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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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des Dreibundes war, und insofern, als für keine Macht die Betonung des Politischen,
d. h. der geistlichen Herrschaft zum Schaden des religiöse" Zwecks der Kirche, un¬
bequemer ist als für Deutschland, hat das verbündete Österreich auch in dessen
Interesse gehandelt. Freilich erheben unsre führenden Zentrnmsblätter ein großes
Geschrei über diese angebliche Beeinträchtigung der kirchlichen "Freiheit," indem sie,
wie gewöhnlich bei diesem Punkte, ganz vergessen, daß der gewaltige Einfluß, den
das Papsttum auf die katholischen Untertanen aller Mächte ausübt, und zwar weit
über das religiöse Leben hinaus, notwendig dazu führen muß, daß die Regierungen
Einfluß auf die Leitung der römischen Kirche zu gewinnen suchen, und was sie
davon haben, entschieden festhalten. Jedenfalls werden die Kardinäle Wohl gewußt
haben, warum sie den beanstandeten Rampolla, der anfangs große Aussichten
gehabt zu haben scheint, fallen ließen, und es entspräche wohl dem katholischen
Prinzip der Unterwerfung unter die kirchliche Autorität, wenn sich die Zentrums¬
blätter dieser Entscheidung einfach und ohne überflüssige Kritik gefügt hätten."

Jedenfalls ist durch die Anwendung der Exklusive der Sieg der "religiösen
Partei im Kardinalskollegium gefördert worden, und das ist das zweite Kennzeichen
dieser Papstwahl. Daß unter den Kardinälen wie im römischen Klerus überhaupt
ein Zwiespalt zwischen denen, die nach jesuitischer Auffassung die Behauptung und
die Ausbildung der hierarchischen Gewalt für deu wichtigsten Zweck der Kirche halten,
und denen, für die sie vor allem Heilsinstitut ist, bestand, war kein Geheimnis,
und im Konklave trat er offen hervor, auch unter dem Druck der auswärtigen,
namentlich der deutschen und der österreichischen Kardinäle, deren Einfluß offenbar viel
größer gewesen ist, als ihre Stimmenzahl. Aber daß ein "religiöser" Papst, der
nicht zur Kurie gehörte, der aus den einfachsten Verhältnissen emporgestiegen war,
der als Pfarrer und als Bischof mitten im Leben seiner Nation gestanden hatte, mit
einer so erdrückenden Mehrheit -- 56 von 61 Stimmen -- gewählt werden
würde, das hatte doch niemand erwartet. Natürlich wurde sofort das Schlagwort
verbreitet, es habe bei dieser Wahl weder Sieger noch Besiegte gegeben, aber wer
glaubt daran? Pius der Zehnte kann niemals vergessen, was Giuseppe Sarto
gewesen ist.

Bei diesem Wendepunkt liegt es nahe, einen Blick auf das vorausgehende
Pontifikat Leos des Dreizehnter zu werfen, von dem sich das des Nachfolgers
jedenfalls wesentlich unterscheiden wird, und wir schließen uns dabei teilweise den
Betrachtungen eines italienischen Beobachters um so lieber an, je näher die Italiener
dein Papsttum stehn, und je unbefangner gerade dieser Beurteiler mit dem klaren
Realismus seiner Nation die Dinge behandelt (Domenico Zanichelli, II port,nos,to
all LoonL XIII., nuova, ^.ntowAill., 1. August 1903). Unzweifelhaft gehört Leo
der Dreizehnte zu den bedeutendsten Persönlichkeiten ans dem päpstlichen Stuhl.
Seine Erfolge für die Entwicklung und die Geltung seiner Kirche sind unbestritten.
Unter seiner fünfundzwanzigjährigen Verwaltung sind -- das hob ein Redner des
Kölner Katholikentages besonders hervor -- nicht weniger als 2 Patriarchate,
13 Erzbistümer und 146 Bistümer geschaffen worden, und er hat für die brennende
Frage der Zeit, die soziale, soviel Interesse und Verständnis bewiesen, daß man
ihn mit Recht einen "sozialen Papst" genannt hat. Wie mächtig das Ansehen des
Papsttums und der römischen Kirche gestiegen ist, das zeigt schon ein Blick auf
die deutschen Verhältnisse. Nach dem Kircheufrieden, der mit Pius dem Neunter
niemals möglich gewesen wäre, hat Fürst Bismarck zweimal, im Streit um die
Karolineninseln 1885 und im Kampfe um die Militärvorlage von 1837, also
in rein politischen Dingen, die Intervention des Papstes erbeten, unser Kaiser hat
ihm dreimal seinen Besuch gemacht, ein Souverän dem andern, das Zentrum ist,
freilich erst infolge der unglücklichen Haltung der liberalen Parteien nach 1879
und der Schwäche des kirchliche" Bewußtseins auf protestantischer Seite, aber doch
eben mit energischer und kluger Benutzung der Umstände, zur stärksten und zur
"ausschlaggebenden" Partei des Reichstags emporgewachsen, ohne die und gegen
die das Reich nicht mehr regiert werden kann; das katholische Vereinswesen hat


