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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Veutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutig,!" deutschen Sprache

Jahrhunderts vereinzelt, z. B. in Baden, gesetzlich anerkannt war und in ältern
Zeiten zugleich dem praktischen Zwecke der Wiedererkennung rückfälliger Delin¬
quenten gedient hat. steht gleichsam in der Mitte zwischen den Verstümmlungen
und den'Ehrenstrafen. Denn immer brachte sie dem auf solche Weise Gezeich¬
neten außer den physischen Schmerzen auch noch Schimpf und Schande em.
So erklärt sich unser heutiger Sprachgebrauch, wonach wir immer uoch nicht
mir jemand moralisch "brandmarken," sondern ihm auch das "Brandmal
der Schande" ausdrücken können.

Erstaunlich erfinderisch ist die Sprache unsers Volkes von jeher in ihren
Gleichnissen für die verschiednen Formen der körperlichen Züchtigung gewesen,
die bei uns jetzt als "Kriminalstrafe" gänzlich beseitigt und nur uoch als
Disziplinarmittcl gegen Gefangne in beschränktem Gebrauch ist. Der urwüchsige
Humor. der uns noch heute in unsern volkstümlichen Sprachbildern für das
Prügeln und Geprügeltwerdcn entgegentritt, stammt daher wohl zum größte" Teile
schon aus der "guten alten Zeit," wo gerichtliche Erkenntnisse auf Stock- und
Rutenhiebe "von Rechts wegen" an straffälligen Staatsbiirgern vollstreckt wurden.
So steht z. B. der noch moderne, auf die nach den Schlägen zurückbleibenden
blauen Flecken bezügliche Ausdruck "jemand dnrchbläuen" (oder ihm "den
Rücken blau anstreichen" oder passiv "Bnckclblau bekommen") in Nbereim
Stimmung mit dem Gleichnisse "Speck und Blaukvhl," das für den "Stcmpen-
schlag" schon der ältern Gauner- und Scharfrichtersprache geläufig gewesen
ist. Die hierin zugleich liegende Vergleichung der schlüge mit einer Speise,
einem eßbaren Gericht, ist überhaupt uoch sehr beliebt, wie z. B. "die Prügel¬
suppe" beweist, die wir jemand "einbrocken" oder ihn "aufessen" lassen können
(vergl. die "Hanfsuppe" ^ Galgentod), ebenso wie man auch "Klopfe" (oder
"Klopfflcisch") oder "Stockfisch, jedoch ohne Butter" serviert bekommen kann.
