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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Zwei Seelen

als wollten sie in den Sonnenduft hinaus und von Blume zu Blniue flattern, aber
leider hatte die zarte Hand eines schönen Mädchens ihren feinen Leib auf Kork
gespießt und unter Glüh festgehalten. Die Mutter hatte bei mir die Leidenschaft,
die prächtigen Falter von ihren Tummelplätzen wegzufangen und eines grau¬
samen Todes sterben zu lassen, immer abscheulich gefunden, jetzt aber dachte sie
wohl darüber anders, denn sie ließ sich erzählen, wie dos Ärmchen zu dieser
wundervollen Sammlung gekommen wäre. Da stellte sich nun heraus, dnß unter
den Lehrern der Pensionsanstnlt ein gefährlicher Mensch gewesen sein mußte, um
dessenwillen sich die jungen Mädchen einer fieberhaften Begeisterung für natur¬
wissenschaftliche Dinge hingegeben hatten. Die einen sammelten Steine, die andern
preßten Blumen, wieder andre spießten Käfer und Schmetterlinge; ja an viel gewöhn¬
licheres Tierzeug machte sich das Mädchenvvlk heran, sodaß also, wenn diese Leidenschaft
von einiger Dauer gewesen wäre, die Landschaft Gefahr gelaufen hätte, ihrer sämt¬
lichen Fauna und Flora nach und nach beraubt zu werden. Glücklicherweise war der
gefährliche Mann in eine entlegne Gegend berufen worden, und mit seinem Weggang
war denn auch der Friede wieder in die Natur zurückgekehrt, Anna, die zu der
Ordnung der Schmetlerlingsjägeriuuen gehörte, weil sie dabei ihren Geschmack für das
Schöne und Prunkhafte am ehesten befriedigen konnte, hätte, als sie die Anstalt
verließ, um ein Haar den ganzen Plunder zurückgelassen. Im letzten Augenblick
regte sich bei ihr jedoch der sparsame Sinn ihrer Familie, in deren Hause noch
nie etwas weggeworfen worden war, und so nahm sie das Zeug mit, in der Hoff¬
nung, daß es vielleicht doch noch einmal nützlich sein könnte. Dieser Fall trat denn
auch ein, indem ihr schon um ersten Tage die Bewunderung meiner Mutter zuteil
wurde, die ihr angenehme Dinge sagte und endlich mit der Mitteilung schloß, daß
merkwürdigerweise auch ihr Sohn eine ähnliche Sammlung habe, nicht so schöne
und bunte Exemplare freilich, auch wären sie nicht so geschmackvoll nach den Farben
geordnet, aber immerhin sei es ein nettes und sehenswertes Museum. Nun wurde
das Annchen neugierig; ein Schneider, der Schmetterlinge sammelte, erschien ihr
Wohl selbst als ein Naturwunder, das man sich einmal näher betrachten müsse, und
noch lebhafter wurde ihre Teilnahme, als sie erfahr, daß ich meine Anleitung von
Horst empfangen hatte und von ihm mit seiner Freundschaft beehrt würde. Das
Ende der Verhandlung war, daß Annchen ihren Besuch für einen der nächsten
Abende ankündigte und noch früher, als es meine Mutter erwartete, ausführte.
