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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Anzeichen der Kaiser wenig geneigt sein dürfte, einen Kanzler zu berufen, der ihm
mit einem solchen Programm, das noch verschiedne andre Dinge in sich schließt,
oktroyiert werden soll. Der Kaiser mag mit dem Reichskanzler, der Reichskanzler
mit dem Kaiser in der Behandlung einzelner Fragen nicht übereinstimmen, sei es
in der Richtung oder sei es in der Methode, das ist zwischen Wilhelm dem Ersten
und Bismarck auch der Fall gewesen, wie der Schriftwechsel zwischen dem ersten
Kaiser und seinem treuen deutschen Diener zur Genüge bezeugt. Im großen und
ganzen aber besteht zwischen Kaiser Wilhelm dem Zweiten und dem Grafen Bülow
sicherlich die prinzipielle Übereinstimmung, die zur Führung der Geschäfte unab-
weislich nötig ist. Sodann aber sind, was die Zollpolitik anlangt, Deutschland die
Wege durch die allgemeine wirtschaftliche Weltlage, durch die Strömungen und die
Bedürfnisse der andern Länder so vorgeschrieben, daß starke Abweichungen von der
jetzigen Richtung nur direkt gegen die Wand führen könnten. Schwerlich ist im
konservativen Lager ein von Gott so begnadeter Staatsmann vorhanden, daß er
der deutschen Zoll- und Handelspolitik mit Erfolg andre Wege zu weisen vermöchte.
Er würde dazu außer dem Kaiser und dem Bundesrat auch noch den Reichstag
brauchen, und wir halten es für ausgeschlossen, daß ein Reichstag, auch nach wieder¬
holten Auflösungen, für eine agrarischere Richtung zu haben wäre. Ganz dasselbe
wird von der innern Politik gelten, wo tiefgreifende Änderungen nur nach einer
schweren innern Krisis möglich wären. Eine solche ist aber nicht vorhanden und
einstweilen auch nicht in Aussicht zu nehmen; auch bedeutendere Kapazitäten, als
sie unter den angeblichen "dunkeln Kräften" vorhanden sind, würden es nicht fertig
bringen, den Staatswagen in andre Geleise hinüberzuführen. Dazu würde auch die
Energie des tatbereitesten Kanzlers nicht ausreichen, weil weder die außer ihm noch
nötigen Kräfte vorhanden sind, noch eine zwingende Veranlassung der politischen
Lage gegeben erscheint. Noch reicht bei aufmerksamer Beobachtung das Gewehr bei
Fuß aus, man muß es nur in der Hand behalten. Und die Fechterstellung gegen
England und Amerika? Wird sie nicht von denselben Leuten empfohlen, die von
der "gräßlichen Flotte" nichts wissen wollen? Und glaubt man durch die Fechter¬
stellung gegen England etwa Rußland mehr zu gewinnen? Die russischen Staats¬
männer würden sich ins Fäustchen lachen. Sie umwerben uns in der Regel nur,
so lange sie uns von England umworben wissen. Einen Konflikt zwischen Deutsch¬
land und England würde Rußland vielleicht in Asien ausnützen, vielleicht auch
nicht, seine Politik würde sich jedenfalls nur deu Bedürfnissen des russischen
Interesses, nicht denen des deutschen anpassen. Ob wir also Rußland auf diese
Weise gewinnen, ist mehr als zweifelhaft, sicher ist dagegen, daß die Franzosen
England gewinnen. Es wird einer sehr gewandten und erfahrnen Staatskunst und
einer großen Besonnenheit der öffentlichen Meinung bedürfen, die erwünschten Be¬
ziehungen zu England ohne Berührung unsers eignen Ehrgefühls wieder herzu¬
stellen. Weit wichtiger als ein agrarischer Reichskanzler ist jedenfalls für diesen
Zweck eine diplomatische Kraft ersten Ranges in London. Für eine Wendung im
Sinne der "dunkeln Kräfte" halten wir die Zeitläufe nicht angetan und erachten
deshalb auch einen Erfolg dieser Bestrebungen für ausgeschlossen. Zunächst jeden¬
falls so lange, wie die Frage der Handelsverträge unser öffentliches Leben beherrscht
und wahrscheinlich auch noch ein gut Stück darüber hinaus. Trügen nicht alle An¬
zeichen, so wird Graf Bülow das Laub im Garten des Berliner Reichskanzlerhauses
"Z" noch manchen Herbst sich färben sehen. Wer es besser weiß, der sage es.


