Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Nicht zum ersten Male haben bescheidene Anfänge uns Deutsche zu Erfolgen geführt, Harnnckkritiker, Haruncks Wesen des Christentums hat, wie das heute so Das Bleibende in der Lehre Jesu. Eine kritische Ergänzung zu Harnacks "Wesen
des Christentums" von Dr. Rudolf Schultze. (Berlin, Schwetschke und Sohn, 1L02,) -- Reden und Abhandlungen von Johannes Lepsius. 2. Adolf HarnaclS Wesen des Christen¬ tums, (Berlin, Reich-Christi-Nerlag, >V I" Lützow-Ufer 5", ohne Jahreszahl,) Maßgebliches und Unmaßgebliches Nicht zum ersten Male haben bescheidene Anfänge uns Deutsche zu Erfolgen geführt, Harnnckkritiker, Haruncks Wesen des Christentums hat, wie das heute so Das Bleibende in der Lehre Jesu. Eine kritische Ergänzung zu Harnacks „Wesen
des Christentums" von Dr. Rudolf Schultze. (Berlin, Schwetschke und Sohn, 1L02,) — Reden und Abhandlungen von Johannes Lepsius. 2. Adolf HarnaclS Wesen des Christen¬ tums, (Berlin, Reich-Christi-Nerlag, >V I» Lützow-Ufer 5», ohne Jahreszahl,) <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0208" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/242276"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_677" prev="#ID_676"> Nicht zum ersten Male haben bescheidene Anfänge uns Deutsche zu Erfolgen geführt,<lb/> üb<note type="byline"> H. I.</note> er die die Welt erstaunt ist." </p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Harnnckkritiker,</head> <p xml:id="ID_678" next="#ID_679"> Haruncks Wesen des Christentums hat, wie das heute so<lb/> zu gehn pflegt, eine ganze Literatur hervorgerufen. Wir legen dem Leser zwei<lb/> Probe» vor: eine von der Linken und eine von der Rechten,") Dem Dr'. schulde<lb/> geht Harnack lange uicht weit genug. Dieser rede einer Reform der evangelischen<lb/> Kirchen im Sinne des ursprünglichen Christentums das Wort, übersehe dabei aber<lb/> zweierlei, daß eine solche Reform diese Kirchen auflöse» würde, und daß das Ur¬<lb/> christentum unsrer Welt nicht weniger fremd, ja noch fremder gegenüberstehe als das<lb/> Traditionschristcntnm. Harnack wisse zwar als Historiker, daß man die geistige<lb/> Physiognomie einer bestimmten Zeit nicht einer spätern aufzwingen kann, er tre das<lb/> aber, indem er die Gesamtheit der sittlich-religiösen Aussprüche Jesu als für die<lb/> Christen der Gegenwart verbindlich hinstelle. Nicht Weltanschauungen, nur Prinzipien<lb/> könnten für alle Zeiten gelten. Man müsse also untersuchen, ob sich im Neuen<lb/> Testament ein solches Prinzip finde. In der Tat nun finde sich eines. „Die tiefe<lb/> Sehnsucht nach einem ehrlichen Frieden mit dein Leben, mit der Welt, mit der<lb/> Wirklichkeit hat er gestillt dadurch, daß er der Wirklichkeit einen Sinn verleiht,<lb/> wenn er sie Vater nennt. So wird die elende Welt herrlich und die scheinbar<lb/> sinnlose erhält einen Sinn, nämlich die Liebe. Nur wer in Liebe sich einfügt in<lb/> die als Wirksamkeit der Liebe aufgefaßte Wirklichkeit, der ist selig, der ist ewig."<lb/> Zur Übung in solcher Einfügung haben im Augenblick die Leipziger Bürger eine<lb/> recht schöne Gelegenheit; wie überrascht werden sie sich fühlen, wenn sie durch die<lb/> Einfügung in die sozinldemokratisch gewordne Wirklichkeit auf einmal selig werde».<lb/> Das „Liebesgefühl Jesu, für das Gott der Vater und die Menschen Brüder sind,<lb/> tritt auf mit dem Anspruch, das normale zu sein. Die Erhebung dieses Gefühls<lb/> zum allein berechtigten, zum allein wahren und allgemeingiltigen, diese Inthronisation<lb/> der Liebe im Himmel und ans Erden, das ist das Evangelinm. Nichts weiter.