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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Der Kampf um den Weltmarkt

nicht etwa in den Worten der englischen Staatsmänner, wohl aber in ihren
Taten. D'Jsraeli erklärte 1876, England sei keine erwerbsüchtige Macht, es
sei auf der Erde nichts vorhanden, was es sich wünschen könne. Und doch
vergrößerte er die englische Macht um Natal, Cypern, Ägypten, Birma, und
sein Nachfolger Salisbury erklärte 1899: "Wir suchen keine Goldfelder, wir
suchen teilten Landbesitz, wir wünschen nichts weiter als gleiche Rechte für die
Männer aller Nassen." Während so die Reden der englischen Staatsmänner
auf die Freihandelssätze gestimmt sind, erweitert sich der englische Kolonialbesitz
zusehends. 1866 12,6 Millionen Quadratkilometer, 1899 27,8 Millionen
Quadratkilometer, Zunahme 15,2 Millionen Quadratkilometer.

Hand in Hand mit dem Kolonialerwerb ging seit den achtziger Jahren
die Verstärkung der englischen Marine. Es betrugen in der englischen Kriegs¬
flotte:

188S die Bemannung 7g 841 Mann, die Ausgaben 10 728000 Pfund Sterling
1890 " " 90165 " " " 12999000 "
1302 " " 129829 " " " 30S00000 "
Zunahme in siebzehn Jahren 5,0000 Mann und 20000000 Pfund Sterling.

Nicht so markant wie auf dem politischen Gebiete ist der Rückgang der
Freihandelsidee auf dem wirtschaftlichen, aber auch da mehren sich in den
letzten zwei Jahrzehnten die Anzeichen einer Umkehr. Bis in die siebziger
Jahre hinein konnte die Industrie auf dem Festlande der englischen keine ernst¬
hafte Konkurrenz machen. Erst seit den achtziger Jahren begegnet England
ans seinem eignen Markt, dann in seinen Kolonien in Australien und Indien
und schließlich auf den Märkten von Japan lind China und Amerika einem
immer ernsthafter" Wettbewerb, der den Preis drückte, den Absatz einheimischer
englischer Produkte hemmte.

Diese Konkurrenz bleibt nicht ohne Rückwirkung auf das wirtschaftliche
Denken der heutigen Engländer. Zunächst sieht sich die Industrie bedroht;
sie verlangt nach Schutz vor der internationalen Konkurrenz. Im eignen Lande
ermnchst ihr im englischen Zwischenhandel ein energischer Gegner. Für diesen
Handel sind nicht nationale Interessen maßgebend; er will nach dem Grund¬
satz arbeiten, die Ware dort einzukaufen, wo sie am billigsten produziert wird,
und dort zu verkaufen, wo sie den höchsten Preis erlangt. Die alte Gegnerschaft
zwischen Warenerzeugung und Warenvermittlung, die, als einst Cobden auf¬
trat, zurückwich und sich dann in der Freihandelsidee einheitlich zusammenfand,
lebte wieder auf. Aber wohl in keinem Lande lassen sich Reformen schwerer
durchführen als in England. Wollte die Industrie irgend etwas erreichen,
so mußte sie versuchen, ihre Wünsche dem gegebnen Nahmen der heutigen
englischen Wirtschaftspolitik anzupassen. Der gerade Weg konnte nicht zum
Ziele führen; mir mit einer den wahren Sachverhalt verschleiernden Gesetz¬
gebung war etwas zu erreichet!, Und nur von hier ans kann man die 1887
erlassene Nerenancliss NarKs ^.ot versteh". Jede Ware, die aus einem fremden
Lande in England eingeführt wurde, sollte eine Marke ihres Ursprungslandes
ausweisen: Naäs w (?6rimam^! Die englische Industrie hoffte durch dieses
Gesetz unter Umgehung der im Volke unbeliebten Schutzzollmaßregeln die aus-


