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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Aus der Jugendzeit

Mandeln, mit Hefe, Zucker und Zitronat je nach den verschiednen Kuchenarten zurecht¬
gemacht wurde. Wenn er fertig war, mußte ich um die Ecke unsers Hauses herum
hinüber zum Bäcker Timpe laufen und dort anfragen, wann die Mutter kommen dürfe.
Zur bestimmten Stunde wurde der Kuchenteig in großen Tragkiepen von unsern
Dienstmägden zum Bäcker getragen. An der Hand der Mutter ging ich dann
hinterher. In der Backstube wurden die dicken Teigmassen unter Meister Timpes
sachverständiger Leitung auf einem großen, blank gescheuerten Tische mit Mangel¬
hölzern ausgerollt und auf Bleche geschoben. So gelangten sie in den Backofen.
Wenn dann die großen Kuchen -- es wurden unglaubliche Mengen verschiedner
Art bei uns gebacken -- schön gebräunt wieder aus dem Ofen kamen, dann be¬
strick) sie die Mutter mit flüssiger, gelber Butter und bestreute sie mit Zucker und
Mandeln. Dann durfte ich unsre Dienstmägde holen, und diese trugen das duf¬
tende, braune Gebäck auf großen Kuchenbrettern stolz nach Hause. In großer
Menge wurde der Kuchen an die Dienstboten, die Waschfrauen und das sonst im
Hause beschäftigte Hilfspersonal, aber auch an arme Leute, deren eine Anzahl zum
Inventar unsers Hauses gehörten, verteilt. Vierzehn Tage lang -- so lange reichte
der Vorrat -- war dann gute Zeit. Denn der selbstgebackne Kuchen schmeckte uns
herrlich, und gekaufter Kuchen, der übrigens nur ganz ausnahmsweise und äußerst
selten ins Hans kam, konnte damit nicht konkurrieren. Mit dem selbst gebacknen
Kuchen wurde auch nicht gekargt.

Zu Fastnacht, oder wie mein Vater sagte, zum Fastelabeud but meine Mutter
eine gewaltige Menge Pfannkuchen oder Prilken, gefüllte und ungefüllte. Sie
mündeten uns fast noch besser als der Festkuchen. Zu Ostern wurden neben dem
üblichen Kuchen auch noch ganz dünne, süße Eierfladen gebacken. Übrigens gab es
in Quedlinburg zum Fastnachtsdienstag noch ein besondres Gebäck, kleine, runde,
aus Kuchenteig geformte, mit Korinthen versehene Brötchen, Billenbrote genannt.
Sie wurden beim Bäcker gekauft und kamen regelmäßig, aber nur an diesem
einzigen Tage, auf unsern Frühstücktisch. Mein Vater hielt darauf, daß jedes Kind
sein Billenbrot bekam. Wir nahmen sie anch der Absonderlichkeit halber ganz gern,
obwohl sie bei weitem nicht so gut schmeckten wie eine Prilke oder selbstgebackner
Kuchen. Für den Namen Billenbrot fehlt mir jede Deutung. Am Gründonnerstag
endlich gab es Morgens zum Kaffee ebenfalls ein besondres Gebäck, Mandelbrezeln-
Auch sie schickte der Bäcker. Sie waren wohlschmeckend, und jedes Kind erhielt
seine Brezel.

