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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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einen ungeheuern Aufschwung genommen, und eine Kundgebung wie die des eben
nbgchaltneu funfzigsten Katholikentags in Köln muß auch uns protestantischer Seite
als etwas Bedeutsames anerkannt werden.

Gegenüber dem Königreich Italien hat Leo der Dreizehnte die ablehnende Politik
seines Vorgängers fortgesetzt, aber ohne Härte und ohne persönliche Gereiztheit; er
hat sogar unter dem Ministerium Crispi (1887 bis 1896) durch Tosti, den gelehrten
Abt von Monte Cassino, über einen Ausgleich verhandeln lassen, und es ist noch
heute nicht ganz aufgeklärt, woran die Verständigung damals gescheitert ist. Erst
seitdem nahm seine Politik unter Rampollas Leitung einen dem Königreich Italien
entschieden feindlichen Charakter um, sie arbeitete deshalb lange gegen den Dreibund
und lehnte sich möglichst um Frankreich an; ja sie ging hierin so weit, daß sie die
Unterstützung der monarchischen Partei aufgab und die Republik als die legitime
Stnatssorm anerkannte. Aber statt Erfolge zu erfechten, hat Leo der Dreizehnte
auf diesem Gebiete nur Niederlagen erlitten. Er vermochte nicht seine Teilnahme
um der Hunger Friedenskonferenz 1898 durchzusetzen, weil die Großmächte darin
eine .Kränkung Italiens sahen, die sie vermeiden wollten; seine dreibundfeindluhe
Richtung endete mit der Erkenntnis, daß es besser sei, sich mit den nordischen
Mächten, namentlich mit Deutschland, zu vertragen, als sie zu bekämpfen, und alle
Nachgiebigkeit gegen Frankreich verhinderte schließlich nicht, daß dort ein radikales
Ministerium einen neuen Kulturkampf gegen die Ordensgenvssenschaftcn begann, der
möglicherweise zur Kündigung des Konkordats und damit zum Bruche mit dem
Vatikan, aber auch zu einer furchtbaren Spaltung in Frankreich selbst führen wird.
Es ist in der Tat kein Wunder, wenn sich nach solchen Mißerfolgen die große
Mehrheit des Kardinalskvlleginms für einen "religiösen" Papst entschieden hat.

Freilich die Frage, wie sich dieser nunmehr zu Italien stellen wird, ist damit
noch keineswegs entschieden. Als Bischof und als Patriarch hat sich Pius der Zehnte
bekanntlich ganz offen als Anhänger der neuen Ordnung und des Hauses Savoyen
gezeigt; aber die Landschaften, wo er bis jetzt gearbeitet hat, haben niemals zum
Kirchenstaate gehört und sind durch völkerrechtliche Verträge Teile des Königreichs
geworden. Auch in Toscana, Neapel und Sizilien kann der Vatikan die bestehende
neue Ordnung ohne Umstände anerkennen, denn alte päpstliche Besitzrechte kommen
hier uicht in Frage, und die Einziehung der Kirchengiiter hat sich die Kurie
schließlich überall gefallen lassen. Was den Zwiespalt begründet, das ist nur
das Verhältnis zu Rom und zum Kirchenstaat, wenigstens zu dem erst 1870 weg¬
genommenem Pntrimonium Petri. Der Verlust dieses an sich unbedeutenden Ge¬
biets beraubt nach der Auffassung der Kurie den Papst der vollen Freiheit für die
Kirchenregieruug; deshalb hat er seit 1870 nicht aufgehört, gegen diesen Zustand
gu protestieren und die Fiktion von seiner "Gefangenschaft" im Vatikan festgehalten.
Wird Pius der Zehnte imstande sein, hier andre Bahnen einzuschlagen? Mit allem
Nachdruck hat jüngst die Voos nie-IIa Verna, das Organ der Jesuiten, versichert,
dumm sei gnr uicht zu denken. und jedenfalls hat die Haltung des Kardinals Sarto
dem Pnpste Pius dem Zehnten hierin keineswegs vorgegriffen. Aber auch Zanichclli
sagt rund heraus und nüchtern: "Wir glauben nicht an die Möglichkeit einer offnen,
aufrichtigen und vertragsmäßigen Versöhnung des Papsttums mit Italien -- für
uns ist das geeinigte Italien mit Rom als Hauptstadt ein Begriff, der auch einem
in monarchisch-aristokratischer Weise den Katholizismus regierenden Papsttum wider¬
spricht, da dieser in Rom seine historische und traditionelle Hauptstadt hat. Für
uns hat die italienische Einheitsbewegung, indem sie kraft einer historischen Not¬
wendigkeit, der sie sich, auch wenn sie gewollt hätte, nicht entziehen konnte, die
Notwendigkeit einer Reform in der äußerlichen Ordnung des Katholizismus herbei¬
geführt, die von unsern größten Denkern gewünscht und vorausgesehen worden ist
und in bestimmterer Form als von den andern von Vincenzo Gioberti, eine
Reform, die sicherlich jeden Grund zum Zwiespalt beseitigen wird.*) Aber bis



