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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

in unsre Strafkammern einziehen möchte. Auch hier darf man nichts Umnugliches
verlangen. Wenn, wie es schon vorgekommen ist, Strafkammerrichter in der Woche
vier öffentlichen Sitzungen beizuwohnen und dann an den beiden andern Wochen¬
tagen noch geheime Sitzungen abzuhalten haben, so wird für den Strafkammer¬
richter wenig Zeit mehr übrig bleiben, sich in die wirtschaftliche oder die sozial¬
politische Seite des Falles vertiefen zu können. Er wird froh sein, wenn er ge¬
nügend Zeit findet, seine Urteile ausarbeiten zu können. Mit der Notwendigkeit,
unsre Strafkammern zu entlasten, vereinigt sich das Verlangen, die Berufung gegen
die Strafkammerurteile erster Instanz wieder einzuführen. Aber alle diese Neform-
fragen sind auch Geldfragen, und zur Bewilligung der Mittel ist die Justiz un¬
zuständig. Welcher Leistungen unser deutscher Richterstand fähig ist, das hat er
bei dem raschen Übergänge vom alten zum neuen Rechte des Bürgerlichen Gesetz¬
buches gezeigt. Wenn wir einen Ausblick über die Grenzen unsers Vaterlandes
halten, dann können wir im ganzen mit voller Berechtigung auf die Leistungen
der deutscheu Gerichte stolz sein und dürfen nicht die Mängel in der Rechtsprechung
den Personen zurechnen, sondern den Verhältnissen, aus denen sie entstehn, und
sür die der Richterstand selbst nicht verantwortlich ist.


Noch einmal "der oberste Kriegsherr."

Unser kleines harmloses "Un¬
maßgebliches" in Nummer 37 hat hier und da in der Tagespresse die ganz un¬
begründete Annahme veranlaßt, wir sähen in dieser Bezeichnung eine Veränderung
in der "Stellung Sachsens zu den verfassungsmäßigen Grundlagen des Reichs."
Nichts hat uns ferner gelegen, als zu meinen, König Georg von Sachsen habe
etwas derartiges ausdrücken wollen und womöglich den Rechten seiner Krone, deren
berufenster Wächter er übrigens doch wohl selbst ist, etwas vergeben. Wir haben nur
unsre Freude darüber ausdrücken wollen, daß er ohne Rückhalt dem Kaiser gab,
was des Kaisers ist, denn reichsverfnssungs- oder vertragsmäßig, also rechtlich, ist
der Kaiser nicht nur der Oberbefehlshaber, sondern auch der "oberste Kriegsherr"
auch der sächsischen Armeekorps, insofern er das Jnspettivns- und das Dislvtntious-
recht über sie hat, die kommandierender Generale auf den Vorschlag des Königs von
Sachsen als des Kriegsherrn der königlich sächsischen Truppen ernennt, und insofern
deren Fahneneid die Verpflichtung zum Gehorsam gegen den Kaiser enthält. Den
nicht seltnen ängstlichen und empfindlichen Verwahrungen einzelstantlicher Rechte
gegenüber, die niemand bedroht, schien uns diese Betonung des Reichsgedankens in
solchem Munde besonders beachtenswert und erfreulich. Dasselbe gilt natürlich von
dem Ausdrucke "Reichsregierung" in der letzten Thronrede König Werth. In
der Reichsverfassung kommt er nicht vor, aber es gibt tatsächlich doch eine Neichs-
regierung, sie besteht aus dein Kaiser, dem Bundesrat als der Gesamtheit der einzel-
staatlichen Regierungen, dem Reichskanzler und den Reichsämtern. Warum soll mau
dafür statt des umständlichen und farblosen Ausdrucks "Verbündete Regierungen"
nicht kurzweg "Reichsregieruug" sagen? Was uns bitter not tut, das ist ja die
Stärkung des Einheitsgefühls, und dafür sind Symbole und Namen keineswegs gleich-
giltig. Jedenfalls ist die Wahrung der bekanntlich knapp genug bemessenen Reichs¬
rechte mindestens ebenso notwendig wie die der einzelstaatlichen Rechte.


Ugg. Oulxg,.

Am Fenster saß der Vater, am Tische schrieb der Sohn. Es
war an einem regnerischen Vormittage gegen Ende der dritten Ferienwoche. In
einem bequemen Korbstuhle sitzend, vertiefte ich mich voll Andacht in ein Buch,
auf dessen Genuß ich mich lange gefreut hatte; voll Andacht, soweit sie nicht durch
meine Frühstückszigarre und meinen Sohn gestört wurde. Meine Zigarre hatte
die unangenehme Eigenschaft, mich erst dann an das Abstreichen zu erinnern, wenn
sich bei der geringsten Bewegung die totreife Asche auf meine Weste oder aus
meine Hose ergießen mußte. Mein Junge saß und schrieb mit einer recht hör¬
baren Feder und blätterte von Zeit zu Zeit noch hörbarer in seinem Buche herum.