Die erste Encyklikci Pius des Zehnten.

Die Hoffnungen, die von vielen
auf die versöhnliche Gesinnung des neuen Papstes gesetzt worden sind (vgl. "Die Papst¬
wahl" in Ur. 36 d. Bl.), scheinen sich zu erfüllen. Sein erstes Rundschreiben, wie
versichert wird, sein ganz persönliches Werk, zeigt in der Tat einen "religiösen"
Papst. Es verkündet, er wolle nichts sein als ein "Diener Gottes." Es wendet
sich scharf gegen den Unglauben, der die Schöpfung statt des Schöpfers verehre,
es predigt die Lösung der sozialen Schwierigkeiten durch "Liebe und Gerechtigkeit"


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Anzeichen der Kaiser wenig geneigt sein dürfte, einen Kanzler zu berufen, der ihm
mit einem solchen Programm, das noch verschiedne andre Dinge in sich schließt,
oktroyiert werden soll. Der Kaiser mag mit dem Reichskanzler, der Reichskanzler
mit dem Kaiser in der Behandlung einzelner Fragen nicht übereinstimmen, sei es
in der Richtung oder sei es in der Methode, das ist zwischen Wilhelm dem Ersten
und Bismarck auch der Fall gewesen, wie der Schriftwechsel zwischen dem ersten
Kaiser und seinem treuen deutschen Diener zur Genüge bezeugt. Im großen und
ganzen aber besteht zwischen Kaiser Wilhelm dem Zweiten und dem Grafen Bülow
sicherlich die prinzipielle Übereinstimmung, die zur Führung der Geschäfte unab-
weislich nötig ist. Sodann aber sind, was die Zollpolitik anlangt, Deutschland die
Wege durch die allgemeine wirtschaftliche Weltlage, durch die Strömungen und die
Bedürfnisse der andern Länder so vorgeschrieben, daß starke Abweichungen von der
jetzigen Richtung nur direkt gegen die Wand führen könnten. Schwerlich ist im
konservativen Lager ein von Gott so begnadeter Staatsmann vorhanden, daß er
der deutschen Zoll- und Handelspolitik mit Erfolg andre Wege zu weisen vermöchte.