des Dreibundes war, und insofern, als für keine Macht die Betonung des Politischen,
d. h. der geistlichen Herrschaft zum Schaden des religiöse» Zwecks der Kirche, un¬
bequemer ist als für Deutschland, hat das verbündete Österreich auch in dessen
Interesse gehandelt. Freilich erheben unsre führenden Zentrnmsblätter ein großes
Geschrei über diese angebliche Beeinträchtigung der kirchlichen „Freiheit," indem sie,
wie gewöhnlich bei diesem Punkte, ganz vergessen, daß der gewaltige Einfluß, den
das Papsttum auf die katholischen Untertanen aller Mächte ausübt, und zwar weit
über das religiöse Leben hinaus, notwendig dazu führen muß, daß die Regierungen
Einfluß auf die Leitung der römischen Kirche zu gewinnen suchen, und was sie
davon haben, entschieden festhalten. Jedenfalls werden die Kardinäle Wohl gewußt
haben, warum sie den beanstandeten Rampolla, der anfangs große Aussichten
gehabt zu haben scheint, fallen ließen, und es entspräche wohl dem katholischen
Prinzip der Unterwerfung unter die kirchliche Autorität, wenn sich die Zentrums¬
blätter dieser Entscheidung einfach und ohne überflüssige Kritik gefügt hätten."

Jedenfalls ist durch die Anwendung der Exklusive der Sieg der „religiösen
Partei im Kardinalskollegium gefördert worden, und das ist das zweite Kennzeichen
dieser Papstwahl. Daß unter den Kardinälen wie im römischen Klerus überhaupt
ein Zwiespalt zwischen denen, die nach jesuitischer Auffassung die Behauptung und
die Ausbildung der hierarchischen Gewalt für deu wichtigsten Zweck der Kirche halten,
und denen, für die sie vor allem Heilsinstitut ist, bestand, war kein Geheimnis,
und im Konklave trat er offen hervor, auch unter dem Druck der auswärtigen,
namentlich der deutschen und der österreichischen Kardinäle, deren Einfluß offenbar viel
größer gewesen ist, als ihre Stimmenzahl. Aber daß ein „religiöser" Papst, der
nicht zur Kurie gehörte, der aus den einfachsten Verhältnissen emporgestiegen war,
der als Pfarrer und als Bischof mitten im Leben seiner Nation gestanden hatte, mit
einer so erdrückenden Mehrheit — 56 von 61 Stimmen — gewählt werden
würde, das hatte doch niemand erwartet. Natürlich wurde sofort das Schlagwort
verbreitet, es habe bei dieser Wahl weder Sieger noch Besiegte gegeben, aber wer
glaubt daran? Pius der Zehnte kann niemals vergessen, was Giuseppe Sarto
gewesen ist.

Bei diesem Wendepunkt liegt es nahe, einen Blick auf das vorausgehende
Pontifikat Leos des Dreizehnter zu werfen, von dem sich das des Nachfolgers
jedenfalls wesentlich unterscheiden wird, und wir schließen uns dabei teilweise den
Betrachtungen eines italienischen Beobachters um so lieber an, je näher die Italiener
dein Papsttum stehn, und je unbefangner gerade dieser Beurteiler mit dem klaren
Realismus seiner Nation die Dinge behandelt (Domenico Zanichelli, II port,nos,to
all LoonL XIII., nuova, ^.ntowAill., 1. August 1903). Unzweifelhaft gehört Leo
der Dreizehnte zu den bedeutendsten Persönlichkeiten ans dem päpstlichen Stuhl.
Seine Erfolge für die Entwicklung und die Geltung seiner Kirche sind unbestritten.
Unter seiner fünfundzwanzigjährigen Verwaltung sind — das hob ein Redner des
Kölner Katholikentages besonders hervor — nicht weniger als 2 Patriarchate,
13 Erzbistümer und 146 Bistümer geschaffen worden, und er hat für die brennende
Frage der Zeit, die soziale, soviel Interesse und Verständnis bewiesen, daß man
ihn mit Recht einen „sozialen Papst" genannt hat. Wie mächtig das Ansehen des
Papsttums und der römischen Kirche gestiegen ist, das zeigt schon ein Blick auf
die deutschen Verhältnisse. Nach dem Kircheufrieden, der mit Pius dem Neunter
niemals möglich gewesen wäre, hat Fürst Bismarck zweimal, im Streit um die
Karolineninseln 1885 und im Kampfe um die Militärvorlage von 1837, also
in rein politischen Dingen, die Intervention des Papstes erbeten, unser Kaiser hat
ihm dreimal seinen Besuch gemacht, ein Souverän dem andern, das Zentrum ist,
freilich erst infolge der unglücklichen Haltung der liberalen Parteien nach 1879
und der Schwäche des kirchliche» Bewußtseins auf protestantischer Seite, aber doch
eben mit energischer und kluger Benutzung der Umstände, zur stärksten und zur
„ausschlaggebenden" Partei des Reichstags emporgewachsen, ohne die und gegen
die das Reich nicht mehr regiert werden kann; das katholische Vereinswesen hat


