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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Der Kampf um den Weltmarkt

übertraf die englische Industrie in ihrer wirtschaftlichen Organisation, in ihrer
technischen Produktion allen kontinentalen Wettbewerb. Und die englische
Landwirtschaft stand an technischer Vollendung nicht hinter der Industrie zurück.
Sie hatte die Produktionskraft des Bodens in einer Weise entwickelt, daß die
kontinentale Landwirtschaft zu ihr als einem fast unerreichbaren Vorbilde
emporsah. Ein energischer Handel, ein weitsichtiger Uuternehmerstand, welt¬
wirtschaftlich geschult, sorgte für die Verwertung der einheimischen Hilfsquellen
und trachtete danach, sich die Völker des Erdkreises wirtschaftlich zu unter¬
werfen.

Erst nachdem die größten Wunden, die der Krieg Englands mit Napoleon
geschlagen hatte, vernarbt waren, suchte man nnn endgiltig mit dem Merkantil-
shstem, das fast dreihundert Jahre die Praxis in England beherrscht hatte,
zu brechen. Die Reformbewegung erstreckte sich über alle Gebiete des innern
wirtschaftlichen Lebens. Wir wollen hier nur kurz die Entwicklung des eng¬
lischen Zolltarifs berühren. England, Schottland und Irland waren dnrch
Zolltarife voneinander getrennt. Die erste und nächste Aufgabe Englands
war es, diese Länder zu einem einheitlichen Zoll- und Wirtschaftsgebiet zu¬
sammenzufassen. Erst 1822 gelang es Huskisson, Großbritannien mit einer
einzigen Zollschranke zu umgeben. Preußen, das uns immer als rückständig
gegenüber England geschildert wird, hatte schon durch das preußische Handcls-
und Zollgesetz vom 26. Mai 1818 alle Binnenzölle aufgehoben und eine Zoll¬
grenze um die Länder der preußischen Monarchie gezogen. Der alte englische
Zolltarif ähnelte in seiner Einrichtung den ehemaligen kontinentalen Zoll¬
tarifen. Die Ausfuhr wie die Einfuhr einer großen Anzahl von Waren
waren verboten oder doch durch Zölle erschwert, die einem Einfuhr- oder Aus¬
fuhrverbot gleichkamen. Diese ganze Maßnahme, den Warenumlauf durch
Zölle in gewisse Bahnen zu lenken, ist so völlig beseitigt worden, daß sich
auch heute weder in England noch auf dem Kontinent Reste davon erhalten
haben. In den Jahren von 1822 bis 1842 wurden in England zahlreiche
Einfuhr- und Ausfuhrbeschränkungen aufgehoben, aber zu einer durchgreifenden
Änderung der alten Zollpolitik ging man zunächst noch nicht über. Erst als
durch die Agitation von Cobden und seinen beiden Helfern John Bright und
Gladstone die Stimmung in den Volksklassen immer mehr gegen die alte Zoll¬
politik erregt wurde, gaben anch die Regierung und das Parlament nach.
Im Jahre 1342 werden von 1200 Zolltarifpositionen 750 geändert, 1846
wurde der Zoll ans 430 Waren, unter ihnen der vielnmstrittene Getreidczoll,
aufgehoben, und 1849, fast genau zweihundert Jahre nach ihrer Einführung,
wurde die Navigationsakte aufgehoben, und bald darauf, 1854, gab man die
englische Küstenschiffahrt allen Nationen frei. Man vergleiche die Einführnngs-
zeit dieses Gesetzes -- die englische Seeschiffahrt stand wesentlich hinter der
Frankreichs und Hollands zurück -- mit der jetzigen Frcigebnngszeit: die eng¬
lische Seeschiffahrt und die Reederei stehen überwältigend groß da. Unter Glad¬
stone als leitendem Minister wurden weitere Warenzölle aufgehoben; 1860
gab es im Tarif nur noch 142, 1862 gar nur noch 47 Zollpositionen. Den
eigentlichen Zeitpunkt aber, wo der Freihandel in England völlig durchdringt,