Gioberti, das Haupt der sogenannten Neoguelfen, hoffte darauf, daß sich daS Papsttum
als eine national-italienische Macht an die Spitze der reorganisierten Nation stellen werde. Be-

einen ungeheuern Aufschwung genommen, und eine Kundgebung wie die des eben
nbgchaltneu funfzigsten Katholikentags in Köln muß auch uns protestantischer Seite
als etwas Bedeutsames anerkannt werden.

Gegenüber dem Königreich Italien hat Leo der Dreizehnte die ablehnende Politik
seines Vorgängers fortgesetzt, aber ohne Härte und ohne persönliche Gereiztheit; er
hat sogar unter dem Ministerium Crispi (1887 bis 1896) durch Tosti, den gelehrten
Abt von Monte Cassino, über einen Ausgleich verhandeln lassen, und es ist noch
heute nicht ganz aufgeklärt, woran die Verständigung damals gescheitert ist. Erst
seitdem nahm seine Politik unter Rampollas Leitung einen dem Königreich Italien
entschieden feindlichen Charakter um, sie arbeitete deshalb lange gegen den Dreibund
und lehnte sich möglichst um Frankreich an; ja sie ging hierin so weit, daß sie die
Unterstützung der monarchischen Partei aufgab und die Republik als die legitime
Stnatssorm anerkannte. Aber statt Erfolge zu erfechten, hat Leo der Dreizehnte
auf diesem Gebiete nur Niederlagen erlitten. Er vermochte nicht seine Teilnahme
um der Hunger Friedenskonferenz 1898 durchzusetzen, weil die Großmächte darin
eine .Kränkung Italiens sahen, die sie vermeiden wollten; seine dreibundfeindluhe
Richtung endete mit der Erkenntnis, daß es besser sei, sich mit den nordischen
Mächten, namentlich mit Deutschland, zu vertragen, als sie zu bekämpfen, und alle
Nachgiebigkeit gegen Frankreich verhinderte schließlich nicht, daß dort ein radikales
Ministerium einen neuen Kulturkampf gegen die Ordensgenvssenschaftcn begann, der
möglicherweise zur Kündigung des Konkordats und damit zum Bruche mit dem
Vatikan, aber auch zu einer furchtbaren Spaltung in Frankreich selbst führen wird.
Es ist in der Tat kein Wunder, wenn sich nach solchen Mißerfolgen die große
Mehrheit des Kardinalskvlleginms für einen „religiösen" Papst entschieden hat.

