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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Aus der Jugendzeit

Formen, das alles stand im Widerspruch mit unsrer bis dahin unschuldigen Naivität.
Es wurde dadurch ein gutes Teil des bis dahin unbewußt uns verblichnen Dnfts
kindlicher Harmlosigkeit abgestreift. Uns ist das damals freilich nicht klar zum
Bewußtsein gekommen; aber innerlich geschädigt worden sind wir durch jenen kin¬
dischen Unsinn ohne allen Zweifel. Merkwürdig genug, daß unser sonstiges Ver¬
halten der Schule gegenüber so wenig davon beeinflußt wurde. Wir blieben
wenigstens fleißige Schüler, und ich wurde sogar zu Michaelis 1846 muh Seknnda
versetzt. Eine Teilung der obern Klassen in Ober- und Unterprima usw. gab es
damals noch nicht. Das Pensum der Tertia habe ich spielend erledigt. Freilich
war der innere Gewinn mäßig. Wir lasen in Tertia Cäsars Gallischen Krieg und
lernten ihn geläufig übersetzen, waren auch in der Grammatik fest und sicher. Daneben
lasen wir Ovids Metamorphosen. Die mythologischen Kinkerlitzchen darin inter¬
essierten uns zwar, aber was die Sprache anlangte, hatten wir die Schwierig¬
keiten dieses Buchs nur äußerst dürftig überwunden. Das lag zum Teil wohl
daran, daß der lateinische Unterricht nicht in einer Hand lag. Lateinische Grammatik
und Prosa hatte der Ordinarius Dr. Schmidt, und er brachte uns überall eine
solide Grundlage bei. Ovid dagegen lasen wir bei einem andern Lehrer, der es
weniger genau nahm. Ähnlich war es im Griechischen, nur noch mangelhafter.
Wir lernten zwar das Nötigste in der Grammatik, aber der Prosa von Tenophons
Anabasis gewannen wir weder Verständnis noch Interesse ab. Daneben lasen wir
bei einem andern Lehrer Homers Odyssee. Leider hatte dieser sonst so treffliche
Maun keine Lehrgabe. Er elendete uns mit den Dialektformen, aber für die
wundervolle Poesie Homers wußte er unsre Angen nicht zu öffnen. Wir präpa¬
rierten uns mit Hilfe einer recht mäßigen Prosaübersetzung -- ich glaube, sie war
von Zauppe --, diese und allenfalls die schöne Voßsche Übersetzung las wohl der
eine oder der andre aus Neugierde einmal für sich. Im ganzen aber blieb uns
die Schönheit der Odhssee verschlossen. Auch im Französischen waren unsre Leistungen
jämmerlich. Etwas besser ging es in der Mathematik. Wir mußten da in der
Geometrie ein Heft ausarbeiten. Ein trefflicher Mitschüler, einer der besten und
unverdorbensten Jungen, tat dies, da er sich dem Baufach widmen wollte, mit
größtem Fleiße und schrieb sein Heft äußerst sauber und kalligraphisch tadellos.
