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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Erinnerungen "n die Paulskirche ^8^8

Versammlung gewissenhaft dieses Dolm.lent in Allerhöchste Hand und nehmen
die Verantwortung auf sich. . ^. ^

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Dieses Schreiben kam noch vor Erteilung der Audienz in die Hand des
bedenklichen und für Gemütseiudrücke empfänglichen Hohenzollernfürstcn. und
die Deputation erfuhr am 4. April eine unerwartete Abweisung; die Scheu,
ein Werkzeug von Demagogen zu werden, trug den Sieg davon. Die Rück¬
kehr in die Paulskirche war mit großer Demütigung verbunden. Hiermit
hatte das Parlament eigentlich seine Rolle ausgespielt. Später verlautete, als
wandle den König eine Reue deshalb an. und sein nächster Vcrtraurer,
General vou Radowitz. versammelte deshalb die Getreuen in Erfurt, um das
Versäumte wieder hereinzubringen. Die Stimmung in der Paulskirche war
natürlich geteilt; vor andern gab Dr. Eisenmattn die Parole an die Lands-
leute aus' Jetzt kann der Bayernköuig die Kaiserkrone eintun." Unsereiner
entgegnete- "Aber auf wie lange, denn das sind Machtfragen!" Wirklich ging,
eine andre Deputation uach München ab mit Mathh. dem baldigen Minister
von Baden, als Wortführer. Sie stieß beim Empfang in Nymphenburg aus
Herrn von der Pforten, den Vertreter der Triasidee, der ihnen in großer Uni¬
form entgegentrat. König Max traute sich nicht zu. was der mächtigere
Preuße auf sich zu nehmen nicht gewagt hatte. Welch eine Fügung des Ge¬
schicks, daß der deutscheste unter den deutschen Machthabern. Ludwig der Erste,,
kurz vorher freiwillig vom Throne gestiegen war! Bei seiner nationalen Be¬
geisterung Hütte er sicher die ihm angetragne Krone angenommen und sein
Land in unabsehbare Verwicklung gestürzt.

Endlich trat der Mann auf. den die Vorsehung zur Wiederaufrichtung
des Deutschen Reichs bestimmt hatte, in der Person des Grafen Bismarck,
der das Wort von Blut und Eisen sprach. Die Frage über die Vormacht in
Deutschland sollte mit dem Schwerte gelöst werden, und die Schlacht bei
Königgrütz. an deren glücklichem Ausgang der kaiserlich kommandierende Ungar
Benedek von vornherein verzweifelte, entschied ein neuer Hannibal: General¬
feldmarschall Moltke zugunsten von Preußen. Doch was die Paulskirche an¬
strebte, den möglichst innigen Verband des alten Kaiserstaats mit dem neuen
Reiche, bemühte sich auch der eigentliche Schöpfer des neu geeinigten Reichs
unter Wilhelm dem Siegreichen' durchzusetzen, ja womöglich durch ein Ver-
fasfungsbüuduis bleibend zu befestigen. Er gebot dem siegreichen Heere Ein¬
halt, nicht gegen Wien vorzurücken, und äußerte, als ein Süddeutscher voll
Kummer über den Bruderkrieg sein Herz ausschüttete, als wahrer Friedens¬
fürst: "Ich habe Österreich keinen Zoll breit Landes genommen."
Der Großdeutsche, der zum tapferen gemeinsamen Kampfe gegen den alten
Neichsfeind 1870 die Stimme erhob, beging keinen Wortbruch, sondern gab
uur unter der Macht der Ereignisse den unmöglicher Widerstand auf, ja be¬
grüßte im Ernste den neuen Augustus als Mehrer des Reichs, nachdem
dieser nicht bloß Schleswig-Holstein, sondern auch Elsaß-Lothringen wieder
zu Deutschland gebracht hatte. Aus dem Großstaate ist ein Weltstaat geworden,
und glänzender konnte die Kaiserwürde nicht errungen werden, als nach