<lb/> Dies allein ist das Prinzip der christlichen Religion, dies allem auch das bleibende,<lb/> das absolut wertvolle, das nie mehr verlierbare." Das „Prinzip" ist ja bisher nicht<lb/> gerade unbekannt gewesen. Warten wir ab, ob es Schultze besser als den altmodische»<lb/> Predigern des Christentums gelingen wird, es wirksam zu machen, wenn er als<lb/> den Vater, den wir lieben, und auf den wir vertrauen sollen, die Wirklichkeit<lb/> hinstellt mit all ihren Krokodilen, Insekten, feuerspeienden Bergen, Überschwemmungen,<lb/> Verbrechern, Lumpen, Bankdieben, wühlenden politischen Parteien und zankenden<lb/> kirchlichen Sekten. — Einstweilen mag er in die Antwort einen Blick tun, die<lb/> Lepsius auf die drei Fragen gibt: 1. Ist das Evangelium eine Verkündigung von<lb/> der Lehre oder von der Person Christi? 2. Ist das Leben oder der Tod Christi<lb/> für das Verständnis seiner Person entscheidend? 3. Ist die Erkenntnis des göttlichen<lb/> Charakters der Person Jesu entbehrlich oder unerläßlich für das Verständnis des<lb/> Christentums? Im Gegensah zu Harnack beantwortet Lepsius diese Fragen im<lb/> Sinne des positiven Christentums. Harnack erkenne zwar gelegentlich die gewaltige<lb/> Bedeutung der Person Jesu an, aber er mache es wie ein Galeriebesitzer, der die<lb/> kostbarste Perle seiner Bildersammlung in ein verstecktes dunkles Kabinett hänge.<lb/> Das Evangelium sei weder ein dogmatisches Lehrbuch noch eine Sprnchsammlung,<lb/> sondern ein Drama, und der Tod und die Auferstehung Jesu das wesentliche darin.<lb/> „Ich sehe diesen Mann, der am Kreuze hängt, an allen Wegen und Straßen, ich<lb/> sehe thu in tausend Bildern an allen Wänden von.Kirchen, Klöstern und Galerien,<lb/> ich sehe seinen Galgen auf allen Gräbern, sein Kreuz ans allen Altären, auf allen<lb/> Türmen. Ich sehe es auf tausendmal tausend Blättern die ganze Welt durchfliegen,<lb/> ich höre es von den Lippe» aller Dichter, ich lese es zwischen den Zeilen aller</p><lb/> <note xml:id="FID_14" place="foot"> Das Bleibende in der Lehre Jesu. Eine kritische Ergänzung zu Harnacks „Wesen<lb/> des Christentums" von Dr. Rudolf Schultze. (Berlin, Schwetschke und Sohn, 1L02,) — Reden<lb/> und Abhandlungen von Johannes Lepsius. 2. Adolf HarnaclS Wesen des Christen¬<lb/> tums, (Berlin, Reich-Christi-Nerlag, >V I» Lützow-Ufer 5», ohne Jahreszahl,)</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0208]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Nicht zum ersten Male haben bescheidene Anfänge uns Deutsche zu Erfolgen geführt,
üb H. I. er die die Welt erstaunt ist."
Harnnckkritiker, Haruncks Wesen des Christentums hat, wie das heute so
zu gehn pflegt, eine ganze Literatur hervorgerufen. Wir legen dem Leser zwei
Probe» vor: eine von der Linken und eine von der Rechten,") Dem Dr'. schulde
geht Harnack lange uicht weit genug. Dieser rede einer Reform der evangelischen
Kirchen im Sinne des ursprünglichen Christentums das Wort, übersehe dabei aber
zweierlei, daß eine solche Reform diese Kirchen auflöse» würde, und daß das Ur¬
christentum unsrer Welt nicht weniger fremd, ja noch fremder gegenüberstehe als das
Traditionschristcntnm. Harnack wisse zwar als Historiker, daß man die geistige
Physiognomie einer bestimmten Zeit nicht einer spätern aufzwingen kann, er tre das
aber, indem er die Gesamtheit der sittlich-religiösen Aussprüche Jesu als für die
Christen der Gegenwart verbindlich hinstelle. Nicht Weltanschauungen, nur Prinzipien
könnten für alle Zeiten gelten. Man müsse also untersuchen, ob sich im Neuen
Testament ein solches Prinzip finde. In der Tat nun finde sich eines. „Die tiefe
Sehnsucht nach einem ehrlichen Frieden mit dein Leben, mit der Welt, mit der
Wirklichkeit hat er gestillt dadurch, daß er der Wirklichkeit einen Sinn verleiht,
wenn er sie Vater nennt. So wird die elende Welt herrlich und die scheinbar
sinnlose erhält einen Sinn, nämlich die Liebe. Nur wer in Liebe sich einfügt in
die als Wirksamkeit der Liebe aufgefaßte Wirklichkeit, der ist selig, der ist ewig."
