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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Die Sprachen- und Beamtenfragc in Böhmen

mangelte, und aus demselben Grunde mehrten sich in den gemischtsprachigen
Bezirken die tschechischen und minderten sich die deutschen Beamten. Das ist
ein ganz natürlicher Vorgang, der aber das tatsächlich vorhcmdne allgemeine
Anwachsen des tschechischen Beamtenheeres noch nicht erklärt. Das Eindringen
des Tschechentnms hat. seit der Tscheche Prazak Justizminister gewesen ist. in
den Justizdienst, seit Kaizls Finanzministerium in das Steuerfach unstreitig
eine mächtige Förderung erfahren, aber auch diese persönliche Einwirkung
genügt um so weniger zur Erklärung, als sich auch auf andern Gebieten des
öffentlichen Dienstes, im Priesterstande und sogar im Offizierkorps, dieselbe
Erscheinung findet. Neuerdings lärmen sogar die Schönereriancr fortwährend
gegen das Ministerium Körber. weil es jüngere tschechische Gerichtsbeamte in
Deutschböhmen anstelle. Wie erklärt sich denn das? Hat man neben dem
allgemeinen Geschrei über die Vcrtschechnng des Beamtentums etwa mich
gehört, daß sich irgendwo beschäftigungslose deutsche Beamte vorfinden? Nein,
die gibt es nicht, es ist in den Sudetenläudern überhaupt so wenig Nachwuchs
an deutscheu Beamten vorhanden, daß man auch in reindeutschen Bezirken
Stellen mit Tschechen und Polen besetzen muß. Die Altdeutschen lärmen
wohl deswegen, aber sie geben sich leider darüber keine Rechenschaft, ebenso
wie sie jahrelang über die Tschechisiernng deutscher Fabrikstädte geklagt
haben, ohne zu erkennen, daß man es da im wesentlichen mit einer wirtschaft
Ueber Erscheinung zu tun hat, indem der billiger arbeitende tschechische Arbeiter
den teuern deutschen verdrängt. Vor zwei Jahren brachte die Leitmeritzer
Zeitung einen Mahnruf an die Deutschen von ..sehr geschätzter Seite," worin
^ hieß: "Es mangelt heute an deutschen Staatsbeamten. Die Zeit der wüsten,
sinnlosen Agitation gegen Staat und Monarchismus hat diesen Maiigel ge¬
schaffen. Der Eintritt in den Staatsdienst wurde ja eine Zeit lang als
"Volksverrat" erklärt: deutsche Beamte wurden von ihren Stammesgenossen
über die Achseln angesehen. Was mit dieser Taktik dem Deutschtum in Böhmen
angetan wurde, das wird sich erst in den nächsten Jahren so recht zeigen.
Heute sind die ersten Beamtenstellen des Reiches noch in deutschen, bürger¬
lichen Händen. Aber es ist kein Nachwuchs da! Tschcchentnm und Feudal-
"del aspirieren auf die freiwerdenden Stellen, und in wenig Jahren werden
dentschbürgerliche Sektionschefs und sogar niedere Beamte in den Ministerien
eine Seltenheit sein. Das alles hat die kurzsichtige Leidenschaft der Fraktions¬
fanatiker verschuldet; man wird einst ihr Andenken nicht segnen können. Nun
aber muß für die Zukunft gearbeitet werden. Mit Verhetzung der Jngend
und heftigen Demonstrationsreden wird nichts besser gemacht. Die Schlappe
der letzten Jahre muß ausgewetzt werden, die Bezeichnung "k. k." ist keine
Schande, sondern eine Ehre im Staate, dessen Fürst stolz ist, ein Deutscher
z" sein. Ihr deutschen Väter, wahrt unser Recht, unser Besitztum."

