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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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reiche grenzend aufzufassen. Dem Organ der meisten Schauspieler, die mit dieser
Rolle betraut werden, ist dieser weiche, elegische Ton besonders geläufig, und
geradezu störend wirkt er ja auch nicht, aber man wird, wenn man vergleicht,
finden, daß hier die Sprache der verhaltnen und zurückgedrängten Trauer und
Rührung weit größere Wirkung hat als das Weichmütige, Tränenreiche. Man
darf doch nicht vergessen, daß Gordon Festungskommandant und ein durchaus
pflichteifriger, tätiger Offizier ist, dem das Wehleidige der Natur der Sache nach
fern liegt. Der Grund seiner herzlichen Teilnahme ist neben den unvergessenen
Jugenderinnerungen seine Bewunderung für die großen und liebenswürdigen Eigen¬
schaften des durch den Ehrgeiz auf verhängnisvolle Bahn geführten Herzogs: sein
Bedauern gilt dem Jugendfreunde und dem hochbegabten Menschen, der trotz alle-
dem, was er selbst geleistet und was Fortuna für ihn getan hat, schon mit beiden
Füßen unmittelbar am Rande des Abgrunds steht. Daß Gordon die fanatische
Feindschaft Buttlers gegen Wallenstein nicht teilt und doch, wenn er seiner
Pflicht gehorchen wollte, das Unheil von dem Haupte des verehrten Führers und
Jugendfreundes nicht abwenden konnte, ist ein für jedes Gemüt so verständlicher
tragischer Konflikt, daß der Schauspieler unsrer Rührung nicht durch künstliche Mittel
nachzuhelfen braucht. Wir empfinden ganz, was ihn bewegt, und sind ihm
dankbar, wenn er seinen Schmerz zügelt und die Weichheit seines Gemüts nach
Möglichkeit verschleiert; er wirkt dann, wie der antike Chor, beruhigend, ver¬
söhnend, erhebend.

Mnx und Thekla haben von der modernen Kritik manche Anfechtung erfahren.
Oft mit Unrecht, denn es ist ein Wunder, wie Schiller die unmöglich scheinende
Aufgabe, ein romantisches Liebespaar in ein geschichtliches Drama einzufügen, doch
zu lösen verstanden hat, ohne daß die beiden unverträglichen Gruppen einander gar
zu hart abstoßen. Die Leipziger Thekla ist elegisch und reizend, sie trägt auch die
rein poetischen Teile ihrer Rolle mit vielem Gefühl vor, mehr kann man von
keiner Darstellerin dieses ganz auf Empfindung beruhenden Charakters verlangen.
Max scheint ein klein wenig mehr der Erde anzugehören, und die Rolle würde
hier in Leipzig in sehr guten Händen sein, wenn sich der Darsteller, der den Mnx
vorteilhaft Personifiziert und sehr begabt erscheint, mehr auf die Kunst und weniger
ans den Impuls seines glücklichen Naturells verlassen wollte.

Der Satz, daß der Schauspieler in jedem einzelnen Falle nicht sich, sondern
ein ans seiner Persönlichkeit hervorgewachscnes, auf eigner Schöpfung beruhendes
Kunstgebilde auf die Bühne bringen solle, ist oft aufgestellt und ausführlich be¬
gründet worden. Wie die Sache eigentlich zugeht, läßt sich, da es sich um ein
Spiel der Phantasie und dessen Verkörperung handelt, ebensowenig beschreiben,
wie man für den Entwurf eines Bildes ein Rezept geben kann. Es kommt dabei
viel auf die Art des Einzelnen an, und mir der Erfolg lehrt, ob er die rechten
Mittel gewählt hat oder falsche. Der Leipziger Darsteller des Max kann sich
ohne Bedenken einfach geben, wie er ist, wenn er im "Tal des Lebens" als Hans
Storck auftritt; es wird niemand die Rolle harmloser, erfreulicher und innerhalb
der vom Stück vorgezeichneten Grenzen ehrbarer verkörpern können als er. Aber
der Ammenkönig ist ein gutmütiger, naiver, lebenslustiger Bauernbursche, der, ob¬
wohl er uns als Uhrmacher vorgestellt wird, weder von Grübeln noch von Stuben-
luft etwas weiß, während Max ein ganz idealer und obendrein noch philosophisch
angehauchter Liebesheld ist. Was als eines der wesentlichsten Erfordernisse für die
Rolle bezeichnet werden muß, ist die Kunst des Vortrags, die das vvrhandne
richtige Gefühl in wechselnden Farben und Tonarten zum Ausdruck zu bringen
versteht, und die kunstvolle Verwendung der Stimme kommt dabei in allererster
Reihe in Betracht. Poltern, Sichüberstürzen, im Affekt mit gepreßter Stimme
hervorgestoßene Laute, alles das muß entweder ganz vermieden oder für einzelne
Augenblicke der höchsten Erregung aufgespart werden. Damit die Steigerung nicht
schließlich wild und unschön werde, empfiehlt es sich, von diesen außerordentlichen


