Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.Der Kampf um den Weltmarkt Kornzoll eingeführt, freilich von verhältnismäßig geringer Höhe und wahrscheinlich Ein englischer Nationalökonom, Hewins, schrieb kürzlich in einer Studie Zum Schluß wollen wir aus unsrer Darstellung zwei Tatsachen hervor¬ Der Kampf um den Weltmarkt Kornzoll eingeführt, freilich von verhältnismäßig geringer Höhe und wahrscheinlich Ein englischer Nationalökonom, Hewins, schrieb kürzlich in einer Studie Zum Schluß wollen wir aus unsrer Darstellung zwei Tatsachen hervor¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0090" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/241304"/> <fw type="header" place="top"> Der Kampf um den Weltmarkt</fw><lb/> <p xml:id="ID_391" prev="#ID_390"> Kornzoll eingeführt, freilich von verhältnismäßig geringer Höhe und wahrscheinlich<lb/> von kurzer Dauer. Viel bezeichnender als diese innere Zollpolitik ist es aber,<lb/> daß auch jetzt in Südafrika der Zolltarif eine gesonderte Behandlung von eng¬<lb/> lischen und außerenglischen Waren zuläßt. In steigendem Maße lassen alle diese<lb/> Maßregeln, die zunächst freilich nur als Symptome aufzufassen sind, erkennen,<lb/> welche tiefen Veränderungen in den Anschauungen Englands unter dem Drucke<lb/> der internationalen Konkurrenz Platz gegriffen haben. Die Abkehr vom Frei¬<lb/> handel wird immer sichtbarer, und wir werden uach dieser Richtung hin noch<lb/> ganz andern Ereignissen in den nächsten Jahren gegenüberstehn.</p><lb/> <p xml:id="ID_392"> Ein englischer Nationalökonom, Hewins, schrieb kürzlich in einer Studie<lb/> über deu Imperialismus und seine voraussichtliche Wirkung auf die englische<lb/> Handelspolitik: Die meisten Engländer betrachten das Freihnndelspriuzip uicht<lb/> mehr als einen Glaubensartikel, sondern vom Standpunkt der Zweckmäßigkeit<lb/> aus. Einer Änderung der Handelspolitik stehn sie nicht von vornherein ab¬<lb/> lehnend gegenüber, wenn sie als ein Mittel zur Erreichung eines so großen<lb/> Zieles wie das der Jmperinlföderation in Betracht kommt. Die Politik des<lb/> Imperialismus bedeutet „Freihandel innerhalb des Reichs," und sobald das<lb/> Reich an Stelle Englands zur Grundlage der Staatspolitik wird, müssen sich<lb/> Änderungen als notwendig erweisen, die Cobdens Schule nicht voraussehen<lb/> konnte. Übersetzen wir dies aus der schwerfülligeu Sprache des Gelehrten in<lb/> klares Deutsch, so heißt es: Wir wollen ein neues einheitliches Reich — Eng¬<lb/> land mit seinen Kolonien — gründen und es mit einem Schutzwall umgeben.<lb/> Des lieben Friedens wegen wollen wir diese Schutzzollpolitik einen einge¬<lb/> schränkten Freihandel nennen.</p><lb/> <p xml:id="ID_393" next="#ID_394"> Zum Schluß wollen wir aus unsrer Darstellung zwei Tatsachen hervor¬<lb/> heben. Sie sprechen ihre eigne Sprache. Erst nachdem England die unbe-<lb/> strittne Seeherrschaft errungen hatte, als es sich den Besitz der wertvollsten<lb/> Kolonien gesichert hatte, als sein Handel und seine Industrie eine wirtschaft¬<lb/> liche und technische Stufe der Vollendung erreicht hatten, die, wie die englischen<lb/> Volkswirte glaubten, andre Staaten nie erreichen könnten, erst zu diesem Zeit¬<lb/> punkt öffnete es seine Häfen der fremden Schiffahrt und dem fremden Handel,<lb/> begann es seine Kriegsflotte abzurüsten, erklärte es auf weitern Kolonialbesitz<lb/> zu verzichten, lenkte es entschlossen in die Freihandclstheorie ein und forderte<lb/> es die Welt aus, sich an ihm ein Vorbild zu nehmen und seinen wirtschaft¬<lb/> lichen Grundsätzen nachzufolgen. Seit den achtziger Jahren des vorigen Jahr¬<lb/> hunderts beginnen neue Kräfte sich zu regen. Frankreich entwickelt sich zu<lb/> einer großen Kolonialmacht in Afrika und Asien, Deutschlands Zukunft „liegt<lb/> über der See," die Vereinigten Staaten treten aus ihrer politischen Isolierung<lb/> zu Gunsten einer imperialistischen Politik heraus. Alle diese Staaten bauen<lb/> großartige Flotten, und zugleich beginnt England auf dem Weltmarkt einem<lb/> Wettbewerb der neu aufblühenden Industrie in einem Umfang, in einer Stärke<lb/> zu begegnen, wie man es früher nie geahnt hätte. Und diese Industrien sind<lb/> erwachsen in Schutzzolllandern, auf einer, wie der Freihandel lehrt, unmög-<lb/> lichen Grundlage des wirtschaftlichen Gedeihens. In diesen Zeiten beginnt<lb/> England von neuem zu rüsten, seine Marine zu vergrößern, es führt für den</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0090]
