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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Der Marquis von Marigny

Welt von einem Affen hatte -- auf Ungeziefer untersuchen lassen. Das trug mir
eine empfindliche Strafe ein. Ich fand diese aber empörend ungerecht. Verboten
war mir das Kamelreiten bis dahin nie gewesen, und ich konnte darin durchaus
keine Sünde erblicken. Und doch war dies zwar mein erster, aber nicht mein
letzter Kamelritt gewesen. Auf der Orientreise, die ich als Kultusminister im
Jahre 1898 nach Jerusalem gemacht habe, um dort der Einweihung der Von
unserm Kaiser erbauten Erlöserkirche beizuwohnen, habe ich am Rande der Libyschen
Wüste unter den Pyramiden von Gizeh bei Kairo meinen zweiten Kamelrilt aus¬
geführt. Er war ebenso lustig und vielleicht noch lustiger als jener erste. In
meiner "Dienstreise nach dem Orient" (Leipzig, bei Grunow, 1900) habe ich ihn
beschrieben. Zu meinem Vergnügen dabei hat die Erinnerung an jenen strafbaren
Ritt vor der Langen Brücke in Quedlinburg viel beigetragen. Dieser zweite Kamel¬
ritt wird nunmehr auch Wohl mein letzter gewesen sein. Vergnüglich und harmlos
aber waren sie beide. . - ?" (Fortsetzung folgt)




Der Marquis von Marigny
Julius R. Haarhaus Line Lmigrcmtengeschichte von
(Schluß)
13

le Bewohner der Weisergasse waren sich darüber einig, daß man bei
Villerois seit einiger Zeit vorzüglich speisen müsse. Die Franzosen
fingen zwar erst Nachmittags um fünf mit ihrer Kocherei an, aber
dann dufte es auch gleich so köstlich nach Gebratnem, daß man es
drei Häuser weiter ganz deutlich rieche. Am letzten Sonntag, so
ging das Gerücht, sollten sie sogar junge Enten gegessen haben.
Glaubwürdige Leute schworen nämlich darauf, sie hätten in der Asche frischgerupfte
Eutcnfedern gefunden, und die könnten nur von den Ausländischen dorthin geworfen
worden sein. Und ein Paar Tage später zeigte man sich die rote Schale von
einem Krebs, aber von einem Krebs, der sechsmal größer gewesen sein mußte, als
die Krebse, die man in der Laubdach fing. Dieser Fund erregte gewaltiges Auf¬
sehen; ein Flickschuster, der ein Hausgenosse der Franzosen war und für alles
Merkwürdige Verständnis besaß, brachte die sterblichen Reste des Wundertiers zum
Kanonikus von Umbscheiden, damit dieser sie seinem berühmten Natnralienknbinett
einverleibe, wurde aber von dem geistlichen Herrn darüber belehrt, daß der Träger
des seltsame" Panzers der Wissenschaft längst unter dem Namen "Hummer" bekannt
sei und keineswegs zu den Seltenheiten gehöre.

Mehr noch als Entenfedern und Hummerschalen beschäftigte die Phantasie der
guten Leute ein ganzer Kreis von Legenden, dessen Mittelpunkt der alte vornehme
Herr war, der bei Villerois zur Miete wohnte. Man betrachtete ihn mit stillem
Schauder, denn es ging die Sage, er sei vor einiger Zeit geradeswegs von Paris
gekommen, wo er den Kopf schon unter dem Fallbeile gehabt habe und mir durch
ein in den Zopf verborgnes Stück starken Eisendrahtes gerettet worden sei. Doppelt
auffallend schien es, daß ein Mann mit so entsetzlichen Lebenserfahrungen dennoch
meist eine ganz vergnügte Miene zur Schau trug, und wie man ebenfalls ans
sichrer Quelle wußte, noch an den Dingen dieser Welt so großen Anteil nahm,
daß er jeden Mittwoch und jeden Samstag auf dem Markte die Lebensmittel in
eigner Person einkaufte.

