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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Der Kciinpf um de" Mcltmarkt

bezeichnet der Abschluß des englisch-französischen Handelsvertrags von 18L0.
Cobden war der Unterhändler, Er erlebte noch den vollen Sieg der Frei¬
handelsidee in England und die Anerkennung dieser Theorie als das höchste,
wenn auch kaum erreichbare Ideal in Europa.

Sieht man auf die eben geschilderte Entwicklung des englischen Zoll¬
systems zurück, so wird man einer auffälligen Tatsache bald gewahr. Im
Jahre 1776 erschien des Schotte" Adam Smith großes Werk "Der Volks¬
reichtum," das sofort eiuen beispiellose!: Erfolg errang, und dessen Grundsätze
die zeitgenössischen Staatsmänner, namentlich Pitt der Jüngere, anerkannten.
Smith brach völlig mit der alten Merkantilpolitik. Er stand auf französischen
physiokratischen Ideen, wußte sie aber den praktischen Erfahrungen der eng¬
lischen Fabrikanten und der englischen Händler anzupassen. Weniger in der
blendenden Tiefe der Gedanken als in nüchterner Erwägung des praktisch
Erreichbaren liegt, wenn man von der klassischen Form absieht, die Größe
seines Werkes, hinter dem das ganze englische Unternehmertum stand. Man
hätte nun erwarten müssen, daß Gedanken, die ans so günstigem Boden er¬
wachsen waren, schnell in Gesetzgebung und Verwaltung eindringen würden.
Aber sehr, sehr langsam hat sich die Idee des freien Wettbewerbs in England
aus der Theorie in die Praxis umgesetzt. Fast fünfzig Jahre nach dem Er¬
scheinen des Volksreichtums beginnt die Agitation für Aufhebung der Waren¬
zölle kräftig, und fast vierzig weitere Jahre vergehn, ehe England in dem
Handelsvertrage mit Frankreich ganz in die Bahnen des Freihandels einlenkt.
Zu jener Zeit hatte England die unbestrittene wirtschaftliche Vormachtstellung
in Europa, und Grillparzer sagt: "Ihr schwärmt mit begeisterten Blicken für
die Freiheit der Länder, die ohne Fabriken."

Was wollte der englische Freihandel? Welchem Ziele strebte er zu? Ohne
uns in eine Betrachtung der Freihandelstheorie vertiefen zu wollen, müssen
wir doch einige wichtige Sätze dieser Theorie hervorheben.

Der Freihandel geht nicht vom nationalen Markte, sondern vom Welt¬
markt ans, nicht von der nationalen Arbeitsteilung, sondern von der inter¬
nationalen. Alle Volker sollen eine Gemeinschaft bilden, jedes Volk soll nur
das produzieren, wozu es durch seine Lage, durch die vorhandnen natürlichen
Hilfsquellen des Bodens, des Klimas usw., durch die besondre Befähigung
der Rasse am allergeeignctsten erscheint. In der internationalen Konkurrenz,
die der Freihandel herbeiführen soll, werden sehr bald die schwachen, künstlich
getriebnen Industrien und Gewerbe aus der Volkswirtschaft ausscheide!? müssen.
Jedes Volk liefert dann nur solche Güter, die es unter den günstigsten Ver¬
hältnissen und in technisch höchster Vollkommenheit zu produzieren vermag.
Nur die wirtschaftlich am billigsten gestellte Produktion kann sich innerhalb
des allgemeinen Freihandelsgebiets behaupten und erhalten, dagegen werden
die vom internationalen Standpunkt mit erhöhten Produktionskosten betriebncn
Gewerbe ausgeschieden und vernichtet. Jedes Volk soll nur das produziere",
was es am besten produzieren kann. Indem es sich weise auf die ihm geeignetsten
Produktionsgebiete beschränkt, erreicht es ans diesen eine Höhe des technischen
Betriebs, die von den andern Nationen nicht erreicht werden kann; mit andern


Der Kciinpf um de» Mcltmarkt

bezeichnet der Abschluß des englisch-französischen Handelsvertrags von 18L0.
Cobden war der Unterhändler, Er erlebte noch den vollen Sieg der Frei¬
handelsidee in England und die Anerkennung dieser Theorie als das höchste,
wenn auch kaum erreichbare Ideal in Europa.

