Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Kampf um den Meltmarkr

Worten, es produziert am billigsten. Jede Verbilligung der Produktion aber
steigert den Vorteil des Konsumenten.

Der internationale Markt des Freihandclsgebiets bietet dann in seiner
Arbeitsteilung, in seinem ungehinderten Zusammenfluß aller Arbeitsprodukte
das Bild einer organischen Volkswirtschaft, während jetzt die einzelnen Staaten
durch Unterstützung kostspieliger Prodnktionsformen mit Vergeudung eines
großen Kapital- und Arbeitanfwandes einer Nationalwirtschaft zustreben. Die
Begrenzung des nationalen Marktes muß notwendig eine Verteuerung der
Produktion mit sich bringen, und das bedeutet eiuen wesentliche" Nachteil des
Einkommens aller Konsumenten.

Bei der internationalen Arbeitsteilung, wie sie sich auf dem Weltmarkt
gestaltet, findet innerhalb der durch Freihandel verbundnen Völkergemeinschaft
ein einziger Güteraustausch statt. Der gegenseitige Austausch der einzelnen
Völkergrnppen kaum aber nach den Gesetzen der Preisbildung weder die kaufende
uoch die verlaufende Nation schädigen. Es gibt innerhalb dieses Wirtschafts¬
gebiets keine Differenzen zwischen Ein- und Ausfuhr, keine sogenannte aktive
oder passive Handelsbilanz.

Eine solche wirtschaftliche Gemeinschaft der europäischen Völker hat aber
weitere politische Folgen. Die Kriege entspringen dem wirtschaftlichen Jntcr-
essenstreit der Nationen. Mit dem Weltmarkt fällt die Reibung zwischen den
einzelnen Staaten weg; es gibt eine Bolksfamilie, getrennt durch Sprache,
Geschichte, Nasse, aber in einer Arbeitsgemeinschaft zusammengefaßt. An die
Stelle der nationalen Eigenproduktion tritt internationale arbeitsteilige Pro¬
duktion. Mit der Durchführung des Freihandels gibt es leine Kriege zwischen
Völkern mehr; kein Militär, keine Flotte braucht erhalten zu werden, kein
Staat geht ans Eroberungen oder ans Erwerbung neuer Kolonien ans. Cobden
predigte das Schlagwort: "An die Stelle des jetzt herrschenden Militarismus
tritt dann der Industrialismus."

Dies in Kürze die von den Freihändlern aufgestellte Theorie.

sehen wir nun zu, wie sich die Verhältnisse in England nnter der Frei¬
handelstheorie entwickelt haben. Cobden behauptete, England brauche seine
teure Flotte nicht mehr, die Wohlfeilheit seiner Produkte garantiere seinen
Welthandel; der Wegfall der Flotte bedeute eine Steigerung des Wohlstandes
des Landes. Ferner dürfe England keine neuen Kolonien erwerben, Kolonien
seien eine Last, man müsse die Politik dahin richten, sie sobald als möglich
selbständig zu macheu, Ideen, die besonders unter dem Ministerium Gladstone
England praktisch zu verwirklichen suchte. Das Band, das England mit seinen
Kolonien verband, wurde damals immer lockerer, es herrschte die "Politik der
Nachgiebigkeit"; so verzichtete England 1863 auf die Schutzherrschaft der
Ionischen Inseln, und so gab Gladstone 1881 gegen die Bnrenrepubliken in
Südafrika nach.

Während man in England in der Wirtschaftspolitik noch an der Frei¬
handelstheorie festhält, beginnt vom Ausgange der siebziger Jahre ab sich
zuerst laugsam, dann aber in verstärktem Maße auf dem Gebiet der äußern
Politik ein Umschwung bemerkbar zu machen. Dieser Umschwung zeigte sich


Der Kampf um den Meltmarkr

Worten, es produziert am billigsten. Jede Verbilligung der Produktion aber
steigert den Vorteil des Konsumenten.

