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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

diese Reform eintritt, ist der Zwiespalt, sogar die offizielle Feindschaft zwischen dem
Papsttum und Italien unvermeidlich, weil sie das einzige Mittel ist, womit sich
das Papsttum in sozusagen greifbarer Weise die Unabhängigkeit sichern kann, die
es in den vergangnen Jahrhunderten erobern und sichern wollte, indem es sich
immer der Einigung Italiens widersetzte und eine weltliche Herrschaft erwarb. Aus
diesen und andern Gründen war es Leo dein Dreizehnter nicht möglich und wird es
auch seinem Nachfolger nicht möglich sein, zu der Versöhnung zu gelangen, die
viele wünschen, bei der aber das Papsttum und die Kirche von der einen, das
geeinigte Italien von der andern Seite nichts zu gewinnen hätten, sondern aller
Wahrscheinlichkeit nach viel verlieren würden. Aber zwischen dem scharfen Zwie¬
spalt, d. h. der wirklichen und in jedem Augenblicke wirksamen Feindschaft und der
offiziellen Feindschaft, die friedliche Beziehungen nicht ausschließt und jedem Teile
volle Freiheit des Handelns läßt, ist ein großer Unterschied, und zu dieser wird
das Papsttum unvermeidlich kommen." "Wenn die Zeiten noch nicht reif sind für
die Beendigung des Zwiespalts, so schwächt doch jeder Tag die Gründe ab, weil
er die Erinnerung an die Dinge, die ihn hervorgebracht haben, vermindert und
eine größere Annäherung des Papsttums und der Kirche an die für sie durch das
Garantiegesetz (vom 31. Mai 1871) geschaffnen neuen Bedingungen herbeiführt.
Und auf diese Zeit muß Italien mit der Ruhe und der Geduld der Starken und
der Gerechten rechnen. Unter den großen Irrtümern italienischer Regierungen ist ja
niemals der gewesen, eine Politik offner Verfolgung oder Feindseligkeit gegen das
Papsttum und die Kirche zu führen."

Ganz ähnlich hat sich kürzlich der Ministerpräsident Zanardelli geäußert, indem
er trocken bemerkte, es sei eigentlich gar kein Gegenstand der Verhandlungen zwischen
Quirinal und Vatikan vorhanden, denn das Papsttum könne Italien nichts
Schlimmeres antun, als es schon getan habe, und Italien könne ihm nicht weiter
entgegenkommen, als es schon durch das Garantiegesetz geschehen sei. Von Pius
dem Zehnten aber wird erzählt, er habe unter den Glückwünschen zu seiner Wahl
einen von König Viktor Emanuel schmerzlich vermißt, und ein solcher sei dann durch
Vermittlung eines piemontesischen Prälaten doch noch eingetroffen, anch vertraulich
erwidert worden. Es scheint also in der Tat so, als ob der neue Papst geneigt
sei, unter Behauptung des prinzipiellen Gegensatzes, auf die "friedlichen Be¬
ziehungen" einzugehn, die Zanichelli erhofft und als "unvermeidlich" ansieht. Ob Pius
dabei etwa seinen Widerspruch gegen den Besuch katholischer Herrscher im Quirinal
aufgibt, oder die Parole no slotwri irv vlotti fallen läßt, die deu "Katholiken" die
Teilnahme an den Parlamentswahlen verbietet, sie also vom politischen Leben aus¬
schließt zum Schaden der Kirche selbst, ob er einmal von der äußern Loggia der
Peterskirche aus die Massen segnen oder sich gar in der Stadt zeigen wird, wer
will das heute sagen? Aber zu einem wocln8 vivcmcli würde das alles gehören.

Auch der Ton, worin jüngst der Katholikentag über das, was er "die rö¬
mische Frage" nennt, verhandelt hat, ist anders, milder gestimmt als früher. Der
Berichterstatter über dieses stehende Thema, Dr. Rumpf ans München, versicherte
ausdrücklich, die deutschen .Katholiken gönnten Italien seine Einheit, "soweit sie not¬
wendig sei" (was zu beurteilen wir doch den Italienern überlassen wollen), und hätten
durch ihre Proteste gegen die heutigen "Zustände in Rom" deu Dreibund keineswegs
gefährdet, aber die "römische Frage" sei keine nationalitnlienische, sondern eine all¬
gemein katholische Angelegenheit, wie das Papsttum eine internationale Institution,
was sogar Fürst Bismarck anerkannt habe. Also sei es Recht und Pflicht der
Katholiken, für die "Unabhängigkeit" des Papsttums einzustehn, die aber sei durch
die jetzigen Zustände und dnrch den Haß der mächtigen revolutionären Partei in
Italien bedroht. Von einer Wiederherstellung der weltlichen Herrschaft des Papst-


kanntlich enttäuschte Pius der Neunte diese Erwartung 1L48 gründlich, und als der Friede
von Zürich, im November 1859, ihm die Führung eines italienischen Staatenbundes zudachte,
war es schon zu spät. Am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts dürfte es mit solchen
Plänen erst recht zu spät sein.
Maßgebliches und Unmaßgebliches

