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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Tue Komödie auf Aronborg

Von selber, und die Neune flössen ihm leicht aus der Feder. Amüsant fand er es
aber nicht, und dann siel sein Blick unglücklicherweise in den Fratergarten. Die
Sonne schien dort unten zwischen Schlehdorn und Holunder, er konnte den Duft
des Lavendels bis zu sich herauf verspüren -- Rosen waren da auch --, und der
Star saß auf dem Zweige des Apfelbanms und schaukelte sich -- er mußte hinaus!

Er nahm seinen Hut, kroch die Treppe hinab und trat in den Klosterhof
hinaus.

Wie herrlich war es doch, wieder einmal die frische Luft zu atmen, den
blauen Himmel über sich zu haben und sich uns dem grünen Nasen auszustrecken!

Er lag lauge dort unten, gegen einen eingesnnknen Grabstein gelehnt, dachte
an vieles und mancherlei -- nur nicht an "Kain und Abel" -- und pflückte
dann eine Rose, eine helle Moosrose, und einen Strauß Lavendel, ehe er wieder
hinaufging.

In der Stubentür traf er Christence. Sie wollte ihm ausweichen, er aber
i"ßte sie am Arm und sagte:

Jungfer! Verschmähet nicht diesen Strauß -- ich war unten und habe ihn
eigens für Euch gepflückt.

Christence hatte ihm sofort unsanft ihren Arm entzogen und tat anfänglich,
als wolle sie gar nicht anhören, was er sagte; aber sie besann sich doch so weit,
daß sie die Blniuen gleichgiltig annahm, einen kurzen Dank sagte und dann ging.

Sie war offenbar noch immer gekränkt.

Nach Tische machte sich Will abermals über "Krim und Abel" her. Dn hörte
^ Christence im Nebenzimmer kramen und sah durch die offne Tür, daß sie vor
des Bruders Bücherbord stand. Sie nahm eins der großen Bücher heraus, öffnete
^ und schlug es wieder zu, worauf sie es vorsichtig wieder an seinen Platz stellte.
Gleich darauf ging sie hinaus.

Will erhob sich, ging in das Nebenzimmer und nahm das Buch, das sie eben
weder hingestellt hatte, den Folianten ganz links in der Ecke -- es war dieselbe
atemische Chronika, die Jver Kramme ihm schon einmal in die Hand gegeben
> --' ^e er nnn mit dein Buche dastand, sprang es von selber ans, denn
Mischen seinen Blättern lagen die Rose und der Lavendelstrauß verborgen, die er
^hristcn^ vorher gegeben hatte.

Will lächelte, und unwillkürlich fiel sein Auge auf die ausgeschlagnen Seiten
es Buchs. Er las, zuerst halb geistesabwesend, dann eifriger und eifriger, immer
Leiter, und denn das Ganze noch einmal von vorn. Schließlich machte er mit
.Rotstift einen Strich an den Rand, da, wo er zu lesen angefangen hatte, und
stellte die Chronik dann wieder ans das Bort.

Wieweit seid Ihr denn gekommen? fragte ihn Jver Kramme am Abend -- er
^ste^natürlich nur an "Kain und Abel." -- Hier, bis dahin -- nicht weiter! --
Und Ihr meint, der Sinn ist überall richtig getroffen, und Ihr habt auch die
richtige Anzahl xsäss? Ihr könnt sie an den Fingern abzählen, wißt Ihr, das
tue ich immer.

Leset erst einmal hier, sagte Will, schlug die Chronika auf und reichte sie
dabei fielen die Blumen heraus.

Aber was ist denn das? rief Jver Kramme ärgerlich. Hier ist ein Zeichen
" den Rand gemacht -- und wer legt Rosen in mein gutes Buch? -- seht, da
se ein häßlicher Fleck auf den Text gekommen! -- Christence! -- Christence, hast
on mir das angetan?

Christence kam herein und wurde röter als Rose und Fleck zusammen, als
l'e sah, daß ihr Geheimnis entdeckt sei. Sie entschuldigte sich jedoch nicht, nahm
v'e Blumen schnell ans und ging hastig hinaus.

Den Strich mit dem Rotstift habe ich gemacht! sagte Will. Ihr mußt mir
verzeihen, aber leset doch nur -- von hier bis da hin!

