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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Zwei Seelen

Bett auf und sah thu zornig an, als hätte er Lust, zu ihm hinüberzuflattern und
ihm einen Schnabelhieb zu versetzen.

Der Behagliche ließ sich jedoch nicht zurückschrecken, sondern fing von neuem
an: Ich störe offenbar. Na, nichts für ungut. Freiwillig bin ich nicht zu euch
gekommen, wäre auch lieber wo anders und kann übrigens auch für mich sein.
An Gedanken fehlt es mir Gott sei Dank nicht, hat es mir noch nie gefehlt, und
wird es mir auch nie fehlen. Beschäftigen wir uns also mit uns selber!

Er schien damit auch einen Anfang zu machen, war aber Wohl schnell am
Ende angelangt, denn schon nach einigen Minuten fing er wieder mit uns an.
Er wollte wissen, wer wir wären, und was wir begangen hätten, und woher wir
stammten. Da kam er aber bös an. Das uralte Männlein geriet in einen Mords¬
zorn, schlug mit den Armen um sich und schrie: Will denn der Lumpenhund nicht
endlich sein verfluchtes Maul halten?

Ich wies auf den Schwerkranken hin, der sich seufzend auf die andre Seite
gelegt hatte. Blitzschnell war unser neuer Gefährte, dessen Name Heinemann war,
an dem Bett und bei dem sterbenden Menschen. Er besah ihn von allen Seiten
und schüttelte dabei deu Kopf. So so, also so sieht es mit dir aus, mein armer
guter Bursch. Wie liegst du deun? Nicht wahr, schlecht? Und während er diese
Fragen an ihn richtete, hob er die Kissen auf und bereitete dem Kranken eine
bessere Lage. Dann legte er sich wieder in sein Bett und verhielt sich nun ruhig.
Während er sich mit dem Kranken beschäftigt hatte, hatte ich ihn näher betrachten
können. Er war ein Mann von mittlerer Größe und einer untersetzten Gestalt,
die auf frühere behagliche Lebensverhältnisse schließen ließ. Er hatte ein rundes,
bartloses Gesicht, eine starke Platte, die von zwei schwarzen Haarbüscheln wie von
Teufelshörnchen an beiden Seiten überragt wurde, und gutmütige, wasserblaue Augen.
Wie alt er sein mochte, ließ sich schwer sagen, es war unmöglich, aus diesem mit
zahllosen Falten bedeckten Gesicht das richtige Alter herauslesen; er konnte in den
Fünfzigern stehn, war aber vielleicht auch jünger. Jetzt weiß ich, daß er damals
kaum das vierzigste Jahr erreicht hatte. Wer ihn in Gedanken in das Treiben
des freien Lebens hineinversetzte, der mußte sich ihn unbedingt mit einer weißen
Weste und einem modischen Röckchen bekleidet denken und dafür halten, daß diese
matten freundlichen Äuglein gewohnt waren, durch eine goldne Brille in die Welt
hinein zu schauen.

An diesem Abend wurde das Befinden des jungen Menschen noch schlimmer,
als es schou immer gewesen war. Der Arzt kam, und nachher der Geistliche, der
eine Zeit lang leise mit ihm sprach und ihm dann das Abendmahl reichte. Nun
wußten wir, daß es zu Eude ging. Das gereizte Männchen wurde noch aufge¬
regter, wir andern hielten uns schweigsam. Heinemann, der sich uni wohlsten befand,
wenn er überhaupt krank war, machte sich ans seinem Bett heraus und setzte sich
neben den sterbenden Menschen, dem das Wasser in den Augen stand. Wir hörten
zuweilen einen Laut von ihm, nur wie einen Hauch, dann sahen wir, wie er seine
Briefe wieder hervorholte, ohne darin zu lesen, und endlich seine Hände faltete.

Gegen Morgen hatte er ausgelitten und lag nun still neben uns, die Augen
zur Decke gerichtet, bis sie ihm Heinemann sanft zudrückte. Draußen regnete und
stürmte es in den grauen dunkeln Morgen hinein.

Als der Tote hinaufgebracht wordeu war, wurden die beiden wunderlichen
Greise nebeneinander gebettet, während Heinemnnn es möglich machte, daß er neben
mir zu liegen kam. Ich war damit sehr zufrieden. Was er auch sonst sein mochte,
er war jedenfalls ein gutmütiger und teilnahmvoller Mann, und seine Gesellschaft
deshalb tausendmal der meines bisherigen Nachbarn vorzuziehn. Der Tod, der so
plötzlich in unsre Mitte getreten war, hatte ihn überdies ernster gestimmt und ihm
Gelegenheit gegeben, sich in einer neuen Rolle zu zeigen, die ihm gut lag. Er
sprach mit anscheinend aufrichtiger Rührung von dem unabweisbaren Schicksal, dein
keiner zu entrinnen vermöge, er sei, wer er wolle, und schien an dieser Phrase ein


Zwei Seelen

Bett auf und sah thu zornig an, als hätte er Lust, zu ihm hinüberzuflattern und
ihm einen Schnabelhieb zu versetzen.

