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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Skizzen aus unserm heutigen Volksleben

fähige Quittung ausstellte. Der Gemeindekircheurat weigerte sich, diese Quittung
auszustellen. Jetzt schrieb die Regierung, der Schulvorstaud solle deu Gemeinde¬
kirchenrat verklagen. Dem Herrn Pastor wurde es angst und bange. Er erkundigte
sich im Pfarrerverein, was zu tun sei. Dort sagte man ihm: Um Gottes willen
nicht verklagen. Der Herr Pastor ging aber doch noch zu einem Rechtsanwalt,
um sich über die Rechtslage zu erkundigen, und wurde dabei von einem
Emmerlinger der Partei "links vom Apfelbaum" gesehen, worauf sich ein großer
Lärm erhob: Der Pastor will uns verklagen. Und verklagen lassen wir uns nicht,
und der Pastor sollte sich schämen, seine Gemeinde, von der er sein Brot hat, vor
Gericht zu bringen. Daß das alles dummes Zeug war, und daß die Klage sich nicht
gegen die Gemeinde, sondern für die Gemeinde gegen den Gemeindekirchenrat
richtete, änderte an der Tatsache nichts, daß die Gemeinde ganz rcibint wurde. Es
war unmöglich, dem Verlangen der Königlichen Regierung nachzukommen. Glücklicher¬
weise grub man eine alte Verfügung aus, in der verordnet worden war, nachdem
Gemeinde und Gemeindekirchenrnt in einen Kompromiß gewilligt hätten, so solle
später nicht wieder die Besitzfrage gestellt werden. Diese Verfügung schickte man
ein, worauf die Königliche Regierung entschied: Nach neuerdings angestellter Er¬
wägung wollen wir von einer Entscheidung der Besitzfrage vorerst absehen und
erteilen die Bauerlaübnis.

Gott sei Dank, sagte der Herr Pastor. Und der Herr Amtsvorsteher nahm
eine Prise und sagte: Meine Herren, es hat geschnappt, die Mausefalle ist zu,
jetzt muß uns die Regierung auch das Projekt ^ genehmigen.

Projekt IZ wurde natürlich, schon des Kantors wegen, von der Gemeinde
abgelehnt. Der Herr Amtsvorsteher machte einen diplomatischen Bericht, worin er
ausführte, nachdem die Gemeinde Projekt ki abgelehnt habe, bleibe nichts übrig,
als auf das Projekt ^ (rechts vom Apfelbnuni) zurückzukommen, für das die
Genehmigung der Gemeinde vorliege. Die Königliche Regierung werde, nachdem sie
die Bauerlaubnis für L gegeben, die für ^ nicht mehr verweigern können, da ^
und L, dessen Genehmigung erteilt sei, identisch seien.

Die Negierung erwiderte kurz: Es sei kein Grund vorhanden, den abgelehnten
Plan zu genehmigen. Wenn dem Schulvorstande daran liege, einen dritten Lehrer
nach Emmerlingen zu bekommen, so möge er gefälligst dafür sorgen, daß nicht immer
neue Schwierigkeiten gemacht würden. -- Noch nie hatte man den Herrn Amts¬
vorsteher so erstaunt gesehen, als damals, als er das Schriftstück in der Hand hielt.
Er vergaß seine Dose, er vergaß alles. Er vergaß auch den Mund zuzumachen.
Das kam ja so heraus, als wollte die Regierung gebeten sein, einen Lehrer ab¬
zulassen. Daran hatte freilich niemand gedacht.

In einer andern, an den Landrat gerichteten Verfügung verfügte die Regierung,
der Gemeinde sei zu eröffne", daß sie nicht berechtigt sei, die Kosten für den
Schulbnu zu verweigern, die Königliche Regierung werde die Gemeinde durch
Zwangsetatisierung anhalten, die Kosten aufzubringen.

Die Gemeinde weigerte sich dennoch und wies nach, daß sie ihre Zustimmung
für den Fall rechts vom Apfelbaum und nicht für den Fall links vom Apfelbaum
gegeben habe. Die Regierung könne sie also nicht zwingen.

Jetzt ordnete die Negierung an, da der Schulvorstand erweiterte Vollmacht
habe, so seien die Kosten in Form von Hausväterbeiträgen als Schulsteuer auf¬
zubringen.