Das gefiel mir so, daß ich mich bemühte, es ihm gleich zu tun. Dadurch habe ich
mir meine deutliche Handschrift angewöhnt. Sie kommt mir noch heute zugute,
und der Fleiß, den ich auf das mathematische Heft verwandte, wurde für mich um
so nützlicher, als ich für die Mathematik wenig Anlage und gar keine Neigung
hatte. Ganz mangelhaft war es mit Geschichte und Geographie bestellt. Sie wurden
stiefmütterlich behandelt, und die Lücken in der Geschichte, die damals entstanden,
habe ich auf dem Gymnasium, wenigstens soweit es sich um neuere Geschichte
handelte, nie wieder ganz ausgefüllt. Diesen Mangel habe ich nach der Schulzeit
lange sehr schmerzlich empfunden. Besser dagegen war in Tertia der Unterricht
im Deutschen bei or. Schmidt. Er führte uns in die poetische Literatur ein und
wußte uns anch für die Anfsatzthemata zu interessieren. Er legte vielleicht zu viel
Wert ans eine schwunghafte und blumenreiche Sprache, und so kamen in unsern
deutschen Aufsätzen wortreiche und poetische Phrasen mehr zur Geltung, als zu
wünschen gewesen wäre. Dieser Mangel wurde später in Sekunda und namentlich
in Prima mit gutem Erfolge bekämpft. Dem trefflichen or. Schmidt aber hatten
Wir es zu danken, daß er uns in Tertia mit Begeisterung für die deutsche Poesie
erfüllte. Er selbst hatte dafür ein Herz, und sein mit warmer Empfindung er¬
teilter deutscher Unterricht fand bei uns den empfänglichsten Boden. Wir lernten
auch viele poetische Stücke auswendig und mußten sie in der Schule deklamieren.
Der deutsche Unterricht interessierte mich lebhaft, und im Deutschen war ich halv
den übrigen Jungen voraus. Darauf wird wohl meine frühzeitige Versetzung nach
Sekunda zurückzuführen sein. Ich glaube nicht, daß sie mir geschadet hat. Auch
wenn ich noch ein Halbjahr länger in Tertin geblieben wäre, würde ich schwerlich
mehr gelernt haben."


Aus der Jugendzeit

Formen, das alles stand im Widerspruch mit unsrer bis dahin unschuldigen Naivität.
Es wurde dadurch ein gutes Teil des bis dahin unbewußt uns verblichnen Dnfts
kindlicher Harmlosigkeit abgestreift. Uns ist das damals freilich nicht klar zum
Bewußtsein gekommen; aber innerlich geschädigt worden sind wir durch jenen kin¬
dischen Unsinn ohne allen Zweifel. Merkwürdig genug, daß unser sonstiges Ver¬
halten der Schule gegenüber so wenig davon beeinflußt wurde. Wir blieben
wenigstens fleißige Schüler, und ich wurde sogar zu Michaelis 1846 muh Seknnda
versetzt. Eine Teilung der obern Klassen in Ober- und Unterprima usw. gab es
damals noch nicht. Das Pensum der Tertia habe ich spielend erledigt. Freilich
war der innere Gewinn mäßig. Wir lasen in Tertia Cäsars Gallischen Krieg und
lernten ihn geläufig übersetzen, waren auch in der Grammatik fest und sicher. Daneben
lasen wir Ovids Metamorphosen. Die mythologischen Kinkerlitzchen darin inter¬
essierten uns zwar, aber was die Sprache anlangte, hatten wir die Schwierig¬
keiten dieses Buchs nur äußerst dürftig überwunden. Das lag zum Teil wohl
daran, daß der lateinische Unterricht nicht in einer Hand lag. Lateinische Grammatik
und Prosa hatte der Ordinarius Dr. Schmidt, und er brachte uns überall eine
solide Grundlage bei. Ovid dagegen lasen wir bei einem andern Lehrer, der es
weniger genau nahm. Ähnlich war es im Griechischen, nur noch mangelhafter.
Wir lernten zwar das Nötigste in der Grammatik, aber der Prosa von Tenophons
Anabasis gewannen wir weder Verständnis noch Interesse ab. Daneben lasen wir
bei einem andern Lehrer Homers Odyssee. Leider hatte dieser sonst so treffliche
Maun keine Lehrgabe. Er elendete uns mit den Dialektformen, aber für die
wundervolle Poesie Homers wußte er unsre Angen nicht zu öffnen. Wir präpa¬
rierten uns mit Hilfe einer recht mäßigen Prosaübersetzung — ich glaube, sie war
von Zauppe —, diese und allenfalls die schöne Voßsche Übersetzung las wohl der
eine oder der andre aus Neugierde einmal für sich. Im ganzen aber blieb uns
die Schönheit der Odhssee verschlossen. Auch im Französischen waren unsre Leistungen
jämmerlich. Etwas besser ging es in der Mathematik. Wir mußten da in der
Geometrie ein Heft ausarbeiten. Ein trefflicher Mitschüler, einer der besten und
unverdorbensten Jungen, tat dies, da er sich dem Baufach widmen wollte, mit
größtem Fleiße und schrieb sein Heft äußerst sauber und kalligraphisch tadellos.
