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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Leipziger Urcrmatnrgie

sagen, deß diese beiden letzten Akte ein in seiner Art einziges Meisterstück sind,
das keine Bühnenleitung durch willkürliche Kürzungen entstellen darf. Es soll hier
kein abermaliges Klagelied über das angestimmt werden, was man sich in dieser
Beziehung in Leipzig zuschulden kommen läßt. Da sich die Kritik und das
Publikum solche Streichungen gefallen lassen, so kann immer nur von neuem daran
erinnert werden, daß gewisse Weglnssungen genau denselben Eindruck machen, als
wenn man einer antiken Marmorstcitue die Ellbogen-, Hand-, Knie- und Fu߬
gelenke aussagen und das Verbleibende als bewunderungswürdiges Kunstwerk mit
dem Bemerken ausstellen wollte, daß Photographien der ausgesagten Teile beim
Portier käuflich zu haben seien. Diesen Photographien entspricht in Leipzig der
"Text," den man bei den Logenschließern kaufen kann, und den man gar zu gern
der Bühncnleitung "lesen" würde, wenn man davon auch nur den geringsten Er¬
folg erhoffen dürfte. Wie die Beschreibung des goldnen Bechers, des schönen
Prachtstücks ans der Prager Beute, die für den Lokalton des Stückes von hohem
Werte ist, in Leipzig glatt wegfällt, so werden hier auch die oben bezeichneten
Auftritte teils ganz gestrichen, teils gekürzt, und zwar, wie es den Anschein hat,
weil die Regie für die künstlerische Wirkung des Ritardnndo kein Gefühl hat und
"mit hinausgejagter Eile" nur dem Augenblicke zustrebt, wo endlich -- so scheint
man zu denken -- der Leichnam des Herzogs in einem roten Teppich über die
Bühne getragen wird, und wo Deveroux (eigentlich heißt er ja Devereux) dem
General Buttler außer des Fürsten Degen auch dessen goldnes Vlies übergibt,
nebenbei gesagt, eine Dekoration, die man doch an dem Herzog im Laufe des
Stückes und namentlich am letzten Abend gesehen haben müßte, wenn man nicht
annehmen will, daß der Hauptmann ans den Gedanken gekommen sei, nach diesen
Jnsignien im Reisegepäck des Herzogs zu suchen. Denn nur wenn man das rote
Band mit dem Widderfell noch kurz vorher um den Hals des Herzogs gesehen
hat, begreift man, daß Deveroux das fürstliche Ehrenzeichen auf dem Tisch neben
des Herzogs Bett gesehen und an sich genommen hat.

Die Szenen zwischen Buttler, Geraldin, Macdonald und Deveroux (die erste und
die zweite des fünften Akts) fallen, um nur ein Beispiel unter mehrere" zu geben,
in Leipzig ganz aus, und damit werden wir nicht bloß um eine überaus gelungne
Schilderung des niedern Condottiercntums gebracht, es geht dadurch auch ein
wesentliches Glied der von Schiller mit seltener Kunst zusammengefügten Kette ver¬
loren. Denn im Gespräche Buttlers mit dem Major und den beiden Hauptleuten
soll uns ja geschildert werden, wie sich sowohl der Vorgang oben im Schlosse als
auch die Schlußkatastrophe in Wallensteins Vor- und Schlafzimmer entwickeln wird.
Dieser Abstrich düngt hier in Leipzig mit dem Widerwillen zusammen, den man
gegen Verwandlungen bei offner Szene hat. Indem man die beiden ersten Szenen
des fünften Aktes einfach wegläßt, kommt nun um die Unbequemlichkeit herum,
Buttlers Zimmer in den Saal, wo sich der Schluß des Stückes abspielt, zu ver¬
wandeln, und es gehn dabei mehr als huudertuudnchtzig volle Zeiten Schillerscher
Dichtung verloren. So schwer ein solcher Verlust unter allen Umständen wiegt,
da das Nachlesen im "Text" doch ein gar zu erbärmlicher Notbehelf ist, so möchte
man sich noch eher in das, wie es scheint, Unvermeidliche finden, wenn die un¬
motivierte Streichung nicht das peinliche Gefühl hervorbrächte, daß man ein
Schillersches Stück wie eine Spektakelpantomime behandelt sieht. Schlagt den Kerl
tot, gebt der Gräfin Gift, bringt das an den "Fürsten" Piccolomini gerichtete
kaiserliche Schreiben herein, löscht die Lichter aus und laßt das Publikum zum
Nachtmahl und zum Erquickuugsschoppen eilen!

