Sekunda wurden nur freilich die Lücken meines ans Tertia mitgebrachten
Wissens sehr fühlbar. Aber ich kam in die Hand eines Lehrers, der es verstand,
uns zu fesseln. Sein Unterricht im Lateinischen und in der alten Geschichte war
unvergleichlich fruchtbar und wirkte auch erziehend auf uns, wie der keines andern
Lehrers. Dieser Lehrer war der Professor Goßrau. Sein Andenken wird mir
gesegnet bleiben, so lange ich lebe.

Goßrau war nicht eigentlicher Ordinarius der Sekunda. Er gab aber den
gesamten Unterricht im Lateinischen, in der Geschichte und der griechischen Grammatik
und Prosa. Er imponierte uns durch seine Gelehrsamkeit ebenso wie durch seinen
tiefen sittliche" Ernst. Er beeinflußte seine Schüler bis in die Tiefen des Herzens
und Willens und galt uns weitaus als der wichtigste und bedeutendste aller unsrer
Lehrer. Sieben ihm unterrichteten in Sekunda nur noch zwei wissenschaftliche Lehrer,
der schon bejahrte, würdige Professor Jhlefeldt und der Mathematikus, Professor
Schumann. Jhlefeldt hieß bei den Schülern der Alte und Professor Schumann
der Kleine.

Der alte Jhlefeldt trug eine in der Mitte gescheitelte, brenne Perücke und
konnte als Typus eines in ernster lvissenschaftlicher Arbeit und peinlicher Gewissen¬
haftigkeit bewährten Philologen alten Schlages gelten. Seiner Würde und Autorität
beugten wir uns unbedingt', obwohl uns seine Persönlichkeit einigermaßen hinter
der Zeit zurückgeblieben vorkam. Er genoß auch bei den, Direktor und dem übrige"
Lehrerkollegium großes Ansehen. Als ich nach Sekunda versetzt wurde, mochte sein
Alter ihm wohl an seiner frühern Frische schon ein wenig Eintrag tun. Er er¬
teilte in Sekunda den Religionsunterricht nach einem Lehrbuche von Niemeyer. Er
war ein Manu der Aufklärung, Philolog ans der Fr. Ang. Wolfschen Schule, und
von irgendeiner religiösen Anregung durch ihn konnte keine Rede sein. Der
Bibel und dem kirchlichen Christentum stand er durchaus kritisch gegenüber. Ich
entsinne mich, wie er in einer der ersten Religionsstunden, die ich bei ihm hatte,
mit tiefem Ernst die Frage untersuchte, ob man ini Namen Jesu beten dürfe. Er
kam dahin, die Frage schlechthin zu verneinen. Darüber kam dann bei uns die
Berechtigung des Gebets überhaupt ins Schwanken. Dieser Religionsunterricht
wußte nur eiuzurcißen, aber nicht zu bauen. Nichtsdestoweniger imponierte uns
Schülern der sittliche Ernst des Alten. Wir haben ihn trotz seiner hie und da
wunderlich erscheinenden Eigentümlichkeiten immer mit einer gewissen Ehrfurcht be¬
trachtet. Etwas wunderlich war auch sein Unterricht in Homer. Wir lasen bei
ihm die Odyssee weiter, haben anch Wohl die Ilias angefangen. Für die poetische
Schönheit der wundervollen Dichtungen im Zusammenhang uns die Augen zu öffnen,
verstand anch er nicht. Die griechischen Partikeln bei Homer S^", 6e> "/^ä usw-
waren sein Steckenpferd, und auf ihre Bedeutung kam er immer wieder zurück.
Er besaß die griechisch-lateinische kommentierte Ausgabe des Homer von Samuel
Clnrke <1758). Darauf tat er sich ein wenig zugute, und bei jeden, entstehenden
Zweifel über den Text oder dessen Bedeutung pflegte er zu sagen: "Wir wollen
zunächst einmal sehen, was mein alter Clarke dazu sagt." Sehr anregend war
diese Behandlung des Homer nicht. Interessant und förderlich war dagegen der
Unterricht des Alten im Deutschen. Nüchtern und verständig schnitt er die aus
Tertia mit herübergekommnen, oft schwülstigen und überschwenglichen AuswucM
unsers Stils zurück, führte uns mit dem Idealismus der ältern Philologen tiefer
in die Schönheiten der deutschen Klassiker ein und gab uns dadurch einen weu-
vollen Schatz für das Leben mit. Nicht ohne Rührung kann ich an dn^ wu -
volle Pathos des guten Alten zurückdenken. Einst faßte er mich " ^während des französischen Unterrichts unter der Bank einen Roman der WU)
Emilie Flygare-Carien las. Nach der Stunde bestellte er mich steh ' d reoere
mir väterlich ins Gewissen. Dabei berief er sich darauf, daß 'e nun ^e en
nur einen einzigen Roman - ich weiß nicht mehr, welchen - ^e,en pave
Szene hatte wenigstens den Erfolg, daß ich das Nomanschmokern wahrend der
Unterrichtsstunden aufgab.