Sie wurde zunächst mit Kaffee und Kuchen bewirtet und ließ es sich, nachdem sie
sich auf eine stolz-feierliche Weise geziert hatte, auch köstlich schmecken. Darauf
wärmer geworden, besah sie mit mir die verschiednen Kästen meiner Samm¬
lung. Hierbei hätte mir eigentlich auffallen müssen, daß sie für die Sache mir eine
sehr geteilte Aufmerksamkeit hatte, daß sie zwar einem besonders schön gefärbten
Falter einen freundlichen Blick gönnte, die simpeln Leineweber aber gänzlich übersah,
und daß sie überhaupt mehr nach den Nebenumständen fragte, als nach der Haupt¬
sache, und also wissen wollte, ob ich diesen oder jeden Fang allein oder in Gesell¬
schaft Horsts gemacht hätte, und ob Horst häufig mit mir ginge, und ob er wohl
auch diese" Abend zu erwarten wäre, denn in diesem Falle dürfe sie nicht weiter
stören. Als ich sie darüber beruhigt hatte, blieb sie noch ein Stündchen, und wie
sie nach etlichen Tagen wiederkam, setzten wir unser köstliches Gespräch da fort, wo
wir es zuletzt abgebrochen hatten, nämlich bei der Schilderung der guten Freund¬
schaft, die ein so hochgebildeter und sonst so stolzer Mann wie Horst einem
Schneiderburschen entgegenbringe. Meine Mutter freute sich über das gute Zu¬
trauen, das so schnell zwischen uns entstanden war, nur konnte sie nicht begreifen,
warum wir immer wieder mit dem Horst unser Wesen hätten, während es doch
viel angenehmere und schönere Dinge zu besprechen gäbe, als dieser hochmütige
Schulfuchs. Ich war im Herzen ganz ihrer Meinung; da ich mich aber auch bei
dieser Sache nicht von meinem Herzen allein leiten ließ, sondern den diplo¬
matischen Kopf herausbiß, so konnte ich auch nicht reden, wie mirs ums Herz war,


Zwei Seelen

als wollten sie in den Sonnenduft hinaus und von Blume zu Blniue flattern, aber
leider hatte die zarte Hand eines schönen Mädchens ihren feinen Leib auf Kork
gespießt und unter Glüh festgehalten. Die Mutter hatte bei mir die Leidenschaft,
die prächtigen Falter von ihren Tummelplätzen wegzufangen und eines grau¬
samen Todes sterben zu lassen, immer abscheulich gefunden, jetzt aber dachte sie
wohl darüber anders, denn sie ließ sich erzählen, wie dos Ärmchen zu dieser
wundervollen Sammlung gekommen wäre. Da stellte sich nun heraus, dnß unter
den Lehrern der Pensionsanstnlt ein gefährlicher Mensch gewesen sein mußte, um
dessenwillen sich die jungen Mädchen einer fieberhaften Begeisterung für natur¬
wissenschaftliche Dinge hingegeben hatten. Die einen sammelten Steine, die andern
preßten Blumen, wieder andre spießten Käfer und Schmetterlinge; ja an viel gewöhn¬
licheres Tierzeug machte sich das Mädchenvvlk heran, sodaß also, wenn diese Leidenschaft
von einiger Dauer gewesen wäre, die Landschaft Gefahr gelaufen hätte, ihrer sämt¬
lichen Fauna und Flora nach und nach beraubt zu werden. Glücklicherweise war der
gefährliche Mann in eine entlegne Gegend berufen worden, und mit seinem Weggang
war denn auch der Friede wieder in die Natur zurückgekehrt, Anna, die zu der
Ordnung der Schmetlerlingsjägeriuuen gehörte, weil sie dabei ihren Geschmack für das
Schöne und Prunkhafte am ehesten befriedigen konnte, hätte, als sie die Anstalt
verließ, um ein Haar den ganzen Plunder zurückgelassen. Im letzten Augenblick
regte sich bei ihr jedoch der sparsame Sinn ihrer Familie, in deren Hause noch
nie etwas weggeworfen worden war, und so nahm sie das Zeug mit, in der Hoff¬
nung, daß es vielleicht doch noch einmal nützlich sein könnte. Dieser Fall trat denn
auch ein, indem ihr schon um ersten Tage die Bewunderung meiner Mutter zuteil
wurde, die ihr angenehme Dinge sagte und endlich mit der Mitteilung schloß, daß
merkwürdigerweise auch ihr Sohn eine ähnliche Sammlung habe, nicht so schöne
und bunte Exemplare freilich, auch wären sie nicht so geschmackvoll nach den Farben
geordnet, aber immerhin sei es ein nettes und sehenswertes Museum. Nun wurde
das Annchen neugierig; ein Schneider, der Schmetterlinge sammelte, erschien ihr
Wohl selbst als ein Naturwunder, das man sich einmal näher betrachten müsse, und
noch lebhafter wurde ihre Teilnahme, als sie erfahr, daß ich meine Anleitung von
Horst empfangen hatte und von ihm mit seiner Freundschaft beehrt würde. Das
Ende der Verhandlung war, daß Annchen ihren Besuch für einen der nächsten
Abende ankündigte und noch früher, als es meine Mutter erwartete, ausführte.
