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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Deutsche Rechtsciltertünier in unsrer heutigen deutschen Sprache

die Polizei ihrerseits "beim Kragen/' und dann darf er "den Kragen
daran setzen," um sich mildernde Umstände zu erwirken, damit es ihm nicht
"an den Kragen gehe." Wir sind dabei heute geneigt, eine Übertragung von
unserm Kleidungsstück Kragen auf den von ihn? bedeckten Hals anzunehmen,
aber gerade das Umgekehrte ist der Fall, denn "Kragen" hat von vornherein
schon die Bedeutung "Hals" gehabt (vergl. den "Kragen" der Vögel und
"Geizkragen" -- Geizhals) und ist erst später auch für das Kleidungsstück in
Gebrauch gekommen, weshalb auch "Halskragen" eigentlich eine Tautologie ist.

Eine der schrecklichsten unter den im Mittelalter nicht seltnen sogenannten
qualifizierten oder geschärften Todesstrafen (wie Ertränken, Säcken, Verbrennen,
Vierteilen, Pfählen u. a. in.) war das "Rädern," das z. B. der Sachsenspiegel
(II, Art. 13, Z 4) für Mörder, Verräter, Mordbrenner (und ihre Helfershelfer)
sowie für Räuber lind Plünderer besonders befriedeter Gegenstände, Gebunde
oder Orte (Pflug, Mühlen, Kirchen, Kirchhöfe) androhte.' Diese Strafe, die
vielleicht an ein uraltes Töten durch fahrende Wagen anknüpft, bestand darin,
daß man dem unglücklichen Verbrecher die Glieder des Körpers mit einem
scharfkantigen eisernen Instrument in der Form eines kleinen Wagenrades zer¬
stieß ("brach"), worauf dann der tote Körper wohl auch uoch um die Speichen
des Rades geflochten und dieses so auf einem Pfahl auf dem NichtPlatz auf¬
gestellt zu werden pflegte, wie aus zahlreichen ältern Abbildungen zu entnehmen
ist. Später unterschied man "das Rädern von unten" von dein "Rädern von
oben," das als leichter galt, und bei dem es der Scharfrichter in der Hemd
hatte, durch einen geschickt geführten Stoß ans das Genick oder die Herzgegend
die Leiden des Opfers zu kürzen. Das nannte man den sogenannten "Gnaden¬
stoß geben," eine Redewendung, die noch heute nicht nur im ursprünglichen
Sinne des Wortes in der Jägersprache für die schnelle, völlige Tötung eines
bei Parforcejagden schon halb zu Tode gehetzten Wildes weiterlebt, sondern
mich in übertragnem Sinne (-- "jemand nach voransgegangnen Qualen vollends
zu Grunde richten") angewandt zu werden pflegt. Zu den starken Übertreibungen,
in denen sich die Bilder unsrer Muttersprache manchmal gefallen, gehört es aber
offenbar, daß wir uns auch noch jetzt, etwa nach einer großen, ermüdenden
Anstrengung "wie gerädert" fühlen können, ja es sogar fertig bringen, die
Tätigkeit des Räderns selbst auszuüben, wen" Nur nämlich eine fremde Sprache
(oder auch wohl Verse) "radebrechen," mit ihr also gleichsam in derselben
barbarischen Weise verfahren, wie einst der Henker mit dem armen Sünder.

Die verstümmelnden Leibesstrafen, von denen unsre Vorfahren einst fast so
viele kannten, als der menschliche Körper Glieder und Sinnesorgane hat, sind
im heutigen Rechte glücklicherweise längst zur geschichtliche!? Antiquität geworden,
sie haben aber -- im Gegensatze zu den verschiednen Todesstrafen -- auch in
unsrer Sprache keine hervorragenden Spuren hinterlassen. Denn höchstens kann
man die Redensart "Hand und Fuß haben" hierher rechnen, wenn man ihre
Entstehung nämlich auf die schon in fränkischer Zeit vorkommende und durch
das ganze Mittelalter geübte Strafe des Abhauens von Hand und Fuß zurück¬
bezieht, und zwar genauer auf den Verlust der rechten Hand und des linken
Fußes, die nicht selten als besonders empfindliche Strafe in Sagen, Liedern, aber
auch in Gesetzen erwähnt wird, ebenso wie ans die Verletzung dieser Glieder zuweilen
(z. B. nach spätern friesischen Gesetzen) eine höhere Buße stand. Die Bevorzugung
der rechten Hand, die das Schwert führte und den Speer schwang, erscheint dabei
ohne weiteres einleuchtend, die des linken Fußes aber erklärt sich wohl daraus,
daß mit diesem der Ritter, überhaupt der krieqstüchtige Mann in den Steig¬
bügel ("Stegreif") trat. "Die (rechte) Hand und den (linken) Fuß (uoch) haben"
bedeutete demnach zunächst: ein kriegstüchtiger Mann sein. Später aber wurde
"Hand und Fuß haben" auf jede Art von' Tüchtigkeit übertragen. Die früher
weit verbreitete Strafe der Brandmarkung, die noch zu Anfang des neunzehnten