Grenzboten IV 1903 16
Leipziger Dramcitm'gie

reiche grenzend aufzufassen. Dem Organ der meisten Schauspieler, die mit dieser
Rolle betraut werden, ist dieser weiche, elegische Ton besonders geläufig, und
geradezu störend wirkt er ja auch nicht, aber man wird, wenn man vergleicht,
finden, daß hier die Sprache der verhaltnen und zurückgedrängten Trauer und
Rührung weit größere Wirkung hat als das Weichmütige, Tränenreiche. Man
darf doch nicht vergessen, daß Gordon Festungskommandant und ein durchaus
pflichteifriger, tätiger Offizier ist, dem das Wehleidige der Natur der Sache nach
fern liegt. Der Grund seiner herzlichen Teilnahme ist neben den unvergessenen
Jugenderinnerungen seine Bewunderung für die großen und liebenswürdigen Eigen¬
schaften des durch den Ehrgeiz auf verhängnisvolle Bahn geführten Herzogs: sein
Bedauern gilt dem Jugendfreunde und dem hochbegabten Menschen, der trotz alle-
dem, was er selbst geleistet und was Fortuna für ihn getan hat, schon mit beiden
Füßen unmittelbar am Rande des Abgrunds steht. Daß Gordon die fanatische
Feindschaft Buttlers gegen Wallenstein nicht teilt und doch, wenn er seiner
Pflicht gehorchen wollte, das Unheil von dem Haupte des verehrten Führers und
Jugendfreundes nicht abwenden konnte, ist ein für jedes Gemüt so verständlicher
tragischer Konflikt, daß der Schauspieler unsrer Rührung nicht durch künstliche Mittel
nachzuhelfen braucht. Wir empfinden ganz, was ihn bewegt, und sind ihm
dankbar, wenn er seinen Schmerz zügelt und die Weichheit seines Gemüts nach
Möglichkeit verschleiert; er wirkt dann, wie der antike Chor, beruhigend, ver¬
söhnend, erhebend.

Mnx und Thekla haben von der modernen Kritik manche Anfechtung erfahren.
Oft mit Unrecht, denn es ist ein Wunder, wie Schiller die unmöglich scheinende
Aufgabe, ein romantisches Liebespaar in ein geschichtliches Drama einzufügen, doch
zu lösen verstanden hat, ohne daß die beiden unverträglichen Gruppen einander gar
zu hart abstoßen. Die Leipziger Thekla ist elegisch und reizend, sie trägt auch die
rein poetischen Teile ihrer Rolle mit vielem Gefühl vor, mehr kann man von
keiner Darstellerin dieses ganz auf Empfindung beruhenden Charakters verlangen.
Max scheint ein klein wenig mehr der Erde anzugehören, und die Rolle würde
hier in Leipzig in sehr guten Händen sein, wenn sich der Darsteller, der den Mnx
vorteilhaft Personifiziert und sehr begabt erscheint, mehr auf die Kunst und weniger
ans den Impuls seines glücklichen Naturells verlassen wollte.

Der Satz, daß der Schauspieler in jedem einzelnen Falle nicht sich, sondern
ein ans seiner Persönlichkeit hervorgewachscnes, auf eigner Schöpfung beruhendes
Kunstgebilde auf die Bühne bringen solle, ist oft aufgestellt und ausführlich be¬
gründet worden. Wie die Sache eigentlich zugeht, läßt sich, da es sich um ein
Spiel der Phantasie und dessen Verkörperung handelt, ebensowenig beschreiben,
wie man für den Entwurf eines Bildes ein Rezept geben kann. Es kommt dabei
viel auf die Art des Einzelnen an, und mir der Erfolg lehrt, ob er die rechten
Mittel gewählt hat oder falsche. Der Leipziger Darsteller des Max kann sich
ohne Bedenken einfach geben, wie er ist, wenn er im „Tal des Lebens" als Hans
Storck auftritt; es wird niemand die Rolle harmloser, erfreulicher und innerhalb
der vom Stück vorgezeichneten Grenzen ehrbarer verkörpern können als er. Aber
der Ammenkönig ist ein gutmütiger, naiver, lebenslustiger Bauernbursche, der, ob¬
wohl er uns als Uhrmacher vorgestellt wird, weder von Grübeln noch von Stuben-
luft etwas weiß, während Max ein ganz idealer und obendrein noch philosophisch
angehauchter Liebesheld ist. Was als eines der wesentlichsten Erfordernisse für die
Rolle bezeichnet werden muß, ist die Kunst des Vortrags, die das vvrhandne
richtige Gefühl in wechselnden Farben und Tonarten zum Ausdruck zu bringen
versteht, und die kunstvolle Verwendung der Stimme kommt dabei in allererster
Reihe in Betracht. Poltern, Sichüberstürzen, im Affekt mit gepreßter Stimme
hervorgestoßene Laute, alles das muß entweder ganz vermieden oder für einzelne
Augenblicke der höchsten Erregung aufgespart werden. Damit die Steigerung nicht
schließlich wild und unschön werde, empfiehlt es sich, von diesen außerordentlichen