diese Reform eintritt, ist der Zwiespalt, sogar die offizielle Feindschaft zwischen dem
Papsttum und Italien unvermeidlich, weil sie das einzige Mittel ist, womit sich
das Papsttum in sozusagen greifbarer Weise die Unabhängigkeit sichern kann, die
es in den vergangnen Jahrhunderten erobern und sichern wollte, indem es sich
immer der Einigung Italiens widersetzte und eine weltliche Herrschaft erwarb. Aus
diesen und andern Gründen war es Leo dein Dreizehnter nicht möglich und wird es
auch seinem Nachfolger nicht möglich sein, zu der Versöhnung zu gelangen, die
viele wünschen, bei der aber das Papsttum und die Kirche von der einen, das
geeinigte Italien von der andern Seite nichts zu gewinnen hätten, sondern aller
Wahrscheinlichkeit nach viel verlieren würden. Aber zwischen dem scharfen Zwie¬
spalt, d. h. der wirklichen und in jedem Augenblicke wirksamen Feindschaft und der
offiziellen Feindschaft, die friedliche Beziehungen nicht ausschließt und jedem Teile
volle Freiheit des Handelns läßt, ist ein großer Unterschied, und zu dieser wird
das Papsttum unvermeidlich kommen." „Wenn die Zeiten noch nicht reif sind für
die Beendigung des Zwiespalts, so schwächt doch jeder Tag die Gründe ab, weil
er die Erinnerung an die Dinge, die ihn hervorgebracht haben, vermindert und
eine größere Annäherung des Papsttums und der Kirche an die für sie durch das
Garantiegesetz (vom 31. Mai 1871) geschaffnen neuen Bedingungen herbeiführt.
Und auf diese Zeit muß Italien mit der Ruhe und der Geduld der Starken und
der Gerechten rechnen. Unter den großen Irrtümern italienischer Regierungen ist ja
niemals der gewesen, eine Politik offner Verfolgung oder Feindseligkeit gegen das
Papsttum und die Kirche zu führen."

Ganz ähnlich hat sich kürzlich der Ministerpräsident Zanardelli geäußert, indem
er trocken bemerkte, es sei eigentlich gar kein Gegenstand der Verhandlungen zwischen
Quirinal und Vatikan vorhanden, denn das Papsttum könne Italien nichts
Schlimmeres antun, als es schon getan habe, und Italien könne ihm nicht weiter
entgegenkommen, als es schon durch das Garantiegesetz geschehen sei. Von Pius
dem Zehnten aber wird erzählt, er habe unter den Glückwünschen zu seiner Wahl
einen von König Viktor Emanuel schmerzlich vermißt, und ein solcher sei dann durch
Vermittlung eines piemontesischen Prälaten doch noch eingetroffen, anch vertraulich
erwidert worden. Es scheint also in der Tat so, als ob der neue Papst geneigt
sei, unter Behauptung des prinzipiellen Gegensatzes, auf die „friedlichen Be¬
ziehungen" einzugehn, die Zanichelli erhofft und als „unvermeidlich" ansieht. Ob Pius
dabei etwa seinen Widerspruch gegen den Besuch katholischer Herrscher im Quirinal
aufgibt, oder die Parole no slotwri irv vlotti fallen läßt, die deu „Katholiken" die
Teilnahme an den Parlamentswahlen verbietet, sie also vom politischen Leben aus¬
schließt zum Schaden der Kirche selbst, ob er einmal von der äußern Loggia der
Peterskirche aus die Massen segnen oder sich gar in der Stadt zeigen wird, wer
will das heute sagen? Aber zu einem wocln8 vivcmcli würde das alles gehören.

Auch der Ton, worin jüngst der Katholikentag über das, was er „die rö¬
mische Frage" nennt, verhandelt hat, ist anders, milder gestimmt als früher. Der
Berichterstatter über dieses stehende Thema, Dr. Rumpf ans München, versicherte
ausdrücklich, die deutschen .Katholiken gönnten Italien seine Einheit, „soweit sie not¬
wendig sei" (was zu beurteilen wir doch den Italienern überlassen wollen), und hätten
durch ihre Proteste gegen die heutigen „Zustände in Rom" deu Dreibund keineswegs
gefährdet, aber die „römische Frage" sei keine nationalitnlienische, sondern eine all¬
gemein katholische Angelegenheit, wie das Papsttum eine internationale Institution,
was sogar Fürst Bismarck anerkannt habe. Also sei es Recht und Pflicht der
Katholiken, für die „Unabhängigkeit" des Papsttums einzustehn, die aber sei durch
die jetzigen Zustände und dnrch den Haß der mächtigen revolutionären Partei in
Italien bedroht. Von einer Wiederherstellung der weltlichen Herrschaft des Papst-


