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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

der "Wohlhabenden," durch "Geduld nud Ruhe" bei den "Armen" und die Not¬
wendigkeit, "die Fürsten und die Lenker der Staaten, deren Gewalt nur von Gott
ist, zu ehren und zu lieben"; es sieht also die weltlichen Regierungen nicht mehr
nach ultramontaner Theorie als bloße Diener der Kirchengewalt an. Es warnt
die Geistlichen vor der "trügerischen Wissenschaft, die mit Christus nichts gemein
hat," es lobt die, "die auf allen Gebieten des Wissens nützlichen Studien ob¬
liegen, um sich dadurch Rüstzeug zu verschaffen zur Verteidigung und Zurück¬
weisung der Verleumdungen der Glaubenshnsser," aber es verheißt, die höher zu
schätzen, "die, ohne die göttlichen und menschlichen Wissenschaften zu vernachlässigen,
sich an erster Stelle der Seelsorge widmen," und es beklagt, daß es uicht allzu-
viele sind, die nach Christi Beispiel den Armen das Evangelium verkünden,
statt "sich Zielen von mehr scheinbarem als wirklichem Nutzen zu widmen." Das
ist eine sehr deutliche Absage an die Hetz- und Streitiaplane auf der Kanzel und
in der Presse. Daß Pius der Zehnte den Satz festhält: "der Weg zu Christus
führt durch die Kirche," und daß er die Unterordnung der Laien unter die Leitung
der Bischöfe betont, entspricht dem Wesen seiner Kirche und ist sein gutes Recht.
Besonders charakteristisch aber sind zwei Punkte: er weist die Meinung, er denke
"weltliche Ziele und Parteiwünsche" zu verfolgen, als "nichtige Erwartung" un¬
bedingt ab, und er appelliert zum Schluß an die "Überzeugung aller," "daß die
Kirche gemäß ihrer Gründung durch Christus ihre volle unverkürzte Freiheit ge¬
nießen muß und keiner fremden Herrschaft unterworfen sein darf." Dieser Satz ist
so vorsichtig gefaßt, daß er nichts weiter bedeuten kann, als die volle Freiheit der
Kirche von jeder weltlichen Herrschaft, also die uralte, immer wieder erhobne, nie¬
mals erfüllte und im modernen Staat auch niemals erfüllbare Forderung der
römischen Kirche; von einer Notwendigkeit weltlicher Herrschaft ihres Oberhauptes,
vou einer Verdammung des "Kirchenrnubes," von einer Zurückforderuug des Kirchen¬
staats, also von der üblichen Kriegserklärung gegen das Königreich Italien ist mit
keiner Silbe ausdrücklich die Rede; mau kann eine solche nur dann hineininter¬
pretieren, wenn man "Kirche" und "Papsttum" gleichsetzt.

Enthält dieser Satz einen stillschweigenden Verzicht ans das äowiuium tomvoralo?
Die Antwort kann nicht mehr lange hinausgeschoben werden, denn der Besuch des
Präsidenten der französischen Republik Loubet am italienischen Königshofe steht
bevor, des ersten katholischen Staatsoberhaupts, das seit 1870 Rom betritt. Em¬
pfängt ihn der Papst nicht, so droht die Kündigung des Konkordats in Frankreich,
die der Vatikan aus materiellen und politischen Gründen schwerlich riskieren kann;
empfängt er ihn, so heißt er damit stillschweigend die Anerkennung Roms als
Hauptstadt des Königreichs Italien durch ein katholisches Staatsoberhaupt gut und
bricht damit den Bann, der bisher katholischen Herrschern den Besuch des Quirinnls
verboten hat. Das wäre noch nicht die volle Aussöhnung mit Italien, sondern
nur ein lote,i'a,ri votsst, aber der erste Schritt zu diesem Ziele wäre es. Die
Augen der Welt sind ans Pius den Zehnten gerichtet; wird er den starken Willen
haben, seiner intransigenten Umgebung und einer Tradition von dreiunddreißig
Jahren zum Trotz das Papsttum, die alte Gloria, italiana,, mit dem nationalen
Staate zu versöhnen? Eines wahrhaft großen Papstes wäre dieser Schritt würdig;
und er wäre auch nichts ganz Unerhörtes, denn auch Pius der Neunte und Leo
der Dreizehnte haben gelegentlich daran gedacht.