An einen Vergleich mit dem Geld erinnert das "Aufzählen" (oder "Auf¬
messen") der Prügel (in älterer Zeit nach dem Dezimalsystem), das wir heute
auch noch kennen/ In frühern Jahrhunderten sprach man aber sogar von einem
''Stvckschilling" -- eine Bezeichnung, in der die bekannte Münze, der Schilling
(abgeleitet wohl von schallen ^- klingen) zu einem ähnlichen Sinne verallgemeinert
erscheint wie etwa in "Kauf- oder Pachtschilling." Bei der ersten Silbe dieser
Zusammensetzung siud wir heute geneigt, allein an den Stock als Züchtigungs-
mstrument zu denken, jedoch verdankt der Ausdruck "Stockschilling" seine Ent¬
stehung zunächst dein Umstände, daß die leichtern, namentlich an jungen Missetätern,
und meist gerade nicht mit dem Stock, sondern mit Ruten vollzogncn Prügel¬
strafen in dem sogenannten "Stockhause," d. h. den, städtischen Arrest- und Ge-
fängnislvkale, durch deu "Stvckwärter" vorgenommen wurden. Daß diese Her-
leitung des Wortes die richtige ist, zeigt sich z. B. recht deutlich darin, daß
man in Nürnberg, wo das Stvckhaus als "Lochgefäugms" bezeichnet wurde,
""es einen "Lochschillinq" kannte. Das entscheidende Merkmal für diese leichtern
Züchtigungen aber war der Ausschluß der Öffentlichkeit im Gegensatze zu dem
durch Henkershand auf offner Straße verabreichten sogenannten "Staupenschlage,"
so benannt nach der Staupe" ("wxo, Stanpsiinle), wie im Mittelhochdcntfcheii
der ..Schandpfahl" hieß, woran der Delinquent zum Empfange der Streiche
gebunden wurde Deshalb machte diese Strafe den davon Betroffnen auch zu¬
gleich "ehrlos" in den Augen seiner Mitbürger, sodaß schon damals der Ausruf
des Gezüchtigten: "Ich bin ein geschlagner Mann" nicht bloß im wirklichen,
sondern auch in dem weitern Sinne genommen werden konnte, den er heute
allein noch behalten hat. Noch weniger denken wir in der Gegenwart an die
ursprüngliche Bedeutung der Zeitwörter, wenn wir etwa in der Tagespresse -- die
dafür eine gewisse Vorliebe hat -- lesen, daß jemand in einer Schrift die Un¬
sren unsrer Zeit "gegeißelt" habe, oder auch, daß in einer Neichstagssitznng
ein Gesetzentwurf, um ihn möglichst rasch zu erledigen, "durchgepeitscht"


Veutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutig,!» deutschen Sprache

Jahrhunderts vereinzelt, z. B. in Baden, gesetzlich anerkannt war und in ältern
Zeiten zugleich dem praktischen Zwecke der Wiedererkennung rückfälliger Delin¬
quenten gedient hat. steht gleichsam in der Mitte zwischen den Verstümmlungen
und den'Ehrenstrafen. Denn immer brachte sie dem auf solche Weise Gezeich¬
neten außer den physischen Schmerzen auch noch Schimpf und Schande em.
So erklärt sich unser heutiger Sprachgebrauch, wonach wir immer uoch nicht
mir jemand moralisch „brandmarken," sondern ihm auch das „Brandmal
der Schande" ausdrücken können.

Erstaunlich erfinderisch ist die Sprache unsers Volkes von jeher in ihren
Gleichnissen für die verschiednen Formen der körperlichen Züchtigung gewesen,
die bei uns jetzt als „Kriminalstrafe" gänzlich beseitigt und nur uoch als
Disziplinarmittcl gegen Gefangne in beschränktem Gebrauch ist. Der urwüchsige
Humor. der uns noch heute in unsern volkstümlichen Sprachbildern für das
Prügeln und Geprügeltwerdcn entgegentritt, stammt daher wohl zum größte» Teile
schon aus der „guten alten Zeit," wo gerichtliche Erkenntnisse auf Stock- und
Rutenhiebe „von Rechts wegen" an straffälligen Staatsbiirgern vollstreckt wurden.
So steht z. B. der noch moderne, auf die nach den Schlägen zurückbleibenden
blauen Flecken bezügliche Ausdruck „jemand dnrchbläuen" (oder ihm „den
Rücken blau anstreichen" oder passiv „Bnckclblau bekommen") in Nbereim
Stimmung mit dem Gleichnisse „Speck und Blaukvhl," das für den „Stcmpen-
schlag" schon der ältern Gauner- und Scharfrichtersprache geläufig gewesen
ist. Die hierin zugleich liegende Vergleichung der schlüge mit einer Speise,
einem eßbaren Gericht, ist überhaupt uoch sehr beliebt, wie z. B. „die Prügel¬
suppe" beweist, die wir jemand „einbrocken" oder ihn „aufessen" lassen können
(vergl. die „Hanfsuppe" ^ Galgentod), ebenso wie man auch „Klopfe" (oder
„Klopfflcisch") oder „Stockfisch, jedoch ohne Butter" serviert bekommen kann.
An einen Vergleich mit dem Geld erinnert das „Aufzählen" (oder „Auf¬
messen") der Prügel (in älterer Zeit nach dem Dezimalsystem), das wir heute
auch noch kennen/ In frühern Jahrhunderten sprach man aber sogar von einem
''Stvckschilling" — eine Bezeichnung, in der die bekannte Münze, der Schilling
(abgeleitet wohl von schallen ^- klingen) zu einem ähnlichen Sinne verallgemeinert
erscheint wie etwa in „Kauf- oder Pachtschilling." Bei der ersten Silbe dieser
Zusammensetzung siud wir heute geneigt, allein an den Stock als Züchtigungs-
mstrument zu denken, jedoch verdankt der Ausdruck „Stockschilling" seine Ent¬
stehung zunächst dein Umstände, daß die leichtern, namentlich an jungen Missetätern,
und meist gerade nicht mit dem Stock, sondern mit Ruten vollzogncn Prügel¬
strafen in dem sogenannten „Stockhause," d. h. den, städtischen Arrest- und Ge-
fängnislvkale, durch deu „Stvckwärter" vorgenommen wurden. Daß diese Her-
leitung des Wortes die richtige ist, zeigt sich z. B. recht deutlich darin, daß
man in Nürnberg, wo das Stvckhaus als „Lochgefäugms" bezeichnet wurde,
«»es einen „Lochschillinq" kannte. Das entscheidende Merkmal für diese leichtern
Züchtigungen aber war der Ausschluß der Öffentlichkeit im Gegensatze zu dem
durch Henkershand auf offner Straße verabreichten sogenannten „Staupenschlage,"
so benannt nach der Staupe" (»wxo, Stanpsiinle), wie im Mittelhochdcntfcheii
der ..Schandpfahl" hieß, woran der Delinquent zum Empfange der Streiche
gebunden wurde Deshalb machte diese Strafe den davon Betroffnen auch zu¬
gleich „ehrlos" in den Augen seiner Mitbürger, sodaß schon damals der Ausruf
des Gezüchtigten: „Ich bin ein geschlagner Mann" nicht bloß im wirklichen,
sondern auch in dem weitern Sinne genommen werden konnte, den er heute
allein noch behalten hat. Noch weniger denken wir in der Gegenwart an die
ursprüngliche Bedeutung der Zeitwörter, wenn wir etwa in der Tagespresse — die
dafür eine gewisse Vorliebe hat — lesen, daß jemand in einer Schrift die Un¬
sren unsrer Zeit „gegeißelt" habe, oder auch, daß in einer Neichstagssitznng
ein Gesetzentwurf, um ihn möglichst rasch zu erledigen, „durchgepeitscht"