Sie wurde zunächst mit Kaffee und Kuchen bewirtet und ließ es sich, nachdem sie
sich auf eine stolz-feierliche Weise geziert hatte, auch köstlich schmecken. Darauf
wärmer geworden, besah sie mit mir die verschiednen Kästen meiner Samm¬
lung. Hierbei hätte mir eigentlich auffallen müssen, daß sie für die Sache mir eine
sehr geteilte Aufmerksamkeit hatte, daß sie zwar einem besonders schön gefärbten
Falter einen freundlichen Blick gönnte, die simpeln Leineweber aber gänzlich übersah,
und daß sie überhaupt mehr nach den Nebenumständen fragte, als nach der Haupt¬
sache, und also wissen wollte, ob ich diesen oder jeden Fang allein oder in Gesell¬
schaft Horsts gemacht hätte, und ob Horst häufig mit mir ginge, und ob er wohl
auch diese» Abend zu erwarten wäre, denn in diesem Falle dürfe sie nicht weiter
stören. Als ich sie darüber beruhigt hatte, blieb sie noch ein Stündchen, und wie
sie nach etlichen Tagen wiederkam, setzten wir unser köstliches Gespräch da fort, wo
wir es zuletzt abgebrochen hatten, nämlich bei der Schilderung der guten Freund¬
schaft, die ein so hochgebildeter und sonst so stolzer Mann wie Horst einem
Schneiderburschen entgegenbringe. Meine Mutter freute sich über das gute Zu¬
trauen, das so schnell zwischen uns entstanden war, nur konnte sie nicht begreifen,
warum wir immer wieder mit dem Horst unser Wesen hätten, während es doch
viel angenehmere und schönere Dinge zu besprechen gäbe, als dieser hochmütige
Schulfuchs. Ich war im Herzen ganz ihrer Meinung; da ich mich aber auch bei
dieser Sache nicht von meinem Herzen allein leiten ließ, sondern den diplo¬
matischen Kopf herausbiß, so konnte ich auch nicht reden, wie mirs ums Herz war,


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[0199] Zwei Seelen als wollten sie in den Sonnenduft hinaus und von Blume zu Blniue flattern, aber leider hatte die zarte Hand eines schönen Mädchens ihren feinen Leib auf Kork gespießt und unter Glüh festgehalten. Die Mutter hatte bei mir die Leidenschaft, die prächtigen Falter von ihren Tummelplätzen wegzufangen und eines grau¬ samen Todes sterben zu lassen, immer abscheulich gefunden, jetzt aber dachte sie wohl darüber anders, denn sie ließ sich erzählen, wie dos Ärmchen zu dieser wundervollen Sammlung gekommen wäre. Da stellte sich nun heraus, dnß unter den Lehrern der Pensionsanstnlt ein gefährlicher Mensch gewesen sein mußte, um dessenwillen sich die jungen Mädchen einer fieberhaften Begeisterung für natur¬ wissenschaftliche Dinge hingegeben hatten. Die einen sammelten Steine, die andern preßten Blumen, wieder andre spießten Käfer und Schmetterlinge; ja an viel gewöhn¬ licheres Tierzeug machte sich das Mädchenvvlk heran, sodaß also, wenn diese Leidenschaft von einiger Dauer gewesen wäre, die Landschaft Gefahr gelaufen hätte, ihrer sämt¬ lichen Fauna und Flora nach und nach beraubt zu werden. Glücklicherweise war der gefährliche Mann in eine entlegne Gegend berufen worden, und mit seinem Weggang war denn auch der Friede wieder in die Natur zurückgekehrt, Anna, die zu der Ordnung der Schmetlerlingsjägeriuuen