Freilich die Frage, wie sich dieser nunmehr zu Italien stellen wird, ist damit
noch keineswegs entschieden. Als Bischof und als Patriarch hat sich Pius der Zehnte
bekanntlich ganz offen als Anhänger der neuen Ordnung und des Hauses Savoyen
gezeigt; aber die Landschaften, wo er bis jetzt gearbeitet hat, haben niemals zum
Kirchenstaate gehört und sind durch völkerrechtliche Verträge Teile des Königreichs
geworden. Auch in Toscana, Neapel und Sizilien kann der Vatikan die bestehende
neue Ordnung ohne Umstände anerkennen, denn alte päpstliche Besitzrechte kommen
hier uicht in Frage, und die Einziehung der Kirchengiiter hat sich die Kurie
schließlich überall gefallen lassen. Was den Zwiespalt begründet, das ist nur
das Verhältnis zu Rom und zum Kirchenstaat, wenigstens zu dem erst 1870 weg¬
genommenem Pntrimonium Petri. Der Verlust dieses an sich unbedeutenden Ge¬
biets beraubt nach der Auffassung der Kurie den Papst der vollen Freiheit für die
Kirchenregieruug; deshalb hat er seit 1870 nicht aufgehört, gegen diesen Zustand
gu protestieren und die Fiktion von seiner „Gefangenschaft" im Vatikan festgehalten.
Wird Pius der Zehnte imstande sein, hier andre Bahnen einzuschlagen? Mit allem
Nachdruck hat jüngst die Voos nie-IIa Verna, das Organ der Jesuiten, versichert,
dumm sei gnr uicht zu denken. und jedenfalls hat die Haltung des Kardinals Sarto
dem Pnpste Pius dem Zehnten hierin keineswegs vorgegriffen. Aber auch Zanichclli
sagt rund heraus und nüchtern: „Wir glauben nicht an die Möglichkeit einer offnen,
aufrichtigen und vertragsmäßigen Versöhnung des Papsttums mit Italien — für
uns ist das geeinigte Italien mit Rom als Hauptstadt ein Begriff, der auch einem
in monarchisch-aristokratischer Weise den Katholizismus regierenden Papsttum wider¬
spricht, da dieser in Rom seine historische und traditionelle Hauptstadt hat. Für
uns hat die italienische Einheitsbewegung, indem sie kraft einer historischen Not¬
wendigkeit, der sie sich, auch wenn sie gewollt hätte, nicht entziehen konnte, die
Notwendigkeit einer Reform in der äußerlichen Ordnung des Katholizismus herbei¬
geführt, die von unsern größten Denkern gewünscht und vorausgesehen worden ist
und in bestimmterer Form als von den andern von Vincenzo Gioberti, eine
Reform, die sicherlich jeden Grund zum Zwiespalt beseitigen wird.*) Aber bis