Man fühlt jn, wenn man so etwas schreibt, wie vergeblich und hoffnungslos
es ist, wie Pierrot immer von neuem dasselbe zu predigen: aber da es, wie Pierrot
ebenfalls sagt, immer dasselbe ist, so fällt die Schuld, daß man sich wiederholt,
doch eigentlich nicht ans unsereiner. Gehn wir doch nicht vielleicht Theaterzuständen
entgegen, wie sie in Italien schon auf manchen Bühnen für die Oper herrschen,


Leipziger Urcrmatnrgie

sagen, deß diese beiden letzten Akte ein in seiner Art einziges Meisterstück sind,
das keine Bühnenleitung durch willkürliche Kürzungen entstellen darf. Es soll hier
kein abermaliges Klagelied über das angestimmt werden, was man sich in dieser
Beziehung in Leipzig zuschulden kommen läßt. Da sich die Kritik und das
Publikum solche Streichungen gefallen lassen, so kann immer nur von neuem daran
erinnert werden, daß gewisse Weglnssungen genau denselben Eindruck machen, als
wenn man einer antiken Marmorstcitue die Ellbogen-, Hand-, Knie- und Fu߬
gelenke aussagen und das Verbleibende als bewunderungswürdiges Kunstwerk mit
dem Bemerken ausstellen wollte, daß Photographien der ausgesagten Teile beim
Portier käuflich zu haben seien. Diesen Photographien entspricht in Leipzig der
„Text," den man bei den Logenschließern kaufen kann, und den man gar zu gern
der Bühncnleitung „lesen" würde, wenn man davon auch nur den geringsten Er¬
folg erhoffen dürfte. Wie die Beschreibung des goldnen Bechers, des schönen
Prachtstücks ans der Prager Beute, die für den Lokalton des Stückes von hohem
Werte ist, in Leipzig glatt wegfällt, so werden hier auch die oben bezeichneten
Auftritte teils ganz gestrichen, teils gekürzt, und zwar, wie es den Anschein hat,
weil die Regie für die künstlerische Wirkung des Ritardnndo kein Gefühl hat und
„mit hinausgejagter Eile" nur dem Augenblicke zustrebt, wo endlich — so scheint
man zu denken — der Leichnam des Herzogs in einem roten Teppich über die
Bühne getragen wird, und wo Deveroux (eigentlich heißt er ja Devereux) dem
General Buttler außer des Fürsten Degen auch dessen goldnes Vlies übergibt,
nebenbei gesagt, eine Dekoration, die man doch an dem Herzog im Laufe des
Stückes und namentlich am letzten Abend gesehen haben müßte, wenn man nicht
annehmen will, daß der Hauptmann ans den Gedanken gekommen sei, nach diesen
Jnsignien im Reisegepäck des Herzogs zu suchen. Denn nur wenn man das rote
Band mit dem Widderfell noch kurz vorher um den Hals des Herzogs gesehen
hat, begreift man, daß Deveroux das fürstliche Ehrenzeichen auf dem Tisch neben
des Herzogs Bett gesehen und an sich genommen hat.

Die Szenen zwischen Buttler, Geraldin, Macdonald und Deveroux (die erste und
die zweite des fünften Akts) fallen, um nur ein Beispiel unter mehrere» zu geben,
in Leipzig ganz aus, und damit werden wir nicht bloß um eine überaus gelungne
Schilderung des niedern Condottiercntums gebracht, es geht dadurch auch ein
wesentliches Glied der von Schiller mit seltener Kunst zusammengefügten Kette ver¬
loren. Denn im Gespräche Buttlers mit dem Major und den beiden Hauptleuten
soll uns ja geschildert werden, wie sich sowohl der Vorgang oben im Schlosse als
auch die Schlußkatastrophe in Wallensteins Vor- und Schlafzimmer entwickeln wird.
Dieser Abstrich düngt hier in Leipzig mit dem Widerwillen zusammen, den man
gegen Verwandlungen bei offner Szene hat. Indem man die beiden ersten Szenen
des fünften Aktes einfach wegläßt, kommt nun um die Unbequemlichkeit herum,
Buttlers Zimmer in den Saal, wo sich der Schluß des Stückes abspielt, zu ver¬
wandeln, und es gehn dabei mehr als huudertuudnchtzig volle Zeiten Schillerscher
Dichtung verloren. So schwer ein solcher Verlust unter allen Umständen wiegt,
da das Nachlesen im „Text" doch ein gar zu erbärmlicher Notbehelf ist, so möchte
man sich noch eher in das, wie es scheint, Unvermeidliche finden, wenn die un¬
motivierte Streichung nicht das peinliche Gefühl hervorbrächte, daß man ein
Schillersches Stück wie eine Spektakelpantomime behandelt sieht. Schlagt den Kerl
tot, gebt der Gräfin Gift, bringt das an den „Fürsten" Piccolomini gerichtete
kaiserliche Schreiben herein, löscht die Lichter aus und laßt das Publikum zum
Nachtmahl und zum Erquickuugsschoppen eilen!