Der internationale Markt des Freihandclsgebiets bietet dann in seiner
Arbeitsteilung, in seinem ungehinderten Zusammenfluß aller Arbeitsprodukte
das Bild einer organischen Volkswirtschaft, während jetzt die einzelnen Staaten
durch Unterstützung kostspieliger Prodnktionsformen mit Vergeudung eines
großen Kapital- und Arbeitanfwandes einer Nationalwirtschaft zustreben. Die
Begrenzung des nationalen Marktes muß notwendig eine Verteuerung der
Produktion mit sich bringen, und das bedeutet eiuen wesentliche« Nachteil des
Einkommens aller Konsumenten.

Bei der internationalen Arbeitsteilung, wie sie sich auf dem Weltmarkt
gestaltet, findet innerhalb der durch Freihandel verbundnen Völkergemeinschaft
ein einziger Güteraustausch statt. Der gegenseitige Austausch der einzelnen
Völkergrnppen kaum aber nach den Gesetzen der Preisbildung weder die kaufende
uoch die verlaufende Nation schädigen. Es gibt innerhalb dieses Wirtschafts¬
gebiets keine Differenzen zwischen Ein- und Ausfuhr, keine sogenannte aktive
oder passive Handelsbilanz.

Eine solche wirtschaftliche Gemeinschaft der europäischen Völker hat aber
weitere politische Folgen. Die Kriege entspringen dem wirtschaftlichen Jntcr-
essenstreit der Nationen. Mit dem Weltmarkt fällt die Reibung zwischen den
einzelnen Staaten weg; es gibt eine Bolksfamilie, getrennt durch Sprache,
Geschichte, Nasse, aber in einer Arbeitsgemeinschaft zusammengefaßt. An die
Stelle der nationalen Eigenproduktion tritt internationale arbeitsteilige Pro¬
duktion. Mit der Durchführung des Freihandels gibt es leine Kriege zwischen
Völkern mehr; kein Militär, keine Flotte braucht erhalten zu werden, kein
Staat geht ans Eroberungen oder ans Erwerbung neuer Kolonien ans. Cobden
predigte das Schlagwort: „An die Stelle des jetzt herrschenden Militarismus
tritt dann der Industrialismus."

Dies in Kürze die von den Freihändlern aufgestellte Theorie.

sehen wir nun zu, wie sich die Verhältnisse in England nnter der Frei¬
handelstheorie entwickelt haben. Cobden behauptete, England brauche seine
teure Flotte nicht mehr, die Wohlfeilheit seiner Produkte garantiere seinen
Welthandel; der Wegfall der Flotte bedeute eine Steigerung des Wohlstandes
des Landes. Ferner dürfe England keine neuen Kolonien erwerben, Kolonien
seien eine Last, man müsse die Politik dahin richten, sie sobald als möglich
selbständig zu macheu, Ideen, die besonders unter dem Ministerium Gladstone
England praktisch zu verwirklichen suchte. Das Band, das England mit seinen
Kolonien verband, wurde damals immer lockerer, es herrschte die „Politik der
Nachgiebigkeit"; so verzichtete England 1863 auf die Schutzherrschaft der
Ionischen Inseln, und so gab Gladstone 1881 gegen die Bnrenrepubliken in
Südafrika nach.