kanntlich enttäuschte Pius der Neunte diese Erwartung 1L48 gründlich, und als der Friede
von Zürich, im November 1859, ihm die Führung eines italienischen Staatenbundes zudachte,
war es schon zu spät. Am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts dürfte es mit solchen
Plänen erst recht zu spät sein.
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[0640] Maßgebliches und Unmaßgebliches diese Reform eintritt, ist der Zwiespalt, sogar die offizielle Feindschaft zwischen dem Papsttum und Italien unvermeidlich, weil sie das einzige Mittel ist, womit sich das Papsttum in sozusagen greifbarer Weise die Unabhängigkeit sichern kann, die es in den vergangnen Jahrhunderten erobern und sichern wollte, indem es sich immer der Einigung Italiens widersetzte und eine weltliche Herrschaft erwarb. Aus diesen und andern Gründen war es Leo dein Dreizehnter nicht möglich und wird es auch seinem Nachfolger nicht möglich sein, zu der Versöhnung zu gelangen, die viele wünschen, bei der aber das Papsttum und die Kirche von der einen, das geeinigte Italien von der andern Seite nichts zu gewinnen hätten, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach viel verlieren würden. Aber zwischen dem scharfen Zwie¬ spalt, d. h. der wirklichen und in jedem Augenblicke wirksamen Feindschaft und der offiziellen Feindschaft, die friedliche Beziehungen nicht ausschließt und jedem Teile volle Freiheit des Handelns läßt, ist ein großer Unterschied, und zu dieser wird das Papsttum unvermeidlich kommen." „Wenn die Zeiten noch nicht reif sind für die Beendigung des Zwiespalts, so schwächt doch jeder Tag die Gründe ab, weil er die Erinnerung an die Dinge, die ihn hervorgebracht haben, vermindert und eine größere Annäherung des Papsttums und der Kirche an die für sie durch das Garantiegesetz (vom 31. Mai 1871) geschaffnen neuen Bedingungen herbeiführt. Und auf diese Zeit muß Italien mit der Ruhe und der Geduld der Starken und der Gerechten rechnen. Unter den großen Irrtümern italienischer Regierungen ist ja niemals der gewesen, eine Politik offner Verfolgung oder Feindseligkeit gegen das Papsttum und die Kirche zu führen." Ganz ähnlich hat sich kürzlich der Ministerpräsident Zanardelli geäußert, indem er trocken bemerkte, es sei eigentlich gar kein Gegenstand der Verhandlungen zwischen Quirinal und Vatikan vorhanden, denn das Papsttum könne Italien nichts Schlimmeres antun, als es schon getan habe, und Italien könne ihm nicht weiter entgegenkommen, als es schon durch das Garantiegesetz geschehen sei. Von Pius dem Zehnten aber wird erzählt, er habe unter den Glückwünschen zu seiner Wahl einen von König Viktor Emanuel schmerzlich vermißt, und ein solcher sei dann durch Vermittlung eines piemontesischen Prälaten doch noch eingetroffen, anch vertraulich erwidert worden. Es scheint also in der Tat so, als ob der neue Papst geneigt sei, unter Behauptung des prinzipiellen Gegensatzes, auf die „friedlichen Be¬ ziehungen" einzugehn, die Zanichelli erhofft und als „unvermeidlich" ansieht. Ob Pius dabei etwa seinen Widerspruch gegen den Besuch katholischer Herrscher im Quirinal aufgibt, oder die Parole no slotwri irv vlotti fallen läßt, die deu „Katholiken" die Teilnahme an den Parlamentswahlen verbietet, sie also vom politischen Leben aus¬ schließt zum Schaden der Kirche selbst, ob er einmal von der äußern Loggia der Peterskirche aus die Massen segnen oder sich gar in der Stadt zeigen wird, wer will das heute sagen? Aber zu einem wocln8 vivcmcli würde das alles gehören. Auch der Ton, worin jüngst der Katholikentag über das, was er „die rö¬ mische Frage" nennt, verhandelt hat, ist anders, milder gestimmt als früher. Der Berichterstatter über dieses stehende Thema, Dr. Rumpf ans München, versicherte ausdrücklich, die deutschen .Katholiken gönnten Italien seine Einheit, „soweit sie not¬ wendig sei" (was zu beurteilen wir doch den Italienern überlassen wollen), und hätten durch ihre Proteste gegen die heutigen „Zustände in Rom" deu Dreibund keineswegs gefährdet, aber die „römische Frage" sei keine nationalitnlienische, sondern eine all¬ gemein katholische Angelegenheit, wie das Papsttum eine internationale Institution, was sogar Fürst Bismarck anerkannt habe. Also sei es Recht und Pflicht der Katholiken, für die „Unabhängigkeit" des Papsttums einzustehn, die aber sei durch die jetzigen Zustände und dnrch den Haß der mächtigen revolutionären Partei in Italien bedroht. Von einer Wiederherstellung der weltlichen Herrschaft des Papst- kanntlich enttäuschte Pius der Neunte diese Erwartung 1L48 gründlich, und als der Friede von Zürich, im November 1859, ihm die Führung eines italienischen Staatenbundes zudachte, war es schon zu spät. Am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts dürfte es mit solchen Plänen erst recht zu spät sein.

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/640>, abgerufen am 22.11.2024.