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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Dar Marquis von Mcirigny

den alte" Edelmann und seine Schicksale falsch berichtet sein, das verhinderte aber
nicht, daß sie in xuueko des vergnügten Aussehens Recht hatten. Der Marquis
von Mcirigny sah in der Tat höchst zufrieden und gutgelaunt aus, und er war
dazu auch durchaus berechtigt. Der Verkauf der Pretiosen hatte sich Wider Er¬
warten schnell und mit einem ungeahnt günstigen Ergebnis ermöglichen lassen.
Und das kam so: Als der Marquis seinem Versprechen gemäß die russische Gräfin
in den "Drei Reichskronen" besuchte, erzählte sie ihm von ihrer Absicht, nach
Frankfurt zu reisen und dort deu Beginn der guten Jahreszeit abzuwarten. Ihr
Schwiegersohn, der Fürst Karcunsin, der als außerordentlicher Gesandter der Kaiserin
am Hofe des Großherzogs von Toscana weile, werde sie in Frankfurt abholen und
bis Petersburg begleiten. Marigny bemerkte, er gedenke im April oder Mai eben¬
falls für einige Tage nach Frankfurt zu reisen, und erkundigte sich bei der Dame,
die mit den dortigen Verhältnissen genau bekannt zu sein schien, nach einem zuver¬
lässigen Juwelier. Auf ihre Frage, ob er Juwelen zu kaufen beabsichtige, gestand
er nach einigen Umschweifen, daß er solche vielmehr zu verkaufen habe und dies
am leichtesten in Frankfurt bewerkstelligen zu können glaube. Die Gräfin sagte
hierauf in ihrer lebhaften Art: Liebster Marquis, kommen Sie nicht früher nach
Frankfurt, als bis ich Ihnen die Ankunft Karamsins melden werde. Der Fürst hat
großes Vergnügen an Edelsteinen und dürfte Ihnen, vorausgesetzt, daß Ihre Juwelen
ihm gefallen, einen annehmbaren Preis bieten als die Frankfurter Händler.

Das war ein Vorschlag, der sich hören ließ. Am 4. Juni erhielt Marigny
denn auch einen Brief, worin die Gräfin ihm mitteilte, Karcunsin sei eingetroffen,
und schon am 9. fuhr er selbst an der Seite seines Schwiegersohns durch das
Friedberger Tor in die freie Reichsstadt am Main ein. Man hatte, um eine
unliebsame Berührung mit den die Umgegend von Mainz unsicher machenden fran¬
zösischen Streifkorps zu vermeiden, den' Weg durch das Lahntal und über Butzbach
gewählt, eine Vorsichtsmaßregel, die sich schon mit Rücksicht auf deu kostbaren In¬
halt des Koffers empfahl.

Der Fürst, wie alle wirklich vornehmen und gebildeten Russen ein Mann von
uneigennütziger Liebeuswttrdigkeit. besichtigte die ihm vorgelegten Steine mit großer
Sachkenntnis, sonderte eure kleine Anzahl aus und erbot sich, für die übrigen genau
ein Viertel der Summe mehr zu zahlen, die ein beliebiger, von Marigny zu be¬
stimmender Juwelier bieten würde. Ich mache hierbei, so erklärte er, immer noch
em weet besseres Geschäft, als wenn ich bei einem Händler kaufen würde, da sich
diese Leute für verpflichtet halten, uns Russen den doppelten und dreifachen Preis
abzuverlangen. Die Franzosen gingen auf den Vorschlag ein, ließen die Steine
taxieren und erhielten schon am nächsten Tage dnrch Karamsins Bankier ihr Geld.
Sie konnten, obgleich sie aus dem Nest der Juwelen nnr einige hundert Gulden
lösten, mit dem Ergebnis ihrer Reise recht zufrieden sein, und Mariguy bedauerte
nur, nicht vor Jahren die Herrschaft Aigremont verkauft und alsdann sein gesamtes
Vermögen in Diamanten angelegt zu haben. Der ersten Sorge war man ledig,
nnn stellte sich die zweite ein: die Sorge, ein Gut zu finden, das allen billigen
Anforderungen entsprach. Das war nicht leicht, da der Sommer vor der Tür stand,
und die kurfürstliche Regierung vom Stadtmagistrat immer dringlicher die Aus¬
weisung der Emigranten verlangte. Zum Glück nahmen Bürgermeister und Rat
dieses landesväterliche Gebot nicht allzu ernst. Der Kurfürst selbst weilte in der
Ferne, und die allgemeine Aufmerksamkeit richtete sich auf Mainz, das die Ver¬
bündeteten mit ihren Belagerungswerken immer enger umklammerten. Vom Ehren-
breitstein wurden die Geschütze stromaufwärts geschafft; holländische Kanonenboote
Passierten die Stadt, und mancher Koblenzer begab sich ans das rechte Rheinufer,
um von den Höhen Schwalbachs und Schlcmgcnbads aus das Bombardement
zu beobachten.

