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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Ans der Jugendzeit

backens en ^ro. wurden riesige Mengen von Preßhefe verbraucht. D'e "gue Pro-
duktion unsrer Brennerei vermochte dann der Nachfrage nicht zu g^MN.
kamen mit der Post oder mit Frachtsnhrwerk "iele Zentner Zufuhr vou a ßer^namentlich von ülzen. Die Händler, die wieder "ufte Hanptabnehmer "
sich förmlich darum. Das gab denn in unserm Hause em lautes, v ^hrs^ich^"ber ungemütliches Treibe", ein förmliches Gedränge und dazu H"'-Herstrcum
der zahlreichen Händler und Kunden. Das ging in der Zeit vor d^ Festen v°in
frühsten Morgen bis in die späte Nacht. Meine Mut er besorgte dieses P^ß-
Hefengeschäft gan. allein neben ihrer Wirtschaft. Noch heute staune ich darüber
wie s^e'Zaun' ferti werden und doch noch Kraft ort Zeit des^ our
dem einen oder dem andern Abend mit uns in die Weihnachtsansstelluug gU geh.
Weihnachtsgeschenke für uus und die Dienstboten zu besorgen )ob aus och d^Weihnachtsbaum hinter unserm Rücken auszuputzen Die Well)nachtsausstelluu^waren nichts weiter als die Verkaufsstätten der Smcluwrenhmtdler ""d
bttcker. Sie hatten dann neben ihrem Verkaufsladen die --gute selld ausgera ^"ut mit alten und neuen Herrlichkeiten ausgestattet. die das Entz"feu der W^regten. Wir Jungen waren regelmäßig schou vorher wrederhol dor g Wesen
um die Ziele unsrer Sehnsucht festzustellen. Wenn dann die ' ""t uns in
die Ausstellungen ging, orientierten wir sie mit verschämter S cherhe t wo das
'chönste Puppentheater, der begehrenswerteste Frachtwagen oder Pferdest"it "d das
eben'ste Zuckerwerk sür den Weihnachtsbaum zu finden sei. Im Gr^ende war e^konventionelles Versteckenspiel. Wenn die Mutter einen um,rar besondern We hnachts-
wünsche zu befriedigen trachtete, wurde der Kauf trotz wAer Gegenwart war
geschlossen, aber unter allerlei Vorsichtsmaßregeln und Fiktionen me tara s ab-
zielten, daß wir nichts merken sollten. Wir schienen anch me etwas zu^ merken
Mit überzeugender Naivität hörten wir. anscheinend ahnungslos, zu. wie dieses
oder jenes Stück für einen auswärtigen Vetter oder Bekannten erstanden wurde.
In Wirklichkeit wußten wir zielt.lich genan. was die Glocke geschlagen hatte. O kind¬
liche, kindische Torheit! Wie naiv waren wir alle. Große und Kleine. Alte und
Junge! Gewisse naive Selbsttäuschungen und Torheiten gehn durch das ganze
ernste Menschenleben. Das ist auch nicht gar so schlimm, wie umncher Mann
meint. In diesem Weihnachtstreiben mit seinen vorausgeplanten Überraschungen
liegt ein poetischer Zug deutscher Mcirchculnst und traulichen Familiensinns. Der
ernsten und tiefen religiösen Bedeutung dieses Festes wird dadurch schwerlich
Eintrag getan.