Der Kampf um den Weltmarkt

nicht etwa in den Worten der englischen Staatsmänner, wohl aber in ihren
Taten. D'Jsraeli erklärte 1876, England sei keine erwerbsüchtige Macht, es
sei auf der Erde nichts vorhanden, was es sich wünschen könne. Und doch
vergrößerte er die englische Macht um Natal, Cypern, Ägypten, Birma, und
sein Nachfolger Salisbury erklärte 1899: „Wir suchen keine Goldfelder, wir
suchen teilten Landbesitz, wir wünschen nichts weiter als gleiche Rechte für die
Männer aller Nassen." Während so die Reden der englischen Staatsmänner
auf die Freihandelssätze gestimmt sind, erweitert sich der englische Kolonialbesitz
zusehends. 1866 12,6 Millionen Quadratkilometer, 1899 27,8 Millionen
Quadratkilometer, Zunahme 15,2 Millionen Quadratkilometer.

Hand in Hand mit dem Kolonialerwerb ging seit den achtziger Jahren
die Verstärkung der englischen Marine. Es betrugen in der englischen Kriegs¬
flotte:

188S die Bemannung 7g 841 Mann, die Ausgaben 10 728000 Pfund Sterling
1890 „ „ 90165 „ „ „ 12999000 „
1302 „ „ 129829 „ „ „ 30S00000 „
Zunahme in siebzehn Jahren 5,0000 Mann und 20000000 Pfund Sterling.

Nicht so markant wie auf dem politischen Gebiete ist der Rückgang der
Freihandelsidee auf dem wirtschaftlichen, aber auch da mehren sich in den
letzten zwei Jahrzehnten die Anzeichen einer Umkehr. Bis in die siebziger
Jahre hinein konnte die Industrie auf dem Festlande der englischen keine ernst¬
hafte Konkurrenz machen. Erst seit den achtziger Jahren begegnet England
ans seinem eignen Markt, dann in seinen Kolonien in Australien und Indien
und schließlich auf den Märkten von Japan lind China und Amerika einem
immer ernsthafter» Wettbewerb, der den Preis drückte, den Absatz einheimischer
englischer Produkte hemmte.

Diese Konkurrenz bleibt nicht ohne Rückwirkung auf das wirtschaftliche
Denken der heutigen Engländer. Zunächst sieht sich die Industrie bedroht;
sie verlangt nach Schutz vor der internationalen Konkurrenz. Im eignen Lande
ermnchst ihr im englischen Zwischenhandel ein energischer Gegner. Für diesen
Handel sind nicht nationale Interessen maßgebend; er will nach dem Grund¬
satz arbeiten, die Ware dort einzukaufen, wo sie am billigsten produziert wird,
und dort zu verkaufen, wo sie den höchsten Preis erlangt. Die alte Gegnerschaft
zwischen Warenerzeugung und Warenvermittlung, die, als einst Cobden auf¬
trat, zurückwich und sich dann in der Freihandelsidee einheitlich zusammenfand,
lebte wieder auf. Aber wohl in keinem Lande lassen sich Reformen schwerer
durchführen als in England. Wollte die Industrie irgend etwas erreichen,
so mußte sie versuchen, ihre Wünsche dem gegebnen Nahmen der heutigen
englischen Wirtschaftspolitik anzupassen. Der gerade Weg konnte nicht zum
Ziele führen; mir mit einer den wahren Sachverhalt verschleiernden Gesetz¬
gebung war etwas zu erreichet!, Und nur von hier ans kann man die 1887
erlassene Nerenancliss NarKs ^.ot versteh». Jede Ware, die aus einem fremden
Lande in England eingeführt wurde, sollte eine Marke ihres Ursprungslandes
ausweisen: Naäs w (?6rimam^! Die englische Industrie hoffte durch dieses
Gesetz unter Umgehung der im Volke unbeliebten Schutzzollmaßregeln die aus-