Gioberti, das Haupt der sogenannten Neoguelfen, hoffte darauf, daß sich daS Papsttum
als eine national-italienische Macht an die Spitze der reorganisierten Nation stellen werde. Be-
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[0639] einen ungeheuern Aufschwung genommen, und eine Kundgebung wie die des eben nbgchaltneu funfzigsten Katholikentags in Köln muß auch uns protestantischer Seite als etwas Bedeutsames anerkannt werden. Gegenüber dem Königreich Italien hat Leo der Dreizehnte die ablehnende Politik seines Vorgängers fortgesetzt, aber ohne Härte und ohne persönliche Gereiztheit; er hat sogar unter dem Ministerium Crispi (1887 bis 1896) durch Tosti, den gelehrten Abt von Monte Cassino, über einen Ausgleich verhandeln lassen, und es ist noch heute nicht ganz aufgeklärt, woran die Verständigung damals gescheitert ist. Erst seitdem nahm seine Politik unter Rampollas Leitung einen dem Königreich Italien entschieden feindlichen Charakter um, sie arbeitete deshalb lange gegen den Dreibund und lehnte sich möglichst um Frankreich an; ja sie ging hierin so weit, daß sie die Unterstützung der monarchischen Partei aufgab und die Republik als die legitime Stnatssorm anerkannte. Aber statt Erfolge zu erfechten, hat Leo der Dreizehnte auf diesem Gebiete nur Niederlagen erlitten. Er vermochte nicht seine Teilnahme um der Hunger Friedenskonferenz 1898 durchzusetzen, weil die Großmächte darin eine .Kränkung Italiens sahen, die sie vermeiden wollten; seine dreibundfeindluhe Richtung endete mit der Erkenntnis, daß es besser sei, sich mit den nordischen Mächten, namentlich mit Deutschland, zu vertragen, als sie zu bekämpfen, und alle Nachgiebigkeit gegen Frankreich verhinderte schließlich nicht, daß dort ein radikales Ministerium einen neuen Kulturkampf gegen die Ordensgenvssenschaftcn begann, der möglicherweise zur Kündigung des Konkordats und damit zum Bruche mit dem Vatikan, aber auch zu einer furchtbaren Spaltung in Frankreich selbst führen wird. Es ist in der Tat kein Wunder, wenn sich nach solchen Mißerfolgen die große Mehrheit des Kardinalskvlleginms für einen „religiösen" Papst entschieden hat. Freilich die Frage, wie sich dieser nunmehr zu Italien stellen wird, ist damit noch keineswegs entschieden. Als Bischof und als Patriarch hat sich Pius der Zehnte bekanntlich ganz offen als Anhänger der neuen Ordnung und des Hauses Savoyen gezeigt; aber die Landschaften, wo er bis jetzt gearbeitet hat, haben niemals zum Kirchenstaate gehört und sind durch völkerrechtliche Verträge Teile des Königreichs geworden. Auch in Toscana, Neapel und Sizilien kann der Vatikan die bestehende neue Ordnung ohne Umstände anerkennen, denn alte päpstliche Besitzrechte kommen hier uicht in Frage, und die Einziehung der Kirchengiiter hat sich die Kurie schließlich überall gefallen lassen. Was den Zwiespalt begründet, das ist nur das Verhältnis zu Rom und zum Kirchenstaat, wenigstens zu dem erst 1870 weg¬ genommenem Pntrimonium Petri. Der Verlust dieses an sich unbedeutenden Ge¬ biets beraubt nach der Auffassung der Kurie den Papst der vollen Freiheit für die Kirchenregieruug; deshalb hat er seit 1870 nicht aufgehört, gegen diesen Zustand gu protestieren und die Fiktion von seiner „Gefangenschaft" im Vatikan festgehalten. Wird Pius der Zehnte imstande sein, hier andre Bahnen einzuschlagen? Mit allem Nachdruck hat jüngst die Voos nie-IIa Verna, das Organ der Jesuiten, versichert, dumm sei gnr uicht zu denken. und jedenfalls hat die Haltung des Kardinals Sarto dem Pnpste Pius dem Zehnten hierin keineswegs vorgegriffen. Aber auch Zanichclli sagt rund heraus und nüchtern: „Wir glauben nicht an die Möglichkeit einer offnen, aufrichtigen und vertragsmäßigen Versöhnung des Papsttums mit Italien — für uns ist das geeinigte Italien mit Rom als Hauptstadt ein Begriff, der auch einem in monarchisch-aristokratischer Weise den Katholizismus regierenden Papsttum wider¬ spricht, da dieser in Rom seine historische und traditionelle Hauptstadt hat. Für uns hat die italienische Einheitsbewegung, indem sie kraft einer historischen Not¬ wendigkeit, der sie sich, auch wenn sie gewollt hätte, nicht entziehen konnte, die Notwendigkeit einer Reform in der äußerlichen Ordnung des Katholizismus herbei¬ geführt, die von unsern größten Denkern gewünscht und vorausgesehen worden ist und in bestimmterer Form als von den andern von Vincenzo Gioberti, eine Reform, die sicherlich jeden Grund zum Zwiespalt beseitigen wird.*) Aber bis Gioberti, das Haupt der sogenannten Neoguelfen, hoffte darauf, daß sich daS Papsttum als eine national-italienische Macht an die Spitze der reorganisierten Nation stellen werde. Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/639>, abgerufen am 01.09.2024.