In ^uedliuburg wurde damals überwiegend nicht am heiligen Abend vor
Weihnachten, sondern in der Morgenfrühe des ersten Weihnachtsfesttages beschert,
wie man in Berlin sagt, aufgebaut. Auch bei uns. Nur die "ganz vornehmen"
Familien befederten schon damals am heiligen Abend. Das waren aber vereinzelte
Ausnahmen. Ein Gottesdienst, eine Christvesper, wie sie jetzt in den evangelischen
Kirchen allgemein üblich ist, wurde damals am Weihnachtsheiligabend noch in keiner
der sieben Kirchen unsrer Stadt gehalten. Etwa um fünf oder sechs Uhr Nach¬
mittags wurde vielmehr im städtischen Waisenhaus, in der Weinkinderschule und in
der Rettungsanstalt für verwahrloste Kinder eine Wohltätigkeitsbescherung veran¬
staltet. Mein Vater fah es gern, wenn wir Kinder dorthin gingen. Ich tat das
auch gern. Denn zuhause wurde ein diesem Abend noch ein kolossales Scheuern
und Reinmachen des ganzen Hauses gehalten. Das war ungemütlich, wahrend im
Rettungshause, dem Waisenhause oder auch in der Kleinkinderschule die dort ver¬
anstaltete Bescherung mit brennenden Lichtcrbäumen, der Ansprache eines Geistlichen,dem Gesänge der Kinder und deren fröhlichen Gesichtern schon hellen Festglanz in
die Herzen strahlte. Beim Nachhausegehn sah man die meisten Hauser in tiefem
Dunkel liegen. Wir mußten am Christabend, wenn wir nach Hause kamen fiuyWZ Bett. Denn am ersten Feiertag galt es früh aufzustehn. Schon vor sechs Uhr
wurden wir wach und standen erwartungsvoll ans. um in der Wohnstube der Dinge


Ans der Jugendzeit

backens en ^ro. wurden riesige Mengen von Preßhefe verbraucht. D'e «gue Pro-
duktion unsrer Brennerei vermochte dann der Nachfrage nicht zu g^MN.
kamen mit der Post oder mit Frachtsnhrwerk »iele Zentner Zufuhr vou a ßer^namentlich von ülzen. Die Händler, die wieder »ufte Hanptabnehmer »
sich förmlich darum. Das gab denn in unserm Hause em lautes, v ^hrs^ich^"ber ungemütliches Treibe», ein förmliches Gedränge und dazu H"'-Herstrcum
der zahlreichen Händler und Kunden. Das ging in der Zeit vor d^ Festen v°in
frühsten Morgen bis in die späte Nacht. Meine Mut er besorgte dieses P^ß-
Hefengeschäft gan. allein neben ihrer Wirtschaft. Noch heute staune ich darüber
wie s^e'Zaun' ferti werden und doch noch Kraft ort Zeit des^ our
dem einen oder dem andern Abend mit uns in die Weihnachtsansstelluug gU geh.
Weihnachtsgeschenke für uus und die Dienstboten zu besorgen )ob aus och d^Weihnachtsbaum hinter unserm Rücken auszuputzen Die Well)nachtsausstelluu^waren nichts weiter als die Verkaufsstätten der Smcluwrenhmtdler ""d
bttcker. Sie hatten dann neben ihrem Verkaufsladen die --gute selld ausgera ^»ut mit alten und neuen Herrlichkeiten ausgestattet. die das Entz»feu der W^regten. Wir Jungen waren regelmäßig schou vorher wrederhol dor g Wesen
um die Ziele unsrer Sehnsucht festzustellen. Wenn dann die ' ""t uns in
die Ausstellungen ging, orientierten wir sie mit verschämter S cherhe t wo das
'chönste Puppentheater, der begehrenswerteste Frachtwagen oder Pferdest"it "d das
eben'ste Zuckerwerk sür den Weihnachtsbaum zu finden sei. Im Gr^ende war e^konventionelles Versteckenspiel. Wenn die Mutter einen um,rar besondern We hnachts-
wünsche zu befriedigen trachtete, wurde der Kauf trotz wAer Gegenwart war
geschlossen, aber unter allerlei Vorsichtsmaßregeln und Fiktionen me tara s ab-
zielten, daß wir nichts merken sollten. Wir schienen anch me etwas zu^ merken
Mit überzeugender Naivität hörten wir. anscheinend ahnungslos, zu. wie dieses
oder jenes Stück für einen auswärtigen Vetter oder Bekannten erstanden wurde.
In Wirklichkeit wußten wir zielt.lich genan. was die Glocke geschlagen hatte. O kind¬
liche, kindische Torheit! Wie naiv waren wir alle. Große und Kleine. Alte und
Junge! Gewisse naive Selbsttäuschungen und Torheiten gehn durch das ganze
ernste Menschenleben. Das ist auch nicht gar so schlimm, wie umncher Mann
meint. In diesem Weihnachtstreiben mit seinen vorausgeplanten Überraschungen
liegt ein poetischer Zug deutscher Mcirchculnst und traulichen Familiensinns. Der
ernsten und tiefen religiösen Bedeutung dieses Festes wird dadurch schwerlich
Eintrag getan.