Zur Übung in solcher Einfügung haben im Augenblick die Leipziger Bürger eine
recht schöne Gelegenheit; wie überrascht werden sie sich fühlen, wenn sie durch die
Einfügung in die sozinldemokratisch gewordne Wirklichkeit auf einmal selig werde».
Das „Liebesgefühl Jesu, für das Gott der Vater und die Menschen Brüder sind,
tritt auf mit dem Anspruch, das normale zu sein. Die Erhebung dieses Gefühls
zum allein berechtigten, zum allein wahren und allgemeingiltigen, diese Inthronisation
der Liebe im Himmel und ans Erden, das ist das Evangelinm. Nichts weiter.
Dies allein ist das Prinzip der christlichen Religion, dies allem auch das bleibende,
das absolut wertvolle, das nie mehr verlierbare." Das „Prinzip" ist ja bisher nicht
gerade unbekannt gewesen. Warten wir ab, ob es Schultze besser als den altmodische»
Predigern des Christentums gelingen wird, es wirksam zu machen, wenn er als
den Vater, den wir lieben, und auf den wir vertrauen sollen, die Wirklichkeit
hinstellt mit all ihren Krokodilen, Insekten, feuerspeienden Bergen, Überschwemmungen,
Verbrechern, Lumpen, Bankdieben, wühlenden politischen Parteien und zankenden
kirchlichen Sekten. — Einstweilen mag er in die Antwort einen Blick tun, die
Lepsius auf die drei Fragen gibt: 1. Ist das Evangelium eine Verkündigung von
der Lehre oder von der Person Christi? 2. Ist das Leben oder der Tod Christi
für das Verständnis seiner Person entscheidend? 3. Ist die Erkenntnis des göttlichen
Charakters der Person Jesu entbehrlich oder unerläßlich für das Verständnis des
Christentums? Im Gegensah zu Harnack beantwortet Lepsius diese Fragen im
Sinne des positiven Christentums. Harnack erkenne zwar gelegentlich die gewaltige
Bedeutung der Person Jesu an, aber er mache es wie ein Galeriebesitzer, der die
kostbarste Perle seiner Bildersammlung in ein verstecktes dunkles Kabinett hänge.
Das Evangelium sei weder ein dogmatisches Lehrbuch noch eine Sprnchsammlung,
sondern ein Drama, und der Tod und die Auferstehung Jesu das wesentliche darin.
„Ich sehe diesen Mann, der am Kreuze hängt, an allen Wegen und Straßen, ich
sehe thu in tausend Bildern an allen Wänden von.Kirchen, Klöstern und Galerien,
ich sehe seinen Galgen auf allen Gräbern, sein Kreuz ans allen Altären, auf allen
Türmen. Ich sehe es auf tausendmal tausend Blättern die ganze Welt durchfliegen,
ich höre es von den Lippe» aller Dichter, ich lese es zwischen den Zeilen aller
Das Bleibende in der Lehre Jesu. Eine kritische Ergänzung zu Harnacks „Wesen
des Christentums" von Dr. Rudolf Schultze. (Berlin, Schwetschke und Sohn, 1L02,) — Reden
und Abhandlungen von Johannes Lepsius. 2. Adolf HarnaclS Wesen des Christen¬
tums, (Berlin, Reich-Christi-Nerlag, >V I» Lützow-Ufer 5», ohne Jahreszahl,)
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |