Roma, IntMgidilö hat König Humbert gesagt. Deshalb halten wir es im Interesse eines guten Einvernehmens mit Italien für bedenklich, namentlich in diesem wichtigen Zeitpunkte, wenn im neusten Heft der Preußischen Jahrbücher ein früherer hochge¬ stellter katholischer Reichsbenmter jedenfalls auf eigne Hand den Vorschlag macht, dem Papste das Trastevere mit einem Landstrich bis zur Küste zu überlasse". Man fragt verwundert: Wozu? Prinzipiell würde sich damit doch gar nichts ändern, denu der "Kirchenraub" von 1860 und 1870 würde damit nicht rückgängig gemacht. Ferner müßte ein solcher Landstrich doch einen Hafen umfassen, und das konnte kaum ein andrer als Civitaveechia sein, denn der Tibermündnngshafen Finmieino ist ganz unbedeutend, dann aber wäre das einznränmende Gebiet gar nicht so klein. Es würde allerdings dem Vatikan den Verkehr mit dem Auslande auf eignem Boden gewähren, es würde aber auch einer fremden Macht, die mit dem Papsttum irgend¬ wie in einen kirchlichen Konflikt geriete, die Möglichkeit geben, militärisch gegen Rom vorzugehn, wie es früher, solange der Kirchenstaat bestand, oft genug ge¬ schehen ist. Und soll sich Italien gefallen lassen, daß gelegentlich wieder eine fremde Fahne im Trastevere weht? Nein, der weltliche Besitz hat niemals die Freiheit des Papsttums gewährleistet, sondern sie oft genug in Gefahr gebracht; diese Freiheit wird gerade dadurch gesichert, daß italienisches Gebiet den Vatikan rings umgibt und schützt. Solche unbedachten Vorschläge Fremder sind nur geeignet, die berechtigte Empfindlichkeit der Italiener zu reizen, und wir Deutschen haben wirklich keinen solchen Überfluß von Freunden in der Welt, daß wir eine im er¬ freulichsten Aufstreben begriffne verbündete Macht ganz unnützerweise vor den Kopf * stoßen dürften.
König Friedrich Wilhelm der Vierte und die Kaiserkrone.
Sepps interessante Erinnerungen an die Paulskirche sind in den Grenzboten zum Ab¬ schluß gekommen, leider, denn einige Fortsetzungen hätte man noch recht gern gelesen. Wir Deutsche", die wir früher wie an vielem andern, so auch an eignen Memoiren arm gewesen sind, dürfen dankbar jeden Beitrag an Selbsterlebnissen zur Kunde unsrer neuern Geschichte begrüßen. Von Nebensächlichem sei erwähnt, daß Sepp in betreff der Ermordung des Fürsten Lichnowsky in einem Punkte irrt. Lichnowsky wollte nicht dem revolutionären Haufen auf der Boruheimer Heide entgegen- reiteu, sondern den von Dnrmstadt her erwarteten Truppen. Dabei stieß er auf den Haufen, wurde angegriffen und flüchtete mit Auerswald. Lichnowslys und Auerwalds Ermordung bleibt einer der dunkelsten Flecken auf der Geschichte des Jahres 1848, wenngleich das Verhängnis wohl durch Unvorsichtigkeit heraus¬ gefordert worden war. Lichnowslys zweifellos hochbegabte Persönlichkeit hat be¬ kanntlich nach mancher Richtung hin zur Kritik Anlaß gegeben, namentlich sein Verhalten in den Berliner Märztagen scheint nichts weniger als einwandfrei. Doch ist hier nicht der Ort, näher darauf einzugehn. Dagegen fordert Sepps interessante Mitteilung über die kleine politische Intrigue bayrischer Abgeordneter nach der Kaiser¬ wahl, die Absendung eines abmahnenden Briefes an Friedrich Wilhelm den Vierten, zu einer Erörterung heraus. Sepp scheint anzunehmen, daß dieser Brief ausschlag¬ gebend für die Entschließung des Königs gewesen sei.' Ist schon an sich schwer anzunehmen, daß der König von Preußen in einer so folgenschweren Entscheidung für seine Person, sein Haus und sein Land Rat von ausgesprochnen Gegnern Preußens angenommen und befolgt hätte, so steht überdem beglaubigt fest, daß der König zur Ablehnung der Kaiserkrone schon lange vor der Kaiserwahl entschlossen war. Er wollte die Stellung eines Oberhauptes in Deutschland erst dann an¬ nehmen, dann allerdings beanspruchen, wenn der Kaiser von Österreich endgiltig darauf verzichtete. So lange Österreich das nicht tat, und gutwillig hätte es sich nie dazu entschlossen, erkannte Friedrich Wilhelm der Vierte dem Hause Hnbsburg einen Rechtsanspruch auf den Primat in Deutschland zu, an den er niemals gerührt hätte, dessen Aufgebung mit Waffengewalt zu erzwingen er am allerwenigsten geneigt war. Auch daun nicht, als sich Österreich ihm gegenüber ins Unrecht gesetzt hatte. Nach vielen Enttäuschungen ist ihm erst gegen das Ende seiner Negierung, nach dem
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Roma, IntMgidilö hat König Humbert gesagt. Deshalb halten wir es im Interesse eines guten Einvernehmens mit Italien für bedenklich, namentlich in diesem wichtigen Zeitpunkte, wenn im neusten Heft der Preußischen Jahrbücher ein früherer hochge¬ stellter katholischer Reichsbenmter jedenfalls auf eigne Hand den Vorschlag macht, dem Papste das Trastevere mit einem Landstrich bis zur Küste zu überlasse«. Man fragt verwundert: Wozu? Prinzipiell würde sich damit doch gar nichts ändern, denu der „Kirchenraub" von 1860 und 1870 würde damit nicht rückgängig gemacht. Ferner müßte ein solcher Landstrich doch einen Hafen umfassen, und das konnte kaum ein andrer als Civitaveechia sein, denn der Tibermündnngshafen Finmieino ist ganz unbedeutend, dann aber wäre das einznränmende Gebiet gar nicht so klein. Es würde allerdings dem Vatikan den Verkehr mit dem Auslande auf eignem Boden gewähren, es würde aber auch einer fremden Macht, die mit dem Papsttum irgend¬ wie in einen kirchlichen Konflikt geriete, die Möglichkeit geben, militärisch gegen Rom vorzugehn, wie es früher, solange der Kirchenstaat bestand, oft genug ge¬ schehen ist. Und soll sich Italien gefallen lassen, daß gelegentlich wieder eine fremde Fahne im Trastevere weht? Nein, der weltliche Besitz hat niemals die Freiheit des Papsttums gewährleistet, sondern sie oft genug in Gefahr gebracht; diese Freiheit wird gerade dadurch gesichert, daß italienisches Gebiet den Vatikan rings umgibt und schützt. Solche unbedachten Vorschläge Fremder sind nur geeignet, die berechtigte Empfindlichkeit der Italiener zu reizen, und wir Deutschen haben wirklich keinen solchen Überfluß von Freunden in der Welt, daß wir eine im er¬ freulichsten Aufstreben begriffne verbündete Macht ganz unnützerweise vor den Kopf * stoßen dürften.
König Friedrich Wilhelm der Vierte und die Kaiserkrone.
Sepps interessante Erinnerungen an die Paulskirche sind in den Grenzboten zum Ab¬ schluß gekommen, leider, denn einige Fortsetzungen hätte man noch recht gern gelesen. Wir Deutsche», die wir früher wie an vielem andern, so auch an eignen Memoiren arm gewesen sind, dürfen dankbar jeden Beitrag an Selbsterlebnissen zur Kunde unsrer neuern Geschichte begrüßen. Von Nebensächlichem sei erwähnt, daß Sepp in betreff der Ermordung des Fürsten Lichnowsky in einem Punkte irrt. Lichnowsky wollte nicht dem revolutionären Haufen auf der Boruheimer Heide entgegen- reiteu, sondern den von Dnrmstadt her erwarteten Truppen. Dabei stieß er auf den Haufen, wurde angegriffen und flüchtete mit Auerswald. Lichnowslys und Auerwalds Ermordung bleibt einer der dunkelsten Flecken auf der Geschichte des Jahres 1848, wenngleich das Verhängnis wohl durch Unvorsichtigkeit heraus¬ gefordert worden war. Lichnowslys zweifellos hochbegabte Persönlichkeit hat be¬ kanntlich nach mancher Richtung hin zur Kritik Anlaß gegeben, namentlich sein Verhalten in den Berliner Märztagen scheint nichts weniger als einwandfrei. Doch ist hier nicht der Ort, näher darauf einzugehn. Dagegen fordert Sepps interessante Mitteilung über die kleine politische Intrigue bayrischer Abgeordneter nach der Kaiser¬ wahl, die Absendung eines abmahnenden Briefes an Friedrich Wilhelm den Vierten, zu einer Erörterung heraus. Sepp scheint anzunehmen, daß dieser Brief ausschlag¬ gebend für die Entschließung des Königs gewesen sei.' Ist schon an sich schwer anzunehmen, daß der König von Preußen in einer so folgenschweren Entscheidung für seine Person, sein Haus und sein Land Rat von ausgesprochnen Gegnern Preußens angenommen und befolgt hätte, so steht überdem beglaubigt fest, daß der König zur Ablehnung der Kaiserkrone schon lange vor der Kaiserwahl entschlossen war. Er wollte die Stellung eines Oberhauptes in Deutschland erst dann an¬ nehmen, dann allerdings beanspruchen, wenn der Kaiser von Österreich endgiltig darauf verzichtete. So lange Österreich das nicht tat, und gutwillig hätte es sich nie dazu entschlossen, erkannte Friedrich Wilhelm der Vierte dem Hause Hnbsburg einen Rechtsanspruch auf den Primat in Deutschland zu, an den er niemals gerührt hätte, dessen Aufgebung mit Waffengewalt zu erzwingen er am allerwenigsten geneigt war. Auch daun nicht, als sich Österreich ihm gegenüber ins Unrecht gesetzt hatte. Nach vielen Enttäuschungen ist ihm erst gegen das Ende seiner Negierung, nach dem
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Maßgebliches und Unmaßgebliches
Roma, IntMgidilö hat König Humbert gesagt. Deshalb halten wir es im Interesse
eines guten Einvernehmens mit Italien für bedenklich, namentlich in diesem wichtigen
Zeitpunkte, wenn im neusten Heft der Preußischen Jahrbücher ein früherer hochge¬
stellter katholischer Reichsbenmter jedenfalls auf eigne Hand den Vorschlag macht,
dem Papste das Trastevere mit einem Landstrich bis zur Küste zu überlasse«.
Man fragt verwundert: Wozu? Prinzipiell würde sich damit doch gar nichts ändern,
denu der „Kirchenraub" von 1860 und 1870 würde damit nicht rückgängig gemacht.
Ferner müßte ein solcher Landstrich doch einen Hafen umfassen, und das konnte kaum
ein andrer als Civitaveechia sein, denn der Tibermündnngshafen Finmieino ist ganz
unbedeutend, dann aber wäre das einznränmende Gebiet gar nicht so klein. Es
würde allerdings dem Vatikan den Verkehr mit dem Auslande auf eignem Boden
gewähren, es würde aber auch einer fremden Macht, die mit dem Papsttum irgend¬
wie in einen kirchlichen Konflikt geriete, die Möglichkeit geben, militärisch gegen
Rom vorzugehn, wie es früher, solange der Kirchenstaat bestand, oft genug ge¬
schehen ist. Und soll sich Italien gefallen lassen, daß gelegentlich wieder eine
fremde Fahne im Trastevere weht? Nein, der weltliche Besitz hat niemals die
Freiheit des Papsttums gewährleistet, sondern sie oft genug in Gefahr gebracht;
diese Freiheit wird gerade dadurch gesichert, daß italienisches Gebiet den Vatikan
rings umgibt und schützt. Solche unbedachten Vorschläge Fremder sind nur geeignet,
die berechtigte Empfindlichkeit der Italiener zu reizen, und wir Deutschen haben
wirklich keinen solchen Überfluß von Freunden in der Welt, daß wir eine im er¬
freulichsten Aufstreben begriffne verbündete Macht ganz unnützerweise vor den Kopf
* stoßen dürften.
König Friedrich Wilhelm der Vierte und die Kaiserkrone. Sepps
interessante Erinnerungen an die Paulskirche sind in den Grenzboten zum Ab¬
schluß gekommen, leider, denn einige Fortsetzungen hätte man noch recht gern gelesen.
Wir Deutsche», die wir früher wie an vielem andern, so auch an eignen Memoiren
arm gewesen sind, dürfen dankbar jeden Beitrag an Selbsterlebnissen zur Kunde
unsrer neuern Geschichte begrüßen. Von Nebensächlichem sei erwähnt, daß Sepp
in betreff der Ermordung des Fürsten Lichnowsky in einem Punkte irrt. Lichnowsky
wollte nicht dem revolutionären Haufen auf der Boruheimer Heide entgegen-
reiteu, sondern den von Dnrmstadt her erwarteten Truppen. Dabei stieß er auf
den Haufen, wurde angegriffen und flüchtete mit Auerswald. Lichnowslys und
Auerwalds Ermordung bleibt einer der dunkelsten Flecken auf der Geschichte des
Jahres 1848, wenngleich das Verhängnis wohl durch Unvorsichtigkeit heraus¬
gefordert worden war. Lichnowslys zweifellos hochbegabte Persönlichkeit hat be¬
kanntlich nach mancher Richtung hin zur Kritik Anlaß gegeben, namentlich sein
Verhalten in den Berliner Märztagen scheint nichts weniger als einwandfrei. Doch
ist hier nicht der Ort, näher darauf einzugehn. Dagegen fordert Sepps interessante
Mitteilung über die kleine politische Intrigue bayrischer Abgeordneter nach der Kaiser¬
wahl, die Absendung eines abmahnenden Briefes an Friedrich Wilhelm den Vierten,
zu einer Erörterung heraus. Sepp scheint anzunehmen, daß dieser Brief ausschlag¬
gebend für die Entschließung des Königs gewesen sei.' Ist schon an sich schwer
anzunehmen, daß der König von Preußen in einer so folgenschweren Entscheidung
für seine Person, sein Haus und sein Land Rat von ausgesprochnen Gegnern
Preußens angenommen und befolgt hätte, so steht überdem beglaubigt fest, daß der
König zur Ablehnung der Kaiserkrone schon lange vor der Kaiserwahl entschlossen
war. Er wollte die Stellung eines Oberhauptes in Deutschland erst dann an¬
nehmen, dann allerdings beanspruchen, wenn der Kaiser von Österreich endgiltig
darauf verzichtete. So lange Österreich das nicht tat, und gutwillig hätte es sich
nie dazu entschlossen, erkannte Friedrich Wilhelm der Vierte dem Hause Hnbsburg
einen Rechtsanspruch auf den Primat in Deutschland zu, an den er niemals gerührt
hätte, dessen Aufgebung mit Waffengewalt zu erzwingen er am allerwenigsten geneigt
war. Auch daun nicht, als sich Österreich ihm gegenüber ins Unrecht gesetzt hatte.
Nach vielen Enttäuschungen ist ihm erst gegen das Ende seiner Negierung, nach dem
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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/204>, abgerufen am 22.07.2024.
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