ersten Eindrücke der Untersuchungshaft fieberhaft Erregte viel mehr als einer, der aus der Freiheit vor den Richter tritt.
In dieser Beziehung wird von den mit gerichtlichen Untersuchungen be¬ trauten Beamten ungemein viel gesündigt, wahrhaftig nicht in mmM-sin Alormro. unsrer Rechtspflege. Einen besonders krassen Fall aus der Praxis möchte ich erwähnen: Eine den besten Ständen angehörende hochgebildete junge Frau wird auf der Reise mitten in der Nacht in einem Hotel verhaftet, in Begleitung von Polizeibeamten zwölf Stunden lang an einem glühend heißen Sommertage quer durch halb Deutschland geschleppt und fast unmittelbar nach ihrer An¬ kunft im Untcrsuchungsgefänguis dem als stellvertretenden Untersuchungsrichter fungierenden Assessor vorgeführt. Dieser unterwirft die zum Tode erschöpfte Frau einem länger als eine Stunde währenden Verhör, in dessen Verlauf sie mehreremale ohnmächtig wird. Nachdem sie eine bestimmte Frage dutzende von malen verneint hat, gibt sie ans eine besouders suggestiv gestellte Frage des Assessors eine Antwort, die man bei einigem bösen Willen als belastend an¬ sehen kann. Von neuem befragt, verneint sie die Frage wieder und bestreitet, die belastende Autwort gegeben zu haben. Aber diese eine ihr mit Erfolg suggerierte und natürlich sofort protokollierte Autwort genügt, den bestehenden Verdacht zu bekräftigen und die unglückliche Frau viele Wochen lang in einem der gräßlichsten deutschen Untersuchungsgefängnisse festzuhalten. Gesundheitlich hat sie diesen Schlag, obwohl sie eine kerngesunde kräftige Frau war, nie wieder ganz überwunden. Das über die Vernehmung aufgenommene Protokoll erwähnte mit keiner Silbe den erschöpften Zustand der Frau; nnr der Umstand, daß es nicht von ihr unterschrieben war -- sie war endlich in eine so schwere Ohnmacht gefallen, daß das Verhör abgebrochen werden mußte --, erregte später, als ein Verteidiger in das Verfahren eintreten dürfte, dessen Aufmerksam¬ keit, und es gelang ihm, aufzuklären, unter welchen Umständen das Protokoll zustande gekommen war. Da alle andern Verdachtsgründe gleichfalls längst in nichts zerflossen waren, erfolgte natürlich ihre Freisprechung. Ich überlasse dem Leser die Erwägung, inwieweit sich das vorstehend geschilderte Verfahren des Untersuchungsrichters von der Anwendung der Folter unterscheidet. Mag nun auch immerhin ohne weiteres zugestanden werden, daß eine solche an Ge¬ wissenlosigkeit grenzende Rücksichtslosigkeit eine, ich will hoffen einzig dastehende Ausnahme ist, so dürfen doch die Gefahren nicht unterschätzt werden, die für jeden Beschuldigten, insbesondre aber für den Unschuldigen, in der durch die Verbürgung der Untersuchungshaft erzeugten Erregung und Gemütsstimmung liegen und der Ermittlung der Wahrheit entgegenstehn. Diese Erwägung führt zu der meines Erachtens unabweisbaren Forderung, dem Verhafteten zugleich mit oder noch vor der Verhaftung einen Offizialverteidiger zu bestellen, ohne dessen Mitwirkung kein Verhör, überhaupt keine Untersuchungshandlung ge¬ schehen darf.
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Doch kehren wir nach dieser, wie mich dünkt, doch nicht ganz wertlosen Abschweifung zu unserm Uutersuchungsgefangnen zurück. Das erste Verhör hat die Erwartungen, die er daran geknüpft hat, in keiner Weise erfüllt. Er ist
ersten Eindrücke der Untersuchungshaft fieberhaft Erregte viel mehr als einer, der aus der Freiheit vor den Richter tritt.
