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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache

kriegerischen Erfolgen, wie sie die Weltgeschichte selten aufweist, dnrch die
Proklamierung in der Herrscherburg des Besiegten.




Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen
deutschen Sprache
T. Günther i vonn
(Schluß)
7. Gerichtsverfassung und Prozeß (Fortsetzung: Beweis und Urteil)

rsprünglich war das germanische Prozeßrecht von der Auffassung
beherrscht, daß der Beweis nicht sowohl dem Gericht, als dem
Gegner im Rechtsstreit erbracht werde. Deshalb waren auch., die
Beweismittel streng "formal," svdciß ihr Ergebnis eine Über¬
prüfung durch den Richter nicht bedürfte. Das am häufigsten
angewandte Beweismittel war in alter Zeit wohl der Eid mit
Eideshclfern, d. h. der Beklagte, dem regelmäßig die Bemeisrolle zufiel, konnte
sich durch seinen Eid freischwören, wenn eine weitere Bekräftigung durch eine
bestimmte Anzahl mit ihm versippter oder ihm sonst nahestehender Personen, der
sogenannten "Eideshelfer" hinzutrat, die beschworen, daß sein Eid "rein und
unmein" (oder "nicht mein") sei. In dieser in hohes Altertum hinaufreichenden
Formel, die sich übereinstimmend in "Rügen wie in Tirol, in Schweden wie bei
den Angelsachsen" findet, hat das Eigenschaftswort "mein" die Bedeutung von
"falsch, betrügerisch" (frevelhaft, unrein, unheilig), die, früher auch erkennbar in
mancherlei Zusammensetzungen, wie "Meinwerk" oder "Meintat" (-- Untat,
Missetat) und in der bis ins sechzehnte Jahrhundert erhaltnen Formel "Mein
und Mord," sich jetzt nur noch in unserm "Meineid" erhalten hat. Denn
darunter ist nicht sowohl -- wie einst Gottsched meinte und wie die Volks¬
etymologie wohl noch heute glaubt -- ein "vermeinter Eid" als vielmehr
gerade ein falscher, betrügerischer (frevelhafter) Eid zu verstehn. Die "Eides-
helfer" find zwar schon längst aus unserm Rechtsleben verschwunden, in unsrer
Sprache aber ist das Wort, zum Teil uuter Erweiterung des Begriffs, auch in
der Neuzeit noch vereinzelt anzutreffen, allerdings wohl nur in der gewähltem
Ausdrucksweise der Gebildeten, wie denn Bis in arck einmal in einer Reichstags
rede (am 28. November 1885) von den "Eideshelfern" der ultramontanen Zeitung
"Germania" in dem allgemeinen Sinne von "Helfershelfern" gesprochen hat.
Da die Zahl der altdeutschen Eideshelfer regelmäßig sechs betrug, sodaß der
Beklagte mit jenen zusammen "selbsieben" schwur (daher "übersiebnen" ^'
überführen, vor Gericht als falsch nachweisen, in der Literatur zum Beispiel von
Freiligrath verwandt), haben manche auch die sonderbare Beteuerungsformel
"Meiner Six" (-- "meiner Sechs," so noch bei Goethe) hierauf zurück¬
zuführen versucht, die danach eigentlich etwa gelautet haben würde: "Ich als
siebenter meiner sechs Eideshelfer schwöre usw.," während sie andre nur für
eine Entstellung aus "meiner Seel" (ähnlich wie "verflixt" ans verflucht) halten.
Von jeher war die Ableistung des Eides bei nus mit symbolischen Feierlich¬
keiten umkleidet, unter denen namentlich das Berühren gewisser Gegenstände


Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache

kriegerischen Erfolgen, wie sie die Weltgeschichte selten aufweist, dnrch die
Proklamierung in der Herrscherburg des Besiegten.




Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen
deutschen Sprache
T. Günther i vonn
(Schluß)
7. Gerichtsverfassung und Prozeß (Fortsetzung: Beweis und Urteil)