gehörte, weil sie dabei ihren Geschmack für das Schöne und Prunkhafte am ehesten befriedigen konnte, hätte, als sie die Anstalt verließ, um ein Haar den ganzen Plunder zurückgelassen. Im letzten Augenblick regte sich bei ihr jedoch der sparsame Sinn ihrer Familie, in deren Hause noch nie etwas weggeworfen worden war, und so nahm sie das Zeug mit, in der Hoff¬ nung, daß es vielleicht doch noch einmal nützlich sein könnte. Dieser Fall trat denn auch ein, indem ihr schon um ersten Tage die Bewunderung meiner Mutter zuteil wurde, die ihr angenehme Dinge sagte und endlich mit der Mitteilung schloß, daß merkwürdigerweise auch ihr Sohn eine ähnliche Sammlung habe, nicht so schöne und bunte Exemplare freilich, auch wären sie nicht so geschmackvoll nach den Farben geordnet, aber immerhin sei es ein nettes und sehenswertes Museum. Nun wurde das Annchen neugierig; ein Schneider, der Schmetterlinge sammelte, erschien ihr Wohl selbst als ein Naturwunder, das man sich einmal näher betrachten müsse, und noch lebhafter wurde ihre Teilnahme, als sie erfahr, daß ich meine Anleitung von Horst empfangen hatte und von ihm mit seiner Freundschaft beehrt würde. Das Ende der Verhandlung war, daß Annchen ihren Besuch für einen der nächsten Abende ankündigte und noch früher, als es meine Mutter erwartete, ausführte. Sie wurde zunächst mit Kaffee und Kuchen bewirtet und ließ es sich, nachdem sie sich auf eine stolz-feierliche Weise geziert hatte, auch köstlich schmecken. Darauf wärmer geworden, besah sie mit mir die verschiednen Kästen meiner Samm¬ lung. Hierbei hätte mir eigentlich auffallen müssen, daß sie für die Sache mir eine sehr geteilte Aufmerksamkeit hatte, daß sie zwar einem besonders schön gefärbten Falter einen freundlichen Blick gönnte, die simpeln Leineweber aber gänzlich übersah, und daß sie überhaupt mehr nach den Nebenumständen fragte, als nach der Haupt¬ sache, und also wissen wollte, ob ich diesen oder jeden Fang allein oder in Gesell¬ schaft Horsts gemacht hätte, und ob Horst häufig mit mir ginge, und ob er wohl auch diese» Abend zu erwarten wäre, denn in diesem Falle dürfe sie nicht weiter stören. Als ich sie darüber beruhigt hatte, blieb sie noch ein Stündchen, und wie sie nach etlichen Tagen wiederkam, setzten wir unser köstliches Gespräch da fort, wo wir es zuletzt abgebrochen hatten, nämlich bei der Schilderung der guten Freund¬ schaft, die ein so hochgebildeter und sonst so stolzer Mann wie Horst einem Schneiderburschen entgegenbringe. Meine Mutter freute sich über das gute Zu¬ trauen, das so schnell zwischen uns entstanden war, nur konnte sie nicht begreifen, warum wir immer wieder mit dem Horst unser Wesen hätten, während es doch viel angenehmere und schönere Dinge zu besprechen gäbe, als dieser hochmütige Schulfuchs. Ich war im Herzen ganz ihrer Meinung; da ich mich aber auch bei dieser Sache nicht von meinem Herzen allein leiten ließ, sondern den diplo¬ matischen Kopf herausbiß, so konnte ich auch nicht reden, wie mirs ums Herz war,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/199>, abgerufen am 03.07.2024.