In dieser Beziehung wird von den mit gerichtlichen Untersuchungen be¬ trauten Beamten ungemein viel gesündigt, wahrhaftig nicht in mmM-sin Alormro. unsrer Rechtspflege. Einen besonders krassen Fall aus der Praxis möchte ich erwähnen: Eine den besten Ständen angehörende hochgebildete junge Frau wird auf der Reise mitten in der Nacht in einem Hotel verhaftet, in Begleitung von Polizeibeamten zwölf Stunden lang an einem glühend heißen Sommertage quer durch halb Deutschland geschleppt und fast unmittelbar nach ihrer An¬ kunft im Untcrsuchungsgefänguis dem als stellvertretenden Untersuchungsrichter fungierenden Assessor vorgeführt. Dieser unterwirft die zum Tode erschöpfte Frau einem länger als eine Stunde währenden Verhör, in dessen Verlauf sie mehreremale ohnmächtig wird. Nachdem sie eine bestimmte Frage dutzende von malen verneint hat, gibt sie ans eine besouders suggestiv gestellte Frage des Assessors eine Antwort, die man bei einigem bösen Willen als belastend an¬ sehen kann. Von neuem befragt, verneint sie die Frage wieder und bestreitet, die belastende Autwort gegeben zu haben. Aber diese eine ihr mit Erfolg suggerierte und natürlich sofort protokollierte Autwort genügt, den bestehenden Verdacht zu bekräftigen und die unglückliche Frau viele Wochen lang in einem der gräßlichsten deutschen Untersuchungsgefängnisse festzuhalten. Gesundheitlich hat sie diesen Schlag, obwohl sie eine kerngesunde kräftige Frau war, nie wieder ganz überwunden. Das über die Vernehmung aufgenommene Protokoll erwähnte mit keiner Silbe den erschöpften Zustand der Frau; nnr der Umstand, daß es nicht von ihr unterschrieben war — sie war endlich in eine so schwere Ohnmacht gefallen, daß das Verhör abgebrochen werden mußte —, erregte später, als ein Verteidiger in das Verfahren eintreten dürfte, dessen Aufmerksam¬ keit, und es gelang ihm, aufzuklären, unter welchen Umständen das Protokoll zustande gekommen war. Da alle andern Verdachtsgründe gleichfalls längst in nichts zerflossen waren, erfolgte natürlich ihre Freisprechung. Ich überlasse dem Leser die Erwägung, inwieweit sich das vorstehend geschilderte Verfahren des Untersuchungsrichters von der Anwendung der Folter unterscheidet. Mag nun auch immerhin ohne weiteres zugestanden werden, daß eine solche an Ge¬ wissenlosigkeit grenzende Rücksichtslosigkeit eine, ich will hoffen einzig dastehende Ausnahme ist, so dürfen doch die Gefahren nicht unterschätzt werden, die für jeden Beschuldigten, insbesondre aber für den Unschuldigen, in der durch die Verbürgung der Untersuchungshaft erzeugten Erregung und Gemütsstimmung liegen und der Ermittlung der Wahrheit entgegenstehn. Diese Erwägung führt zu der meines Erachtens unabweisbaren Forderung, dem Verhafteten zugleich mit oder noch vor der Verhaftung einen Offizialverteidiger zu bestellen, ohne dessen Mitwirkung kein Verhör, überhaupt keine Untersuchungshandlung ge¬ schehen darf.
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Doch kehren wir nach dieser, wie mich dünkt, doch nicht ganz wertlosen Abschweifung zu unserm Uutersuchungsgefangnen zurück. Das erste Verhör hat die Erwartungen, die er daran geknüpft hat, in keiner Weise erfüllt. Er ist
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der aus der Freiheit vor den Richter tritt.
In dieser Beziehung wird von den mit gerichtlichen Untersuchungen be¬
trauten Beamten ungemein viel gesündigt, wahrhaftig nicht in mmM-sin Alormro.
unsrer Rechtspflege. Einen besonders krassen Fall aus der Praxis möchte ich
erwähnen: Eine den besten Ständen angehörende hochgebildete junge Frau wird
auf der Reise mitten in der Nacht in einem Hotel verhaftet, in Begleitung von
Polizeibeamten zwölf Stunden lang an einem glühend heißen Sommertage
quer durch halb Deutschland geschleppt und fast unmittelbar nach ihrer An¬
kunft im Untcrsuchungsgefänguis dem als stellvertretenden Untersuchungsrichter
fungierenden Assessor vorgeführt. Dieser unterwirft die zum Tode erschöpfte
Frau einem länger als eine Stunde währenden Verhör, in dessen Verlauf sie
mehreremale ohnmächtig wird. Nachdem sie eine bestimmte Frage dutzende von
malen verneint hat, gibt sie ans eine besouders suggestiv gestellte Frage des
Assessors eine Antwort, die man bei einigem bösen Willen als belastend an¬
sehen kann. Von neuem befragt, verneint sie die Frage wieder und bestreitet,
die belastende Autwort gegeben zu haben. Aber diese eine ihr mit Erfolg
suggerierte und natürlich sofort protokollierte Autwort genügt, den bestehenden
Verdacht zu bekräftigen und die unglückliche Frau viele Wochen lang in einem
der gräßlichsten deutschen Untersuchungsgefängnisse festzuhalten. Gesundheitlich
hat sie diesen Schlag, obwohl sie eine kerngesunde kräftige Frau war, nie
wieder ganz überwunden. Das über die Vernehmung aufgenommene Protokoll
erwähnte mit keiner Silbe den erschöpften Zustand der Frau; nnr der Umstand,
daß es nicht von ihr unterschrieben war — sie war endlich in eine so schwere
Ohnmacht gefallen, daß das Verhör abgebrochen werden mußte —, erregte
später, als ein Verteidiger in das Verfahren eintreten dürfte, dessen Aufmerksam¬
keit, und es gelang ihm, aufzuklären, unter welchen Umständen das Protokoll
zustande gekommen war. Da alle andern Verdachtsgründe gleichfalls längst
in nichts zerflossen waren, erfolgte natürlich ihre Freisprechung. Ich überlasse
dem Leser die Erwägung, inwieweit sich das vorstehend geschilderte Verfahren
des Untersuchungsrichters von der Anwendung der Folter unterscheidet. Mag
nun auch immerhin ohne weiteres zugestanden werden, daß eine solche an Ge¬
wissenlosigkeit grenzende Rücksichtslosigkeit eine, ich will hoffen einzig dastehende
Ausnahme ist, so dürfen doch die Gefahren nicht unterschätzt werden, die für
jeden Beschuldigten, insbesondre aber für den Unschuldigen, in der durch die
Verbürgung der Untersuchungshaft erzeugten Erregung und Gemütsstimmung
liegen und der Ermittlung der Wahrheit entgegenstehn. Diese Erwägung führt
zu der meines Erachtens unabweisbaren Forderung, dem Verhafteten zugleich
mit oder noch vor der Verhaftung einen Offizialverteidiger zu bestellen, ohne
dessen Mitwirkung kein Verhör, überhaupt keine Untersuchungshandlung ge¬
schehen darf.
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die Erwartungen, die er daran geknüpft hat, in keiner Weise erfüllt. Er ist
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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/224>, abgerufen am 01.07.2024.
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