Das gefiel mir so, daß ich mich bemühte, es ihm gleich zu tun. Dadurch habe ich
mir meine deutliche Handschrift angewöhnt. Sie kommt mir noch heute zugute,
und der Fleiß, den ich auf das mathematische Heft verwandte, wurde für mich um
so nützlicher, als ich für die Mathematik wenig Anlage und gar keine Neigung
hatte. Ganz mangelhaft war es mit Geschichte und Geographie bestellt. Sie wurden
stiefmütterlich behandelt, und die Lücken in der Geschichte, die damals entstanden,
habe ich auf dem Gymnasium, wenigstens soweit es sich um neuere Geschichte
handelte, nie wieder ganz ausgefüllt. Diesen Mangel habe ich nach der Schulzeit
lange sehr schmerzlich empfunden. Besser dagegen war in Tertia der Unterricht
im Deutschen bei or. Schmidt. Er führte uns in die poetische Literatur ein und
wußte uns anch für die Anfsatzthemata zu interessieren. Er legte vielleicht zu viel
Wert ans eine schwunghafte und blumenreiche Sprache, und so kamen in unsern
deutschen Aufsätzen wortreiche und poetische Phrasen mehr zur Geltung, als zu
wünschen gewesen wäre. Dieser Mangel wurde später in Sekunda und namentlich
in Prima mit gutem Erfolge bekämpft. Dem trefflichen or. Schmidt aber hatten
Wir es zu danken, daß er uns in Tertia mit Begeisterung für die deutsche Poesie
erfüllte. Er selbst hatte dafür ein Herz, und sein mit warmer Empfindung er¬
teilter deutscher Unterricht fand bei uns den empfänglichsten Boden. Wir lernten
auch viele poetische Stücke auswendig und mußten sie in der Schule deklamieren.
Der deutsche Unterricht interessierte mich lebhaft, und im Deutschen war ich halv
den übrigen Jungen voraus. Darauf wird wohl meine frühzeitige Versetzung nach
Sekunda zurückzuführen sein. Ich glaube nicht, daß sie mir geschadet hat. Auch
wenn ich noch ein Halbjahr länger in Tertin geblieben wäre, würde ich schwerlich
mehr gelernt haben."


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[0390] Aus der Jugendzeit Formen, das alles stand im Widerspruch mit unsrer bis dahin unschuldigen Naivität. Es wurde dadurch ein gutes Teil des bis dahin unbewußt uns verblichnen Dnfts kindlicher Harmlosigkeit abgestreift. Uns ist das damals freilich nicht klar zum Bewußtsein gekommen; aber innerlich geschädigt worden sind wir durch jenen kin¬ dischen Unsinn ohne allen Zweifel. Merkwürdig genug, daß unser sonstiges Ver¬ halten der Schule gegenüber so wenig davon beeinflußt wurde. Wir blieben wenigstens fleißige Schüler, und ich wurde sogar zu Michaelis 1846 muh Seknnda versetzt. Eine Teilung der obern Klassen in Ober- und Unterprima usw. gab es damals noch nicht. Das Pensum der Tertia habe ich spielend erledigt. Freilich war der innere Gewinn mäßig. Wir lasen in Tertia Cäsars Gallischen Krieg und lernten ihn geläufig übersetzen, waren auch in der Grammatik fest und sicher. Daneben lasen wir Ovids Metamorphosen. Die mythologischen Kinkerlitzchen darin inter¬ essierten uns zwar, aber was die Sprache anlangte, hatten wir die Schwierig¬ keiten dieses Buchs nur äußerst dürftig überwunden. Das lag zum Teil wohl daran, daß der lateinische Unterricht nicht in einer Hand lag. Lateinische Grammatik und Prosa hatte der Ordinarius