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[0499] Veutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutig,!» deutschen Sprache Jahrhunderts vereinzelt, z. B. in Baden, gesetzlich anerkannt war und in ältern Zeiten zugleich dem praktischen Zwecke der Wiedererkennung rückfälliger Delin¬ quenten gedient hat. steht gleichsam in der Mitte zwischen den Verstümmlungen und den'Ehrenstrafen. Denn immer brachte sie dem auf solche Weise Gezeich¬ neten außer den physischen Schmerzen auch noch Schimpf und Schande em. So erklärt sich unser heutiger Sprachgebrauch, wonach wir immer uoch nicht mir jemand moralisch „brandmarken," sondern ihm auch das „Brandmal der Schande" ausdrücken können. Erstaunlich erfinderisch ist die Sprache unsers Volkes von jeher in ihren Gleichnissen für die verschiednen Formen der körperlichen Züchtigung gewesen, die bei uns jetzt als „Kriminalstrafe" gänzlich beseitigt und nur uoch als Disziplinarmittcl gegen Gefangne in beschränktem Gebrauch ist. Der urwüchsige Humor. der uns noch heute in unsern volkstümlichen Sprachbildern für das Prügeln und Geprügeltwerdcn entgegentritt, stammt daher wohl zum größte» Teile schon aus der „guten alten Zeit," wo gerichtliche Erkenntnisse auf Stock- und Rutenhiebe „von Rechts wegen" an straffälligen Staatsbiirgern vollstreckt wurden. So steht z. B. der noch moderne, auf die nach den Schlägen zurückbleibenden blauen Flecken bezügliche Ausdruck „jemand dnrchbläuen" (oder ihm „den Rücken blau anstreichen" oder passiv „Bnckclblau bekommen") in Nbereim Stimmung mit dem Gleichnisse „Speck und Blaukvhl," das für den „Stcmpen- schlag" schon der ältern Gauner- und Scharfrichtersprache geläufig gewesen ist. Die hierin zugleich liegende Vergleichung der schlüge mit einer Speise, einem eßbaren Gericht, ist überhaupt uoch sehr beliebt, wie z. B. „die Prügel¬ suppe" beweist, die wir jemand „einbrocken" oder ihn „aufessen" lassen können (vergl. die „Hanfsuppe" ^ Galgentod), ebenso wie man auch „Klopfe" (oder „Klopfflcisch") oder „Stockfisch, jedoch ohne Butter" serviert bekommen kann. An einen Vergleich mit dem Geld erinnert das „Aufzählen" (oder „Auf¬ messen") der Prügel (in älterer Zeit nach dem Dezimalsystem), das wir heute auch noch kennen/ In frühern Jahrhunderten sprach man aber sogar von einem ''Stvckschilling" — eine Bezeichnung, in der die bekannte Münze, der Schilling (abgeleitet wohl von schallen ^- klingen) zu einem ähnlichen Sinne verallgemeinert erscheint wie etwa in „Kauf- oder Pachtschilling." Bei der ersten Silbe dieser Zusammensetzung siud wir heute geneigt, allein an den Stock als Züchtigungs- mstrument zu denken, jedoch verdankt der Ausdruck „Stockschilling" seine Ent¬ stehung zunächst dein Umstände, daß die leichtern, namentlich an jungen Missetätern, und meist gerade nicht mit dem Stock, sondern mit Ruten vollzogncn Prügel¬ strafen in dem sogenannten „Stockhause," d. h. den, städtischen Arrest- und Ge- fängnislvkale, durch deu „Stvckwärter" vorgenommen wurden. Daß diese Her- leitung des Wortes die richtige ist, zeigt sich z. B. recht deutlich darin, daß man in Nürnberg, wo das Stvckhaus als „Lochgefäugms" bezeichnet wurde, «»es einen „Lochschillinq" kannte. Das entscheidende Merkmal für diese leichtern Züchtigungen aber war der Ausschluß der Öffentlichkeit im Gegensatze zu dem durch Henkershand auf offner Straße verabreichten sogenannten „Staupenschlage," so benannt nach der Staupe" (»wxo, Stanpsiinle), wie im Mittelhochdcntfcheii der ..Schandpfahl" hieß, woran der Delinquent zum Empfange der Streiche gebunden wurde Deshalb machte diese Strafe den davon Betroffnen auch zu¬ gleich „ehrlos" in den Augen seiner Mitbürger, sodaß schon damals der Ausruf des Gezüchtigten: „Ich bin ein geschlagner Mann" nicht bloß im wirklichen, sondern auch in dem weitern Sinne genommen werden konnte, den er heute allein noch behalten hat. Noch weniger denken wir in der Gegenwart an die ursprüngliche Bedeutung der Zeitwörter, wenn wir etwa in der Tagespresse — die dafür eine gewisse Vorliebe hat — lesen, daß jemand in einer Schrift die Un¬ sren unsrer Zeit „gegeißelt" habe, oder auch, daß in einer Neichstagssitznng ein Gesetzentwurf, um ihn möglichst rasch zu erledigen, „durchgepeitscht"

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/499>, abgerufen am 24.11.2024.