Deutsche Rechtsciltertünier in unsrer heutigen deutschen Sprache

die Polizei ihrerseits „beim Kragen/' und dann darf er „den Kragen
daran setzen," um sich mildernde Umstände zu erwirken, damit es ihm nicht
„an den Kragen gehe." Wir sind dabei heute geneigt, eine Übertragung von
unserm Kleidungsstück Kragen auf den von ihn? bedeckten Hals anzunehmen,
aber gerade das Umgekehrte ist der Fall, denn „Kragen" hat von vornherein
schon die Bedeutung „Hals" gehabt (vergl. den „Kragen" der Vögel und
„Geizkragen" — Geizhals) und ist erst später auch für das Kleidungsstück in
Gebrauch gekommen, weshalb auch „Halskragen" eigentlich eine Tautologie ist.

Eine der schrecklichsten unter den im Mittelalter nicht seltnen sogenannten
qualifizierten oder geschärften Todesstrafen (wie Ertränken, Säcken, Verbrennen,
Vierteilen, Pfählen u. a. in.) war das „Rädern," das z. B. der Sachsenspiegel
(II, Art. 13, Z 4) für Mörder, Verräter, Mordbrenner (und ihre Helfershelfer)
sowie für Räuber lind Plünderer besonders befriedeter Gegenstände, Gebunde
oder Orte (Pflug, Mühlen, Kirchen, Kirchhöfe) androhte.' Diese Strafe, die
vielleicht an ein uraltes Töten durch fahrende Wagen anknüpft, bestand darin,
daß man dem unglücklichen Verbrecher die Glieder des Körpers mit einem
scharfkantigen eisernen Instrument in der Form eines kleinen Wagenrades zer¬
stieß („brach"), worauf dann der tote Körper wohl auch uoch um die Speichen
des Rades geflochten und dieses so auf einem Pfahl auf dem NichtPlatz auf¬
gestellt zu werden pflegte, wie aus zahlreichen ältern Abbildungen zu entnehmen
ist. Später unterschied man „das Rädern von unten" von dein „Rädern von
oben," das als leichter galt, und bei dem es der Scharfrichter in der Hemd
hatte, durch einen geschickt geführten Stoß ans das Genick oder die Herzgegend
die Leiden des Opfers zu kürzen. Das nannte man den sogenannten „Gnaden¬
stoß geben," eine Redewendung, die noch heute nicht nur im ursprünglichen
Sinne des Wortes in der Jägersprache für die schnelle, völlige Tötung eines
bei Parforcejagden schon halb zu Tode gehetzten Wildes weiterlebt, sondern
mich in übertragnem Sinne (— „jemand nach voransgegangnen Qualen vollends
zu Grunde richten") angewandt zu werden pflegt. Zu den starken Übertreibungen,
in denen sich die Bilder unsrer Muttersprache manchmal gefallen, gehört es aber
offenbar, daß wir uns auch noch jetzt, etwa nach einer großen, ermüdenden
Anstrengung „wie gerädert" fühlen können, ja es sogar fertig bringen, die
Tätigkeit des Räderns selbst auszuüben, wen» Nur nämlich eine fremde Sprache
(oder auch wohl Verse) „radebrechen," mit ihr also gleichsam in derselben
barbarischen Weise verfahren, wie einst der Henker mit dem armen Sünder.

Die verstümmelnden Leibesstrafen, von denen unsre Vorfahren einst fast so
viele kannten, als der menschliche Körper Glieder und Sinnesorgane hat, sind
im heutigen Rechte glücklicherweise längst zur geschichtliche!? Antiquität geworden,
sie haben aber — im Gegensatze zu den verschiednen Todesstrafen — auch in
unsrer Sprache keine hervorragenden Spuren hinterlassen. Denn höchstens kann
man die Redensart „Hand und Fuß haben" hierher rechnen, wenn man ihre
Entstehung nämlich auf die schon in fränkischer Zeit vorkommende und durch
das ganze Mittelalter geübte Strafe des Abhauens von Hand und Fuß zurück¬
bezieht, und zwar genauer auf den Verlust der rechten Hand und des linken
Fußes, die nicht selten als besonders empfindliche Strafe in Sagen, Liedern, aber
auch in Gesetzen erwähnt wird, ebenso wie ans die Verletzung dieser Glieder zuweilen
(z. B. nach spätern friesischen Gesetzen) eine höhere Buße stand. Die Bevorzugung
der rechten Hand, die das Schwert führte und den Speer schwang, erscheint dabei
ohne weiteres einleuchtend, die des linken Fußes aber erklärt sich wohl daraus,
daß mit diesem der Ritter, überhaupt der krieqstüchtige Mann in den Steig¬
bügel („Stegreif") trat. „Die (rechte) Hand und den (linken) Fuß (uoch) haben"
bedeutete demnach zunächst: ein kriegstüchtiger Mann sein. Später aber wurde
„Hand und Fuß haben" auf jede Art von' Tüchtigkeit übertragen. Die früher
weit verbreitete Strafe der Brandmarkung, die noch zu Anfang des neunzehnten


