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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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worden sei. Ja wir veranschaulichen uns kaum noch den einst der Haut der
Soldaten doch äußerst fühlbar gewesenen Vorgang, wenn wir irgendwo "Spie߬
ruten laufen" (auch wohl "durch die Gasse laufen") müssen, d. h. genötigt sind,
uns im Vorbeigehn spöttischen Blicken und Bemerkungen auszusetzen, wie dies z. B.
das Schicksal der unterwegs seekrank Gewordueu uach der Ankunft eines Schiffes
auf der berühmten "Lästerallee" in Helgoland zu sein pflegt. Wenn die Prügel
-- wie es auch in älterer Zeit zuweilen vorkam -- dem Verurteilten im
Gnadenweg erlassen wurden, so machte man dann nicht selten die eigentlich
verwirkte Strafe doch noch dadurch kenntlich, daß dem Delinquenten vom
Henker eine Rute um den Hals oder auf den Rücken gebunden und er dann
so öffentlich ausgestellt wurde. Damit darf man wohl unser bildliches "sich
selbst eine Rute (auf den Rücken) aufbinden" (-- sich selbst eine unangenehme
Last aufladen) in einen Zusammenhang bringen.

Solche Ausstellungen fanden in der Regel statt an dem einst in jeder
Stadt -- meist auf dem Marktplatze -- stehenden Pranger (ahd. prmiMr
oder dra-nger, verwandt mit got. xrsWan, ahd. M'cmAsn drücken, bedrängen,
übt. viMA -- Druck, Bedrängnis, piÄiiMn pressen, drücken), der mundartlich
wohl auch als "Breche" oder "Brechet" (brvL>i<z, prsolle, besonders bayrisch),
"Schreiat" (schwäbisch -- Vcrrufsstätte), "Kak" (niedcrd. Kicko, l<",x, K-ux.)
und öfter als "Schandstein," "Schandsänle," "Schandpfahl" oder "Halseisen"
bezeichnet wird.

Unserm Strafrecht ist auch diese schimpfliche Ehrenstrafe, die sich in
ältern Zeiten großer Beliebtheit erfreute, schon längst nicht mehr bekannt, dafür
aber lebt sie im Bilderschmuck unsrer Sprache noch fort, wonach wir in über¬
tragnem Sinne noch immer jemand "an den Pranger stellen" oder aber
auch selbst vor andern dort "stehen" können. Am Schandpfahle zeigte man
früher wohl auch der Volksmenge die Diebe -- vor ihrer Hinrichtung -- mit den
um deu Hals gehängten gestohlnen Gegenständen; später war es eine Zeit lang
ziemlich allgemein üblich, den zur Schan gestellten Verbrechern Zettel oder
Tafeln umzuhängen oder auch über ihnen aufzuhängen, die jedermann die Ur¬
sachen der entehrenden Bestrafung verkündeten, die sogenannten "Schandtafeln,"
die in der neuern Literatur nun ebenfalls schon in einem übertragnen Sinne
vorkommen.*) Vielleicht geht hierauf auch die Redensart "einem etwas
anhängen" zurück, die man übrigens auch zurückführen könnte ans die noch
ältere Sitte des Umhüugeus des Klappersteins, Lastersteius (vou Laster im ahd.
Sinne von Schmähung), Pag- oder Bagsteins (von ahd. MM, Streit, Hader),
den bestimmte Missetäter, wie Gotteslästerer, Injurianten und namentlich zänkische
Weiber durch die Straßen der Stadt oder um das Rathaus zu schleppen hatten
(für Mülhausen im Elsaß noch 1781 nachweisbar), vielleicht mich auf das
Tragen der Schandflaschen (oft bloße Holzklötze in Form von Flaschen), das
im wesentlichen für dieselbe Kategorie von Missetätern, nach einem Kalauer
Statut vou 1746 (XII. 2) auch für dem "Laster der Trunkenheit ergebne
Weibspersonen" im Gebrauche gewesen ist. Eigentümlich ist es jedenfalls, daß
sich im Italienischen die Redewendung: ..!>>>>>!<-!"' i! kia""" ack nlcuuw" in dem¬
selben Sinne wie unser "einem etwas anhängen" erhalten hat. Eine symbo¬
lische Andeutung verminderter Ehre lag auch in der schimpflichen Ausstellung
gefallner Mädchen mit einem Strvhkranze, den in manchen Gegenden auch die
Bräute, die nicht mehr Jungfrauen waren, bei der Trauung tragen mußten,
und die man darum Strohbräute (ahd. "drü-brut, schon seit 1400 nachweisbar)
oder (bayrisch) Strohjnngfern nannte. Hiernach hat man dann zunächst das
Wort "Strohwitwe" gebildet für eine Fran, die "Witwe und doch keine