In ^uedliuburg wurde damals überwiegend nicht am heiligen Abend vor
Weihnachten, sondern in der Morgenfrühe des ersten Weihnachtsfesttages beschert,
wie man in Berlin sagt, aufgebaut. Auch bei uns. Nur die „ganz vornehmen"
Familien befederten schon damals am heiligen Abend. Das waren aber vereinzelte
Ausnahmen. Ein Gottesdienst, eine Christvesper, wie sie jetzt in den evangelischen
Kirchen allgemein üblich ist, wurde damals am Weihnachtsheiligabend noch in keiner
der sieben Kirchen unsrer Stadt gehalten. Etwa um fünf oder sechs Uhr Nach¬
mittags wurde vielmehr im städtischen Waisenhaus, in der Weinkinderschule und in
der Rettungsanstalt für verwahrloste Kinder eine Wohltätigkeitsbescherung veran¬
staltet. Mein Vater fah es gern, wenn wir Kinder dorthin gingen. Ich tat das
auch gern. Denn zuhause wurde ein diesem Abend noch ein kolossales Scheuern
und Reinmachen des ganzen Hauses gehalten. Das war ungemütlich, wahrend im
Rettungshause, dem Waisenhause oder auch in der Kleinkinderschule die dort ver¬
anstaltete Bescherung mit brennenden Lichtcrbäumen, der Ansprache eines Geistlichen,dem Gesänge der Kinder und deren fröhlichen Gesichtern schon hellen Festglanz in
die Herzen strahlte. Beim Nachhausegehn sah man die meisten Hauser in tiefem
Dunkel liegen. Wir mußten am Christabend, wenn wir nach Hause kamen fiuyWZ Bett. Denn am ersten Feiertag galt es früh aufzustehn. Schon vor sechs Uhr
wurden wir wach und standen erwartungsvoll ans. um in der Wohnstube der Dinge