Es gibt keine andre Lösung mehr als die, die Vincenzo Gioberti schon
1852 verkündigt hat: das friedliche Nebeneinander des Papsttums und des König¬
tums im italienischen Rom, wie es das Garantiegesetz vom 31. Mai 1871 ermög¬
lichen wollte. Gewiß ist die Stellung des Papsttums nicht nur eine italienische
sondern ebensogut eine allgemeine katholische Angelegenheit. Aber indem auch die
katholischen Mächte den gegenwärtigen Stand der Dinge in Rom anerkannt haben
und ihre Gesandten so gut beim Quirinal wie beim Vatikan unterhalten, haben sie
sich jedes innern Rechts begeben, die Wiederherstellung des äowimuw tömxoralö
zu fordern. Eine solche würde jetzt jede italienische Regierung rundweg ablehnen;


Maßgebliches und Unmaßgebliches

der „Wohlhabenden," durch „Geduld nud Ruhe" bei den „Armen" und die Not¬
wendigkeit, „die Fürsten und die Lenker der Staaten, deren Gewalt nur von Gott
ist, zu ehren und zu lieben"; es sieht also die weltlichen Regierungen nicht mehr
nach ultramontaner Theorie als bloße Diener der Kirchengewalt an. Es warnt
die Geistlichen vor der „trügerischen Wissenschaft, die mit Christus nichts gemein
hat," es lobt die, „die auf allen Gebieten des Wissens nützlichen Studien ob¬
liegen, um sich dadurch Rüstzeug zu verschaffen zur Verteidigung und Zurück¬
weisung der Verleumdungen der Glaubenshnsser," aber es verheißt, die höher zu
schätzen, „die, ohne die göttlichen und menschlichen Wissenschaften zu vernachlässigen,
sich an erster Stelle der Seelsorge widmen," und es beklagt, daß es uicht allzu-
viele sind, die nach Christi Beispiel den Armen das Evangelium verkünden,
statt „sich Zielen von mehr scheinbarem als wirklichem Nutzen zu widmen." Das
ist eine sehr deutliche Absage an die Hetz- und Streitiaplane auf der Kanzel und
in der Presse. Daß Pius der Zehnte den Satz festhält: „der Weg zu Christus
führt durch die Kirche," und daß er die Unterordnung der Laien unter die Leitung
der Bischöfe betont, entspricht dem Wesen seiner Kirche und ist sein gutes Recht.
Besonders charakteristisch aber sind zwei Punkte: er weist die Meinung, er denke
„weltliche Ziele und Parteiwünsche" zu verfolgen, als „nichtige Erwartung" un¬
bedingt ab, und er appelliert zum Schluß an die „Überzeugung aller," „daß die
Kirche gemäß ihrer Gründung durch Christus ihre volle unverkürzte Freiheit ge¬
nießen muß und keiner fremden Herrschaft unterworfen sein darf." Dieser Satz ist
so vorsichtig gefaßt, daß er nichts weiter bedeuten kann, als die volle Freiheit der
Kirche von jeder weltlichen Herrschaft, also die uralte, immer wieder erhobne, nie¬
mals erfüllte und im modernen Staat auch niemals erfüllbare Forderung der
römischen Kirche; von einer Notwendigkeit weltlicher Herrschaft ihres Oberhauptes,
vou einer Verdammung des „Kirchenrnubes," von einer Zurückforderuug des Kirchen¬
staats, also von der üblichen Kriegserklärung gegen das Königreich Italien ist mit
keiner Silbe ausdrücklich die Rede; mau kann eine solche nur dann hineininter¬
pretieren, wenn man „Kirche" und „Papsttum" gleichsetzt.