') Vgl. z. B. H. Sudermann, Der Katzensteg (41. Aufl., 1!"02, S. 27): "Es überkam
ihn das Bewusstsein der Schandtafel, die er mit sich schleppte."
Deutsch»! Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache

worden sei. Ja wir veranschaulichen uns kaum noch den einst der Haut der
Soldaten doch äußerst fühlbar gewesenen Vorgang, wenn wir irgendwo „Spie߬
ruten laufen" (auch wohl „durch die Gasse laufen") müssen, d. h. genötigt sind,
uns im Vorbeigehn spöttischen Blicken und Bemerkungen auszusetzen, wie dies z. B.
das Schicksal der unterwegs seekrank Gewordueu uach der Ankunft eines Schiffes
auf der berühmten „Lästerallee" in Helgoland zu sein pflegt. Wenn die Prügel
— wie es auch in älterer Zeit zuweilen vorkam — dem Verurteilten im
Gnadenweg erlassen wurden, so machte man dann nicht selten die eigentlich
verwirkte Strafe doch noch dadurch kenntlich, daß dem Delinquenten vom
Henker eine Rute um den Hals oder auf den Rücken gebunden und er dann
so öffentlich ausgestellt wurde. Damit darf man wohl unser bildliches „sich
selbst eine Rute (auf den Rücken) aufbinden" (— sich selbst eine unangenehme
Last aufladen) in einen Zusammenhang bringen.

Solche Ausstellungen fanden in der Regel statt an dem einst in jeder
Stadt — meist auf dem Marktplatze — stehenden Pranger (ahd. prmiMr
oder dra-nger, verwandt mit got. xrsWan, ahd. M'cmAsn drücken, bedrängen,
übt. viMA — Druck, Bedrängnis, piÄiiMn pressen, drücken), der mundartlich
wohl auch als „Breche" oder „Brechet" (brvL>i<z, prsolle, besonders bayrisch),
„Schreiat" (schwäbisch — Vcrrufsstätte), „Kak" (niedcrd. Kicko, l<»,x, K-ux.)
und öfter als „Schandstein," „Schandsänle," „Schandpfahl" oder „Halseisen"
bezeichnet wird.

Unserm Strafrecht ist auch diese schimpfliche Ehrenstrafe, die sich in
ältern Zeiten großer Beliebtheit erfreute, schon längst nicht mehr bekannt, dafür
aber lebt sie im Bilderschmuck unsrer Sprache noch fort, wonach wir in über¬
tragnem Sinne noch immer jemand „an den Pranger stellen" oder aber
auch selbst vor andern dort „stehen" können. Am Schandpfahle zeigte man
früher wohl auch der Volksmenge die Diebe — vor ihrer Hinrichtung — mit den
um deu Hals gehängten gestohlnen Gegenständen; später war es eine Zeit lang
ziemlich allgemein üblich, den zur Schan gestellten Verbrechern Zettel oder
Tafeln umzuhängen oder auch über ihnen aufzuhängen, die jedermann die Ur¬
sachen der entehrenden Bestrafung verkündeten, die sogenannten „Schandtafeln,"
die in der neuern Literatur nun ebenfalls schon in einem übertragnen Sinne
vorkommen.*) Vielleicht geht hierauf auch die Redensart „einem etwas
anhängen" zurück, die man übrigens auch zurückführen könnte ans die noch
ältere Sitte des Umhüugeus des Klappersteins, Lastersteius (vou Laster im ahd.
Sinne von Schmähung), Pag- oder Bagsteins (von ahd. MM, Streit, Hader),
den bestimmte Missetäter, wie Gotteslästerer, Injurianten und namentlich zänkische
Weiber durch die Straßen der Stadt oder um das Rathaus zu schleppen hatten
(für Mülhausen im Elsaß noch 1781 nachweisbar), vielleicht mich auf das
Tragen der Schandflaschen (oft bloße Holzklötze in Form von Flaschen), das
im wesentlichen für dieselbe Kategorie von Missetätern, nach einem Kalauer
Statut vou 1746 (XII. 2) auch für dem „Laster der Trunkenheit ergebne
Weibspersonen" im Gebrauche gewesen ist. Eigentümlich ist es jedenfalls, daß
sich im Italienischen die Redewendung: ..!>>>>>!<-!«' i! kia««» ack nlcuuw" in dem¬
selben Sinne wie unser „einem etwas anhängen" erhalten hat. Eine symbo¬
lische Andeutung verminderter Ehre lag auch in der schimpflichen Ausstellung
gefallner Mädchen mit einem Strvhkranze, den in manchen Gegenden auch die
Bräute, die nicht mehr Jungfrauen waren, bei der Trauung tragen mußten,
und die man darum Strohbräute (ahd. «drü-brut, schon seit 1400 nachweisbar)
oder (bayrisch) Strohjnngfern nannte. Hiernach hat man dann zunächst das
Wort „Strohwitwe" gebildet für eine Fran, die „Witwe und doch keine