Während man in England in der Wirtschaftspolitik noch an der Frei¬
handelstheorie festhält, beginnt vom Ausgange der siebziger Jahre ab sich
zuerst laugsam, dann aber in verstärktem Maße auf dem Gebiet der äußern
Politik ein Umschwung bemerkbar zu machen. Dieser Umschwung zeigte sich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0085" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/241299"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Kampf um den Meltmarkr</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_368" prev="#ID_367"> Worten, es produziert am billigsten. Jede Verbilligung der Produktion aber<lb/>
steigert den Vorteil des Konsumenten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_369"> Der internationale Markt des Freihandclsgebiets bietet dann in seiner<lb/>
Arbeitsteilung, in seinem ungehinderten Zusammenfluß aller Arbeitsprodukte<lb/>
das Bild einer organischen Volkswirtschaft, während jetzt die einzelnen Staaten<lb/>
durch Unterstützung kostspieliger Prodnktionsformen mit Vergeudung eines<lb/>
großen Kapital- und Arbeitanfwandes einer Nationalwirtschaft zustreben. Die<lb/>
Begrenzung des nationalen Marktes muß notwendig eine Verteuerung der<lb/>
Produktion mit sich bringen, und das bedeutet eiuen wesentliche« Nachteil des<lb/>
Einkommens aller Konsumenten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_370"> Bei der internationalen Arbeitsteilung, wie sie sich auf dem Weltmarkt<lb/>
gestaltet, findet innerhalb der durch Freihandel verbundnen Völkergemeinschaft<lb/>
ein einziger Güteraustausch statt. Der gegenseitige Austausch der einzelnen<lb/>
Völkergrnppen kaum aber nach den Gesetzen der Preisbildung weder die kaufende<lb/>
uoch die verlaufende Nation schädigen. Es gibt innerhalb dieses Wirtschafts¬<lb/>
gebiets keine Differenzen zwischen Ein- und Ausfuhr, keine sogenannte aktive<lb/>
oder passive Handelsbilanz.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_371"> Eine solche wirtschaftliche Gemeinschaft der europäischen Völker hat aber<lb/>
weitere politische Folgen. Die Kriege entspringen dem wirtschaftlichen Jntcr-<lb/>
essenstreit der Nationen. Mit dem Weltmarkt fällt die Reibung zwischen den<lb/>
einzelnen Staaten weg; es gibt eine Bolksfamilie, getrennt durch Sprache,<lb/>
Geschichte, Nasse, aber in einer Arbeitsgemeinschaft zusammengefaßt. An die<lb/>
Stelle der nationalen Eigenproduktion tritt internationale arbeitsteilige Pro¬<lb/>
duktion. Mit der Durchführung des Freihandels gibt es leine Kriege zwischen<lb/>
Völkern mehr; kein Militär, keine Flotte braucht erhalten zu werden, kein<lb/>
Staat geht ans Eroberungen oder ans Erwerbung neuer Kolonien ans. Cobden<lb/>
predigte das Schlagwort: &#x201E;An die Stelle des jetzt herrschenden Militarismus<lb/>
tritt dann der Industrialismus."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_372"> Dies in Kürze die von den Freihändlern aufgestellte Theorie.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_373"> sehen wir nun zu, wie sich die Verhältnisse in England nnter der Frei¬<lb/>
handelstheorie entwickelt haben. Cobden behauptete, England brauche seine<lb/>
teure Flotte nicht mehr, die Wohlfeilheit seiner Produkte garantiere seinen<lb/>
Welthandel; der Wegfall der Flotte bedeute eine Steigerung des Wohlstandes<lb/>
des Landes. Ferner dürfe England keine neuen Kolonien erwerben, Kolonien<lb/>
seien eine Last, man müsse die Politik dahin richten, sie sobald als möglich<lb/>
selbständig zu macheu, Ideen, die besonders unter dem Ministerium Gladstone<lb/>
England praktisch zu verwirklichen suchte. Das Band, das England mit seinen<lb/>
Kolonien verband, wurde damals immer lockerer, es herrschte die &#x201E;Politik der<lb/>
Nachgiebigkeit"; so verzichtete England 1863 auf die Schutzherrschaft der<lb/>