Während alle Welt von kriegerischen Dingen sprach, die Verwundung des
Prinzen Louis Ferdinand beklagte, den durch die Beschießung angerichteten Schaden


Dar Marquis von Mcirigny

den alte» Edelmann und seine Schicksale falsch berichtet sein, das verhinderte aber
nicht, daß sie in xuueko des vergnügten Aussehens Recht hatten. Der Marquis
von Mcirigny sah in der Tat höchst zufrieden und gutgelaunt aus, und er war
dazu auch durchaus berechtigt. Der Verkauf der Pretiosen hatte sich Wider Er¬
warten schnell und mit einem ungeahnt günstigen Ergebnis ermöglichen lassen.
Und das kam so: Als der Marquis seinem Versprechen gemäß die russische Gräfin
in den „Drei Reichskronen" besuchte, erzählte sie ihm von ihrer Absicht, nach
Frankfurt zu reisen und dort deu Beginn der guten Jahreszeit abzuwarten. Ihr
Schwiegersohn, der Fürst Karcunsin, der als außerordentlicher Gesandter der Kaiserin
am Hofe des Großherzogs von Toscana weile, werde sie in Frankfurt abholen und
bis Petersburg begleiten. Marigny bemerkte, er gedenke im April oder Mai eben¬
falls für einige Tage nach Frankfurt zu reisen, und erkundigte sich bei der Dame,
die mit den dortigen Verhältnissen genau bekannt zu sein schien, nach einem zuver¬
lässigen Juwelier. Auf ihre Frage, ob er Juwelen zu kaufen beabsichtige, gestand
er nach einigen Umschweifen, daß er solche vielmehr zu verkaufen habe und dies
am leichtesten in Frankfurt bewerkstelligen zu können glaube. Die Gräfin sagte
hierauf in ihrer lebhaften Art: Liebster Marquis, kommen Sie nicht früher nach
Frankfurt, als bis ich Ihnen die Ankunft Karamsins melden werde. Der Fürst hat
großes Vergnügen an Edelsteinen und dürfte Ihnen, vorausgesetzt, daß Ihre Juwelen
ihm gefallen, einen annehmbaren Preis bieten als die Frankfurter Händler.

Das war ein Vorschlag, der sich hören ließ. Am 4. Juni erhielt Marigny
denn auch einen Brief, worin die Gräfin ihm mitteilte, Karcunsin sei eingetroffen,
und schon am 9. fuhr er selbst an der Seite seines Schwiegersohns durch das
Friedberger Tor in die freie Reichsstadt am Main ein. Man hatte, um eine
unliebsame Berührung mit den die Umgegend von Mainz unsicher machenden fran¬
zösischen Streifkorps zu vermeiden, den' Weg durch das Lahntal und über Butzbach
gewählt, eine Vorsichtsmaßregel, die sich schon mit Rücksicht auf deu kostbaren In¬
halt des Koffers empfahl.

Der Fürst, wie alle wirklich vornehmen und gebildeten Russen ein Mann von
uneigennütziger Liebeuswttrdigkeit. besichtigte die ihm vorgelegten Steine mit großer
Sachkenntnis, sonderte eure kleine Anzahl aus und erbot sich, für die übrigen genau
ein Viertel der Summe mehr zu zahlen, die ein beliebiger, von Marigny zu be¬
stimmender Juwelier bieten würde. Ich mache hierbei, so erklärte er, immer noch
em weet besseres Geschäft, als wenn ich bei einem Händler kaufen würde, da sich
diese Leute für verpflichtet halten, uns Russen den doppelten und dreifachen Preis
abzuverlangen. Die Franzosen gingen auf den Vorschlag ein, ließen die Steine
taxieren und erhielten schon am nächsten Tage dnrch Karamsins Bankier ihr Geld.
Sie konnten, obgleich sie aus dem Nest der Juwelen nnr einige hundert Gulden
lösten, mit dem Ergebnis ihrer Reise recht zufrieden sein, und Mariguy bedauerte
nur, nicht vor Jahren die Herrschaft Aigremont verkauft und alsdann sein gesamtes
Vermögen in Diamanten angelegt zu haben. Der ersten Sorge war man ledig,
nnn stellte sich die zweite ein: die Sorge, ein Gut zu finden, das allen billigen
Anforderungen entsprach. Das war nicht leicht, da der Sommer vor der Tür stand,
und die kurfürstliche Regierung vom Stadtmagistrat immer dringlicher die Aus¬
weisung der Emigranten verlangte. Zum Glück nahmen Bürgermeister und Rat
dieses landesväterliche Gebot nicht allzu ernst. Der Kurfürst selbst weilte in der
Ferne, und die allgemeine Aufmerksamkeit richtete sich auf Mainz, das die Ver¬
bündeteten mit ihren Belagerungswerken immer enger umklammerten. Vom Ehren-
breitstein wurden die Geschütze stromaufwärts geschafft; holländische Kanonenboote
Passierten die Stadt, und mancher Koblenzer begab sich ans das rechte Rheinufer,
um von den Höhen Schwalbachs und Schlcmgcnbads aus das Bombardement
zu beobachten.