Der Behagliche ließ sich jedoch nicht zurückschrecken, sondern fing von neuem
an: Ich störe offenbar. Na, nichts für ungut. Freiwillig bin ich nicht zu euch
gekommen, wäre auch lieber wo anders und kann übrigens auch für mich sein.
An Gedanken fehlt es mir Gott sei Dank nicht, hat es mir noch nie gefehlt, und
wird es mir auch nie fehlen. Beschäftigen wir uns also mit uns selber!

Er schien damit auch einen Anfang zu machen, war aber Wohl schnell am
Ende angelangt, denn schon nach einigen Minuten fing er wieder mit uns an.
Er wollte wissen, wer wir wären, und was wir begangen hätten, und woher wir
stammten. Da kam er aber bös an. Das uralte Männlein geriet in einen Mords¬
zorn, schlug mit den Armen um sich und schrie: Will denn der Lumpenhund nicht
endlich sein verfluchtes Maul halten?

Ich wies auf den Schwerkranken hin, der sich seufzend auf die andre Seite
gelegt hatte. Blitzschnell war unser neuer Gefährte, dessen Name Heinemann war,
an dem Bett und bei dem sterbenden Menschen. Er besah ihn von allen Seiten
und schüttelte dabei deu Kopf. So so, also so sieht es mit dir aus, mein armer
guter Bursch. Wie liegst du deun? Nicht wahr, schlecht? Und während er diese
Fragen an ihn richtete, hob er die Kissen auf und bereitete dem Kranken eine
bessere Lage. Dann legte er sich wieder in sein Bett und verhielt sich nun ruhig.
Während er sich mit dem Kranken beschäftigt hatte, hatte ich ihn näher betrachten
können. Er war ein Mann von mittlerer Größe und einer untersetzten Gestalt,
die auf frühere behagliche Lebensverhältnisse schließen ließ. Er hatte ein rundes,
bartloses Gesicht, eine starke Platte, die von zwei schwarzen Haarbüscheln wie von
Teufelshörnchen an beiden Seiten überragt wurde, und gutmütige, wasserblaue Augen.
Wie alt er sein mochte, ließ sich schwer sagen, es war unmöglich, aus diesem mit
zahllosen Falten bedeckten Gesicht das richtige Alter herauslesen; er konnte in den
Fünfzigern stehn, war aber vielleicht auch jünger. Jetzt weiß ich, daß er damals
kaum das vierzigste Jahr erreicht hatte. Wer ihn in Gedanken in das Treiben
des freien Lebens hineinversetzte, der mußte sich ihn unbedingt mit einer weißen
Weste und einem modischen Röckchen bekleidet denken und dafür halten, daß diese
matten freundlichen Äuglein gewohnt waren, durch eine goldne Brille in die Welt
hinein zu schauen.

An diesem Abend wurde das Befinden des jungen Menschen noch schlimmer,
als es schou immer gewesen war. Der Arzt kam, und nachher der Geistliche, der
eine Zeit lang leise mit ihm sprach und ihm dann das Abendmahl reichte. Nun
wußten wir, daß es zu Eude ging. Das gereizte Männchen wurde noch aufge¬
regter, wir andern hielten uns schweigsam. Heinemann, der sich uni wohlsten befand,
wenn er überhaupt krank war, machte sich ans seinem Bett heraus und setzte sich
neben den sterbenden Menschen, dem das Wasser in den Augen stand. Wir hörten
zuweilen einen Laut von ihm, nur wie einen Hauch, dann sahen wir, wie er seine
Briefe wieder hervorholte, ohne darin zu lesen, und endlich seine Hände faltete.

Gegen Morgen hatte er ausgelitten und lag nun still neben uns, die Augen
zur Decke gerichtet, bis sie ihm Heinemann sanft zudrückte. Draußen regnete und
stürmte es in den grauen dunkeln Morgen hinein.

Als der Tote hinaufgebracht wordeu war, wurden die beiden wunderlichen
Greise nebeneinander gebettet, während Heinemnnn es möglich machte, daß er neben
mir zu liegen kam. Ich war damit sehr zufrieden. Was er auch sonst sein mochte,
er war jedenfalls ein gutmütiger und teilnahmvoller Mann, und seine Gesellschaft
deshalb tausendmal der meines bisherigen Nachbarn vorzuziehn. Der Tod, der so
plötzlich in unsre Mitte getreten war, hatte ihn überdies ernster gestimmt und ihm
Gelegenheit gegeben, sich in einer neuen Rolle zu zeigen, die ihm gut lag. Er
sprach mit anscheinend aufrichtiger Rührung von dem unabweisbaren Schicksal, dein
keiner zu entrinnen vermöge, er sei, wer er wolle, und schien an dieser Phrase ein