Er würde dazu außer dem Kaiser und dem Bundesrat auch noch den Reichstag
brauchen, und wir halten es für ausgeschlossen, daß ein Reichstag, auch nach wieder¬
holten Auflösungen, für eine agrarischere Richtung zu haben wäre. Ganz dasselbe
wird von der innern Politik gelten, wo tiefgreifende Änderungen nur nach einer
schweren innern Krisis möglich wären. Eine solche ist aber nicht vorhanden und
einstweilen auch nicht in Aussicht zu nehmen; auch bedeutendere Kapazitäten, als
sie unter den angeblichen „dunkeln Kräften" vorhanden sind, würden es nicht fertig
bringen, den Staatswagen in andre Geleise hinüberzuführen. Dazu würde auch die
Energie des tatbereitesten Kanzlers nicht ausreichen, weil weder die außer ihm noch
nötigen Kräfte vorhanden sind, noch eine zwingende Veranlassung der politischen
Lage gegeben erscheint. Noch reicht bei aufmerksamer Beobachtung das Gewehr bei
Fuß aus, man muß es nur in der Hand behalten. Und die Fechterstellung gegen
England und Amerika? Wird sie nicht von denselben Leuten empfohlen, die von
der „gräßlichen Flotte" nichts wissen wollen? Und glaubt man durch die Fechter¬
stellung gegen England etwa Rußland mehr zu gewinnen? Die russischen Staats¬
männer würden sich ins Fäustchen lachen. Sie umwerben uns in der Regel nur,
so lange sie uns von England umworben wissen. Einen Konflikt zwischen Deutsch¬
land und England würde Rußland vielleicht in Asien ausnützen, vielleicht auch
nicht, seine Politik würde sich jedenfalls nur deu Bedürfnissen des russischen
Interesses, nicht denen des deutschen anpassen. Ob wir also Rußland auf diese
Weise gewinnen, ist mehr als zweifelhaft, sicher ist dagegen, daß die Franzosen
England gewinnen. Es wird einer sehr gewandten und erfahrnen Staatskunst und
einer großen Besonnenheit der öffentlichen Meinung bedürfen, die erwünschten Be¬
ziehungen zu England ohne Berührung unsers eignen Ehrgefühls wieder herzu¬
stellen. Weit wichtiger als ein agrarischer Reichskanzler ist jedenfalls für diesen
Zweck eine diplomatische Kraft ersten Ranges in London. Für eine Wendung im
Sinne der „dunkeln Kräfte" halten wir die Zeitläufe nicht angetan und erachten
deshalb auch einen Erfolg dieser Bestrebungen für ausgeschlossen. Zunächst jeden¬
falls so lange, wie die Frage der Handelsverträge unser öffentliches Leben beherrscht
und wahrscheinlich auch noch ein gut Stück darüber hinaus. Trügen nicht alle An¬
zeichen, so wird Graf Bülow das Laub im Garten des Berliner Reichskanzlerhauses
»Z" noch manchen Herbst sich färben sehen. Wer es besser weiß, der sage es.


Die erste Encyklikci Pius des Zehnten.

Die Hoffnungen, die von vielen
auf die versöhnliche Gesinnung des neuen Papstes gesetzt worden sind (vgl. „Die Papst¬
wahl" in Ur. 36 d. Bl.), scheinen sich zu erfüllen. Sein erstes Rundschreiben, wie
versichert wird, sein ganz persönliches Werk, zeigt in der Tat einen „religiösen"
Papst. Es verkündet, er wolle nichts sein als ein „Diener Gottes." Es wendet
sich scharf gegen den Unglauben, der die Schöpfung statt des Schöpfers verehre,
es predigt die Lösung der sozialen Schwierigkeiten durch „Liebe und Gerechtigkeit"


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[0202] Maßgebliches und Unmaßgebliches Anzeichen der Kaiser wenig geneigt sein dürfte, einen Kanzler zu berufen, der ihm mit einem solchen Programm, das noch verschiedne andre Dinge in sich schließt, oktroyiert werden soll. Der Kaiser mag mit dem Reichskanzler, der Reichskanzler mit dem Kaiser in der Behandlung einzelner Fragen nicht übereinstimmen, sei es in der Richtung oder sei es in der Methode, das ist zwischen Wilhelm dem Ersten und Bismarck auch der Fall gewesen, wie der Schriftwechsel zwischen dem ersten Kaiser und seinem treuen deutschen Diener zur Genüge bezeugt. Im großen und ganzen aber besteht zwischen Kaiser