Während alle Welt von kriegerischen Dingen sprach, die Verwundung des
Prinzen Louis Ferdinand beklagte, den durch die Beschießung angerichteten Schaden


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[0437] Dar Marquis von Mcirigny den alte» Edelmann und seine Schicksale falsch berichtet sein, das verhinderte aber nicht, daß sie in xuueko des vergnügten Aussehens Recht hatten. Der Marquis von Mcirigny sah in der Tat höchst zufrieden und gutgelaunt aus, und er war dazu auch durchaus berechtigt. Der Verkauf der Pretiosen hatte sich Wider Er¬ warten schnell und mit einem ungeahnt günstigen Ergebnis ermöglichen lassen. Und das kam so: Als der Marquis seinem Versprechen gemäß die russische Gräfin in den „Drei Reichskronen" besuchte, erzählte sie ihm von ihrer Absicht, nach Frankfurt zu reisen und dort deu Beginn der guten Jahreszeit abzuwarten. Ihr Schwiegersohn, der Fürst Karcunsin, der als außerordentlicher Gesandter der Kaiserin am Hofe des Großherzogs von Toscana weile, werde sie in Frankfurt abholen und bis Petersburg begleiten. Marigny bemerkte, er gedenke im April oder Mai eben¬ falls für einige Tage nach Frankfurt zu reisen, und erkundigte sich bei der Dame, die mit den dortigen Verhältnissen genau bekannt zu sein schien, nach einem zuver¬ lässigen Juwelier. Auf ihre Frage, ob er Juwelen zu kaufen beabsichtige, gestand er nach einigen Umschweifen, daß er solche vielmehr zu verkaufen habe und dies am leichtesten in Frankfurt bewerkstelligen zu können glaube. Die Gräfin sagte hierauf in ihrer lebhaften Art: Liebster Marquis, kommen Sie nicht früher nach Frankfurt, als bis ich Ihnen die Ankunft Karamsins melden werde. Der Fürst hat großes Vergnügen an Edelsteinen und dürfte Ihnen, vorausgesetzt, daß Ihre Juwelen ihm gefallen, einen annehmbaren Preis bieten als die Frankfurter Händler. Das war ein Vorschlag, der sich hören ließ. Am 4. Juni erhielt Marigny denn auch einen Brief, worin die Gräfin ihm mitteilte, Karcunsin sei eingetroffen, und schon am 9. fuhr er selbst an der Seite seines Schwiegersohns durch das Friedberger Tor in die freie Reichsstadt am Main ein. Man hatte, um eine unliebsame Berührung mit den die Umgegend von Mainz unsicher machenden fran¬ zösischen Streifkorps zu vermeiden, den' Weg durch das Lahntal und über Butzbach gewählt, eine Vorsichtsmaßregel, die sich schon mit Rücksicht auf deu kostbaren In¬ halt des Koffers empfahl. Der Fürst, wie alle wirklich vornehmen und gebildeten Russen ein Mann von uneigennütziger Liebeuswttrdigkeit. besichtigte die ihm vorgelegten Steine mit großer Sachkenntnis, sonderte eure kleine Anzahl aus und erbot sich, für die übrigen genau ein Viertel der Summe mehr zu zahlen, die ein beliebiger, von Marigny zu be¬ stimmender Juwelier bieten würde. Ich mache hierbei, so erklärte er, immer noch em weet besseres Geschäft, als wenn ich bei einem Händler kaufen würde, da sich diese Leute für verpflichtet halten, uns Russen den doppelten und dreifachen Preis abzuverlangen. Die Franzosen gingen auf den Vorschlag ein, ließen die Steine taxieren und erhielten schon am nächsten Tage dnrch Karamsins Bankier ihr Geld. Sie konnten, obgleich sie aus dem Nest der Juwelen nnr einige hundert Gulden lösten, mit dem Ergebnis ihrer Reise recht zufrieden sein, und Mariguy bedauerte nur, nicht vor Jahren die Herrschaft Aigremont verkauft und alsdann sein gesamtes Vermögen in Diamanten angelegt zu haben. Der ersten Sorge war man ledig, nnn stellte sich die zweite ein: die Sorge, ein Gut zu finden, das allen billigen Anforderungen entsprach. Das war nicht leicht, da der Sommer vor der Tür stand, und die kurfürstliche Regierung vom Stadtmagistrat immer dringlicher die Aus¬ weisung der Emigranten verlangte. Zum Glück nahmen Bürgermeister und Rat dieses landesväterliche Gebot nicht allzu ernst. Der Kurfürst selbst weilte in der Ferne, und die allgemeine Aufmerksamkeit richtete sich auf Mainz, das die Ver¬ bündeteten mit ihren Belagerungswerken immer enger umklammerten. Vom Ehren- breitstein wurden die Geschütze stromaufwärts geschafft; holländische Kanonenboote Passierten die Stadt, und mancher Koblenzer begab sich ans das rechte Rheinufer, um von den Höhen Schwalbachs und Schlcmgcnbads aus das Bombardement zu beobachten. Während alle Welt von kriegerischen Dingen sprach, die Verwundung des Prinzen Louis Ferdinand beklagte, den durch die Beschießung angerichteten Schaden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/437>, abgerufen am 26.11.2024.