Dr. Schmidt, und er brachte uns überall eine solide Grundlage bei. Ovid dagegen lasen wir bei einem andern Lehrer, der es weniger genau nahm. Ähnlich war es im Griechischen, nur noch mangelhafter. Wir lernten zwar das Nötigste in der Grammatik, aber der Prosa von Tenophons Anabasis gewannen wir weder Verständnis noch Interesse ab. Daneben lasen wir bei einem andern Lehrer Homers Odyssee. Leider hatte dieser sonst so treffliche Maun keine Lehrgabe. Er elendete uns mit den Dialektformen, aber für die wundervolle Poesie Homers wußte er unsre Angen nicht zu öffnen. Wir präpa¬ rierten uns mit Hilfe einer recht mäßigen Prosaübersetzung — ich glaube, sie war von Zauppe —, diese und allenfalls die schöne Voßsche Übersetzung las wohl der eine oder der andre aus Neugierde einmal für sich. Im ganzen aber blieb uns die Schönheit der Odhssee verschlossen. Auch im Französischen waren unsre Leistungen jämmerlich. Etwas besser ging es in der Mathematik. Wir mußten da in der Geometrie ein Heft ausarbeiten. Ein trefflicher Mitschüler, einer der besten und unverdorbensten Jungen, tat dies, da er sich dem Baufach widmen wollte, mit größtem Fleiße und schrieb sein Heft äußerst sauber und kalligraphisch tadellos. Das gefiel mir so, daß ich mich bemühte, es ihm gleich zu tun. Dadurch habe ich mir meine deutliche Handschrift angewöhnt. Sie kommt mir noch heute zugute, und der Fleiß, den ich auf das mathematische Heft verwandte, wurde für mich um so nützlicher, als ich für die Mathematik wenig Anlage und gar keine Neigung hatte. Ganz mangelhaft war es mit Geschichte und Geographie bestellt. Sie wurden stiefmütterlich behandelt, und die Lücken in der Geschichte, die damals entstanden, habe ich auf dem Gymnasium, wenigstens soweit es sich um neuere Geschichte handelte, nie wieder ganz ausgefüllt. Diesen Mangel habe ich nach der Schulzeit lange sehr schmerzlich empfunden. Besser dagegen war in Tertia der Unterricht im Deutschen bei or. Schmidt. Er führte uns in die poetische Literatur ein und wußte uns anch für die Anfsatzthemata zu interessieren. Er legte vielleicht zu viel Wert ans eine schwunghafte und blumenreiche Sprache, und so kamen in unsern deutschen Aufsätzen wortreiche und poetische Phrasen mehr zur Geltung, als zu wünschen gewesen wäre. Dieser Mangel wurde später in Sekunda und namentlich in Prima mit gutem Erfolge bekämpft. Dem trefflichen or. Schmidt aber hatten Wir es zu danken, daß er uns in Tertia mit Begeisterung für die deutsche Poesie erfüllte. Er selbst hatte dafür ein Herz, und sein mit warmer Empfindung er¬ teilter deutscher Unterricht fand bei uns den empfänglichsten Boden. Wir lernten auch viele poetische Stücke auswendig und mußten sie in der Schule deklamieren. Der deutsche Unterricht interessierte mich lebhaft, und im Deutschen war ich halv den übrigen Jungen voraus. Darauf wird wohl meine frühzeitige Versetzung nach Sekunda zurückzuführen sein. Ich glaube nicht, daß sie mir geschadet hat. Auch wenn ich noch ein Halbjahr länger in Tertin geblieben wäre, würde ich schwerlich mehr gelernt haben."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/390>, abgerufen am 22.07.2024.