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[0086] Der Kampf um den Weltmarkt nicht etwa in den Worten der englischen Staatsmänner, wohl aber in ihren Taten. D'Jsraeli erklärte 1876, England sei keine erwerbsüchtige Macht, es sei auf der Erde nichts vorhanden, was es sich wünschen könne. Und doch vergrößerte er die englische Macht um Natal, Cypern, Ägypten, Birma, und sein Nachfolger Salisbury erklärte 1899: „Wir suchen keine Goldfelder, wir suchen teilten Landbesitz, wir wünschen nichts weiter als gleiche Rechte für die Männer aller Nassen." Während so die Reden der englischen Staatsmänner auf die Freihandelssätze gestimmt sind, erweitert sich der englische Kolonialbesitz zusehends. 1866 12,6 Millionen Quadratkilometer, 1899 27,8 Millionen Quadratkilometer, Zunahme 15,2 Millionen Quadratkilometer. Hand in Hand mit dem Kolonialerwerb ging seit den achtziger Jahren die Verstärkung der englischen Marine. Es betrugen in der englischen Kriegs¬ flotte: 188S die Bemannung 7g 841 Mann, die Ausgaben 10 728000 Pfund Sterling 1890 „ „ 90165 „ „ „ 12999000 „ 1302 „ „ 129829 „ „ „ 30S00000 „ Zunahme in siebzehn Jahren 5,0000 Mann und 20000000 Pfund Sterling. Nicht so markant wie auf dem politischen Gebiete ist der Rückgang der Freihandelsidee auf dem wirtschaftlichen, aber auch da mehren sich in den letzten zwei Jahrzehnten die Anzeichen einer Umkehr. Bis in die siebziger Jahre hinein konnte die Industrie auf dem Festlande der englischen keine ernst¬ hafte Konkurrenz machen. Erst seit den achtziger Jahren begegnet England ans seinem eignen Markt, dann in seinen Kolonien in Australien und Indien und schließlich auf den Märkten von Japan lind China und Amerika einem immer ernsthafter» Wettbewerb, der den Preis drückte, den Absatz einheimischer englischer Produkte hemmte. Diese Konkurrenz bleibt nicht ohne Rückwirkung auf das wirtschaftliche Denken der heutigen Engländer. Zunächst sieht sich die Industrie bedroht; sie verlangt nach Schutz vor der internationalen Konkurrenz. Im eignen Lande ermnchst ihr im englischen Zwischenhandel ein energischer Gegner. Für diesen Handel sind nicht nationale Interessen maßgebend; er will nach dem Grund¬ satz arbeiten, die Ware dort einzukaufen, wo sie am billigsten produziert wird, und dort zu verkaufen, wo sie den höchsten Preis erlangt. Die alte Gegnerschaft zwischen Warenerzeugung und Warenvermittlung, die, als einst Cobden auf¬ trat, zurückwich und sich dann in der Freihandelsidee einheitlich zusammenfand, lebte wieder auf. Aber wohl in keinem Lande lassen sich Reformen schwerer durchführen als in England. Wollte die Industrie irgend etwas erreichen, so mußte sie versuchen, ihre Wünsche dem gegebnen Nahmen der heutigen englischen Wirtschaftspolitik anzupassen. Der gerade Weg konnte nicht zum Ziele führen; mir mit einer den wahren Sachverhalt verschleiernden Gesetz¬ gebung war etwas zu erreichet!, Und nur von hier ans kann man die 1887 erlassene Nerenancliss NarKs ^.ot versteh». Jede Ware, die aus einem fremden Lande in England eingeführt wurde, sollte eine Marke ihres Ursprungslandes ausweisen: Naäs w (?6rimam^! Die englische Industrie hoffte durch dieses Gesetz unter Umgehung der im Volke unbeliebten Schutzzollmaßregeln die aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/86>, abgerufen am 01.09.2024.