In mehr als einer Hinsicht mochten die Nachbarn in der Weisergasse über


Der Marquis von Marigny

Welt von einem Affen hatte — auf Ungeziefer untersuchen lassen. Das trug mir
eine empfindliche Strafe ein. Ich fand diese aber empörend ungerecht. Verboten
war mir das Kamelreiten bis dahin nie gewesen, und ich konnte darin durchaus
keine Sünde erblicken. Und doch war dies zwar mein erster, aber nicht mein
letzter Kamelritt gewesen. Auf der Orientreise, die ich als Kultusminister im
Jahre 1898 nach Jerusalem gemacht habe, um dort der Einweihung der Von
unserm Kaiser erbauten Erlöserkirche beizuwohnen, habe ich am Rande der Libyschen
Wüste unter den Pyramiden von Gizeh bei Kairo meinen zweiten Kamelrilt aus¬
geführt. Er war ebenso lustig und vielleicht noch lustiger als jener erste. In
meiner „Dienstreise nach dem Orient" (Leipzig, bei Grunow, 1900) habe ich ihn
beschrieben. Zu meinem Vergnügen dabei hat die Erinnerung an jenen strafbaren
Ritt vor der Langen Brücke in Quedlinburg viel beigetragen. Dieser zweite Kamel¬
ritt wird nunmehr auch Wohl mein letzter gewesen sein. Vergnüglich und harmlos
aber waren sie beide. . - ?" (Fortsetzung folgt)




Der Marquis von Marigny
Julius R. Haarhaus Line Lmigrcmtengeschichte von
(Schluß)
13

le Bewohner der Weisergasse waren sich darüber einig, daß man bei
Villerois seit einiger Zeit vorzüglich speisen müsse. Die Franzosen
fingen zwar erst Nachmittags um fünf mit ihrer Kocherei an, aber
dann dufte es auch gleich so köstlich nach Gebratnem, daß man es
drei Häuser weiter ganz deutlich rieche. Am letzten Sonntag, so
ging das Gerücht, sollten sie sogar junge Enten gegessen haben.
Glaubwürdige Leute schworen nämlich darauf, sie hätten in der Asche frischgerupfte
Eutcnfedern gefunden, und die könnten nur von den Ausländischen dorthin geworfen
worden sein. Und ein Paar Tage später zeigte man sich die rote Schale von
einem Krebs, aber von einem Krebs, der sechsmal größer gewesen sein mußte, als
die Krebse, die man in der Laubdach fing. Dieser Fund erregte gewaltiges Auf¬
sehen; ein Flickschuster, der ein Hausgenosse der Franzosen war und für alles
Merkwürdige Verständnis besaß, brachte die sterblichen Reste des Wundertiers zum
Kanonikus von Umbscheiden, damit dieser sie seinem berühmten Natnralienknbinett
einverleibe, wurde aber von dem geistlichen Herrn darüber belehrt, daß der Träger
des seltsame» Panzers der Wissenschaft längst unter dem Namen „Hummer" bekannt
sei und keineswegs zu den Seltenheiten gehöre.

Mehr noch als Entenfedern und Hummerschalen beschäftigte die Phantasie der
guten Leute ein ganzer Kreis von Legenden, dessen Mittelpunkt der alte vornehme
Herr war, der bei Villerois zur Miete wohnte. Man betrachtete ihn mit stillem
Schauder, denn es ging die Sage, er sei vor einiger Zeit geradeswegs von Paris
gekommen, wo er den Kopf schon unter dem Fallbeile gehabt habe und mir durch
ein in den Zopf verborgnes Stück starken Eisendrahtes gerettet worden sei. Doppelt
auffallend schien es, daß ein Mann mit so entsetzlichen Lebenserfahrungen dennoch
meist eine ganz vergnügte Miene zur Schau trug, und wie man ebenfalls ans
sichrer Quelle wußte, noch an den Dingen dieser Welt so großen Anteil nahm,
daß er jeden Mittwoch und jeden Samstag auf dem Markte die Lebensmittel in
eigner Person einkaufte.