Wilhelm dem Zweiten und dem Grafen Bülow sicherlich die prinzipielle Übereinstimmung, die zur Führung der Geschäfte unab- weislich nötig ist. Sodann aber sind, was die Zollpolitik anlangt, Deutschland die Wege durch die allgemeine wirtschaftliche Weltlage, durch die Strömungen und die Bedürfnisse der andern Länder so vorgeschrieben, daß starke Abweichungen von der jetzigen Richtung nur direkt gegen die Wand führen könnten. Schwerlich ist im konservativen Lager ein von Gott so begnadeter Staatsmann vorhanden, daß er der deutschen Zoll- und Handelspolitik mit Erfolg andre Wege zu weisen vermöchte. Er würde dazu außer dem Kaiser und dem Bundesrat auch noch den Reichstag brauchen, und wir halten es für ausgeschlossen, daß ein Reichstag, auch nach wieder¬ holten Auflösungen, für eine agrarischere Richtung zu haben wäre. Ganz dasselbe wird von der innern Politik gelten, wo tiefgreifende Änderungen nur nach einer schweren innern Krisis möglich wären. Eine solche ist aber nicht vorhanden und einstweilen auch nicht in Aussicht zu nehmen; auch bedeutendere Kapazitäten, als sie unter den angeblichen „dunkeln Kräften" vorhanden sind, würden es nicht fertig bringen, den Staatswagen in andre Geleise hinüberzuführen. Dazu würde auch die Energie des tatbereitesten Kanzlers nicht ausreichen, weil weder die außer ihm noch nötigen Kräfte vorhanden sind, noch eine zwingende Veranlassung der politischen Lage gegeben erscheint. Noch reicht bei aufmerksamer Beobachtung das Gewehr bei Fuß aus, man muß es nur in der Hand behalten. Und die Fechterstellung gegen England und Amerika? Wird sie nicht von denselben Leuten empfohlen, die von der „gräßlichen Flotte" nichts wissen wollen? Und glaubt man durch die Fechter¬ stellung gegen England etwa Rußland mehr zu gewinnen? Die russischen Staats¬ männer würden sich ins Fäustchen lachen. Sie umwerben uns in der Regel nur, so lange sie uns von England umworben wissen. Einen Konflikt zwischen Deutsch¬ land und England würde Rußland vielleicht in Asien ausnützen, vielleicht auch nicht, seine Politik würde sich jedenfalls nur deu Bedürfnissen des russischen Interesses, nicht denen des deutschen anpassen. Ob wir also Rußland auf diese Weise gewinnen, ist mehr als zweifelhaft, sicher ist dagegen, daß die Franzosen England gewinnen. Es wird einer sehr gewandten und erfahrnen Staatskunst und einer großen Besonnenheit der öffentlichen Meinung bedürfen, die erwünschten Be¬ ziehungen zu England ohne Berührung unsers eignen Ehrgefühls wieder herzu¬ stellen. Weit wichtiger als ein agrarischer Reichskanzler ist jedenfalls für diesen Zweck eine diplomatische Kraft ersten Ranges in London. Für eine Wendung im Sinne der „dunkeln Kräfte" halten wir die Zeitläufe nicht angetan und erachten deshalb auch einen Erfolg dieser Bestrebungen für ausgeschlossen. Zunächst jeden¬ falls so lange, wie die Frage der Handelsverträge unser öffentliches Leben beherrscht und wahrscheinlich auch noch ein gut Stück darüber hinaus. Trügen nicht alle An¬ zeichen, so wird Graf Bülow das Laub im Garten des Berliner Reichskanzlerhauses »Z" noch manchen Herbst sich färben sehen. Wer es besser weiß, der sage es. Die erste Encyklikci Pius des Zehnten. Die Hoffnungen, die von vielen auf die versöhnliche Gesinnung des neuen Papstes gesetzt worden sind (vgl. „Die Papst¬ wahl" in Ur. 36 d. Bl.), scheinen sich zu erfüllen. Sein erstes Rundschreiben, wie versichert wird, sein ganz persönliches Werk, zeigt in der Tat einen „religiösen" Papst. Es verkündet, er wolle nichts sein als ein „Diener Gottes." Es wendet sich scharf gegen den Unglauben, der die Schöpfung statt des Schöpfers verehre, es predigt die Lösung der sozialen Schwierigkeiten durch „Liebe und Gerechtigkeit"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/202>, abgerufen am 01.07.2024.