Der Herr Pastor wandte sich an die geschäftserfahrne Stelle des Pfarrer¬
vereins. Daselbst stellte man zunächst fest, daß die Regierung überall geschäftlich
korrekt Verfahren sei. Nur habe sie uicht die Nebenwirkungen ihrer Verfügungen
erwogen. Sie habe in ihrer abgeklärten Nechtsntmvsphäre keine Kenntnis davon, in
welche Farben sich der reine Strahl ihrer Entschließungen im niedern Dunstkreise der
Volksmeinung zerlege, habe auch unter dem, was sie anrichte, nicht zu leiden. Der
Herr Pastor aber dürfe sich keineswegs zur Ausschreibung von Schulsteueru her-


Skizzen aus unserm heutigen Volksleben

fähige Quittung ausstellte. Der Gemeindekircheurat weigerte sich, diese Quittung
auszustellen. Jetzt schrieb die Regierung, der Schulvorstaud solle deu Gemeinde¬
kirchenrat verklagen. Dem Herrn Pastor wurde es angst und bange. Er erkundigte
sich im Pfarrerverein, was zu tun sei. Dort sagte man ihm: Um Gottes willen
nicht verklagen. Der Herr Pastor ging aber doch noch zu einem Rechtsanwalt,
um sich über die Rechtslage zu erkundigen, und wurde dabei von einem
Emmerlinger der Partei „links vom Apfelbaum" gesehen, worauf sich ein großer
Lärm erhob: Der Pastor will uns verklagen. Und verklagen lassen wir uns nicht,
und der Pastor sollte sich schämen, seine Gemeinde, von der er sein Brot hat, vor
Gericht zu bringen. Daß das alles dummes Zeug war, und daß die Klage sich nicht
gegen die Gemeinde, sondern für die Gemeinde gegen den Gemeindekirchenrat
richtete, änderte an der Tatsache nichts, daß die Gemeinde ganz rcibint wurde. Es
war unmöglich, dem Verlangen der Königlichen Regierung nachzukommen. Glücklicher¬
weise grub man eine alte Verfügung aus, in der verordnet worden war, nachdem
Gemeinde und Gemeindekirchenrnt in einen Kompromiß gewilligt hätten, so solle
später nicht wieder die Besitzfrage gestellt werden. Diese Verfügung schickte man
ein, worauf die Königliche Regierung entschied: Nach neuerdings angestellter Er¬
wägung wollen wir von einer Entscheidung der Besitzfrage vorerst absehen und
erteilen die Bauerlaübnis.

Gott sei Dank, sagte der Herr Pastor. Und der Herr Amtsvorsteher nahm
eine Prise und sagte: Meine Herren, es hat geschnappt, die Mausefalle ist zu,
jetzt muß uns die Regierung auch das Projekt ^ genehmigen.

Projekt IZ wurde natürlich, schon des Kantors wegen, von der Gemeinde
abgelehnt. Der Herr Amtsvorsteher machte einen diplomatischen Bericht, worin er
ausführte, nachdem die Gemeinde Projekt ki abgelehnt habe, bleibe nichts übrig,
als auf das Projekt ^ (rechts vom Apfelbnuni) zurückzukommen, für das die
Genehmigung der Gemeinde vorliege. Die Königliche Regierung werde, nachdem sie
die Bauerlaubnis für L gegeben, die für ^ nicht mehr verweigern können, da ^
und L, dessen Genehmigung erteilt sei, identisch seien.

Die Negierung erwiderte kurz: Es sei kein Grund vorhanden, den abgelehnten
Plan zu genehmigen. Wenn dem Schulvorstande daran liege, einen dritten Lehrer
nach Emmerlingen zu bekommen, so möge er gefälligst dafür sorgen, daß nicht immer
neue Schwierigkeiten gemacht würden. — Noch nie hatte man den Herrn Amts¬
vorsteher so erstaunt gesehen, als damals, als er das Schriftstück in der Hand hielt.
Er vergaß seine Dose, er vergaß alles. Er vergaß auch den Mund zuzumachen.
Das kam ja so heraus, als wollte die Regierung gebeten sein, einen Lehrer ab¬
zulassen. Daran hatte freilich niemand gedacht.

In einer andern, an den Landrat gerichteten Verfügung verfügte die Regierung,
der Gemeinde sei zu eröffne», daß sie nicht berechtigt sei, die Kosten für den
Schulbnu zu verweigern, die Königliche Regierung werde die Gemeinde durch
Zwangsetatisierung anhalten, die Kosten aufzubringen.

Die Gemeinde weigerte sich dennoch und wies nach, daß sie ihre Zustimmung
für den Fall rechts vom Apfelbaum und nicht für den Fall links vom Apfelbaum
gegeben habe. Die Regierung könne sie also nicht zwingen.

Jetzt ordnete die Negierung an, da der Schulvorstand erweiterte Vollmacht
habe, so seien die Kosten in Form von Hausväterbeiträgen als Schulsteuer auf¬
zubringen.