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[0498] Deutsche Rechtsciltertünier in unsrer heutigen deutschen Sprache die Polizei ihrerseits „beim Kragen/' und dann darf er „den Kragen daran setzen," um sich mildernde Umstände zu erwirken, damit es ihm nicht „an den Kragen gehe." Wir sind dabei heute geneigt, eine Übertragung von unserm Kleidungsstück Kragen auf den von ihn? bedeckten Hals anzunehmen, aber gerade das Umgekehrte ist der Fall, denn „Kragen" hat von vornherein schon die Bedeutung „Hals" gehabt (vergl. den „Kragen" der Vögel und „Geizkragen" — Geizhals) und ist erst später auch für das Kleidungsstück in Gebrauch gekommen, weshalb auch „Halskragen" eigentlich eine Tautologie ist. Eine der schrecklichsten unter den im Mittelalter nicht seltnen sogenannten qualifizierten oder geschärften Todesstrafen (wie Ertränken, Säcken, Verbrennen, Vierteilen, Pfählen u. a. in.) war das „Rädern," das z. B. der Sachsenspiegel (II, Art. 13, Z 4) für Mörder, Verräter, Mordbrenner (und ihre Helfershelfer) sowie für Räuber lind Plünderer besonders befriedeter Gegenstände, Gebunde oder Orte (Pflug, Mühlen, Kirchen, Kirchhöfe) androhte.' Diese Strafe, die vielleicht an ein uraltes Töten durch fahrende Wagen anknüpft, bestand darin, daß man dem unglücklichen Verbrecher die Glieder des Körpers mit einem scharfkantigen eisernen Instrument in der Form eines kleinen Wagenrades zer¬ stieß („brach"), worauf dann der tote Körper wohl auch uoch um die Speichen des Rades geflochten und dieses so auf einem Pfahl auf dem NichtPlatz auf¬ gestellt zu werden pflegte, wie aus zahlreichen ältern Abbildungen zu entnehmen ist. Später unterschied man „das Rädern von unten" von dein „Rädern von oben," das als leichter galt, und bei dem es der Scharfrichter in der Hemd hatte, durch einen geschickt geführten Stoß ans das Genick oder die Herzgegend die Leiden des Opfers zu kürzen. Das nannte man den sogenannten „Gnaden¬ stoß geben," eine Redewendung, die noch heute nicht nur im ursprünglichen Sinne des Wortes in der Jägersprache für die schnelle, völlige Tötung eines bei Parforcejagden schon halb zu Tode gehetzten Wildes weiterlebt, sondern mich in übertragnem Sinne (— „jemand nach voransgegangnen Qualen vollends zu Grunde richten") angewandt zu werden pflegt. Zu den starken Übertreibungen, in denen sich die Bilder unsrer Muttersprache manchmal gefallen, gehört es aber offenbar, daß wir uns auch noch jetzt, etwa nach einer großen, ermüdenden Anstrengung „wie gerädert" fühlen können, ja es sogar fertig bringen, die Tätigkeit des Räderns selbst auszuüben, wen» Nur nämlich eine fremde Sprache (oder auch wohl Verse) „radebrechen," mit ihr also gleichsam in derselben barbarischen Weise verfahren, wie einst der Henker mit dem armen Sünder. Die verstümmelnden Leibesstrafen, von denen unsre Vorfahren einst fast so viele kannten, als der menschliche Körper Glieder und Sinnesorgane hat, sind im heutigen Rechte glücklicherweise längst zur geschichtliche!? Antiquität geworden, sie haben aber — im Gegensatze zu den verschiednen Todesstrafen — auch in unsrer Sprache keine hervorragenden Spuren hinterlassen. Denn höchstens kann man die Redensart „Hand und Fuß haben" hierher rechnen, wenn man ihre Entstehung nämlich auf die schon in fränkischer Zeit vorkommende und durch das ganze Mittelalter geübte Strafe des Abhauens von Hand und Fuß zurück¬ bezieht, und zwar genauer auf den Verlust der rechten Hand und des linken Fußes, die nicht selten als besonders empfindliche Strafe in Sagen, Liedern, aber auch in Gesetzen erwähnt wird, ebenso wie ans die Verletzung dieser Glieder zuweilen (z. B. nach spätern friesischen Gesetzen) eine höhere Buße stand. Die Bevorzugung der rechten Hand, die das Schwert führte und den Speer schwang, erscheint dabei ohne weiteres einleuchtend, die des linken Fußes aber erklärt sich wohl daraus, daß mit diesem der Ritter, überhaupt der krieqstüchtige Mann in den Steig¬ bügel („Stegreif") trat. „Die (rechte) Hand und den (linken) Fuß (uoch) haben" bedeutete demnach zunächst: ein kriegstüchtiger Mann sein. Später aber wurde „Hand und Fuß haben" auf jede Art von' Tüchtigkeit übertragen. Die früher weit verbreitete Strafe der Brandmarkung, die noch zu Anfang des neunzehnten

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/498>, abgerufen am 24.11.2024.