Der Kampf um den Weltmarkt
Kornzoll eingeführt, freilich von verhältnismäßig geringer Höhe und wahrscheinlich
von kurzer Dauer. Viel bezeichnender als diese innere Zollpolitik ist es aber,
daß auch jetzt in Südafrika der Zolltarif eine gesonderte Behandlung von eng¬
lischen und außerenglischen Waren zuläßt. In steigendem Maße lassen alle diese
Maßregeln, die zunächst freilich nur als Symptome aufzufassen sind, erkennen,
welche tiefen Veränderungen in den Anschauungen Englands unter dem Drucke
der internationalen Konkurrenz Platz gegriffen haben. Die Abkehr vom Frei¬
handel wird immer sichtbarer, und wir werden uach dieser Richtung hin noch
ganz andern Ereignissen in den nächsten Jahren gegenüberstehn.
Ein englischer Nationalökonom, Hewins, schrieb kürzlich in einer Studie
über deu Imperialismus und seine voraussichtliche Wirkung auf die englische
Handelspolitik: Die meisten Engländer betrachten das Freihnndelspriuzip uicht
mehr als einen Glaubensartikel, sondern vom Standpunkt der Zweckmäßigkeit
aus. Einer Änderung der Handelspolitik stehn sie nicht von vornherein ab¬
lehnend gegenüber, wenn sie als ein Mittel zur Erreichung eines so großen
Zieles wie das der Jmperinlföderation in Betracht kommt. Die Politik des
Imperialismus bedeutet „Freihandel innerhalb des Reichs," und sobald das
Reich an Stelle Englands zur Grundlage der Staatspolitik wird, müssen sich
Änderungen als notwendig erweisen, die Cobdens Schule nicht voraussehen
konnte. Übersetzen wir dies aus der schwerfülligeu Sprache des Gelehrten in
klares Deutsch, so heißt es: Wir wollen ein neues einheitliches Reich — Eng¬
land mit seinen Kolonien — gründen und es mit einem Schutzwall umgeben.
Des lieben Friedens wegen wollen wir diese Schutzzollpolitik einen einge¬
schränkten Freihandel nennen.
Zum Schluß wollen wir aus unsrer Darstellung zwei Tatsachen hervor¬
heben. Sie sprechen ihre eigne Sprache. Erst nachdem England die unbe-
strittne Seeherrschaft errungen hatte, als es sich den Besitz der wertvollsten
Kolonien gesichert hatte, als sein Handel und seine Industrie eine wirtschaft¬
liche und technische Stufe der Vollendung erreicht hatten, die, wie die englischen
Volkswirte glaubten, andre Staaten nie erreichen könnten, erst zu diesem Zeit¬
punkt öffnete es seine Häfen der fremden Schiffahrt und dem fremden Handel,
begann es seine Kriegsflotte abzurüsten, erklärte es auf weitern Kolonialbesitz
zu verzichten, lenkte es entschlossen in die Freihandclstheorie ein und forderte
es die Welt aus, sich an ihm ein Vorbild zu nehmen und seinen wirtschaft¬
lichen Grundsätzen nachzufolgen. Seit den achtziger Jahren des vorigen Jahr¬
hunderts beginnen neue Kräfte sich zu regen. Frankreich entwickelt sich zu
einer großen Kolonialmacht in Afrika und Asien, Deutschlands Zukunft „liegt
über der See," die Vereinigten Staaten treten aus ihrer politischen Isolierung
zu Gunsten einer imperialistischen Politik heraus. Alle diese Staaten bauen
großartige Flotten, und zugleich beginnt England auf dem Weltmarkt einem
Wettbewerb der neu aufblühenden Industrie in einem Umfang, in einer Stärke
zu begegnen, wie man es früher nie geahnt hätte. Und diese Industrien sind
erwachsen in Schutzzolllandern, auf einer, wie der Freihandel lehrt, unmög-
lichen Grundlage des wirtschaftlichen Gedeihens. In diesen Zeiten beginnt
England von neuem zu rüsten, seine Marine zu vergrößern, es führt für den
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