Dieser Notschrei aus Deutschböhmen kennzeichnet die Lage deutlich. Auch
die Gablonzer Zeitung sagte, der Ministerpräsident werde die Forderung nach
deutschen Beamten nicht erfüllen können, weil Mangel daran herrsche, und
werde den deutschen Abgeordneten sagen: Sorgt doch im deutschen Volke für
den deutschen Nachwuchs, der Regierung wird es recht sein. Wenn das Blatt


Die Sprachen- und Beamtenfragc in Böhmen

mangelte, und aus demselben Grunde mehrten sich in den gemischtsprachigen
Bezirken die tschechischen und minderten sich die deutschen Beamten. Das ist
ein ganz natürlicher Vorgang, der aber das tatsächlich vorhcmdne allgemeine
Anwachsen des tschechischen Beamtenheeres noch nicht erklärt. Das Eindringen
des Tschechentnms hat. seit der Tscheche Prazak Justizminister gewesen ist. in
den Justizdienst, seit Kaizls Finanzministerium in das Steuerfach unstreitig
eine mächtige Förderung erfahren, aber auch diese persönliche Einwirkung
genügt um so weniger zur Erklärung, als sich auch auf andern Gebieten des
öffentlichen Dienstes, im Priesterstande und sogar im Offizierkorps, dieselbe
Erscheinung findet. Neuerdings lärmen sogar die Schönereriancr fortwährend
gegen das Ministerium Körber. weil es jüngere tschechische Gerichtsbeamte in
Deutschböhmen anstelle. Wie erklärt sich denn das? Hat man neben dem
allgemeinen Geschrei über die Vcrtschechnng des Beamtentums etwa mich
gehört, daß sich irgendwo beschäftigungslose deutsche Beamte vorfinden? Nein,
die gibt es nicht, es ist in den Sudetenläudern überhaupt so wenig Nachwuchs
an deutscheu Beamten vorhanden, daß man auch in reindeutschen Bezirken
Stellen mit Tschechen und Polen besetzen muß. Die Altdeutschen lärmen
wohl deswegen, aber sie geben sich leider darüber keine Rechenschaft, ebenso
wie sie jahrelang über die Tschechisiernng deutscher Fabrikstädte geklagt
haben, ohne zu erkennen, daß man es da im wesentlichen mit einer wirtschaft
Ueber Erscheinung zu tun hat, indem der billiger arbeitende tschechische Arbeiter
den teuern deutschen verdrängt. Vor zwei Jahren brachte die Leitmeritzer
Zeitung einen Mahnruf an die Deutschen von ..sehr geschätzter Seite," worin
^ hieß: „Es mangelt heute an deutschen Staatsbeamten. Die Zeit der wüsten,
sinnlosen Agitation gegen Staat und Monarchismus hat diesen Maiigel ge¬
schaffen. Der Eintritt in den Staatsdienst wurde ja eine Zeit lang als
»Volksverrat« erklärt: deutsche Beamte wurden von ihren Stammesgenossen
über die Achseln angesehen. Was mit dieser Taktik dem Deutschtum in Böhmen
angetan wurde, das wird sich erst in den nächsten Jahren so recht zeigen.
Heute sind die ersten Beamtenstellen des Reiches noch in deutschen, bürger¬
lichen Händen. Aber es ist kein Nachwuchs da! Tschcchentnm und Feudal-
"del aspirieren auf die freiwerdenden Stellen, und in wenig Jahren werden
dentschbürgerliche Sektionschefs und sogar niedere Beamte in den Ministerien
eine Seltenheit sein. Das alles hat die kurzsichtige Leidenschaft der Fraktions¬
fanatiker verschuldet; man wird einst ihr Andenken nicht segnen können. Nun
aber muß für die Zukunft gearbeitet werden. Mit Verhetzung der Jngend
und heftigen Demonstrationsreden wird nichts besser gemacht. Die Schlappe
der letzten Jahre muß ausgewetzt werden, die Bezeichnung »k. k.« ist keine
Schande, sondern eine Ehre im Staate, dessen Fürst stolz ist, ein Deutscher
z" sein. Ihr deutschen Väter, wahrt unser Recht, unser Besitztum."

Dieser Notschrei aus Deutschböhmen kennzeichnet die Lage deutlich. Auch
die Gablonzer Zeitung sagte, der Ministerpräsident werde die Forderung nach
deutschen Beamten nicht erfüllen können, weil Mangel daran herrsche, und
werde den deutschen Abgeordneten sagen: Sorgt doch im deutschen Volke für
den deutschen Nachwuchs, der Regierung wird es recht sein. Wenn das Blatt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/789>, abgerufen am 26.11.2024.