Sieht man auf die eben geschilderte Entwicklung des englischen Zoll¬
systems zurück, so wird man einer auffälligen Tatsache bald gewahr. Im
Jahre 1776 erschien des Schotte» Adam Smith großes Werk „Der Volks¬
reichtum," das sofort eiuen beispiellose!: Erfolg errang, und dessen Grundsätze
die zeitgenössischen Staatsmänner, namentlich Pitt der Jüngere, anerkannten.
Smith brach völlig mit der alten Merkantilpolitik. Er stand auf französischen
physiokratischen Ideen, wußte sie aber den praktischen Erfahrungen der eng¬
lischen Fabrikanten und der englischen Händler anzupassen. Weniger in der
blendenden Tiefe der Gedanken als in nüchterner Erwägung des praktisch
Erreichbaren liegt, wenn man von der klassischen Form absieht, die Größe
seines Werkes, hinter dem das ganze englische Unternehmertum stand. Man
hätte nun erwarten müssen, daß Gedanken, die ans so günstigem Boden er¬
wachsen waren, schnell in Gesetzgebung und Verwaltung eindringen würden.
Aber sehr, sehr langsam hat sich die Idee des freien Wettbewerbs in England
aus der Theorie in die Praxis umgesetzt. Fast fünfzig Jahre nach dem Er¬
scheinen des Volksreichtums beginnt die Agitation für Aufhebung der Waren¬
zölle kräftig, und fast vierzig weitere Jahre vergehn, ehe England in dem
Handelsvertrage mit Frankreich ganz in die Bahnen des Freihandels einlenkt.
Zu jener Zeit hatte England die unbestrittene wirtschaftliche Vormachtstellung
in Europa, und Grillparzer sagt: „Ihr schwärmt mit begeisterten Blicken für
die Freiheit der Länder, die ohne Fabriken."

Was wollte der englische Freihandel? Welchem Ziele strebte er zu? Ohne
uns in eine Betrachtung der Freihandelstheorie vertiefen zu wollen, müssen
wir doch einige wichtige Sätze dieser Theorie hervorheben.

Der Freihandel geht nicht vom nationalen Markte, sondern vom Welt¬
markt ans, nicht von der nationalen Arbeitsteilung, sondern von der inter¬
nationalen. Alle Volker sollen eine Gemeinschaft bilden, jedes Volk soll nur
das produzieren, wozu es durch seine Lage, durch die vorhandnen natürlichen
Hilfsquellen des Bodens, des Klimas usw., durch die besondre Befähigung
der Rasse am allergeeignctsten erscheint. In der internationalen Konkurrenz,
die der Freihandel herbeiführen soll, werden sehr bald die schwachen, künstlich
getriebnen Industrien und Gewerbe aus der Volkswirtschaft ausscheide!? müssen.
Jedes Volk liefert dann nur solche Güter, die es unter den günstigsten Ver¬
hältnissen und in technisch höchster Vollkommenheit zu produzieren vermag.
Nur die wirtschaftlich am billigsten gestellte Produktion kann sich innerhalb
des allgemeinen Freihandelsgebiets behaupten und erhalten, dagegen werden
die vom internationalen Standpunkt mit erhöhten Produktionskosten betriebncn
Gewerbe ausgeschieden und vernichtet. Jedes Volk soll nur das produziere»,
was es am besten produzieren kann. Indem es sich weise auf die ihm geeignetsten
Produktionsgebiete beschränkt, erreicht es ans diesen eine Höhe des technischen
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/84>, abgerufen am 25.11.2024.