Maßgebliches und Unmaßgebliches

in unsre Strafkammern einziehen möchte. Auch hier darf man nichts Umnugliches
verlangen. Wenn, wie es schon vorgekommen ist, Strafkammerrichter in der Woche
vier öffentlichen Sitzungen beizuwohnen und dann an den beiden andern Wochen¬
tagen noch geheime Sitzungen abzuhalten haben, so wird für den Strafkammer¬
richter wenig Zeit mehr übrig bleiben, sich in die wirtschaftliche oder die sozial¬
politische Seite des Falles vertiefen zu können. Er wird froh sein, wenn er ge¬
nügend Zeit findet, seine Urteile ausarbeiten zu können. Mit der Notwendigkeit,
unsre Strafkammern zu entlasten, vereinigt sich das Verlangen, die Berufung gegen
die Strafkammerurteile erster Instanz wieder einzuführen. Aber alle diese Neform-
fragen sind auch Geldfragen, und zur Bewilligung der Mittel ist die Justiz un¬
zuständig. Welcher Leistungen unser deutscher Richterstand fähig ist, das hat er
bei dem raschen Übergänge vom alten zum neuen Rechte des Bürgerlichen Gesetz¬
buches gezeigt. Wenn wir einen Ausblick über die Grenzen unsers Vaterlandes
halten, dann können wir im ganzen mit voller Berechtigung auf die Leistungen
der deutscheu Gerichte stolz sein und dürfen nicht die Mängel in der Rechtsprechung
den Personen zurechnen, sondern den Verhältnissen, aus denen sie entstehn, und
sür die der Richterstand selbst nicht verantwortlich ist.


Noch einmal „der oberste Kriegsherr."

Unser kleines harmloses „Un¬
maßgebliches" in Nummer 37 hat hier und da in der Tagespresse die ganz un¬
begründete Annahme veranlaßt, wir sähen in dieser Bezeichnung eine Veränderung
in der „Stellung Sachsens zu den verfassungsmäßigen Grundlagen des Reichs."
Nichts hat uns ferner gelegen, als zu meinen, König Georg von Sachsen habe
etwas derartiges ausdrücken wollen und womöglich den Rechten seiner Krone, deren
berufenster Wächter er übrigens doch wohl selbst ist, etwas vergeben. Wir haben nur
unsre Freude darüber ausdrücken wollen, daß er ohne Rückhalt dem Kaiser gab,
was des Kaisers ist, denn reichsverfnssungs- oder vertragsmäßig, also rechtlich, ist
der Kaiser nicht nur der Oberbefehlshaber, sondern auch der „oberste Kriegsherr"
auch der sächsischen Armeekorps, insofern er das Jnspettivns- und das Dislvtntious-
recht über sie hat, die kommandierender Generale auf den Vorschlag des Königs von
Sachsen als des Kriegsherrn der königlich sächsischen Truppen ernennt, und insofern
deren Fahneneid die Verpflichtung zum Gehorsam gegen den Kaiser enthält. Den
nicht seltnen ängstlichen und empfindlichen Verwahrungen einzelstantlicher Rechte
gegenüber, die niemand bedroht, schien uns diese Betonung des Reichsgedankens in
solchem Munde besonders beachtenswert und erfreulich. Dasselbe gilt natürlich von
dem Ausdrucke „Reichsregierung" in der letzten Thronrede König Werth. In
der Reichsverfassung kommt er nicht vor, aber es gibt tatsächlich doch eine Neichs-
regierung, sie besteht aus dein Kaiser, dem Bundesrat als der Gesamtheit der einzel-
staatlichen Regierungen, dem Reichskanzler und den Reichsämtern. Warum soll mau
dafür statt des umständlichen und farblosen Ausdrucks „Verbündete Regierungen"
nicht kurzweg „Reichsregieruug" sagen? Was uns bitter not tut, das ist ja die
Stärkung des Einheitsgefühls, und dafür sind Symbole und Namen keineswegs gleich-
giltig. Jedenfalls ist die Wahrung der bekanntlich knapp genug bemessenen Reichs¬
rechte mindestens ebenso notwendig wie die der einzelstaatlichen Rechte.


Ugg. Oulxg,.

Am Fenster saß der Vater, am Tische schrieb der Sohn. Es
war an einem regnerischen Vormittage gegen Ende der dritten Ferienwoche. In
einem bequemen Korbstuhle sitzend, vertiefte ich mich voll Andacht in ein Buch,
auf dessen Genuß ich mich lange gefreut hatte; voll Andacht, soweit sie nicht durch
meine Frühstückszigarre und meinen Sohn gestört wurde. Meine Zigarre hatte
die unangenehme Eigenschaft, mich erst dann an das Abstreichen zu erinnern, wenn
sich bei der geringsten Bewegung die totreife Asche auf meine Weste oder aus
meine Hose ergießen mußte. Mein Junge saß und schrieb mit einer recht hör¬
baren Feder und blätterte von Zeit zu Zeit noch hörbarer in seinem Buche herum.