Man fühlt jn, wenn man so etwas schreibt, wie vergeblich und hoffnungslos
es ist, wie Pierrot immer von neuem dasselbe zu predigen: aber da es, wie Pierrot
ebenfalls sagt, immer dasselbe ist, so fällt die Schuld, daß man sich wiederholt,
doch eigentlich nicht ans unsereiner. Gehn wir doch nicht vielleicht Theaterzuständen
entgegen, wie sie in Italien schon auf manchen Bühnen für die Oper herrschen,


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[0127] Leipziger Urcrmatnrgie sagen, deß diese beiden letzten Akte ein in seiner Art einziges Meisterstück sind, das keine Bühnenleitung durch willkürliche Kürzungen entstellen darf. Es soll hier kein abermaliges Klagelied über das angestimmt werden, was man sich in dieser Beziehung in Leipzig zuschulden kommen läßt. Da sich die Kritik und das Publikum solche Streichungen gefallen lassen, so kann immer nur von neuem daran erinnert werden, daß gewisse Weglnssungen genau denselben Eindruck machen, als wenn man einer antiken Marmorstcitue die Ellbogen-, Hand-, Knie- und Fu߬ gelenke aussagen und das Verbleibende als bewunderungswürdiges Kunstwerk mit dem Bemerken ausstellen wollte, daß Photographien der ausgesagten Teile beim Portier käuflich zu haben seien. Diesen Photographien entspricht in Leipzig der „Text," den man bei den Logenschließern kaufen kann, und den man gar zu gern der Bühncnleitung „lesen" würde, wenn man davon auch nur den geringsten Er¬ folg erhoffen dürfte. Wie die Beschreibung des goldnen Bechers, des schönen Prachtstücks ans der Prager Beute, die für den Lokalton des Stückes von hohem Werte ist, in Leipzig glatt wegfällt, so werden hier auch die oben bezeichneten Auftritte teils ganz gestrichen, teils gekürzt, und zwar, wie es den Anschein hat, weil die Regie für die künstlerische Wirkung des Ritardnndo kein Gefühl hat und „mit hinausgejagter Eile" nur dem Augenblicke zustrebt, wo endlich — so scheint man zu denken — der Leichnam des Herzogs in einem roten Teppich über die Bühne getragen wird, und wo Deveroux (eigentlich heißt er ja Devereux) dem General Buttler außer des Fürsten Degen auch dessen goldnes Vlies übergibt, nebenbei gesagt, eine Dekoration, die man doch an dem Herzog im Laufe des Stückes und namentlich am letzten Abend gesehen haben müßte, wenn man nicht annehmen will, daß der Hauptmann ans den Gedanken gekommen sei, nach diesen Jnsignien im Reisegepäck des Herzogs zu suchen. Denn nur wenn man das rote Band mit dem Widderfell noch kurz vorher um den Hals des Herzogs gesehen hat, begreift man, daß Deveroux das fürstliche Ehrenzeichen auf dem Tisch neben des Herzogs Bett gesehen und an sich genommen hat. Die Szenen zwischen Buttler, Geraldin, Macdonald und Deveroux (die erste und die zweite des fünften Akts) fallen, um nur ein Beispiel unter mehrere» zu geben, in Leipzig ganz aus, und damit werden wir nicht bloß um eine überaus gelungne Schilderung des niedern Condottiercntums gebracht, es geht dadurch auch ein wesentliches Glied der von Schiller mit seltener Kunst zusammengefügten Kette ver¬ loren. Denn im Gespräche Buttlers mit dem Major und den beiden Hauptleuten soll uns ja geschildert werden, wie sich sowohl der Vorgang oben im Schlosse als auch die Schlußkatastrophe in Wallensteins Vor- und Schlafzimmer entwickeln wird. Dieser Abstrich düngt hier in Leipzig mit dem Widerwillen zusammen, den man gegen Verwandlungen bei offner Szene hat. Indem man die beiden ersten Szenen des fünften Aktes einfach wegläßt, kommt nun um die Unbequemlichkeit herum, Buttlers Zimmer in den Saal, wo sich der Schluß des Stückes abspielt, zu ver¬ wandeln, und es gehn dabei mehr als huudertuudnchtzig volle Zeiten Schillerscher Dichtung verloren. So schwer ein solcher Verlust unter allen Umständen wiegt, da das Nachlesen im „Text" doch ein gar zu erbärmlicher Notbehelf ist, so möchte man sich noch eher in das, wie es scheint, Unvermeidliche finden, wenn die un¬ motivierte Streichung nicht das peinliche Gefühl hervorbrächte, daß man ein Schillersches Stück wie eine Spektakelpantomime behandelt sieht. Schlagt den Kerl tot, gebt der Gräfin Gift, bringt das an den „Fürsten" Piccolomini gerichtete kaiserliche Schreiben herein, löscht die Lichter aus und laßt das Publikum zum Nachtmahl und zum Erquickuugsschoppen eilen! Man fühlt jn, wenn man so etwas schreibt, wie vergeblich und hoffnungslos es ist, wie Pierrot immer von neuem dasselbe zu predigen: aber da es, wie Pierrot ebenfalls sagt, immer dasselbe ist, so fällt die Schuld, daß man sich wiederholt, doch eigentlich nicht ans unsereiner. Gehn wir doch nicht vielleicht Theaterzuständen entgegen, wie sie in Italien schon auf manchen Bühnen für die Oper herrschen,

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/127>, abgerufen am 24.08.2024.