Enthält dieser Satz einen stillschweigenden Verzicht ans das äowiuium tomvoralo?
Die Antwort kann nicht mehr lange hinausgeschoben werden, denn der Besuch des
Präsidenten der französischen Republik Loubet am italienischen Königshofe steht
bevor, des ersten katholischen Staatsoberhaupts, das seit 1870 Rom betritt. Em¬
pfängt ihn der Papst nicht, so droht die Kündigung des Konkordats in Frankreich,
die der Vatikan aus materiellen und politischen Gründen schwerlich riskieren kann;
empfängt er ihn, so heißt er damit stillschweigend die Anerkennung Roms als
Hauptstadt des Königreichs Italien durch ein katholisches Staatsoberhaupt gut und
bricht damit den Bann, der bisher katholischen Herrschern den Besuch des Quirinnls
verboten hat. Das wäre noch nicht die volle Aussöhnung mit Italien, sondern
nur ein lote,i'a,ri votsst, aber der erste Schritt zu diesem Ziele wäre es. Die
Augen der Welt sind ans Pius den Zehnten gerichtet; wird er den starken Willen
haben, seiner intransigenten Umgebung und einer Tradition von dreiunddreißig
Jahren zum Trotz das Papsttum, die alte Gloria, italiana,, mit dem nationalen
Staate zu versöhnen? Eines wahrhaft großen Papstes wäre dieser Schritt würdig;
und er wäre auch nichts ganz Unerhörtes, denn auch Pius der Neunte und Leo
der Dreizehnte haben gelegentlich daran gedacht.

Es gibt keine andre Lösung mehr als die, die Vincenzo Gioberti schon
1852 verkündigt hat: das friedliche Nebeneinander des Papsttums und des König¬
tums im italienischen Rom, wie es das Garantiegesetz vom 31. Mai 1871 ermög¬
lichen wollte. Gewiß ist die Stellung des Papsttums nicht nur eine italienische
sondern ebensogut eine allgemeine katholische Angelegenheit. Aber indem auch die
katholischen Mächte den gegenwärtigen Stand der Dinge in Rom anerkannt haben
und ihre Gesandten so gut beim Quirinal wie beim Vatikan unterhalten, haben sie
sich jedes innern Rechts begeben, die Wiederherstellung des äowimuw tömxoralö
zu fordern. Eine solche würde jetzt jede italienische Regierung rundweg ablehnen;