In mehr als einer Hinsicht mochten die Nachbarn in der Weisergasse über


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[0436] Der Marquis von Marigny Welt von einem Affen hatte — auf Ungeziefer untersuchen lassen. Das trug mir eine empfindliche Strafe ein. Ich fand diese aber empörend ungerecht. Verboten war mir das Kamelreiten bis dahin nie gewesen, und ich konnte darin durchaus keine Sünde erblicken. Und doch war dies zwar mein erster, aber nicht mein letzter Kamelritt gewesen. Auf der Orientreise, die ich als Kultusminister im Jahre 1898 nach Jerusalem gemacht habe, um dort der Einweihung der Von unserm Kaiser erbauten Erlöserkirche beizuwohnen, habe ich am Rande der Libyschen Wüste unter den Pyramiden von Gizeh bei Kairo meinen zweiten Kamelrilt aus¬ geführt. Er war ebenso lustig und vielleicht noch lustiger als jener erste. In meiner „Dienstreise nach dem Orient" (Leipzig, bei Grunow, 1900) habe ich ihn beschrieben. Zu meinem Vergnügen dabei hat die Erinnerung an jenen strafbaren Ritt vor der Langen Brücke in Quedlinburg viel beigetragen. Dieser zweite Kamel¬ ritt wird nunmehr auch Wohl mein letzter gewesen sein. Vergnüglich und harmlos aber waren sie beide. . - ?" (Fortsetzung folgt) Der Marquis von Marigny Julius R. Haarhaus Line Lmigrcmtengeschichte von (Schluß) 13 le Bewohner der Weisergasse waren sich darüber einig, daß man bei Villerois seit einiger Zeit vorzüglich speisen müsse. Die Franzosen fingen zwar erst Nachmittags um fünf mit ihrer Kocherei an, aber dann dufte es auch gleich so köstlich nach Gebratnem, daß man es drei Häuser weiter ganz deutlich rieche. Am letzten Sonntag, so ging das Gerücht, sollten sie sogar junge Enten gegessen haben. Glaubwürdige Leute schworen nämlich darauf, sie hätten in der Asche frischgerupfte Eutcnfedern gefunden, und die könnten nur von den Ausländischen dorthin geworfen worden sein. Und ein Paar Tage später zeigte man sich die rote Schale von einem Krebs, aber von einem Krebs, der sechsmal größer gewesen sein mußte, als die Krebse, die man in der Laubdach fing. Dieser Fund erregte gewaltiges Auf¬ sehen; ein Flickschuster, der ein Hausgenosse der Franzosen war und für alles Merkwürdige Verständnis besaß, brachte die sterblichen Reste des Wundertiers zum Kanonikus von Umbscheiden, damit dieser sie seinem berühmten Natnralienknbinett einverleibe, wurde aber von dem geistlichen Herrn darüber belehrt, daß der Träger des seltsame» Panzers der Wissenschaft längst unter dem Namen „Hummer" bekannt sei und keineswegs zu den Seltenheiten gehöre. Mehr noch als Entenfedern und Hummerschalen beschäftigte die Phantasie der guten Leute ein ganzer Kreis von Legenden, dessen Mittelpunkt der alte vornehme Herr war, der bei Villerois zur Miete wohnte. Man betrachtete ihn mit stillem Schauder, denn es ging die Sage, er sei vor einiger Zeit geradeswegs von Paris gekommen, wo er den Kopf schon unter dem Fallbeile gehabt habe und mir durch ein in den Zopf verborgnes Stück starken Eisendrahtes gerettet worden sei. Doppelt auffallend schien es, daß ein Mann mit so entsetzlichen Lebenserfahrungen dennoch meist eine ganz vergnügte Miene zur Schau trug, und wie man ebenfalls ans sichrer Quelle wußte, noch an den Dingen dieser Welt so großen Anteil nahm, daß er jeden Mittwoch und jeden Samstag auf dem Markte die Lebensmittel in eigner Person einkaufte. In mehr als einer Hinsicht mochten die Nachbarn in der Weisergasse über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/436>, abgerufen am 26.11.2024.