Der Herr Pastor wandte sich an die geschäftserfahrne Stelle des Pfarrer¬
vereins. Daselbst stellte man zunächst fest, daß die Regierung überall geschäftlich
korrekt Verfahren sei. Nur habe sie uicht die Nebenwirkungen ihrer Verfügungen
erwogen. Sie habe in ihrer abgeklärten Nechtsntmvsphäre keine Kenntnis davon, in
welche Farben sich der reine Strahl ihrer Entschließungen im niedern Dunstkreise der
Volksmeinung zerlege, habe auch unter dem, was sie anrichte, nicht zu leiden. Der
Herr Pastor aber dürfe sich keineswegs zur Ausschreibung von Schulsteueru her-


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[0510] Skizzen aus unserm heutigen Volksleben fähige Quittung ausstellte. Der Gemeindekircheurat weigerte sich, diese Quittung auszustellen. Jetzt schrieb die Regierung, der Schulvorstaud solle deu Gemeinde¬ kirchenrat verklagen. Dem Herrn Pastor wurde es angst und bange. Er erkundigte sich im Pfarrerverein, was zu tun sei. Dort sagte man ihm: Um Gottes willen nicht verklagen. Der Herr Pastor ging aber doch noch zu einem Rechtsanwalt, um sich über die Rechtslage zu erkundigen, und wurde dabei von einem Emmerlinger der Partei „links vom Apfelbaum" gesehen, worauf sich ein großer Lärm erhob: Der Pastor will uns verklagen. Und verklagen lassen wir uns nicht, und der Pastor sollte sich schämen, seine Gemeinde, von der er sein Brot hat, vor Gericht zu bringen. Daß das alles dummes Zeug war, und daß die Klage sich nicht gegen die Gemeinde, sondern für die Gemeinde gegen den Gemeindekirchenrat richtete, änderte an der Tatsache nichts, daß die Gemeinde ganz rcibint wurde. Es war unmöglich, dem Verlangen der Königlichen Regierung nachzukommen. Glücklicher¬ weise grub man eine alte Verfügung aus, in der verordnet worden war, nachdem Gemeinde und Gemeindekirchenrnt in einen Kompromiß gewilligt hätten, so solle später nicht wieder die Besitzfrage gestellt werden. Diese Verfügung schickte man ein, worauf die Königliche Regierung entschied: Nach neuerdings angestellter Er¬ wägung wollen wir von einer Entscheidung der Besitzfrage vorerst absehen und erteilen die Bauerlaübnis. Gott sei Dank, sagte der Herr Pastor. Und der Herr Amtsvorsteher nahm eine Prise und sagte: Meine Herren, es hat geschnappt, die Mausefalle ist zu, jetzt muß uns die Regierung auch das Projekt ^ genehmigen. Projekt IZ wurde natürlich, schon des Kantors wegen, von der Gemeinde abgelehnt. Der Herr Amtsvorsteher machte einen diplomatischen Bericht, worin er ausführte, nachdem die Gemeinde Projekt ki abgelehnt habe, bleibe nichts übrig, als auf das Projekt ^ (rechts vom Apfelbnuni) zurückzukommen, für das die Genehmigung der Gemeinde vorliege. Die Königliche Regierung werde, nachdem sie die Bauerlaubnis für L gegeben, die für ^ nicht mehr verweigern können, da ^ und L, dessen Genehmigung erteilt sei, identisch seien. Die Negierung erwiderte kurz: Es sei kein Grund vorhanden, den abgelehnten Plan zu genehmigen. Wenn dem Schulvorstande daran liege, einen dritten Lehrer nach Emmerlingen zu bekommen, so möge er gefälligst dafür sorgen, daß nicht immer neue Schwierigkeiten gemacht würden. — Noch nie hatte man den Herrn Amts¬ vorsteher so erstaunt gesehen, als damals, als er das Schriftstück in der Hand hielt. Er vergaß seine Dose, er vergaß alles. Er vergaß auch den Mund zuzumachen. Das kam ja so heraus, als wollte die Regierung gebeten sein, einen Lehrer ab¬ zulassen. Daran hatte freilich niemand gedacht. In einer andern, an den Landrat gerichteten Verfügung verfügte die Regierung, der Gemeinde sei zu eröffne», daß sie nicht berechtigt sei, die Kosten für den Schulbnu zu verweigern, die Königliche Regierung werde die Gemeinde durch Zwangsetatisierung anhalten, die Kosten aufzubringen. Die Gemeinde weigerte sich dennoch und wies nach, daß sie ihre Zustimmung für den Fall rechts vom Apfelbaum und nicht für den Fall links vom Apfelbaum gegeben habe. Die Regierung könne sie also nicht zwingen. Jetzt ordnete die Negierung an, da der Schulvorstand erweiterte Vollmacht habe, so seien die Kosten in Form von Hausväterbeiträgen als Schulsteuer auf¬ zubringen. Der Herr Pastor wandte sich an die geschäftserfahrne Stelle des Pfarrer¬ vereins. Daselbst stellte man zunächst fest, daß die Regierung überall geschäftlich korrekt Verfahren sei. Nur habe sie uicht die Nebenwirkungen ihrer Verfügungen erwogen. Sie habe in ihrer abgeklärten Nechtsntmvsphäre keine Kenntnis davon, in welche Farben sich der reine Strahl ihrer Entschließungen im niedern Dunstkreise der Volksmeinung zerlege, habe auch unter dem, was sie anrichte, nicht zu leiden. Der Herr Pastor aber dürfe sich keineswegs zur Ausschreibung von Schulsteueru her-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/510>, abgerufen am 23.11.2024.