Jver Kramme fing auch an zu lesen, als er aber ein paar Zeilen überflogen
Mte, sub ^und auf und sagte kühl:


Tue Komödie auf Aronborg

Von selber, und die Neune flössen ihm leicht aus der Feder. Amüsant fand er es
aber nicht, und dann siel sein Blick unglücklicherweise in den Fratergarten. Die
Sonne schien dort unten zwischen Schlehdorn und Holunder, er konnte den Duft
des Lavendels bis zu sich herauf verspüren — Rosen waren da auch —, und der
Star saß auf dem Zweige des Apfelbanms und schaukelte sich — er mußte hinaus!

Er nahm seinen Hut, kroch die Treppe hinab und trat in den Klosterhof
hinaus.

Wie herrlich war es doch, wieder einmal die frische Luft zu atmen, den
blauen Himmel über sich zu haben und sich uns dem grünen Nasen auszustrecken!

Er lag lauge dort unten, gegen einen eingesnnknen Grabstein gelehnt, dachte
an vieles und mancherlei — nur nicht an „Kain und Abel" — und pflückte
dann eine Rose, eine helle Moosrose, und einen Strauß Lavendel, ehe er wieder
hinaufging.

In der Stubentür traf er Christence. Sie wollte ihm ausweichen, er aber
i"ßte sie am Arm und sagte:

Jungfer! Verschmähet nicht diesen Strauß — ich war unten und habe ihn
eigens für Euch gepflückt.

Christence hatte ihm sofort unsanft ihren Arm entzogen und tat anfänglich,
als wolle sie gar nicht anhören, was er sagte; aber sie besann sich doch so weit,
daß sie die Blniuen gleichgiltig annahm, einen kurzen Dank sagte und dann ging.

Sie war offenbar noch immer gekränkt.

Nach Tische machte sich Will abermals über „Krim und Abel" her. Dn hörte
^ Christence im Nebenzimmer kramen und sah durch die offne Tür, daß sie vor
des Bruders Bücherbord stand. Sie nahm eins der großen Bücher heraus, öffnete
^ und schlug es wieder zu, worauf sie es vorsichtig wieder an seinen Platz stellte.
Gleich darauf ging sie hinaus.

Will erhob sich, ging in das Nebenzimmer und nahm das Buch, das sie eben
weder hingestellt hatte, den Folianten ganz links in der Ecke — es war dieselbe
atemische Chronika, die Jver Kramme ihm schon einmal in die Hand gegeben
> —' ^e er nnn mit dein Buche dastand, sprang es von selber ans, denn
Mischen seinen Blättern lagen die Rose und der Lavendelstrauß verborgen, die er
^hristcn^ vorher gegeben hatte.

Will lächelte, und unwillkürlich fiel sein Auge auf die ausgeschlagnen Seiten
es Buchs. Er las, zuerst halb geistesabwesend, dann eifriger und eifriger, immer
Leiter, und denn das Ganze noch einmal von vorn. Schließlich machte er mit
.Rotstift einen Strich an den Rand, da, wo er zu lesen angefangen hatte, und
stellte die Chronik dann wieder ans das Bort.

Wieweit seid Ihr denn gekommen? fragte ihn Jver Kramme am Abend — er
^ste^natürlich nur an „Kain und Abel." — Hier, bis dahin — nicht weiter! —
Und Ihr meint, der Sinn ist überall richtig getroffen, und Ihr habt auch die
richtige Anzahl xsäss? Ihr könnt sie an den Fingern abzählen, wißt Ihr, das
tue ich immer.

Leset erst einmal hier, sagte Will, schlug die Chronika auf und reichte sie
dabei fielen die Blumen heraus.

Aber was ist denn das? rief Jver Kramme ärgerlich. Hier ist ein Zeichen
» den Rand gemacht — und wer legt Rosen in mein gutes Buch? — seht, da
se ein häßlicher Fleck auf den Text gekommen! — Christence! — Christence, hast
on mir das angetan?

Christence kam herein und wurde röter als Rose und Fleck zusammen, als
l'e sah, daß ihr Geheimnis entdeckt sei. Sie entschuldigte sich jedoch nicht, nahm
v'e Blumen schnell ans und ging hastig hinaus.

Den Strich mit dem Rotstift habe ich gemacht! sagte Will. Ihr mußt mir
verzeihen, aber leset doch nur — von hier bis da hin!