Der Kampf um den Weltmarkt

übertraf die englische Industrie in ihrer wirtschaftlichen Organisation, in ihrer
technischen Produktion allen kontinentalen Wettbewerb. Und die englische
Landwirtschaft stand an technischer Vollendung nicht hinter der Industrie zurück.
Sie hatte die Produktionskraft des Bodens in einer Weise entwickelt, daß die
kontinentale Landwirtschaft zu ihr als einem fast unerreichbaren Vorbilde
emporsah. Ein energischer Handel, ein weitsichtiger Uuternehmerstand, welt¬
wirtschaftlich geschult, sorgte für die Verwertung der einheimischen Hilfsquellen
und trachtete danach, sich die Völker des Erdkreises wirtschaftlich zu unter¬
werfen.

Erst nachdem die größten Wunden, die der Krieg Englands mit Napoleon
geschlagen hatte, vernarbt waren, suchte man nnn endgiltig mit dem Merkantil-
shstem, das fast dreihundert Jahre die Praxis in England beherrscht hatte,
zu brechen. Die Reformbewegung erstreckte sich über alle Gebiete des innern
wirtschaftlichen Lebens. Wir wollen hier nur kurz die Entwicklung des eng¬
lischen Zolltarifs berühren. England, Schottland und Irland waren dnrch
Zolltarife voneinander getrennt. Die erste und nächste Aufgabe Englands
war es, diese Länder zu einem einheitlichen Zoll- und Wirtschaftsgebiet zu¬
sammenzufassen. Erst 1822 gelang es Huskisson, Großbritannien mit einer
einzigen Zollschranke zu umgeben. Preußen, das uns immer als rückständig
gegenüber England geschildert wird, hatte schon durch das preußische Handcls-
und Zollgesetz vom 26. Mai 1818 alle Binnenzölle aufgehoben und eine Zoll¬
grenze um die Länder der preußischen Monarchie gezogen. Der alte englische
Zolltarif ähnelte in seiner Einrichtung den ehemaligen kontinentalen Zoll¬
tarifen. Die Ausfuhr wie die Einfuhr einer großen Anzahl von Waren
waren verboten oder doch durch Zölle erschwert, die einem Einfuhr- oder Aus¬
fuhrverbot gleichkamen. Diese ganze Maßnahme, den Warenumlauf durch
Zölle in gewisse Bahnen zu lenken, ist so völlig beseitigt worden, daß sich
auch heute weder in England noch auf dem Kontinent Reste davon erhalten
haben. In den Jahren von 1822 bis 1842 wurden in England zahlreiche
Einfuhr- und Ausfuhrbeschränkungen aufgehoben, aber zu einer durchgreifenden
Änderung der alten Zollpolitik ging man zunächst noch nicht über. Erst als
durch die Agitation von Cobden und seinen beiden Helfern John Bright und
Gladstone die Stimmung in den Volksklassen immer mehr gegen die alte Zoll¬
politik erregt wurde, gaben anch die Regierung und das Parlament nach.
Im Jahre 1342 werden von 1200 Zolltarifpositionen 750 geändert, 1846
wurde der Zoll ans 430 Waren, unter ihnen der vielnmstrittene Getreidczoll,
aufgehoben, und 1849, fast genau zweihundert Jahre nach ihrer Einführung,
wurde die Navigationsakte aufgehoben, und bald darauf, 1854, gab man die
englische Küstenschiffahrt allen Nationen frei. Man vergleiche die Einführnngs-
zeit dieses Gesetzes — die englische Seeschiffahrt stand wesentlich hinter der
Frankreichs und Hollands zurück — mit der jetzigen Frcigebnngszeit: die eng¬
lische Seeschiffahrt und die Reederei stehen überwältigend groß da. Unter Glad¬
stone als leitendem Minister wurden weitere Warenzölle aufgehoben; 1860
gab es im Tarif nur noch 142, 1862 gar nur noch 47 Zollpositionen. Den
eigentlichen Zeitpunkt aber, wo der Freihandel in England völlig durchdringt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/83>, abgerufen am 26.11.2024.