Grenzboten IV 1903 16
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[0129] Leipziger Dramcitm'gie reiche grenzend aufzufassen. Dem Organ der meisten Schauspieler, die mit dieser Rolle betraut werden, ist dieser weiche, elegische Ton besonders geläufig, und geradezu störend wirkt er ja auch nicht, aber man wird, wenn man vergleicht, finden, daß hier die Sprache der verhaltnen und zurückgedrängten Trauer und Rührung weit größere Wirkung hat als das Weichmütige, Tränenreiche. Man darf doch nicht vergessen, daß Gordon Festungskommandant und ein durchaus pflichteifriger, tätiger Offizier ist, dem das Wehleidige der Natur der Sache nach fern liegt. Der Grund seiner herzlichen Teilnahme ist neben den unvergessenen Jugenderinnerungen seine Bewunderung für die großen und liebenswürdigen Eigen¬ schaften des durch den Ehrgeiz auf verhängnisvolle Bahn geführten Herzogs: sein Bedauern gilt dem Jugendfreunde und dem hochbegabten Menschen, der trotz alle- dem, was er selbst geleistet und was Fortuna für ihn getan hat, schon mit beiden Füßen unmittelbar am Rande des Abgrunds steht. Daß Gordon die fanatische Feindschaft Buttlers gegen Wallenstein nicht teilt und doch, wenn er seiner Pflicht gehorchen wollte, das Unheil von dem Haupte des verehrten Führers und Jugendfreundes nicht abwenden konnte, ist ein für jedes Gemüt so verständlicher tragischer Konflikt, daß der Schauspieler unsrer Rührung nicht durch künstliche Mittel nachzuhelfen braucht. Wir empfinden ganz, was ihn bewegt, und sind ihm dankbar, wenn er seinen Schmerz zügelt und die Weichheit seines Gemüts nach Möglichkeit verschleiert; er wirkt dann, wie der antike Chor, beruhigend, ver¬ söhnend, erhebend. Mnx und Thekla haben von der modernen Kritik manche Anfechtung erfahren. Oft mit Unrecht, denn es ist ein Wunder, wie Schiller die unmöglich scheinende Aufgabe, ein romantisches Liebespaar in ein geschichtliches Drama einzufügen, doch zu lösen verstanden hat, ohne daß die beiden unverträglichen Gruppen einander gar zu hart abstoßen. Die Leipziger Thekla ist elegisch und reizend, sie trägt auch die rein poetischen Teile ihrer Rolle mit vielem Gefühl vor, mehr kann man von keiner Darstellerin dieses ganz auf Empfindung beruhenden Charakters verlangen. Max scheint ein klein wenig mehr der Erde anzugehören, und die Rolle würde hier in Leipzig in sehr guten Händen sein, wenn sich der Darsteller, der den Mnx vorteilhaft Personifiziert und sehr begabt erscheint, mehr auf die Kunst und weniger ans den Impuls seines glücklichen Naturells verlassen wollte. Der Satz, daß der Schauspieler in jedem einzelnen Falle nicht sich, sondern ein ans seiner Persönlichkeit hervorgewachscnes, auf eigner Schöpfung beruhendes Kunstgebilde auf die Bühne bringen solle, ist oft aufgestellt und ausführlich be¬ gründet worden. Wie die Sache eigentlich zugeht, läßt sich, da es sich um ein Spiel der Phantasie und dessen Verkörperung handelt, ebensowenig beschreiben, wie man für den Entwurf eines Bildes ein Rezept geben kann. Es kommt dabei viel auf die Art des Einzelnen an, und mir der Erfolg lehrt, ob er die rechten Mittel gewählt hat oder falsche. Der Leipziger Darsteller des Max kann sich ohne Bedenken einfach geben, wie er ist, wenn er im „Tal des Lebens" als Hans Storck auftritt; es wird niemand die Rolle harmloser, erfreulicher und innerhalb der vom Stück vorgezeichneten Grenzen ehrbarer verkörpern können als er. Aber der Ammenkönig ist ein gutmütiger, naiver, lebenslustiger Bauernbursche, der, ob¬ wohl er uns als Uhrmacher vorgestellt wird, weder von Grübeln noch von Stuben- luft etwas weiß, während Max ein ganz idealer und obendrein noch philosophisch angehauchter Liebesheld ist. Was als eines der wesentlichsten Erfordernisse für die Rolle bezeichnet werden muß, ist die Kunst des Vortrags, die das vvrhandne richtige Gefühl in wechselnden Farben und Tonarten zum Ausdruck zu bringen versteht, und die kunstvolle Verwendung der Stimme kommt dabei in allererster Reihe in Betracht. Poltern, Sichüberstürzen, im Affekt mit gepreßter Stimme hervorgestoßene Laute, alles das muß entweder ganz vermieden oder für einzelne Augenblicke der höchsten Erregung aufgespart werden. Damit die Steigerung nicht schließlich wild und unschön werde, empfiehlt es sich, von diesen außerordentlichen Grenzboten IV 1903 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/129>, abgerufen am 02.07.2024.