') Vgl. z. B. H. Sudermann, Der Katzensteg (41. Aufl., 1!»02, S. 27): „Es überkam
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[0500] Deutsch»! Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache worden sei. Ja wir veranschaulichen uns kaum noch den einst der Haut der Soldaten doch äußerst fühlbar gewesenen Vorgang, wenn wir irgendwo „Spie߬ ruten laufen" (auch wohl „durch die Gasse laufen") müssen, d. h. genötigt sind, uns im Vorbeigehn spöttischen Blicken und Bemerkungen auszusetzen, wie dies z. B. das Schicksal der unterwegs seekrank Gewordueu uach der Ankunft eines Schiffes auf der berühmten „Lästerallee" in Helgoland zu sein pflegt. Wenn die Prügel — wie es auch in älterer Zeit zuweilen vorkam — dem Verurteilten im Gnadenweg erlassen wurden, so machte man dann nicht selten die eigentlich verwirkte Strafe doch noch dadurch kenntlich, daß dem Delinquenten vom Henker eine Rute um den Hals oder auf den Rücken gebunden und er dann so öffentlich ausgestellt wurde. Damit darf man wohl unser bildliches „sich selbst eine Rute (auf den Rücken) aufbinden" (— sich selbst eine unangenehme Last aufladen) in einen Zusammenhang bringen. Solche Ausstellungen fanden in der Regel statt an dem einst in jeder Stadt — meist auf dem Marktplatze — stehenden Pranger (ahd. prmiMr oder dra-nger, verwandt mit got. xrsWan, ahd. M'cmAsn drücken, bedrängen, übt. viMA — Druck, Bedrängnis, piÄiiMn pressen, drücken), der mundartlich wohl auch als „Breche" oder „Brechet" (brvL>i<z, prsolle, besonders bayrisch), „Schreiat" (schwäbisch — Vcrrufsstätte), „Kak" (niedcrd. Kicko, l<»,x, K-ux.) und öfter als „Schandstein," „Schandsänle," „Schandpfahl" oder „Halseisen" bezeichnet wird. Unserm Strafrecht ist auch diese schimpfliche Ehrenstrafe, die sich in ältern Zeiten großer Beliebtheit erfreute, schon längst nicht mehr bekannt, dafür aber lebt sie im Bilderschmuck unsrer Sprache noch fort, wonach wir in über¬ tragnem Sinne noch immer jemand „an den Pranger stellen" oder aber auch selbst vor andern dort „stehen" können. Am Schandpfahle zeigte man früher wohl auch der Volksmenge die Diebe — vor ihrer Hinrichtung — mit den um deu Hals gehängten gestohlnen Gegenständen; später war es eine Zeit lang ziemlich allgemein üblich, den zur Schan gestellten Verbrechern Zettel oder Tafeln umzuhängen oder auch über ihnen aufzuhängen, die jedermann die Ur¬ sachen der entehrenden Bestrafung verkündeten, die sogenannten „Schandtafeln," die in der neuern Literatur nun ebenfalls schon in einem übertragnen Sinne vorkommen.*) Vielleicht geht hierauf auch die Redensart „einem etwas anhängen" zurück, die man übrigens auch zurückführen könnte ans die noch ältere Sitte des Umhüugeus des Klappersteins, Lastersteius (vou Laster im ahd. Sinne von Schmähung), Pag- oder Bagsteins (von ahd. MM, Streit, Hader), den bestimmte Missetäter, wie Gotteslästerer, Injurianten und namentlich zänkische Weiber durch die Straßen der Stadt oder um das Rathaus zu schleppen hatten (für Mülhausen im Elsaß noch 1781 nachweisbar), vielleicht mich auf das Tragen der Schandflaschen (oft bloße Holzklötze in Form von Flaschen), das im wesentlichen für dieselbe Kategorie von Missetätern, nach einem Kalauer Statut vou 1746 (XII. 2) auch für dem „Laster der Trunkenheit ergebne Weibspersonen" im Gebrauche gewesen ist. Eigentümlich ist es jedenfalls, daß sich im Italienischen die Redewendung: ..!>>>>>!<-!«' i! kia««» ack nlcuuw" in dem¬ selben Sinne wie unser „einem etwas anhängen" erhalten hat. Eine symbo¬ lische Andeutung verminderter Ehre lag auch in der schimpflichen Ausstellung gefallner Mädchen mit einem Strvhkranze, den in manchen Gegenden auch die Bräute, die nicht mehr Jungfrauen waren, bei der Trauung tragen mußten, und die man darum Strohbräute (ahd. «drü-brut, schon seit 1400 nachweisbar) oder (bayrisch) Strohjnngfern nannte. Hiernach hat man dann zunächst das Wort „Strohwitwe" gebildet für eine Fran, die „Witwe und doch keine ') Vgl. z. B. H. Sudermann, Der Katzensteg (41. Aufl., 1!»02, S. 27): „Es überkam ihn das Bewusstsein der Schandtafel, die er mit sich schleppte."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/500>, abgerufen am 27.07.2024.