rsprünglich war das germanische Prozeßrecht von der Auffassung
beherrscht, daß der Beweis nicht sowohl dem Gericht, als dem
Gegner im Rechtsstreit erbracht werde. Deshalb waren auch., die
Beweismittel streng „formal," svdciß ihr Ergebnis eine Über¬
prüfung durch den Richter nicht bedürfte. Das am häufigsten
angewandte Beweismittel war in alter Zeit wohl der Eid mit
Eideshclfern, d. h. der Beklagte, dem regelmäßig die Bemeisrolle zufiel, konnte
sich durch seinen Eid freischwören, wenn eine weitere Bekräftigung durch eine
bestimmte Anzahl mit ihm versippter oder ihm sonst nahestehender Personen, der
sogenannten „Eideshelfer" hinzutrat, die beschworen, daß sein Eid „rein und
unmein" (oder „nicht mein") sei. In dieser in hohes Altertum hinaufreichenden
Formel, die sich übereinstimmend in „Rügen wie in Tirol, in Schweden wie bei
den Angelsachsen" findet, hat das Eigenschaftswort „mein" die Bedeutung von
„falsch, betrügerisch" (frevelhaft, unrein, unheilig), die, früher auch erkennbar in
mancherlei Zusammensetzungen, wie „Meinwerk" oder „Meintat" (— Untat,
Missetat) und in der bis ins sechzehnte Jahrhundert erhaltnen Formel „Mein
und Mord," sich jetzt nur noch in unserm „Meineid" erhalten hat. Denn
darunter ist nicht sowohl — wie einst Gottsched meinte und wie die Volks¬
etymologie wohl noch heute glaubt — ein „vermeinter Eid" als vielmehr
gerade ein falscher, betrügerischer (frevelhafter) Eid zu verstehn. Die „Eides-
helfer" find zwar schon längst aus unserm Rechtsleben verschwunden, in unsrer
Sprache aber ist das Wort, zum Teil uuter Erweiterung des Begriffs, auch in
der Neuzeit noch vereinzelt anzutreffen, allerdings wohl nur in der gewähltem
Ausdrucksweise der Gebildeten, wie denn Bis in arck einmal in einer Reichstags
rede (am 28. November 1885) von den „Eideshelfern" der ultramontanen Zeitung
„Germania" in dem allgemeinen Sinne von „Helfershelfern" gesprochen hat.
Da die Zahl der altdeutschen Eideshelfer regelmäßig sechs betrug, sodaß der
Beklagte mit jenen zusammen „selbsieben" schwur (daher „übersiebnen" ^'
überführen, vor Gericht als falsch nachweisen, in der Literatur zum Beispiel von
Freiligrath verwandt), haben manche auch die sonderbare Beteuerungsformel
„Meiner Six" (— „meiner Sechs," so noch bei Goethe) hierauf zurück¬
zuführen versucht, die danach eigentlich etwa gelautet haben würde: „Ich als
siebenter meiner sechs Eideshelfer schwöre usw.," während sie andre nur für
eine Entstellung aus „meiner Seel" (ähnlich wie „verflixt" ans verflucht) halten.
Von jeher war die Ableistung des Eides bei nus mit symbolischen Feierlich¬
keiten umkleidet, unter denen namentlich das Berühren gewisser Gegenstände


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[0818] Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache kriegerischen Erfolgen, wie sie die Weltgeschichte selten aufweist, dnrch die Proklamierung in der Herrscherburg des Besiegten. Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache T. Günther i vonn (Schluß) 7. Gerichtsverfassung und Prozeß (Fortsetzung: Beweis und Urteil) rsprünglich war das germanische Prozeßrecht von der Auffassung beherrscht, daß der Beweis nicht sowohl dem Gericht, als dem Gegner im Rechtsstreit erbracht werde. Deshalb waren auch., die Beweismittel streng „formal," svdciß ihr Ergebnis eine Über¬ prüfung durch den Richter nicht bedürfte. Das am häufigsten angewandte Beweismittel war in alter Zeit wohl der Eid mit Eideshclfern, d. h. der Beklagte, dem regelmäßig die Bemeisrolle zufiel, konnte sich durch seinen Eid freischwören, wenn eine weitere Bekräftigung durch eine bestimmte Anzahl mit ihm versippter oder ihm sonst nahestehender Personen, der sogenannten „Eideshelfer" hinzutrat, die beschworen, daß sein Eid „rein und unmein" (oder „nicht mein") sei. In dieser in hohes Altertum hinaufreichenden Formel, die sich übereinstimmend in „Rügen wie in Tirol, in Schweden wie bei den Angelsachsen" findet, hat das Eigenschaftswort „mein" die Bedeutung von „falsch, betrügerisch" (frevelhaft, unrein, unheilig), die, früher auch erkennbar in mancherlei Zusammensetzungen, wie „Meinwerk" oder „Meintat" (— Untat, Missetat) und in der bis ins sechzehnte Jahrhundert erhaltnen Formel „Mein und Mord," sich jetzt nur noch in unserm „Meineid" erhalten hat. Denn darunter ist nicht sowohl — wie einst Gottsched meinte und wie die Volks¬ etymologie wohl noch heute glaubt — ein „vermeinter Eid" als vielmehr gerade ein falscher, betrügerischer (frevelhafter) Eid zu verstehn. Die „Eides- helfer" find zwar schon längst aus unserm Rechtsleben verschwunden, in unsrer Sprache aber ist das Wort, zum Teil uuter Erweiterung des Begriffs, auch in der Neuzeit noch vereinzelt anzutreffen, allerdings wohl nur in der gewähltem Ausdrucksweise der Gebildeten, wie denn Bis in arck einmal in einer Reichstags rede (am 28. November 1885) von den „Eideshelfern" der ultramontanen Zeitung „Germania" in dem allgemeinen Sinne von „Helfershelfern" gesprochen hat. Da die Zahl der altdeutschen Eideshelfer regelmäßig sechs betrug, sodaß der Beklagte mit jenen zusammen „selbsieben" schwur (daher „übersiebnen" ^' überführen, vor Gericht als falsch nachweisen, in der Literatur zum Beispiel von Freiligrath verwandt), haben manche auch die sonderbare Beteuerungsformel „Meiner Six" (— „meiner Sechs," so noch bei Goethe) hierauf zurück¬ zuführen versucht, die danach eigentlich etwa gelautet haben würde: „Ich als siebenter meiner sechs Eideshelfer schwöre usw.," während sie andre nur für eine Entstellung aus „meiner Seel" (ähnlich wie „verflixt" ans verflucht) halten. Von jeher war die Ableistung des Eides bei nus mit symbolischen Feierlich¬ keiten umkleidet, unter denen namentlich das Berühren gewisser Gegenstände

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/818>, abgerufen am 26.11.2024.