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[0836] Maßgebliches und Unmaßgebliches in unsre Strafkammern einziehen möchte. Auch hier darf man nichts Umnugliches verlangen. Wenn, wie es schon vorgekommen ist, Strafkammerrichter in der Woche vier öffentlichen Sitzungen beizuwohnen und dann an den beiden andern Wochen¬ tagen noch geheime Sitzungen abzuhalten haben, so wird für den Strafkammer¬ richter wenig Zeit mehr übrig bleiben, sich in die wirtschaftliche oder die sozial¬ politische Seite des Falles vertiefen zu können. Er wird froh sein, wenn er ge¬ nügend Zeit findet, seine Urteile ausarbeiten zu können. Mit der Notwendigkeit, unsre Strafkammern zu entlasten, vereinigt sich das Verlangen, die Berufung gegen die Strafkammerurteile erster Instanz wieder einzuführen. Aber alle diese Neform- fragen sind auch Geldfragen, und zur Bewilligung der Mittel ist die Justiz un¬ zuständig. Welcher Leistungen unser deutscher Richterstand fähig ist, das hat er bei dem raschen Übergänge vom alten zum neuen Rechte des Bürgerlichen Gesetz¬ buches gezeigt. Wenn wir einen Ausblick über die Grenzen unsers Vaterlandes halten, dann können wir im ganzen mit voller Berechtigung auf die Leistungen der deutscheu Gerichte stolz sein und dürfen nicht die Mängel in der Rechtsprechung den Personen zurechnen, sondern den Verhältnissen, aus denen sie entstehn, und sür die der Richterstand selbst nicht verantwortlich ist. Noch einmal „der oberste Kriegsherr." Unser kleines harmloses „Un¬ maßgebliches" in Nummer 37 hat hier und da in der Tagespresse die ganz un¬ begründete Annahme veranlaßt, wir sähen in dieser Bezeichnung eine Veränderung in der „Stellung Sachsens zu den verfassungsmäßigen Grundlagen des Reichs." Nichts hat uns ferner gelegen, als zu meinen, König Georg von Sachsen habe etwas derartiges ausdrücken wollen und womöglich den Rechten seiner Krone, deren berufenster Wächter er übrigens doch wohl selbst ist, etwas vergeben. Wir haben nur unsre Freude darüber ausdrücken wollen, daß er ohne Rückhalt dem Kaiser gab, was des Kaisers ist, denn reichsverfnssungs- oder vertragsmäßig, also rechtlich, ist der Kaiser nicht nur der Oberbefehlshaber, sondern auch der „oberste Kriegsherr" auch der sächsischen Armeekorps, insofern er das Jnspettivns- und das Dislvtntious- recht über sie hat, die kommandierender Generale auf den Vorschlag des Königs von Sachsen als des Kriegsherrn der königlich sächsischen Truppen ernennt, und insofern deren Fahneneid die Verpflichtung zum Gehorsam gegen den Kaiser enthält. Den nicht seltnen ängstlichen und empfindlichen Verwahrungen einzelstantlicher Rechte gegenüber, die niemand bedroht, schien uns diese Betonung des Reichsgedankens in solchem Munde besonders beachtenswert und erfreulich. Dasselbe gilt natürlich von dem Ausdrucke „Reichsregierung" in der letzten Thronrede König Werth. In der Reichsverfassung kommt er nicht vor, aber es gibt tatsächlich doch eine Neichs- regierung, sie besteht aus dein Kaiser, dem Bundesrat als der Gesamtheit der einzel- staatlichen Regierungen, dem Reichskanzler und den Reichsämtern. Warum soll mau dafür statt des umständlichen und farblosen Ausdrucks „Verbündete Regierungen" nicht kurzweg „Reichsregieruug" sagen? Was uns bitter not tut, das ist ja die Stärkung des Einheitsgefühls, und dafür sind Symbole und Namen keineswegs gleich- giltig. Jedenfalls ist die Wahrung der bekanntlich knapp genug bemessenen Reichs¬ rechte mindestens ebenso notwendig wie die der einzelstaatlichen Rechte. Ugg. Oulxg,. Am Fenster saß der Vater, am Tische schrieb der Sohn. Es war an einem regnerischen Vormittage gegen Ende der dritten Ferienwoche. In einem bequemen Korbstuhle sitzend, vertiefte ich mich voll Andacht in ein Buch, auf dessen Genuß ich mich lange gefreut hatte; voll Andacht, soweit sie nicht durch meine Frühstückszigarre und meinen Sohn gestört wurde. Meine Zigarre hatte die unangenehme Eigenschaft, mich erst dann an das Abstreichen zu erinnern, wenn sich bei der geringsten Bewegung die totreife Asche auf meine Weste oder aus meine Hose ergießen mußte. Mein Junge saß und schrieb mit einer recht hör¬ baren Feder und blätterte von Zeit zu Zeit noch hörbarer in seinem Buche herum.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/836>, abgerufen am 25.11.2024.