Vor Weihnachten ging es in unserm Hause noch weit unruhiger her als sonst-
Es kamen dann viele Kundleute, die ihre Branntweinfässer füllen ließen, Weihnachts¬
einkäufe in der Stadt besorgten und von den Bäckern ihren erstaunlich großen
Bedarf an Honigkuchen (Pfefferkuchen) mitnahmen. Die Quedlinburger Bäcker
machten zur Weihnachtszeit mit diesen Honigkuchen ein großes Geschäft. Sie ver¬
kauften sie zu vielen Tausenden, und zwar merkwürdigerweise zum doppelten Preis,
d. h. für einen Taler erhielt man eine bestimmte Anzahl, aber mindestens dieselbe
Anzahl bekam man als Zugabe. Unsre Kuudleute nahmen mich zu ihren Einkäufen
häufig mit, und ich habe mich als Junge oft genug über diesen seltsamen Handel
gewundert. Die Bauern fragten dann, nachdem sie die Honigkuchen probiert hatten-
"Wuveel forn Dahler?" Der Bäcker erwiderte: "Drüttig, un drüttig lau." "Nee,
sagte der Kundmann, de Timpen oder bi Dechen oder bi Liesebergen krieg cet
woll sößundrüttig oder achtundrüttig." Dann wurde lange und ernstlich um die
Höhe dieser Zugabe gehandelt. Ich habe es nie verstanden, warum der Bäcker
für einen Taler nicht gleich sechzig oder sechsundsechzig Honigkuchen anbot. Aber
die Bauern wollten das nicht. Sie verlangten eine reichliche Zugabe. Im Gruno>-
vielleicht eine Art Selbstbetrug. Jedoch die hergebrachte Sitte wurde mit Zähigkeit
festgehalten. .
nin

Auch sonst steigerte sich vor Weihnachten das unruhige Geschäftstretbe
unserm Hause. Wegen des in der Stadt und auf dem Lande üblichen Kuchen-


Aus der Jugendzeit

Mandeln, mit Hefe, Zucker und Zitronat je nach den verschiednen Kuchenarten zurecht¬
gemacht wurde. Wenn er fertig war, mußte ich um die Ecke unsers Hauses herum
hinüber zum Bäcker Timpe laufen und dort anfragen, wann die Mutter kommen dürfe.
Zur bestimmten Stunde wurde der Kuchenteig in großen Tragkiepen von unsern
Dienstmägden zum Bäcker getragen. An der Hand der Mutter ging ich dann
hinterher. In der Backstube wurden die dicken Teigmassen unter Meister Timpes
sachverständiger Leitung auf einem großen, blank gescheuerten Tische mit Mangel¬
hölzern ausgerollt und auf Bleche geschoben. So gelangten sie in den Backofen.
Wenn dann die großen Kuchen — es wurden unglaubliche Mengen verschiedner
Art bei uns gebacken — schön gebräunt wieder aus dem Ofen kamen, dann be¬
strick) sie die Mutter mit flüssiger, gelber Butter und bestreute sie mit Zucker und
Mandeln. Dann durfte ich unsre Dienstmägde holen, und diese trugen das duf¬
tende, braune Gebäck auf großen Kuchenbrettern stolz nach Hause. In großer
Menge wurde der Kuchen an die Dienstboten, die Waschfrauen und das sonst im
Hause beschäftigte Hilfspersonal, aber auch an arme Leute, deren eine Anzahl zum
Inventar unsers Hauses gehörten, verteilt. Vierzehn Tage lang — so lange reichte
der Vorrat — war dann gute Zeit. Denn der selbstgebackne Kuchen schmeckte uns
herrlich, und gekaufter Kuchen, der übrigens nur ganz ausnahmsweise und äußerst
selten ins Hans kam, konnte damit nicht konkurrieren. Mit dem selbst gebacknen
Kuchen wurde auch nicht gekargt.