I» Sekunda wurden nur freilich die Lücken meines ans Tertia mitgebrachten
Wissens sehr fühlbar. Aber ich kam in die Hand eines Lehrers, der es verstand,
uns zu fesseln. Sein Unterricht im Lateinischen und in der alten Geschichte war
unvergleichlich fruchtbar und wirkte auch erziehend auf uns, wie der keines andern
Lehrers. Dieser Lehrer war der Professor Goßrau. Sein Andenken wird mir
gesegnet bleiben, so lange ich lebe.

Goßrau war nicht eigentlicher Ordinarius der Sekunda. Er gab aber den
gesamten Unterricht im Lateinischen, in der Geschichte und der griechischen Grammatik
und Prosa. Er imponierte uns durch seine Gelehrsamkeit ebenso wie durch seinen
tiefen sittliche» Ernst. Er beeinflußte seine Schüler bis in die Tiefen des Herzens
und Willens und galt uns weitaus als der wichtigste und bedeutendste aller unsrer
Lehrer. Sieben ihm unterrichteten in Sekunda nur noch zwei wissenschaftliche Lehrer,
der schon bejahrte, würdige Professor Jhlefeldt und der Mathematikus, Professor
Schumann. Jhlefeldt hieß bei den Schülern der Alte und Professor Schumann
der Kleine.

Der alte Jhlefeldt trug eine in der Mitte gescheitelte, brenne Perücke und
konnte als Typus eines in ernster lvissenschaftlicher Arbeit und peinlicher Gewissen¬
haftigkeit bewährten Philologen alten Schlages gelten. Seiner Würde und Autorität
beugten wir uns unbedingt', obwohl uns seine Persönlichkeit einigermaßen hinter
der Zeit zurückgeblieben vorkam. Er genoß auch bei den, Direktor und dem übrige»
Lehrerkollegium großes Ansehen. Als ich nach Sekunda versetzt wurde, mochte sein
Alter ihm wohl an seiner frühern Frische schon ein wenig Eintrag tun. Er er¬
teilte in Sekunda den Religionsunterricht nach einem Lehrbuche von Niemeyer. Er
war ein Manu der Aufklärung, Philolog ans der Fr. Ang. Wolfschen Schule, und
von irgendeiner religiösen Anregung durch ihn konnte keine Rede sein. Der
Bibel und dem kirchlichen Christentum stand er durchaus kritisch gegenüber. Ich
entsinne mich, wie er in einer der ersten Religionsstunden, die ich bei ihm hatte,
mit tiefem Ernst die Frage untersuchte, ob man ini Namen Jesu beten dürfe. Er
kam dahin, die Frage schlechthin zu verneinen. Darüber kam dann bei uns die
Berechtigung des Gebets überhaupt ins Schwanken. Dieser Religionsunterricht
wußte nur eiuzurcißen, aber nicht zu bauen. Nichtsdestoweniger imponierte uns
Schülern der sittliche Ernst des Alten. Wir haben ihn trotz seiner hie und da
wunderlich erscheinenden Eigentümlichkeiten immer mit einer gewissen Ehrfurcht be¬
trachtet. Etwas wunderlich war auch sein Unterricht in Homer. Wir lasen bei
ihm die Odyssee weiter, haben anch Wohl die Ilias angefangen. Für die poetische
Schönheit der wundervollen Dichtungen im Zusammenhang uns die Augen zu öffnen,
verstand anch er nicht. Die griechischen Partikeln bei Homer S^«, 6e> «/^ä usw-
waren sein Steckenpferd, und auf ihre Bedeutung kam er immer wieder zurück.
Er besaß die griechisch-lateinische kommentierte Ausgabe des Homer von Samuel
Clnrke <1758). Darauf tat er sich ein wenig zugute, und bei jeden, entstehenden
Zweifel über den Text oder dessen Bedeutung pflegte er zu sagen: „Wir wollen
zunächst einmal sehen, was mein alter Clarke dazu sagt." Sehr anregend war
diese Behandlung des Homer nicht. Interessant und förderlich war dagegen der
Unterricht des Alten im Deutschen. Nüchtern und verständig schnitt er die aus
Tertia mit herübergekommnen, oft schwülstigen und überschwenglichen AuswucM
unsers Stils zurück, führte uns mit dem Idealismus der ältern Philologen tiefer
in die Schönheiten der deutschen Klassiker ein und gab uns dadurch einen weu-
vollen Schatz für das Leben mit. Nicht ohne Rührung kann ich an dn^ wu -
volle Pathos des guten Alten zurückdenken. Einst faßte er mich " ^während des französischen Unterrichts unter der Bank einen Roman der WU)
Emilie Flygare-Carien las. Nach der Stunde bestellte er mich steh ' d reoere
mir väterlich ins Gewissen. Dabei berief er sich darauf, daß 'e nun ^e en
nur einen einzigen Roman - ich weiß nicht mehr, welchen - ^e,en pave
Szene hatte wenigstens den Erfolg, daß ich das Nomanschmokern wahrend der
Unterrichtsstunden aufgab.