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[0203] Maßgebliches und Unmaßgebliches der „Wohlhabenden," durch „Geduld nud Ruhe" bei den „Armen" und die Not¬ wendigkeit, „die Fürsten und die Lenker der Staaten, deren Gewalt nur von Gott ist, zu ehren und zu lieben"; es sieht also die weltlichen Regierungen nicht mehr nach ultramontaner Theorie als bloße Diener der Kirchengewalt an. Es warnt die Geistlichen vor der „trügerischen Wissenschaft, die mit Christus nichts gemein hat," es lobt die, „die auf allen Gebieten des Wissens nützlichen Studien ob¬ liegen, um sich dadurch Rüstzeug zu verschaffen zur Verteidigung und Zurück¬ weisung der Verleumdungen der Glaubenshnsser," aber es verheißt, die höher zu schätzen, „die, ohne die göttlichen und menschlichen Wissenschaften zu vernachlässigen, sich an erster Stelle der Seelsorge widmen," und es beklagt, daß es uicht allzu- viele sind, die nach Christi Beispiel den Armen das Evangelium verkünden, statt „sich Zielen von mehr scheinbarem als wirklichem Nutzen zu widmen." Das ist eine sehr deutliche Absage an die Hetz- und Streitiaplane auf der Kanzel und in der Presse. Daß Pius der Zehnte den Satz festhält: „der Weg zu Christus führt durch die Kirche," und daß er die Unterordnung der Laien unter die Leitung der Bischöfe betont, entspricht dem Wesen seiner Kirche und ist sein gutes Recht. Besonders charakteristisch aber sind zwei Punkte: er weist die Meinung, er denke „weltliche Ziele und Parteiwünsche" zu verfolgen, als „nichtige Erwartung" un¬ bedingt ab, und er appelliert zum Schluß an die „Überzeugung aller," „daß die Kirche gemäß ihrer Gründung durch Christus ihre volle unverkürzte Freiheit ge¬ nießen muß und keiner fremden Herrschaft unterworfen sein darf." Dieser Satz ist so vorsichtig gefaßt, daß er nichts weiter bedeuten kann, als die volle Freiheit der Kirche von jeder weltlichen Herrschaft, also die uralte, immer wieder erhobne, nie¬ mals erfüllte und im modernen Staat auch niemals erfüllbare Forderung der römischen Kirche; von einer Notwendigkeit weltlicher Herrschaft ihres Oberhauptes, vou einer Verdammung des „Kirchenrnubes," von einer Zurückforderuug des Kirchen¬ staats, also von der üblichen Kriegserklärung gegen das Königreich Italien ist mit keiner Silbe ausdrücklich die Rede; mau kann eine solche nur dann hineininter¬ pretieren, wenn man „Kirche" und „Papsttum" gleichsetzt. Enthält dieser Satz einen stillschweigenden Verzicht ans das äowiuium tomvoralo? Die Antwort kann nicht mehr lange hinausgeschoben werden, denn der Besuch des Präsidenten der französischen Republik Loubet am italienischen Königshofe steht bevor, des ersten katholischen Staatsoberhaupts, das seit 1870 Rom betritt. Em¬ pfängt ihn der Papst nicht, so droht die Kündigung des Konkordats in Frankreich, die der Vatikan aus materiellen und politischen Gründen schwerlich riskieren kann; empfängt er ihn, so heißt er damit stillschweigend die Anerkennung Roms als Hauptstadt des Königreichs Italien durch ein katholisches Staatsoberhaupt gut und bricht damit den Bann, der bisher katholischen Herrschern den Besuch des Quirinnls verboten hat. Das wäre noch nicht die volle Aussöhnung mit Italien, sondern nur ein lote,i'a,ri votsst, aber der erste Schritt zu diesem Ziele wäre es. Die Augen der Welt sind ans Pius den Zehnten gerichtet; wird er den starken Willen haben, seiner intransigenten Umgebung und einer Tradition von dreiunddreißig Jahren zum Trotz das Papsttum, die alte Gloria, italiana,, mit dem nationalen Staate zu versöhnen? Eines wahrhaft großen Papstes wäre dieser Schritt würdig; und er wäre auch nichts ganz Unerhörtes, denn auch Pius der Neunte und Leo der Dreizehnte haben gelegentlich daran gedacht. Es gibt keine andre Lösung mehr als die, die Vincenzo Gioberti schon 1852 verkündigt hat: das friedliche Nebeneinander des Papsttums und des König¬ tums im italienischen Rom, wie es das Garantiegesetz vom 31. Mai 1871 ermög¬ lichen wollte. Gewiß ist die Stellung des Papsttums nicht nur eine italienische sondern ebensogut eine allgemeine katholische Angelegenheit. Aber indem auch die katholischen Mächte den gegenwärtigen Stand der Dinge in Rom anerkannt haben und ihre Gesandten so gut beim Quirinal wie beim Vatikan unterhalten, haben sie sich jedes innern Rechts begeben, die Wiederherstellung des äowimuw tömxoralö zu fordern. Eine solche würde jetzt jede italienische Regierung rundweg ablehnen;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/203>, abgerufen am 03.07.2024.