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[0332] Zwei Seelen Bett auf und sah thu zornig an, als hätte er Lust, zu ihm hinüberzuflattern und ihm einen Schnabelhieb zu versetzen. Der Behagliche ließ sich jedoch nicht zurückschrecken, sondern fing von neuem an: Ich störe offenbar. Na, nichts für ungut. Freiwillig bin ich nicht zu euch gekommen, wäre auch lieber wo anders und kann übrigens auch für mich sein. An Gedanken fehlt es mir Gott sei Dank nicht, hat es mir noch nie gefehlt, und wird es mir auch nie fehlen. Beschäftigen wir uns also mit uns selber! Er schien damit auch einen Anfang zu machen, war aber Wohl schnell am Ende angelangt, denn schon nach einigen Minuten fing er wieder mit uns an. Er wollte wissen, wer wir wären, und was wir begangen hätten, und woher wir stammten. Da kam er aber bös an. Das uralte Männlein geriet in einen Mords¬ zorn, schlug mit den Armen um sich und schrie: Will denn der Lumpenhund nicht endlich sein verfluchtes Maul halten? Ich wies auf den Schwerkranken hin, der sich seufzend auf die andre Seite gelegt hatte. Blitzschnell war unser neuer Gefährte, dessen Name Heinemann war, an dem Bett und bei dem sterbenden Menschen. Er besah ihn von allen Seiten und schüttelte dabei deu Kopf. So so, also so sieht es mit dir aus, mein armer guter Bursch. Wie liegst du deun? Nicht wahr, schlecht? Und während er diese Fragen an ihn richtete, hob er die Kissen auf und bereitete dem Kranken eine bessere Lage. Dann legte er sich wieder in sein Bett und verhielt sich nun ruhig. Während er sich mit dem Kranken beschäftigt hatte, hatte ich ihn näher betrachten können. Er war ein Mann von mittlerer Größe und einer untersetzten Gestalt, die auf frühere behagliche Lebensverhältnisse schließen ließ. Er hatte ein rundes, bartloses Gesicht, eine starke Platte, die von zwei schwarzen Haarbüscheln wie von Teufelshörnchen an beiden Seiten überragt wurde, und gutmütige, wasserblaue Augen. Wie alt er sein mochte, ließ sich schwer sagen, es war unmöglich, aus diesem mit zahllosen Falten bedeckten Gesicht das richtige Alter herauslesen; er konnte in den Fünfzigern stehn, war aber vielleicht auch jünger. Jetzt weiß ich, daß er damals kaum das vierzigste Jahr erreicht hatte. Wer ihn in Gedanken in das Treiben des freien Lebens hineinversetzte, der mußte sich ihn unbedingt mit einer weißen Weste und einem modischen Röckchen bekleidet denken und dafür halten, daß diese matten freundlichen Äuglein gewohnt waren, durch eine goldne Brille in die Welt hinein zu schauen. An diesem Abend wurde das Befinden des jungen Menschen noch schlimmer, als es schou immer gewesen war. Der Arzt kam, und nachher der Geistliche, der eine Zeit lang leise mit ihm sprach und ihm dann das Abendmahl reichte. Nun wußten wir, daß es zu Eude ging. Das gereizte Männchen wurde noch aufge¬ regter, wir andern hielten uns schweigsam. Heinemann, der sich uni wohlsten befand, wenn er überhaupt krank war, machte sich ans seinem Bett heraus und setzte sich neben den sterbenden Menschen, dem das Wasser in den Augen stand. Wir hörten zuweilen einen Laut von ihm, nur wie einen Hauch, dann sahen wir, wie er seine Briefe wieder hervorholte, ohne darin zu lesen, und endlich seine Hände faltete. Gegen Morgen hatte er ausgelitten und lag nun still neben uns, die Augen zur Decke gerichtet, bis sie ihm Heinemann sanft zudrückte. Draußen regnete und stürmte es in den grauen dunkeln Morgen hinein. Als der Tote hinaufgebracht wordeu war, wurden die beiden wunderlichen Greise nebeneinander gebettet, während Heinemnnn es möglich machte, daß er neben mir zu liegen kam. Ich war damit sehr zufrieden. Was er auch sonst sein mochte, er war jedenfalls ein gutmütiger und teilnahmvoller Mann, und seine Gesellschaft deshalb tausendmal der meines bisherigen Nachbarn vorzuziehn. Der Tod, der so plötzlich in unsre Mitte getreten war, hatte ihn überdies ernster gestimmt und ihm Gelegenheit gegeben, sich in einer neuen Rolle zu zeigen, die ihm gut lag. Er sprach mit anscheinend aufrichtiger Rührung von dem unabweisbaren Schicksal, dein keiner zu entrinnen vermöge, er sei, wer er wolle, und schien an dieser Phrase ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/332>, abgerufen am 03.07.2024.