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[0638] des Dreibundes war, und insofern, als für keine Macht die Betonung des Politischen, d. h. der geistlichen Herrschaft zum Schaden des religiöse» Zwecks der Kirche, un¬ bequemer ist als für Deutschland, hat das verbündete Österreich auch in dessen Interesse gehandelt. Freilich erheben unsre führenden Zentrnmsblätter ein großes Geschrei über diese angebliche Beeinträchtigung der kirchlichen „Freiheit," indem sie, wie gewöhnlich bei diesem Punkte, ganz vergessen, daß der gewaltige Einfluß, den das Papsttum auf die katholischen Untertanen aller Mächte ausübt, und zwar weit über das religiöse Leben hinaus, notwendig dazu führen muß, daß die Regierungen Einfluß auf die Leitung der römischen Kirche zu gewinnen suchen, und was sie davon haben, entschieden festhalten. Jedenfalls werden die Kardinäle Wohl gewußt haben, warum sie den beanstandeten Rampolla, der anfangs große Aussichten gehabt zu haben scheint, fallen ließen, und es entspräche wohl dem katholischen Prinzip der Unterwerfung unter die kirchliche Autorität, wenn sich die Zentrums¬ blätter dieser Entscheidung einfach und ohne überflüssige Kritik gefügt hätten." Jedenfalls ist durch die Anwendung der Exklusive der Sieg der „religiösen Partei im Kardinalskollegium gefördert worden, und das ist das zweite Kennzeichen dieser Papstwahl. Daß unter den Kardinälen wie im römischen Klerus überhaupt ein Zwiespalt zwischen denen, die nach jesuitischer Auffassung die Behauptung und die Ausbildung der hierarchischen Gewalt für deu wichtigsten Zweck der Kirche halten, und denen, für die sie vor allem Heilsinstitut ist, bestand, war kein Geheimnis, und im Konklave trat er offen hervor, auch unter dem Druck der auswärtigen, namentlich der deutschen und der österreichischen Kardinäle, deren Einfluß offenbar viel größer gewesen ist, als ihre Stimmenzahl. Aber daß ein „religiöser" Papst, der nicht zur Kurie gehörte, der aus den einfachsten Verhältnissen emporgestiegen war, der als Pfarrer und als Bischof mitten im Leben seiner Nation gestanden hatte, mit einer so erdrückenden Mehrheit — 56 von 61 Stimmen — gewählt werden würde, das hatte doch niemand erwartet. Natürlich wurde sofort das Schlagwort verbreitet, es habe bei dieser Wahl weder Sieger noch Besiegte gegeben, aber wer glaubt daran? Pius der Zehnte kann niemals vergessen, was Giuseppe Sarto gewesen ist. Bei diesem Wendepunkt liegt es nahe, einen Blick auf das vorausgehende Pontifikat Leos des Dreizehnter zu werfen, von dem sich das des Nachfolgers jedenfalls wesentlich unterscheiden wird, und wir schließen uns dabei teilweise den Betrachtungen eines italienischen Beobachters um so lieber an, je näher die Italiener dein Papsttum stehn, und je unbefangner gerade dieser Beurteiler mit dem klaren Realismus seiner Nation die Dinge behandelt (Domenico Zanichelli, II port,nos,to all LoonL XIII., nuova, ^.ntowAill., 1. August 1903). Unzweifelhaft gehört Leo der Dreizehnte zu den bedeutendsten Persönlichkeiten ans dem päpstlichen Stuhl. Seine Erfolge für die Entwicklung und die Geltung seiner Kirche sind unbestritten. Unter seiner fünfundzwanzigjährigen Verwaltung sind — das hob ein Redner des Kölner Katholikentages besonders hervor — nicht weniger als 2 Patriarchate, 13 Erzbistümer und 146 Bistümer geschaffen worden, und er hat für die brennende Frage der Zeit, die soziale, soviel Interesse und Verständnis bewiesen, daß man ihn mit Recht einen „sozialen Papst" genannt hat. Wie mächtig das Ansehen des Papsttums und der römischen Kirche gestiegen ist, das zeigt schon ein Blick auf die deutschen Verhältnisse. Nach dem Kircheufrieden, der mit Pius dem Neunter niemals möglich gewesen wäre, hat Fürst Bismarck zweimal, im Streit um die Karolineninseln 1885 und im Kampfe um die Militärvorlage von 1837, also in rein politischen Dingen, die Intervention des Papstes erbeten, unser Kaiser hat ihm dreimal seinen Besuch gemacht, ein Souverän dem andern, das Zentrum ist, freilich erst infolge der unglücklichen Haltung der liberalen Parteien nach 1879 und der Schwäche des kirchliche» Bewußtseins auf protestantischer Seite, aber doch eben mit energischer und kluger Benutzung der Umstände, zur stärksten und zur „ausschlaggebenden" Partei des Reichstags emporgewachsen, ohne die und gegen die das Reich nicht mehr regiert werden kann; das katholische Vereinswesen hat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/638>, abgerufen am 22.11.2024.