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[0391] I» Sekunda wurden nur freilich die Lücken meines ans Tertia mitgebrachten Wissens sehr fühlbar. Aber ich kam in die Hand eines Lehrers, der es verstand, uns zu fesseln. Sein Unterricht im Lateinischen und in der alten Geschichte war unvergleichlich fruchtbar und wirkte auch erziehend auf uns, wie der keines andern Lehrers. Dieser Lehrer war der Professor Goßrau. Sein Andenken wird mir gesegnet bleiben, so lange ich lebe. Goßrau war nicht eigentlicher Ordinarius der Sekunda. Er gab aber den gesamten Unterricht im Lateinischen, in der Geschichte und der griechischen Grammatik und Prosa. Er imponierte uns durch seine Gelehrsamkeit ebenso wie durch seinen tiefen sittliche» Ernst. Er beeinflußte seine Schüler bis in die Tiefen des Herzens und Willens und galt uns weitaus als der wichtigste und bedeutendste aller unsrer Lehrer. Sieben ihm unterrichteten in Sekunda nur noch zwei wissenschaftliche Lehrer, der schon bejahrte, würdige Professor Jhlefeldt und der Mathematikus, Professor Schumann. Jhlefeldt hieß bei den Schülern der Alte und Professor Schumann der Kleine. Der alte Jhlefeldt trug eine in der Mitte gescheitelte, brenne Perücke und konnte als Typus eines in ernster lvissenschaftlicher Arbeit und peinlicher Gewissen¬ haftigkeit bewährten Philologen alten Schlages gelten. Seiner Würde und Autorität beugten wir uns unbedingt', obwohl uns seine Persönlichkeit einigermaßen hinter der Zeit zurückgeblieben vorkam. Er genoß auch bei den, Direktor und dem übrige» Lehrerkollegium großes Ansehen. Als ich nach Sekunda versetzt wurde, mochte sein Alter ihm wohl an seiner frühern Frische schon ein wenig Eintrag tun. Er er¬ teilte in Sekunda den Religionsunterricht nach einem Lehrbuche von Niemeyer. Er war ein Manu der Aufklärung, Philolog ans der Fr. Ang. Wolfschen Schule, und von irgendeiner religiösen Anregung durch ihn konnte keine Rede sein. Der Bibel und dem kirchlichen Christentum stand er durchaus kritisch gegenüber. Ich entsinne mich, wie er in einer der ersten Religionsstunden, die ich bei ihm hatte, mit tiefem Ernst die Frage untersuchte, ob man ini Namen Jesu beten dürfe. Er kam dahin, die Frage schlechthin zu verneinen. Darüber kam dann bei uns die Berechtigung des Gebets überhaupt ins Schwanken. Dieser Religionsunterricht wußte nur eiuzurcißen, aber nicht zu bauen. Nichtsdestoweniger imponierte uns Schülern der sittliche Ernst des Alten. Wir haben ihn trotz seiner hie und da wunderlich erscheinenden Eigentümlichkeiten immer mit einer gewissen Ehrfurcht be¬ trachtet. Etwas wunderlich war auch sein Unterricht in Homer. Wir lasen bei ihm die Odyssee weiter, haben anch Wohl die Ilias angefangen. Für die poetische Schönheit der wundervollen Dichtungen im Zusammenhang uns die Augen zu öffnen, verstand anch er nicht. Die griechischen Partikeln bei Homer S^«, 6e> «/^ä usw- waren sein Steckenpferd, und auf ihre Bedeutung kam er immer wieder zurück. Er besaß die griechisch-lateinische kommentierte Ausgabe des Homer von Samuel Clnrke <1758). Darauf tat er sich ein wenig zugute, und bei jeden, entstehenden Zweifel über den Text oder dessen Bedeutung pflegte er zu sagen: „Wir wollen zunächst einmal sehen, was mein alter Clarke dazu sagt." Sehr anregend war diese Behandlung des Homer nicht. Interessant und förderlich war dagegen der Unterricht des Alten im Deutschen. Nüchtern und verständig schnitt er die aus Tertia mit herübergekommnen, oft schwülstigen und überschwenglichen AuswucM unsers Stils zurück, führte uns mit dem Idealismus der ältern Philologen tiefer in die Schönheiten der deutschen Klassiker ein und gab uns dadurch einen weu- vollen Schatz für das Leben mit. Nicht ohne Rührung kann ich an dn^ wu - volle Pathos des guten Alten zurückdenken. Einst faßte er mich " ^während des französischen Unterrichts unter der Bank einen Roman der WU) Emilie Flygare-Carien las. Nach der Stunde bestellte er mich steh ' d reoere mir väterlich ins Gewissen. Dabei berief er sich darauf, daß 'e nun ^e en nur einen einzigen Roman - ich weiß nicht mehr, welchen - ^e,en pave Szene hatte wenigstens den Erfolg, daß ich das Nomanschmokern wahrend der Unterrichtsstunden aufgab.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/391>, abgerufen am 03.07.2024.