Ionischen Inseln, und so gab Gladstone 1881 gegen die Bnrenrepubliken in<lb/>
Südafrika nach.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_374" next="#ID_375"> Während man in England in der Wirtschaftspolitik noch an der Frei¬<lb/>
handelstheorie festhält, beginnt vom Ausgange der siebziger Jahre ab sich<lb/>
zuerst laugsam, dann aber in verstärktem Maße auf dem Gebiet der äußern<lb/>
Politik ein Umschwung bemerkbar zu machen.  Dieser Umschwung zeigte sich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0085] Der Kampf um den Meltmarkr Worten, es produziert am billigsten. Jede Verbilligung der Produktion aber steigert den Vorteil des Konsumenten. Der internationale Markt des Freihandclsgebiets bietet dann in seiner Arbeitsteilung, in seinem ungehinderten Zusammenfluß aller Arbeitsprodukte das Bild einer organischen Volkswirtschaft, während jetzt die einzelnen Staaten durch Unterstützung kostspieliger Prodnktionsformen mit Vergeudung eines großen Kapital- und Arbeitanfwandes einer Nationalwirtschaft zustreben. Die Begrenzung des nationalen Marktes muß notwendig eine Verteuerung der Produktion mit sich bringen, und das bedeutet eiuen wesentliche« Nachteil des Einkommens aller Konsumenten. Bei der internationalen Arbeitsteilung, wie sie sich auf dem Weltmarkt gestaltet, findet innerhalb der durch Freihandel verbundnen Völkergemeinschaft ein einziger Güteraustausch statt. Der gegenseitige Austausch der einzelnen Völkergrnppen kaum aber nach den Gesetzen der Preisbildung weder die kaufende uoch die verlaufende Nation schädigen. Es gibt innerhalb dieses Wirtschafts¬ gebiets keine Differenzen zwischen Ein- und Ausfuhr, keine sogenannte aktive oder passive Handelsbilanz. Eine solche wirtschaftliche Gemeinschaft der europäischen Völker hat aber weitere politische Folgen. Die Kriege entspringen dem wirtschaftlichen Jntcr- essenstreit der Nationen. Mit dem Weltmarkt fällt die Reibung zwischen den einzelnen Staaten weg; es gibt eine Bolksfamilie, getrennt durch Sprache, Geschichte, Nasse, aber in einer Arbeitsgemeinschaft zusammengefaßt. An die Stelle der nationalen Eigenproduktion tritt internationale arbeitsteilige Pro¬ duktion. Mit der Durchführung des Freihandels gibt es leine Kriege zwischen Völkern mehr; kein Militär, keine Flotte braucht erhalten zu werden, kein Staat geht ans Eroberungen oder ans Erwerbung neuer Kolonien ans. Cobden predigte das Schlagwort: „An die Stelle des jetzt herrschenden Militarismus tritt dann der Industrialismus." Dies in Kürze die von den Freihändlern aufgestellte Theorie. sehen wir nun zu, wie sich die Verhältnisse in England nnter der Frei¬ handelstheorie entwickelt haben. Cobden behauptete, England brauche seine teure Flotte nicht mehr, die Wohlfeilheit seiner Produkte garantiere seinen Welthandel; der Wegfall der Flotte bedeute eine Steigerung des Wohlstandes des Landes. Ferner dürfe England keine neuen Kolonien erwerben, Kolonien seien eine Last, man müsse die Politik dahin richten, sie sobald als möglich selbständig zu macheu, Ideen, die besonders unter dem Ministerium Gladstone England praktisch zu verwirklichen suchte. Das Band, das England mit seinen Kolonien verband, wurde damals immer lockerer, es herrschte die „Politik der Nachgiebigkeit"; so verzichtete England 1863 auf die Schutzherrschaft der Ionischen Inseln, und so gab Gladstone 1881 gegen die Bnrenrepubliken in Südafrika nach. Während man in England in der Wirtschaftspolitik noch an der Frei¬ handelstheorie festhält, beginnt vom Ausgange der siebziger Jahre ab sich zuerst laugsam, dann aber in verstärktem Maße auf dem Gebiet der äußern Politik ein Umschwung bemerkbar zu machen. Dieser Umschwung zeigte sich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/85
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/85>, abgerufen am 01.09.2024.