Zu Fastnacht, oder wie mein Vater sagte, zum Fastelabeud but meine Mutter
eine gewaltige Menge Pfannkuchen oder Prilken, gefüllte und ungefüllte. Sie
mündeten uns fast noch besser als der Festkuchen. Zu Ostern wurden neben dem
üblichen Kuchen auch noch ganz dünne, süße Eierfladen gebacken. Übrigens gab es
in Quedlinburg zum Fastnachtsdienstag noch ein besondres Gebäck, kleine, runde,
aus Kuchenteig geformte, mit Korinthen versehene Brötchen, Billenbrote genannt.
Sie wurden beim Bäcker gekauft und kamen regelmäßig, aber nur an diesem
einzigen Tage, auf unsern Frühstücktisch. Mein Vater hielt darauf, daß jedes Kind
sein Billenbrot bekam. Wir nahmen sie anch der Absonderlichkeit halber ganz gern,
obwohl sie bei weitem nicht so gut schmeckten wie eine Prilke oder selbstgebackner
Kuchen. Für den Namen Billenbrot fehlt mir jede Deutung. Am Gründonnerstag
endlich gab es Morgens zum Kaffee ebenfalls ein besondres Gebäck, Mandelbrezeln-
Auch sie schickte der Bäcker. Sie waren wohlschmeckend, und jedes Kind erhielt
seine Brezel.

Vor Weihnachten ging es in unserm Hause noch weit unruhiger her als sonst-
Es kamen dann viele Kundleute, die ihre Branntweinfässer füllen ließen, Weihnachts¬
einkäufe in der Stadt besorgten und von den Bäckern ihren erstaunlich großen
Bedarf an Honigkuchen (Pfefferkuchen) mitnahmen. Die Quedlinburger Bäcker
machten zur Weihnachtszeit mit diesen Honigkuchen ein großes Geschäft. Sie ver¬
kauften sie zu vielen Tausenden, und zwar merkwürdigerweise zum doppelten Preis,
d. h. für einen Taler erhielt man eine bestimmte Anzahl, aber mindestens dieselbe
Anzahl bekam man als Zugabe. Unsre Kuudleute nahmen mich zu ihren Einkäufen
häufig mit, und ich habe mich als Junge oft genug über diesen seltsamen Handel
gewundert. Die Bauern fragten dann, nachdem sie die Honigkuchen probiert hatten-
„Wuveel forn Dahler?" Der Bäcker erwiderte: „Drüttig, un drüttig lau." „Nee,
sagte der Kundmann, de Timpen oder bi Dechen oder bi Liesebergen krieg cet
woll sößundrüttig oder achtundrüttig." Dann wurde lange und ernstlich um die
Höhe dieser Zugabe gehandelt. Ich habe es nie verstanden, warum der Bäcker
für einen Taler nicht gleich sechzig oder sechsundsechzig Honigkuchen anbot. Aber
die Bauern wollten das nicht. Sie verlangten eine reichliche Zugabe. Im Gruno>-
vielleicht eine Art Selbstbetrug. Jedoch die hergebrachte Sitte wurde mit Zähigkeit
festgehalten. .
nin

Auch sonst steigerte sich vor Weihnachten das unruhige Geschäftstretbe
unserm Hause. Wegen des in der Stadt und auf dem Lande üblichen Kuchen-