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[0551] Ans der Jugendzeit backens en ^ro. wurden riesige Mengen von Preßhefe verbraucht. D'e «gue Pro- duktion unsrer Brennerei vermochte dann der Nachfrage nicht zu g^MN. kamen mit der Post oder mit Frachtsnhrwerk »iele Zentner Zufuhr vou a ßer^namentlich von ülzen. Die Händler, die wieder »ufte Hanptabnehmer » sich förmlich darum. Das gab denn in unserm Hause em lautes, v ^hrs^ich^"ber ungemütliches Treibe», ein förmliches Gedränge und dazu H"'-Herstrcum der zahlreichen Händler und Kunden. Das ging in der Zeit vor d^ Festen v°in frühsten Morgen bis in die späte Nacht. Meine Mut er besorgte dieses P^ß- Hefengeschäft gan. allein neben ihrer Wirtschaft. Noch heute staune ich darüber wie s^e'Zaun' ferti werden und doch noch Kraft ort Zeit des^ our dem einen oder dem andern Abend mit uns in die Weihnachtsansstelluug gU geh. Weihnachtsgeschenke für uus und die Dienstboten zu besorgen )ob aus och d^Weihnachtsbaum hinter unserm Rücken auszuputzen Die Well)nachtsausstelluu^waren nichts weiter als die Verkaufsstätten der Smcluwrenhmtdler ""d bttcker. Sie hatten dann neben ihrem Verkaufsladen die --gute selld ausgera ^»ut mit alten und neuen Herrlichkeiten ausgestattet. die das Entz»feu der W^regten. Wir Jungen waren regelmäßig schou vorher wrederhol dor g Wesen um die Ziele unsrer Sehnsucht festzustellen. Wenn dann die ' ""t uns in die Ausstellungen ging, orientierten wir sie mit verschämter S cherhe t wo das 'chönste Puppentheater, der begehrenswerteste Frachtwagen oder Pferdest"it "d das eben'ste Zuckerwerk sür den Weihnachtsbaum zu finden sei. Im Gr^ende war e^konventionelles Versteckenspiel. Wenn die Mutter einen um,rar besondern We hnachts- wünsche zu befriedigen trachtete, wurde der Kauf trotz wAer Gegenwart war geschlossen, aber unter allerlei Vorsichtsmaßregeln und Fiktionen me tara s ab- zielten, daß wir nichts merken sollten. Wir schienen anch me etwas zu^ merken Mit überzeugender Naivität hörten wir. anscheinend ahnungslos, zu. wie dieses oder jenes Stück für einen auswärtigen Vetter oder Bekannten erstanden wurde. In Wirklichkeit wußten wir zielt.lich genan. was die Glocke geschlagen hatte. O kind¬ liche, kindische Torheit! Wie naiv waren wir alle. Große und Kleine. Alte und Junge! Gewisse naive Selbsttäuschungen und Torheiten gehn durch das ganze ernste Menschenleben. Das ist auch nicht gar so schlimm, wie umncher Mann meint. In diesem Weihnachtstreiben mit seinen vorausgeplanten Überraschungen liegt ein poetischer Zug deutscher Mcirchculnst und traulichen Familiensinns. Der ernsten und tiefen religiösen Bedeutung dieses Festes wird dadurch schwerlich Eintrag getan. In ^uedliuburg wurde damals überwiegend nicht am heiligen Abend vor Weihnachten, sondern in der Morgenfrühe des ersten Weihnachtsfesttages beschert, wie man in Berlin sagt, aufgebaut. Auch bei uns. Nur die „ganz vornehmen" Familien befederten schon damals am heiligen Abend. Das waren aber vereinzelte Ausnahmen. Ein Gottesdienst, eine Christvesper, wie sie jetzt in den evangelischen Kirchen allgemein üblich ist, wurde damals am Weihnachtsheiligabend noch in keiner der sieben Kirchen unsrer Stadt gehalten. Etwa um fünf oder sechs Uhr Nach¬ mittags wurde vielmehr im städtischen Waisenhaus, in der Weinkinderschule und in der Rettungsanstalt für verwahrloste Kinder eine Wohltätigkeitsbescherung veran¬ staltet. Mein Vater fah es gern, wenn wir Kinder dorthin gingen. Ich tat das auch gern. Denn zuhause wurde ein diesem Abend noch ein kolossales Scheuern und Reinmachen des ganzen Hauses gehalten. Das war ungemütlich, wahrend im Rettungshause, dem Waisenhause oder auch in der Kleinkinderschule die dort ver¬ anstaltete Bescherung mit brennenden Lichtcrbäumen, der Ansprache eines Geistlichen,dem Gesänge der Kinder und deren fröhlichen Gesichtern schon hellen Festglanz in die Herzen strahlte. Beim Nachhausegehn sah man die meisten Hauser in tiefem Dunkel liegen. Wir mußten am Christabend, wenn wir nach Hause kamen fiuyWZ Bett. Denn am ersten Feiertag galt es früh aufzustehn. Schon vor sechs Uhr wurden wir wach und standen erwartungsvoll ans. um in der Wohnstube der Dinge

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/551>, abgerufen am 01.09.2024.