Jver Kramme fing auch an zu lesen, als er aber ein paar Zeilen überflogen
Mte, sub ^und auf und sagte kühl:


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[0695] Tue Komödie auf Aronborg Von selber, und die Neune flössen ihm leicht aus der Feder. Amüsant fand er es aber nicht, und dann siel sein Blick unglücklicherweise in den Fratergarten. Die Sonne schien dort unten zwischen Schlehdorn und Holunder, er konnte den Duft des Lavendels bis zu sich herauf verspüren — Rosen waren da auch —, und der Star saß auf dem Zweige des Apfelbanms und schaukelte sich — er mußte hinaus! Er nahm seinen Hut, kroch die Treppe hinab und trat in den Klosterhof hinaus. Wie herrlich war es doch, wieder einmal die frische Luft zu atmen, den blauen Himmel über sich zu haben und sich uns dem grünen Nasen auszustrecken! Er lag lauge dort unten, gegen einen eingesnnknen Grabstein gelehnt, dachte an vieles und mancherlei — nur nicht an „Kain und Abel" — und pflückte dann eine Rose, eine helle Moosrose, und einen Strauß Lavendel, ehe er wieder hinaufging. In der Stubentür traf er Christence. Sie wollte ihm ausweichen, er aber i"ßte sie am Arm und sagte: Jungfer! Verschmähet nicht diesen Strauß — ich war unten und habe ihn eigens für Euch gepflückt. Christence hatte ihm sofort unsanft ihren Arm entzogen und tat anfänglich, als wolle sie gar nicht anhören, was er sagte; aber sie besann sich doch so weit, daß sie die Blniuen gleichgiltig annahm, einen kurzen Dank sagte und dann ging. Sie war offenbar noch immer gekränkt. Nach Tische machte sich Will abermals über „Krim und Abel" her. Dn hörte ^ Christence im Nebenzimmer kramen und sah durch die offne Tür, daß sie vor des Bruders Bücherbord stand. Sie nahm eins der großen Bücher heraus, öffnete ^ und schlug es wieder zu, worauf sie es vorsichtig wieder an seinen Platz stellte. Gleich darauf ging sie hinaus. Will erhob sich, ging in das Nebenzimmer und nahm das Buch, das sie eben weder hingestellt hatte, den Folianten ganz links in der Ecke — es war dieselbe atemische Chronika, die Jver Kramme ihm schon einmal in die Hand gegeben > —' ^e er nnn mit dein Buche dastand, sprang es von selber ans, denn Mischen seinen Blättern lagen die Rose und der Lavendelstrauß verborgen, die er ^hristcn^ vorher gegeben hatte. Will lächelte, und unwillkürlich fiel sein Auge auf die ausgeschlagnen Seiten es Buchs. Er las, zuerst halb geistesabwesend, dann eifriger und eifriger, immer Leiter, und denn das Ganze noch einmal von vorn. Schließlich machte er mit .Rotstift einen Strich an den Rand, da, wo er zu lesen angefangen hatte, und stellte die Chronik dann wieder ans das Bort. Wieweit seid Ihr denn gekommen? fragte ihn Jver Kramme am Abend — er ^ste^natürlich nur an „Kain und Abel." — Hier, bis dahin — nicht weiter! — Und Ihr meint, der Sinn ist überall richtig getroffen, und Ihr habt auch die richtige Anzahl xsäss? Ihr könnt sie an den Fingern abzählen, wißt Ihr, das tue ich immer. Leset erst einmal hier, sagte Will, schlug die Chronika auf und reichte sie dabei fielen die Blumen heraus. Aber was ist denn das? rief Jver Kramme ärgerlich. Hier ist ein Zeichen » den Rand gemacht — und wer legt Rosen in mein gutes Buch? — seht, da se ein häßlicher Fleck auf den Text gekommen! — Christence! — Christence, hast on mir das angetan? Christence kam herein und wurde röter als Rose und Fleck zusammen, als l'e sah, daß ihr Geheimnis entdeckt sei. Sie entschuldigte sich jedoch nicht, nahm v'e Blumen schnell ans und ging hastig hinaus. Den Strich mit dem Rotstift habe ich gemacht! sagte Will. Ihr mußt mir verzeihen, aber leset doch nur — von hier bis da hin! Jver Kramme fing auch an zu lesen, als er aber ein paar Zeilen überflogen Mte, sub ^und auf und sagte kühl:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/695>, abgerufen am 25.11.2024.