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[0550] Aus der Jugendzeit Mandeln, mit Hefe, Zucker und Zitronat je nach den verschiednen Kuchenarten zurecht¬ gemacht wurde. Wenn er fertig war, mußte ich um die Ecke unsers Hauses herum hinüber zum Bäcker Timpe laufen und dort anfragen, wann die Mutter kommen dürfe. Zur bestimmten Stunde wurde der Kuchenteig in großen Tragkiepen von unsern Dienstmägden zum Bäcker getragen. An der Hand der Mutter ging ich dann hinterher. In der Backstube wurden die dicken Teigmassen unter Meister Timpes sachverständiger Leitung auf einem großen, blank gescheuerten Tische mit Mangel¬ hölzern ausgerollt und auf Bleche geschoben. So gelangten sie in den Backofen. Wenn dann die großen Kuchen — es wurden unglaubliche Mengen verschiedner Art bei uns gebacken — schön gebräunt wieder aus dem Ofen kamen, dann be¬ strick) sie die Mutter mit flüssiger, gelber Butter und bestreute sie mit Zucker und Mandeln. Dann durfte ich unsre Dienstmägde holen, und diese trugen das duf¬ tende, braune Gebäck auf großen Kuchenbrettern stolz nach Hause. In großer Menge wurde der Kuchen an die Dienstboten, die Waschfrauen und das sonst im Hause beschäftigte Hilfspersonal, aber auch an arme Leute, deren eine Anzahl zum Inventar unsers Hauses gehörten, verteilt. Vierzehn Tage lang — so lange reichte der Vorrat — war dann gute Zeit. Denn der selbstgebackne Kuchen schmeckte uns herrlich, und gekaufter Kuchen, der übrigens nur ganz ausnahmsweise und äußerst selten ins Hans kam, konnte damit nicht konkurrieren. Mit dem selbst gebacknen Kuchen wurde auch nicht gekargt. Zu Fastnacht, oder wie mein Vater sagte, zum Fastelabeud but meine Mutter eine gewaltige Menge Pfannkuchen oder Prilken, gefüllte und ungefüllte. Sie mündeten uns fast noch besser als der Festkuchen. Zu Ostern wurden neben dem üblichen Kuchen auch noch ganz dünne, süße Eierfladen gebacken. Übrigens gab es in Quedlinburg zum Fastnachtsdienstag noch ein besondres Gebäck, kleine, runde, aus Kuchenteig geformte, mit Korinthen versehene Brötchen, Billenbrote genannt. Sie wurden beim Bäcker gekauft und kamen regelmäßig, aber nur an diesem einzigen Tage, auf unsern Frühstücktisch. Mein Vater hielt darauf, daß jedes Kind sein Billenbrot bekam. Wir nahmen sie anch der Absonderlichkeit halber ganz gern, obwohl sie bei weitem nicht so gut schmeckten wie eine Prilke oder selbstgebackner Kuchen. Für den Namen Billenbrot fehlt mir jede Deutung. Am Gründonnerstag endlich gab es Morgens zum Kaffee ebenfalls ein besondres Gebäck, Mandelbrezeln- Auch sie schickte der Bäcker. Sie waren wohlschmeckend, und jedes Kind erhielt seine Brezel. Vor Weihnachten ging es in unserm Hause noch weit unruhiger her als sonst- Es kamen dann viele Kundleute, die ihre Branntweinfässer füllen ließen, Weihnachts¬ einkäufe in der Stadt besorgten und von den Bäckern ihren erstaunlich großen Bedarf an Honigkuchen (Pfefferkuchen) mitnahmen. Die Quedlinburger Bäcker machten zur Weihnachtszeit mit diesen Honigkuchen ein großes Geschäft. Sie ver¬ kauften sie zu vielen Tausenden, und zwar merkwürdigerweise zum doppelten Preis, d. h. für einen Taler erhielt man eine bestimmte Anzahl, aber mindestens dieselbe Anzahl bekam man als Zugabe. Unsre Kuudleute nahmen mich zu ihren Einkäufen häufig mit, und ich habe mich als Junge oft genug über diesen seltsamen Handel gewundert. Die Bauern fragten dann, nachdem sie die Honigkuchen probiert hatten- „Wuveel forn Dahler?" Der Bäcker erwiderte: „Drüttig, un drüttig lau." „Nee, sagte der Kundmann, de Timpen oder bi Dechen oder bi Liesebergen krieg cet woll sößundrüttig oder achtundrüttig." Dann wurde lange und ernstlich um die Höhe dieser Zugabe gehandelt. Ich habe es nie verstanden, warum der Bäcker für einen Taler nicht gleich sechzig oder sechsundsechzig Honigkuchen anbot. Aber die Bauern wollten das nicht. Sie verlangten eine reichliche Zugabe. Im Gruno>- vielleicht eine Art Selbstbetrug. Jedoch die hergebrachte Sitte wurde mit Zähigkeit festgehalten. . nin Auch sonst steigerte sich vor Weihnachten das unruhige Geschäftstretbe unserm Hause. Wegen des in der Stadt und auf dem Lande üblichen Kuchen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/550>, abgerufen am 23.11.2024.