Grenzboten III 190? 102
Erinnerungen «n die Paulskirche ^8^8

Versammlung gewissenhaft dieses Dolm.lent in Allerhöchste Hand und nehmen
die Verantwortung auf sich. . ^. ^

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Dieses Schreiben kam noch vor Erteilung der Audienz in die Hand des
bedenklichen und für Gemütseiudrücke empfänglichen Hohenzollernfürstcn. und
die Deputation erfuhr am 4. April eine unerwartete Abweisung; die Scheu,
ein Werkzeug von Demagogen zu werden, trug den Sieg davon. Die Rück¬
kehr in die Paulskirche war mit großer Demütigung verbunden. Hiermit
hatte das Parlament eigentlich seine Rolle ausgespielt. Später verlautete, als
wandle den König eine Reue deshalb an. und sein nächster Vcrtraurer,
General vou Radowitz. versammelte deshalb die Getreuen in Erfurt, um das
Versäumte wieder hereinzubringen. Die Stimmung in der Paulskirche war
natürlich geteilt; vor andern gab Dr. Eisenmattn die Parole an die Lands-
leute aus' Jetzt kann der Bayernköuig die Kaiserkrone eintun." Unsereiner
entgegnete- "Aber auf wie lange, denn das sind Machtfragen!" Wirklich ging,
eine andre Deputation uach München ab mit Mathh. dem baldigen Minister
von Baden, als Wortführer. Sie stieß beim Empfang in Nymphenburg aus
Herrn von der Pforten, den Vertreter der Triasidee, der ihnen in großer Uni¬
form entgegentrat. König Max traute sich nicht zu. was der mächtigere
Preuße auf sich zu nehmen nicht gewagt hatte. Welch eine Fügung des Ge¬
schicks, daß der deutscheste unter den deutschen Machthabern. Ludwig der Erste,,
kurz vorher freiwillig vom Throne gestiegen war! Bei seiner nationalen Be¬
geisterung Hütte er sicher die ihm angetragne Krone angenommen und sein
Land in unabsehbare Verwicklung gestürzt.

Endlich trat der Mann auf. den die Vorsehung zur Wiederaufrichtung
des Deutschen Reichs bestimmt hatte, in der Person des Grafen Bismarck,
der das Wort von Blut und Eisen sprach. Die Frage über die Vormacht in
Deutschland sollte mit dem Schwerte gelöst werden, und die Schlacht bei
Königgrütz. an deren glücklichem Ausgang der kaiserlich kommandierende Ungar
Benedek von vornherein verzweifelte, entschied ein neuer Hannibal: General¬
feldmarschall Moltke zugunsten von Preußen. Doch was die Paulskirche an¬
strebte, den möglichst innigen Verband des alten Kaiserstaats mit dem neuen
Reiche, bemühte sich auch der eigentliche Schöpfer des neu geeinigten Reichs
unter Wilhelm dem Siegreichen' durchzusetzen, ja womöglich durch ein Ver-
fasfungsbüuduis bleibend zu befestigen. Er gebot dem siegreichen Heere Ein¬
halt, nicht gegen Wien vorzurücken, und äußerte, als ein Süddeutscher voll
Kummer über den Bruderkrieg sein Herz ausschüttete, als wahrer Friedens¬
fürst: „Ich habe Österreich keinen Zoll breit Landes genommen."
Der Großdeutsche, der zum tapferen gemeinsamen Kampfe gegen den alten
Neichsfeind 1870 die Stimme erhob, beging keinen Wortbruch, sondern gab
uur unter der Macht der Ereignisse den unmöglicher Widerstand auf, ja be¬
grüßte im Ernste den neuen Augustus als Mehrer des Reichs, nachdem
dieser nicht bloß Schleswig-Holstein, sondern auch Elsaß-Lothringen wieder
zu Deutschland gebracht hatte. Aus dem Großstaate ist ein Weltstaat geworden,
und glänzender konnte die Kaiserwürde nicht errungen werden, als nach


Grenzboten III 190? 102
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/817>, abgerufen am 26.11.2024.